Roter Porsche in Frontaufnahme neben Motorrad auf Straße im Sonnenuntergang, zu beiden Seiten Bäume, Sträucher und Palmen

Einen elektrifizierten Porsche sieht man in Indien, insbesondere außerhalb der Metropolen, selten. (Bild: Thomas Geiger)

Die Jungs vor der Mall in Satara trauen ihren Augen kaum. Einen Porsche haben sie hier, sechs Autostunden südlich von Mumbai noch nie gesehen, erst recht keinen Sportwagen der Schwaben. Kaum fährt der rote Renner los, zweifeln sie auch noch an ihren Ohren: Schließlich hören sie statt des erhofften Brüllens nur das Surren einer E-Maschine und sehen, wie der Taycan im Chaos auf der NH48 nach Norden in Richtung Pune verschwindet.

Daran werden sie sich gewöhnen müssen. Auch wenn es im Straßenbild vorerst kaum einen Unterschied machen wird, ob der örtliche Porsche-Chef Manolito Vujicic im nächsten Jahr tatsächlich zum ersten Mal auf eine vierstellige Zahl an Neuzulassungen kommt, mittelfristig 3.000 Autos verkauft und ab 2030 sogar fünfstellige Volumen erreichen will. Selbst wenn der Taycan in seinen Verkäufen bereits einen überproportionalen Anteil hat. Geht es nach der Regierung in Delhi, sollen zumindest Elektrofahrzeuge auf dem Subkontinent bald alltäglich sein - auch wenn es dann eher Tatas sein werden als Taycans.

Das ist bitter nötig. Denn schon jetzt ist die Luft in Städten wie Delhi oder Mumbai zum Schneiden dick und Indien ist weit entfernt von den Klimazielen des Pariser Abkommens, zu denen sich auch das 1,4 Milliarden-Land verpflichtet hat. Und die Probleme beginnen gerade erst. Denn je nach Statistik kommen auf 1.000 Einwohnern auf dem Subkontinent gerade einmal 15 bis 65 Autos, während im weltweiten Mittel 155 und bei uns 557 Autos auf 1.000 Einwohner kommen.

Indiens Wirtschaftswachstum lässt die Zulassungszahlen boomen

Aber Indien hat sich schneller vom Corona-Schock erholt als viele andere Industrienationen und profitiert zudem von einer wachsenden Skepsis gegenüber dem alles dominierenden Wirtschaftspartner und Nachbarn China. Das Ergebnis: Das Wirtschaftswachstum ist stabil und nährt sein Volk. Indien hat deshalb laut Porsche-Chef Vujicic nicht nur 160 Milliardäre und 700.000 Millionäre und steht damit weit oben im weltweiten Wohlstandsranking. Sondern darunter wächst eine mehrere hundert Millionen Menschen starke Mittelschicht, sagt Christian Cahn von Seelen, der das Marketing für den VW-Konzern auf dem Subkontinent verantwortet. „Die wissen gar nicht, wohin mit ihrem ganzen Geld.“

Und sie kaufen deshalb mehr Autos denn je: „Das Land deckt mit atemberaubendem Tempo seinen Nachholbedarf“, sagt Jan Burgard vom Strategieberater Berylls in München. In diesem Jahr werden es deshalb rund 3,6 Millionen Neuzulassungen sein, im nächsten rechnen die Experten mit vier Millionen. „Und spätestens in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts ist Indien der drittgrößte Automarkt der Welt“, sagt Burgard. Damit dem Land dann nicht die Luft wegbleibt, hat Indien ambitionierte Pläne zur Elektrifizierung seines Fuhrparks geschmiedet: Der private Fuhrpark der Bevölkerung soll bis 2030 zu 30 Prozent aus Elektroautos bestehen, meldet eine Regierungsagentur.

Schon heute macht die Statistik viele Vorurteile zunichte. Denn so rückständig der chaotische Straßenverkehr in den Millionenstädten und mehr noch auf dem Lande erscheinen mag, so laut der Lärm und so dick die Luft auch ist, fahren in Indien aktuell mehr Elektrofahrzeuge als irgendwo sonst auf der Welt: 14 Millionen E-Mobile meldet die Regierung und rechnet bis 2026 mit bis zu 50 Millionen Stromern. Allerdings sind das bislang mehrheitlich Zweiräder und die allgegenwärtigen Rikschas, von denen immerhin bereits etwa ein Sechstel von Gas- auf Batterieantrieb umgestellt worden sind.

Regierung treibt Elektrifizierung ambitioniert voran

Jetzt sollen also die Autos an die Leine gelegt werden, verkündete Delhi. Dafür hat die Regierung nicht nur die Zulassungssteuer von 100 Prozent bei Luxusfahrzeugen und rund 20 Prozent bei herkömmlichen Autos auf zehn bis fünf Prozent gesenkt oder in manchen Bundesstaaten gleich ganz gestrichen, sondern sie investiert auch kräftig in den Ausbau der Ladeinfrastruktur.

Das ist auch bitter nötig: Denn aktuell gibt es auf dem Subkontinent, mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von 3.000 Kilometern, gerade einmal rund 3.000 öffentliche Ladesäulen. Während sich beim Nachbarn China sechs Elektroautos einen Lader teilen, sind es in Indien über 130. Doch Entwarnung ist in Sicht: Bis 2026 soll es 40.000 und zum Ende des Jahrzehnts 46.000 Ladesäulen im Land geben. Und bei Steigerungsraten von 300 Prozent pro Jahr nähert man sich diesem Ziel mit riesigen Schritten.

So feiern die Inder zum Beispiel die Autobahn zwischen Delhi und Chandigarh als erste E-Schnellstraße im Land, seitdem Bharat Heavy Electricals Limited dort 20 Schnelllader aufgestellt hat, die vor Ort von Solarzellen gespeist werden. 80.000 Kilometer neue Straßen lässt die Regierung nebenbei auch noch bauen. Dabei geht es den Indern allerdings nicht nur um die Umwelt, sondern auch um ihre Finanzen: „Zwei Drittel ihres es nicht unerheblichen Außenhandelsdefizits geht auf das Konto der Mineralöl-Importe“, sagt VW-Experte Cahn von Seelen. Atomstrom und grünen Strom aus Wasserkraft dagegen können die Inder im eigenen Land erzeugen.

Die Autoindustrie, die vom Staat kräftig beim Aufbau von Hightech-Produktionen gefördert wird, hat die Herausforderung längst angenommen. Nicht nur Premiummarken wie Audi, Porsche oder BMW exportieren ihre E-Modelle oder montieren sie, wie Mercedes den EQS, vor Ort. Auch in den Volumensegmenten steigt die Spannung: VW will seine ID-Modelle ins Land bringen, Skoda verkauft dort ab nächstem Jahr den Enyaq und steckt schon den Rahmen für die lokale Entwicklung eines MEB-Modells analog zu den Bestsellern Kushaq und Slawia aus der Verbrenner-Welt ab.

roter Porsche in Heckaufnahme auf einem Parkplatz an einem Ladepunkt für E-Autos
Energisch treibt die indische Regierung den Ausbau der Ladeinfrastruktur voran, um mit dem wachsenden Markt mithalten zu können. (Bild: Thomas Geiger)

Tata ist klarer Marktführer in Indien

Zudem hat Tata als einer der größten lokalen Anbieter gerade den Verkauf des bereits 50.000 Elektro-Autos gemeldet und ist so mit großem Abstand Marktführer auf der Electric Avenue. Das liegt nicht nur am passenden Produkt, sondern auch an den Rahmenbedingungen, sagt Vivek Srivatsa, der das Marketing der EV-Modelle leitet: „Tata tut sich als großer Energieversorger vergleichsweise leicht mit einem eigenen Ladenetzwerk und für zu Hause spendieren wir jedem Kunden noch eine Wallbox zum Auto.“

Derzeit setzen die Inder dabei noch – ähnlich wie bei uns die Stellantis-Gruppe - auf eine umgebaute Verbrenner-Plattform, weil die den besten Kompromiss aus niedrigen Kosten und schneller Markteinführung bietet, argumentiert Srivatsa. Darauf bauen sie vor allem das handliche SUV Nexon EV, das in der Max-Version mit einem 40,5 kWh großen Akku kommt und bis zu 300 Kilometer weit fährt. Sein Preis liegt mit 1,8 Millionen Rupien oder umgerechnet 22.000 Euro auf dem gleichen Niveau wie die Top-Version des Skoda Kushaq – nur, dass dort noch ein 150 PS-Benziner seinen Dienst tut. „Die gleiche Technik bauen wir aber auch in eine kompakte Limousine ein und in ein fünftüriges Schrägheck und decken damit die drei wichtigsten Segmente des Marktes ab“, sagt Srivatsa.

In zwei Jahren will der Platzhirsch dann eine neue Generation mit E-Modellen einführen und in der zweiten Hälfte der Dekade gibt es eine Skateboard-Plattform für dezidierte Akku-Autos analog zum MEB des VW-Konzerns oder der E-GMP-Architektur von Hyundai, Genesis und Kia. Bis 2025 will Tata zehn Elektroautos einführen, eine Million E-Autos verkaufen und mittelfristig auf einen Absatzanteil von 20 Prozent kommen.

Der indische EV-Sektor bekommt starken Zuwachs

Dabei erfreut sich Srivatsa zwar an der Rolle als Marktführer und Quasi-Monopolist im Volumenmarkt, denn weder Suzuki-Maruti noch Mahindra haben der breiten Bevölkerung bislang ein Batterie-Auto zu bieten, doch zugleich stöhnt er über die Last, der Vorreiter zu sein. „Das ist ein zweischneidiges Schwert: Wir ernten zwar viel Ruhm und Ehre, müssen dafür aber die gesamte Aufbau- und Überzeugungsarbeit allein leisten.“

Lange wird er womöglich nicht mehr allein für die neue Technik kämpfen müssen. Denn die staatliche Wirtschaftsförderung berichtet von rund 500 Start-Ups im EV-Sektor, die sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette um den für 2027 auf über sieben Milliarden Dollar geschätzten EV-Markt mühen. Allein im letzten Jahr sind in diese neuen Firmen mehr als 440 Millionen Dollar investiert worden. Zwar will die Vorstellung vom boomenden Elektromarkt nicht so recht zu einem Land passen, in dem viele Haushalte noch nicht einmal fließendes Wasser haben und auch oft auch keinen Strom, doch wer sich ein Auto leisten kann, der liebäugelt durchaus mit dem Technologiesprung. Nicht zuletzt, weil eine Kilowattstunde Strom umgerechnet meist weniger als zehn Cent kostet, während man für den Liter Benzin immer deutlich mehr als einen Euro zahlt.

Und wer einmal ein Elektroauto in Indien gefahren hat, der will es ohnehin nicht mehr missen: Die Batterie fährt bei dem subtropischen Klima auf dem Kontinent von Natur aus im Wohlfühlbereich und bietet deshalb beste Performance. Bei Durchschnittsgeschwindigkeiten weit unter 50 km/h und selbst auf der Autobahn selten mehr als 80 Sachen ist auch bei einem kleinen Akku eine große Reichweite garantiert und zum Überholen im alltäglichen Chaos zwischen Rikschas, Rollern, Kleinwagen und Kühen gibt es nichts Besseres als das sofort einsetzende Drehmoment eines Elektromotors – egal ob im Tata oder im Taycan.

schwarzer Tata in Heckaufnahme auf einer indischen Straße neben einem Obststand
Tata ist in Indien der Platzhirsch und will seine Marktpräsenz in den nächsten Jahren noch weiter ausbauen. (Bild: Thomas Geiger)

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