Andreas Heinrich, Deutschland-Chef von Valeo im Interview.

Zulieferer werden mehr und mehr für ganze Systeme angefragt, betont Andreas Heinrich, Group President Germany bei Valeo. (Bild: Valeo)

Herr Heinrich, was hat dem Deutschlandchef von Valeo zuletzt Freude bereitet im Geschäft?

Wir konnten in den vergangenen zwei Jahren während der Corona- und Lieferkrise jeden Auftrag bedienen, jedes Fahrzeug beliefern. Wir hatten nicht einen Produktionsstopp zu verantworten. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern weltweit. Darauf sind wir stolz, denn das war in den vergangenen Monaten alles andere als selbstverständlich. Ich kann Ihnen sagen: Auch unsere Kunden wissen das zu schätzen.

Dennoch sind Corona, Halbleiterengpass und Ukraine-Konflikt sicherlich nicht spurlos an Valeo vorbeigegangen…

Ich finde, wir haben die Herausforderungen tatsächlich sehr gut gemeistert bislang. Corona ist hoffentlich weitestgehend durchgestanden. Was das betrifft, haben wir allerdings vor zwei Jahren auch stringent reagiert und zum Schutz unserer Mitarbeiter sehr schnell ein Protokoll erarbeitet, das für alle Standorte gleichermaßen gültig war. So konnten wir die Produktion aufrechterhalten. Unsere Lieferketten profitieren ohnehin von einer sehr robusten Basis, darauf konnten wir wunderbar aufsetzen. Es sind eher die finanziellen Verwerfungen in diesen turbulenten Zeiten, mit denen wir uns intensiv befassen müssen. Unsere operativen Abläufe waren auch in den vergangenen Monaten sichergestellt. Wir können uns auf das verlassen, was wir aufgesetzt haben. Das ist eine sehr beruhigende Erkenntnis.

Wie empfindlich globale Lieferketten auf äußere Einwirkungen reagieren, wurde in den vergangenen Monaten mehr als deutlich. Ist die Globalisierung gescheitert?

Nein, das würde ich so nicht stehen lassen wollen. Sicherlich müssen sich Unternehmen ihre Lieferbeziehungen ganz genau anschauen und analysieren, welche Abhängigkeiten es gibt. Und diese Abhängigkeiten sollten bestmöglich reduziert werden, entweder durch Alternativen im Sourcing oder durch Relokalisierung von Produktionsstandorten. Wir werden also definitiv Veränderungen sehen. Diese werden auch nicht spurlos an uns vorbeigehen. Aber eine grundlegende Abkehr von globalen Lieferketten sehe ich keineswegs.

Wie sieht denn Valeos Rezept für resiliente, flexible und transparente Lieferketten aus?

Transparenz in der Lieferkette fängt zunächst bei Transparenz vom Kunden an: Was genau ist geplant? Welche Fahrzeuge sollen gebaut werden? Welche Ausstattung sollen diese haben? Natürlich bewegen wir uns in der Automobilbranche in einem schnelllebigen Geschäft. Aber je mehr wir wissen und je größter unser Vorlauf ist, desto besser können wir als Zulieferer planen. Was für uns ebenso wichtig ist: Wir produzieren auf der ganzen Welt. Wir können sowohl in Asien als auch in Europa oder Nordamerika unsere Produkte fertigen. Das macht uns ein wenig unabhängiger von Störfaktoren, weil wir vor Ort für den lokalen Bedarf produzieren können. Wo wir definitiv noch genauer hinschauen müssen, ist die Beschaffung von Rohmaterialien wie Stahl oder Aluminium. Da prüfen wir intensiv, wie wir an der Stelle eine noch höhere Transparenz realisieren können.

Könnten branchenübergreifende Initiativen wie Catena-X nicht Abhilfe schaffen?

Ich finde grundsätzlich, dass wir in der Branche einen stärkeren Dialog brauchen. Das kann über Catena-X stattfinden, auch Valeo ist daran beteiligt. Ich spüre aber auch, dass der bilaterale Austausch mit unseren Kunden immer stärker wird. Das geht weit über die klassischen Bestellvorgänge hinaus. Gerade in den vergangenen zwei Jahren hat uns das enorm geholfen.

Schauen wir auf die deutschen Hersteller: Mit rund 30 Prozent machen die deutschen Kunden einen enormen Teil Ihres weltweiten Geschäfts aus. Tendenz steigend?

Es ist richtig, was Sie sagen: Unsere deutschen Kunden sind sehr wichtig für Valeo in Deutschland aber auch in anderen Ländern. Die deutschen Hersteller tragen insgesamt rund 30 Prozent zum Konzernumsatz bei. Daher wollen wir das Geschäft nicht nur stabilisieren, sondern ausbauen, ganz klar.

Wie sehen Valeos Strategien für die anderen großen Märkte – allen voran China – aus?

Es ist vorhin schon angeklungen: Wir sind weltweit mit allen unseren Bereichen aktiv. Schauen Sie, wir sehen ja momentan eine ganze Reihe von Megatrends wie die Elektromobilität, Fahrerassistenz bis hin zum automatisierten Fahren oder Innenraum und Komfort. Das wollen wir natürlich in allen Märkten unterstützen und begleiten. Nicht alle Märkte folgen zeitgleich allen Trends. Daher wollen wir uns auch weiterhin breit aufstellen.

Wo liegen Ihrer Ansicht nach die größten Umsatzpotenziale?

Wir werden ganz sicher in den nächsten Jahren eine steigende Nachfrage im Bereich Fahrassistenz und Komfort sehen. Die zunehmende Automatisierung der Fahrzeuge treibt den Markt mit Sensorik, Assistenzsystemen und vor allem Sicherheitsfunktionen an. In den kommenden Jahren werden wir entsprechende Features immer mehr in den Autos sehen. Das zweite Thema ist die Elektrifizierung. Mit Siemens haben wir bereits vor einigen Jahren die Weichen gestellt und ein Joint Venture im Bereich Powertrain gegründet, das Valeo nun zu 100 Prozent übernehmen wird. Und noch ein Thema wird im Zuge der Elektromobilität immer wichtiger, das gern etwas übersehen wird…

Welches wäre das?

Das Thermomanagement. Das umfasst die effiziente Klimatisierung von Fahrzeugen über Wärmepumpen ebenso wie etwa die Batteriekühlung. In diesem Bereich erwarten wir große Potenziale in den kommenden Jahren. Wir sehen uns aber gut aufgestellt.

Die Megatrends der Branche liegen nun schon auf dem Tisch. Man kann den Eindruck gewinnen, dass sich Nischen für die großen Zulieferer öffnen. Hat sich die Rolle der Tier-1 verändert?

Ja, da würde ich Ihnen zustimmen. Aber das liegt nicht nur an den angesprochenen Trends wie Elektrifizierung oder Automatisierung. Diversifizierung bei den OEMs ist vielmehr der Treiber. Denn wir sehen schließlich noch immer klassische Verbrenner, wir sehen Übergangstechnologien wie Plug-in-Hybride und wir sehen vollelektrische Fahrzeuge. Salopp gesagt: Ein Autohersteller hat heute dreimal so viele Aufgaben wie früher. Da sehe ich schon den Trend, dass Zulieferer mehr und mehr für ganze Systeme angefragt werden, um an der Stelle beim Hersteller die Komplexität zu reduzieren.

Man könnte also sagen, Sie werden mehr und mehr Partner auf Augenhöhe. Wie wichtig sind denn eigene Partnerschaften für Valeo?

Grundsätzlich sind wir schon gut aufgestellt, um viele Dinge inhouse abdecken zu können. Ich gebe Ihnen mal eine Größenordnung: Wir haben etwa 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Davon sind 20.000 in der Forschung & Entwicklung beschäftigt. Wir sind also durchaus bestrebt, von der ersten Entwicklung bis zur Fertigung des finalen Produkts alle Zügel in der Hand zu halten. Aber ganz ohne Partner geht es natürlich nicht. Ein Beispiel: Wir sind gerade eine Zusammenarbeit mit Renault eingegangen, um gemeinsam an neuen Generationen von Elektromotoren zu arbeiten, die möglichst ohne seltene Erden auskommen. Die Themen sind heute so komplex, die Vielfalt so groß, dass ein Unternehmen allein überhaupt nicht die Ressourcen hat, alles allein zu gestalten.

Beim Joint Venture mit Siemens haben Sie sich letztendlich dazu entschieden, die aufgebaute Expertise komplett ins eigene Haus zu holen…

Genau. Das war allerdings schon immer so geplant, nur der Zeitpunkt war offen. Zum Start war es der richtige Schritt, das Knowhow von Siemens und Valeo zu bündeln. Wir wussten aber bereits, dass wir uns im Bereich Powertrain stärker aufstellen wollen und das Joint Venture irgendwann in unsere Hand übergehen würde. Das ist nun der Fall.

Stichwort Powertrain: Wappnet sich Valeo noch für eine Zukunft abseits des Elektroautos?

Ich halte es schon für wichtig, dass wir die Entwicklungen ergebnisoffen beobachten und begleiten. Valeo ist breit aufgestellt und in der Lage, schnell zu reagieren, wenn sich von Seiten der Technologie oder auch der Politik Veränderungen ergeben.

Valeo ist auch im Bereich des automatisierten Fahrens breit aufgestellt. Um das autonome Auto wird es im Wechsel laut und wieder leise. Wann sehen wir denn den Durchbruch der selbstfahrenden Mobilität?

Das ist der berühmte Blick in die Glaskugel (lacht). Ich bin bei Ihnen: Vor einigen Jahren hat jeder Experte gesagt, dass die Menschen 2025 bereits autonom unterwegs sein werden. Ich denke, wir können nun recht sicher sagen, dass das nicht der Fall sein wird. Die vergangenen Jahre mit der Coronakrise oder dem Halbleitermangel haben die Prioritäten verschoben. Die Branche ist in die Elektromobilität etwa mit viel größerem Tempo reingegangen als ursprünglich angenommen. Das frisst Ressourcen. Da sind schlicht Gelder in andere Bereiche geflossen. Das hat die Entwicklung sicher verlangsamt. Werden wir in den kommenden Jahren eine breite Anwendung automatisierter Fahrfunktionen sehen? Ja, da bin ich mir sicher. Wann Level 5 allerdings Realität wird, darüber möchte ich keine Aussage treffen.

Krankt es auch an ungenügenden Rahmenbedingungen? Der Hochlauf der E-Mobilität etwa wird auch durch fehlende Infrastruktur verlangsamt.

Bei der Elektromobilität bin ich bei Ihnen. Die Technologie ist reif und drängt mit deutlich höherer Geschwindigkeit auf die Straße, als es etwa die Ladeinfrastruktur tut. Da liegen die Hausaufgaben an anderer Stelle. Aber was das autonome Fahren betrifft, da würde ich ganz klar sagen: Der Ball liegt im Feld der Industrie. Die Entwicklung ist derzeit noch durch das limitiert, was im Fahrzeug möglich ist.

All diese technologischen Herausforderungen schreien förmlich nach Fachkräften, nach neuen Jobprofilen und Qualifikationsmaßnahmen. Spüren Sie vor allem in Deutschland die Recruiting-Konkurrenz durch die großen OEMs?

Ja, diesen Wettbewerb spüren wir natürlich. Bei allen Unternehmen verändern sich derzeit die Inhalte, an denen gearbeitet wird, drastisch. Einige Hersteller wie Mercedes-Benz oder Volkswagen arbeiten etwa an eigenen Betriebssystemen. Dafür brauchen sie Softwareentwickler. Die benötigen wir vor allem für unseren Bereich Komfort und Fahrerassistenz aber auch. Von den angesprochenen 20.000 Entwicklern sind etwa 6.000 in der Softwareentwicklung tätig, um Ihnen an dieser Stelle eine Größenordnung zu geben. Das setzt uns schon unter Druck, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Mindestens genauso wichtig ist es übrigens, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten. Wir stehen also definitiv in einem Wettbewerb.

Kommen wir von klimaneutralen Produkten zur klimaneutralen Industrie: Valeo hat das Ziel formuliert, bis 2050 CO2-neutral zu operieren. Andere Unternehmen haben sich ambitioniertere Ziele gesetzt…

Ich sage immer, das was man kommuniziert, das muss man auch einhalten. Wir wollten uns realistische Ziele setzen, die auch wirklich erreichbar sind. 2050 ist die Marke, aber: Bis 2030 wollen wir bereits 45 Prozent dieses Weges gegangen sein. Der größte Hebel für uns sind unsere Werke. Drei Viertel der Einsparungen kommen über die Fertigung. Mehr als 400 Millionen Euro investieren wir dafür in unsere Produktionsstandorte. Die Maßnahmen reichen von flächendeckender LED-Beleuchtung über Wärmerückgewinnung aus unseren Anlagen bis hin zu Solarpanels auf den Werksdächern. Für weitere 15 Prozent der Einsparungen steht die Lieferkette. Um nur ein Beispiel zu nennen: Viele Komponenten bei uns werden aus Aluminium gefertigt. Wir schauen in den kommenden Jahren ganz genau darauf, wie dieses Aluminium hergestellt wird und welche Lieferanten für uns infragekommen.

Herr Heinrich, wir hatten Sie eingangs gefragt, was Ihnen zuletzt Freude bereitet hat. Zum Abschluss: Welchen Dingen schauen Sie in der kommenden Zeit freudig entgegen?

Ich hoffe natürlich, dass wir die aktuellen Krisen in diesem Jahr wirklich hinter uns lassen können und mit einer positiven Grundeinstellung in die Zukunft schauen. Aber ich bin guter Dinge, dass die Automobilindustrie mittelfristig wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen wird.

Zur Person:

Andreas Heinrich, Deutschland-Chef Valeo

Andreas Heinrich startete seine Karriere als Entwicklungsingenieur bei Philips Car Systems, war danach Projektmanager bei SystemsSiemens VDO, bevor er zur Visteon Corporation wechselte, wo er als Director German OEM Customer Group und Managing Director arbeitete. Danach war er bei der Lear Corporation als Vice President German OEM’s für das Seating Business mit den deutschen Kunden weltweit verantwortlich. Seit 2014 ist er bei Valeo, wo er als General Manager Thermal Systems startete. Seit 2019 verantwortet er als Group President Germany das Deutschlandgeschäft.

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