Magnus Olsson (links) im Gespräch mit Redakteur Timo GilgenVolvo
Im Interview spricht der Werkleiter der Volvo-Stammfabrik in Torslanda, Magnus Olsson, über den aktuellen Umbau, inklusive neuer Megacasting-Halle und die Herausforderungen vor dem Anlauf des EX60 im kommenden Jahr.
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Magnus Olsson, einer der erfahrensten Produktionsmanager bei Volvo, steht vor der vielleicht größten Bewährungsprobe seiner Karriere. Seit mehr als 25 Jahren prägt der promovierte Strömungsmechaniker die technische DNA des schwedischen Herstellers – zunächst in der Entwicklung von Karosseriestrukturen, Aerodynamik und Fahrdynamik, später als Vice President für Qualität, Fahrzeugentwicklung und globale Anläufe. Heute leitet Olsson das Stammwerk im Göteborger Stadtteil Torslanda, wo sich die Produktionszukunft von Volvo entscheidet.
Denn hier entsteht der neue EX60, das erste Modell auf der SPA3-Plattform – ein Fahrzeug, das als technologischer Meilenstein gilt und über den Erfolg der nächsten Jahre entscheiden dürfte. Während Lackiererei, Montage und Logistik parallel modernisiert werden und ein völlig neuer Megacasting-Komplex entsteht, muss Olsson den laufenden Betrieb stabil halten, neue Prozesse etablieren und gleichzeitig den Serienanlauf des wohl wichtigsten Modells seit Jahren sicherstellen. Ein Spagat zwischen Transformation und Tagesgeschäft, den er mit ruhiger Konsequenz und tiefem Prozessverständnis zu meistern versucht.
Herr Olsson, welche technischen und organisatorischen
Herausforderungen sehen Sie derzeit – sowohl für den traditionellen
Produktionsbereich als auch für den neuen Megacasting-Komplex?
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Ich würde das in zwei Teile unterteilen. Einerseits müssen wir weiterhin 6.000
Fahrzeuge pro Woche im traditionellen Bereich produzieren, während gleichzeitig
Lackiererei und Montage umgebaut werden. Das ist eine enorme Herausforderung,
aber auch eine Chance, unsere Mitarbeitenden in Lean-Methoden und Kaizen zu
schulen und sie stärker in Problemlösungsprozesse einzubinden. Beim Megacasting
beginnen wir bei null, da diese Technologie völlig neu ist. Zwar gibt es
Erfahrungen mit dem Gießen von Motorblöcken, doch die Dimension ist eine völlig
andere. Deshalb kombinieren wir die Rekrutierung internationaler Spezialisten
mit gezielten Schulungen unserer eigenen Mitarbeiter in kleineren Gießereien.
Gleichzeitig wird die Batteriemontage aufgebaut. Wie
wichtig ist die lokale Batterieproduktion für das Werk Torslanda – und wie
wirkt sich die derzeitige Unsicherheit mit Novo/Northvolt auf Ihre Planung aus?
Für Torslanda gibt es keine direkten Auswirkungen, wir haben mehrere
alternative Lieferwege. Grundsätzlich sind kurze Lieferketten immer
vorteilhaft: Sie binden weniger Kapital und verbessern die Gesamtprofitabilität
– egal, ob es sich um Batterien, Türen oder Stoßfänger handelt.
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Wie verändert die Integration der Batterie in die
Fahrzeugstruktur den Montageprozess?
Wir fügen einen weiteren „Hochzeits“-Punkt hinzu. Neben der Verbindung von
Karosserie und Fahrwerk wird nun auch die Batterie in der Linie montiert. Diese
Einheit ist sehr sensibel, und der Takt der gesamten Produktion hängt stark
davon ab, dass dieser Bereich reibungslos läuft.
Ein großer Umbau betrifft die Lackiererei. Welche
Verbesserungen erwarten Sie hier?
Das alte System war veraltet. Mit dem neuen Roll-Tauchverfahren steigern wir
die Qualität, reduzieren Fehler in der Vorbehandlung und verbessern
Nachhaltigkeit und Wasseraufbereitung deutlich.
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Sie stehen regelmäßig mit den anderen Werkleitern der
weltweiten Volvo-Standorte in Kontakt. Wie funktioniert dieser Austausch – und
welche Themen stehen dabei im Fokus?
Wir haben eine starke Gemeinschaft zwischen den Werk- und Produktionsleitern
aller Volvo-Standorte weltweit. Wir treffen uns regelmäßig, um Best Practices
auszutauschen – etwa zu Lean Management, Automatisierung, Führung oder
Effizienzsteigerung. Jeder Standort bringt eigene Schwerpunkte ein, und
gemeinsam entwickeln wir Standards weiter, die für alle Werke gelten.
Wie ist die Leitung im Werk Torslanda organisiert?
Wir haben ein klares, mehrstufiges System: An der Spitze stehe ich als
Werkleiter, darunter die sogenannten Shop Manager – also die Verantwortlichen
für die einzelnen Produktionsbereiche wie Montage, Lackiererei oder
Karosseriebau. Darunter folgen Linienmanager und Teamleiter. Diese Struktur
stellt sicher, dass Entscheidungen schnell umgesetzt und Herausforderungen
direkt angegangen werden können.
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Magnus Olsson (rechts) zeigt sein Werk.Volvo
Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag als Werkleiter aus?
Ich arbeite auf drei Ebenen: strategisch, taktisch und operativ. Ich trage die
Gesamtverantwortung für das Budget einschließlich der Investitionen. Gemeinsam
mit den Engineering- und Produktionsteams arbeite ich frühzeitig an neuen
Produkten. Operativ gibt es klare Routinen: tägliche Gemba-Walks, zweimal
tägliche Ergebnisrunden, Echtzeitkommunikation zwischen Schichtleitern und
Teamführern. Das gewährleistet Transparenz und schnelles Handeln.
Wie unterscheidet sich die Arbeit in Schweden von anderen
Regionen, etwa Osteuropa oder Asien?
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Natürlich ist das Lohnniveau hier höher als in vielen anderen Ländern. Das
zwingt uns dazu, besonders effizient zu arbeiten, um wettbewerbsfähig zu
bleiben. Wir müssen also mehr über Prozessverständnis, Standardisierung und
Mitarbeiterbeteiligung erreichen – nicht über reine Kostenvorteile.
Viele westliche Industrien stehen vor der Frage, wie sie
Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung sichern können. Wie sehen Sie diese
Herausforderung?
Das ist tatsächlich eine der großen Fragen unserer Zeit. Wenn wir industrielle
Arbeitsplätze im Westen erhalten wollen, müssen wir zwei Dinge gleichzeitig
schaffen: wettbewerbsfähig bleiben – und, wie gesagt, die Menschen in die
Prozesse einbeziehen. Nur wenn die Belegschaft versteht, wie Prozesse
funktionieren und wie man sie verbessern kann, erreichen wir kontinuierliche
Verbesserung.
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Sie sagten: „6.000 intelligente Mitarbeiter sind besser
als jede KI.“ Dennoch: Wo setzen Sie bereits KI-Technologien ein?
Wir haben ein kleines, spezialisiertes Team. Zwei Anwendungen sind besonders
interessant: Erstens ein trainiertes Modell, das Instandhaltungsingenieure bei
technischen Fragen unterstützt – auf Basis digitaler Handbücher und
Lieferantendaten. Zweitens nutzen wir KI im Bereich Smart Maintenance, wo
automatisch Wartungsaufträge ausgelöst werden, sobald Störungen auftreten.
Beide Projekte laufen bereits im Pilotbetrieb.
Sie versuchen, mehr Aufgaben intern zu lösen. Können Sie
ein Beispiel nennen?
Ja, unsere Visualisierungstools in der Montage. Diese entwickeln wir selbst –
mit unseren eigenen Spezialisten. Unter den 6.000 Mitarbeitenden gibt es viele,
die in ihrer Freizeit programmieren. Dieses Potenzial fördern wir gezielt. So
gewinnen wir Unabhängigkeit, Geschwindigkeit und Motivation.
Früher wurden Standards von Ingenieuren fern der Produktion definiert – heute entwickeln die Teams sie selbst.
Magnus Olsson
Welche Fähigkeiten werden für die Belegschaft künftig
wichtiger – und wie fördern Sie diese Entwicklung?
Wettbewerbsfähigkeit entsteht, wenn Mitarbeitende den Wert standardisierter
Arbeit verstehen. Früher wurden Standards von Ingenieuren fern der Produktion
definiert – heute entwickeln die Teams sie selbst. Das stärkt Identifikation
und Verantwortungsbewusstsein. Wir verlangen ein abgeschlossenes Abitur in
Englisch, Schwedisch und Mathematik, um ein hohes intellektuelles Niveau zu
sichern. Standardisierung ist die Basis für Lean-Methoden und kontinuierliche
Verbesserung – und Voraussetzung, um Prozesse sinnvoll zu automatisieren.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle der
Automatisierung?
Automatisierung ergibt nur Sinn, wenn man die zugrunde liegenden Prozesse
wirklich versteht. Wenn man versucht, etwas zu automatisieren, das man nicht
vollständig beherrscht, löst man gar nichts. Der erste Schritt muss daher immer
Prozessverständnis und Standardisierung sein. Erst danach sollte man
automatisieren.
Heißt das, technologische Lösungen allein reichen nicht
aus, um die Wettbewerbsfähigkeit westlicher Industrie zu sichern?
Genau. Technologie ist ein Werkzeug – kein Ersatz für Verständnis. Wir können
Roboter einsetzen, Cloud-Systeme übernehmen oder KI nutzen, aber ohne eine
Kultur der Verantwortung, des Lernens und der kontinuierlichen Verbesserung
bleibt es Stückwerk. Der Mensch ist der entscheidende Faktor.
Sie selbst sind seit 25 Jahren bei Volvo. Was bedeutet es
Ihnen persönlich, diese Aufgabe zu leiten?
Ich komme von ABB und Daimler und habe einen Doktortitel in Strömungsmechanik.
Ich begann mit aerodynamischer Simulation und war später für mehrere
F&E-Bereiche verantwortlich – von der Karosseriestruktur über Fahrdynamik
bis zur Sicherheit. Mittelgroße Volvo-Modelle sowie Polestar 1 und 3 gehörten
ebenfalls zu meinem Verantwortungsbereich. Jetzt das Werk Torslanda in dieser
Transformationsphase zu führen, ist eine einzigartige Erfahrung –
herausfordernd, aber sehr erfüllend.
Der EX60 wird das erste Fahrzeug auf der neuen
SPA3-Plattform sein. Bedeutet das zusätzlichen Druck angesichts der laufenden
Umbauten?
Ja und nein. Wir liefern bereits rund 40 Prozent des gesamten
Produktionsvolumens von Volvo. Das ist eine große Verantwortung. Ein neuer
Modellanlauf ist immer eine Herausforderung, denn wenn er nicht reibungslos
gelingt, wirkt sich das auf die gesamte Organisation aus.
Der Start der Serienproduktion des EX60 rückt näher.
Welche nächsten Schritte stehen bis zum Produktionsstart an?
Der Start der Serienproduktion ist für Mitte nächsten Jahres geplant. In
wenigen Wochen beginnen wir mit dem ersten Prototypendurchlauf, dem sogenannten
Icebreaker – dem ersten Fahrzeug, das die komplette Linie durchläuft.
Bisher wurden nur Pilotfahrzeuge außerhalb des Werks gefertigt. Diese Phase
dient dazu, Prozesse zu validieren und die spätere Serienfertigung im Frühjahr
zu verifizieren.
Und was machen Sie am Tag der Weltpremiere?
Ich werde wahrscheinlich hier in der Fabrik stehen und sicherstellen, dass
alles funktioniert. (lacht)