Martin Geißler, Advyce&Company

„Von echter Stabilität kann keine Rede sein“

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Ob Erdöl, Autos oder Streamingdienste: Der Handel zwischen der EU und den USA ist vielfältig. Welche Branchen profitieren von der Partnerschaft - und wo ist der Handel besonders ungleich?
Ob Erdöl, Autos oder Streamingdienste: Der Handel zwischen der EU und den USA ist vielfältig. Welche Branchen profitieren von der Partnerschaft – und wo ist der Handel besonders ungleich?

Was bedeutet der USA-EU-Zollkompromiss für OEMs & Zulieferer? Martin Geißler von Advyce&Company gibt Antworten zu Chancen, Risiken und geopolitischer Machtverschiebung.

Martin Geißler
Martin Geißler

Mit dem neuen transatlantischen Zollabkommen sinken die Einfuhrzölle für europäische Fahrzeuge in die USA auf 15 Prozent – ein Schritt, der deutschen Automobilherstellern kurzfristig neue Marktchancen eröffnet, gleichzeitig aber auch neue Unsicherheiten mit sich bringt. Im Interview analysiert Martin Geißler, Technologie- und Strategieexperte bei Advyce & Company, die konkreten Auswirkungen des Deals: von Vorteilen für Premium- und Elektrofahrzeuge über Risiken durch politische Instabilität bis hin zu neuen Anforderungen an Lieferketten, Zulieferer und technologische Standards. Geißler warnt davor, den Deal als langfristige Lösung zu betrachten – und plädiert für strategische Flexibilität in einem zunehmend geopolitisch geprägten Marktumfeld.

Herr Geißler, welche strategischen Optionen eröffnet der 15-Prozent-Zollsatz deutschen OEMs konkret – insbesondere im Premium- und Luxussegment?

Zunächst einmal eröffnet die Senkung des Zollsatzes auf 15 Prozent natürlich neue Möglichkeiten, sinkende Absätze – z.B. aus Asien – in den USA zu kompensieren. Für die deutschen Anbieter, allen voran Porsche, dessen Marge mangels eigener US-Produktion bisher besonders unter den Zöllen gelitten hatte, eröffnet das Spielraum, entweder Preise zu senken oder die verbesserten Margen zu sichern und teilweise an belastete Zulieferer weiterzugeben. Gleichzeitig sollte man aber nicht vergessen, dass der Deal auch neue Herausforderungen mit sich bringt: US-Autos können nun zollfrei in die EU exportiert werden und werden damit rund 10 Prozent günstiger. Ein potenzieller Wettbewerbsdruck im Heimatmarkt.

Wie beurteilen Sie die mittel- bis langfristige Planungssicherheit, die aus dem Deal resultieren könnte – auch im Vergleich zu früheren transatlantischen Handelsabkommen?

Kurz- und wahrscheinlich auch mittelfristig bringt der Deal eine spürbare Erleichterung und eine Phase relativer Planungssicherheit, nachdem zuletzt in vielen Vorstandsetagen fast wöchentlich neue Hiobsbotschaften aus Washington diskutiert wurden. Doch von echter Stabilität kann keine Rede sein: Trump hat mehrfach bewiesen, dass seine Zusagen wenig bindend sind, und dieser Zollkompromiss ist eher ein taktisches Arrangement als ein langfristiges Handelsabkommen – er könnte jederzeit neu verhandelt oder gekippt werden. Unternehmen dürfen sich daher nicht in falscher Sicherheit wiegen, sondern sollten weiterhin auf flexible Lieferketten und konsequente Szenarioplanung setzen.

Mit der aktuellen Politik ist das Thema Zoll als wirtschaftliches Druckmittel endgültig etabliert.

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Welche Marktsegmente in den USA erscheinen Ihnen für europäische Hersteller unter den neuen Bedingungen besonders attraktiv – und warum?

Im Kern bleiben die attraktivsten Segmente für europäische Hersteller dieselben wie bisher – Premium-SUVs und Sportwagen, wo Markenstärke und Preissetzungsmacht besonders groß sind. Neu ist jedoch, dass mit dem Deal deutsche Elektrofahrzeuge deutlich konkurrenzfähiger werden: Tesla hat durch das Polarisieren von Elon Musk und die veraltete Modellpalette an Strahlkraft verloren, während chinesische EVs mit hohen Zöllen zu kämpfen haben. Zudem könnten die deutschen Anbieter auch mit günstigeren Modellen, etwa aus Joint Ventures mit chinesischen Anbietern wie bei VW & SAIC, von den neuen Bedingungen profitieren, da gerade im Budget-Segment die Zölle bislang besonders schmerzhaft waren.

Ist aus Ihrer Sicht davon auszugehen, dass bestimmte internationale Wettbewerber stärker unter Druck geraten – und falls ja, mit welchen Effekten?

Ganz klar, die chinesischen Anbieter gehören zu den großen Verlierern dieses Zollpakets. Mit teils über 100 Prozent Aufschlägen verlieren ihre Fahrzeuge im US-Markt praktisch jede Wettbewerbsfähigkeit. Ob deutsche Hersteller davon unmittelbar profitieren, ist jedoch weniger eindeutig, da deutsche und chinesische Modelle in den USA bislang selten direkt im selben Segment konkurriert haben. Hinzu kommt, dass auch Japan bereits einen 15 Prozent-Deal ausgehandelt hat und Korea wohl ebenfalls kurz vor einem ähnlichen Deal steht – der Vorteil ist also keineswegs exklusiv.

Wie sollten europäische OEMs jetzt kurzfristig auf operativer Ebene reagieren, um Wettbewerbsvorteile zu realisieren?

Kurzfristig sollten deutsche OEMs ihren Modellmix für die USA verbreitern, und margenstarke Modelle, die bislang durch Zölle ausgebremst waren, wieder in größerem Umfang anzubieten. Parallel gilt es, die Auslastung der US-Werke zu prüfen und ggf. kurzfristig Produktionslinien auf besser nachgefragte Modelle umzurüsten. Ein dritter Hebel liegt im Marktauftritt: Wer die Zollentlastung jetzt offensiv mit Sondereditionen, Preiskampagnen oder Marketinginitiativen begleitet, kann den Effekt in den Köpfen der US-Kunden sofort verankern und dauerhaftes Engagement und Stabilität zeigen.

Welche Rolle spielen Produktions- und Lieferkettenstrategien nun im Lichte der Vereinbarung?

Lokale Wertschöpfung in den USA bleibt auch nach dem Deal ein strategischer Schlüssel, denn die Zölle sind nicht verschwunden, sondern nur abgemildert. OEMs sollten jetzt prüfen, welche Modelle sich durch kleine Anpassungen an der Montage (z. B. Endmontage vor Ort oder SKD/CKD-Kits) zolloptimiert in den Markt bringen lassen. Auch die Erweiterung von US-Lagerkapazitäten und die Verlagerung kritischer Zulieferketten – etwa bei Batterien oder Softwarekomponenten – kann helfen, künftige Zollschocks abzufedern. Man darf sich keiner Illusion hingeben: Mit der aktuellen Politik ist das Thema Zoll als wirtschaftliches Druckmittel endgültig etabliert; und bleibt damit eine stete Bedrohung, auf die Hersteller strukturell vorbereitet sein müssen.

Könnte der Kompromiss auch für Zulieferer neue Chancen in den USA eröffnen – oder gelten dort andere Dynamiken?

Für viele Zulieferer verschärft sich die Lage teilweise sogar, und zwar dort wo diese einen Teil ihrer Produkte zuvor noch zu 10 Prozent Zoll exportieren konnten und nun mit 15 Prozent belastet werden. OEMs werden außerdem zunehmend fordern, dass Zulieferer Montage- oder Produktionsschritte in den USA aufbauen – wer das nicht leisten kann, riskiert den Platz in der Lieferkette. Chancen haben dagegen die Zulieferer, die schnell kleine „Assembly Hubs“ oder Kooperationen mit US-Partnern einrichten und sich so als lokale Lösungspartner positionieren.

Wie interpretieren Sie den Kompromiss im Kontext der US-Wahl: Ist das Abkommen politisch belastbar oder ein vorläufiger Burgfrieden?

Der Zollkompromiss ist eindeutig ein wahlkampftaktischer Burgfrieden. Trump musste zeigen, dass er mit dem wichtigsten NATO-Verbündeten einen Deal zustande bringt, um Stärke und Verhandlungsfähigkeit zu demonstrieren. Politisch belastbar ist das Ganze jedoch nicht. Es handelt sich nicht um ein stabiles Handelsabkommen, sondern um einen Deal auf Zeit, der nach der Wahl schnell neu verhandelt werden könnte und von EU-Seite mit einem herben Nachgeschmack gesehen wird.

Inwiefern könnten neue technologische Standards oder regulatorische Vorgaben in den USA trotzdem noch zur Marktbarriere werden?

Auch mit sinkenden Zöllen bleiben Standards und Regulierung zentrale Markteintrittsbarrieren. Besonders im Bereich autonomes Fahren und Datennutzung könnte es zum Konflikt zwischen US- und EU-Regeln kommen. Hersteller sollten frühzeitig eigene Datenarchitekturen und KI-Systeme so anpassen, dass sie sowohl europäische Datenschutzstandards als auch mögliche US-Vorgaben erfüllen. Wer hier schnell Zertifizierungen und Partnerschaften (z. B. mit US-Cloud-Providern oder Cybersecurity-Experten) aufbaut, kann sich einen Vorsprung verschaffen – aber generell werden deutsche OEMs stark investieren müssen, sonst droht gerade im Rennen um FSD und KI der Anschlussverlust.

Wie ist die Vereinbarung insgesamt in die geopolitische Neuausrichtung globaler Lieferketten einzuordnen – insbesondere im Spannungsfeld USA–China–Europa?

Die globale Lieferkettenlandschaft befindet sich in einer massiven Neuordnung: USA und EU verfolgen immer stärker das Prinzip des „Friendshoring“, um Abhängigkeiten von China zu reduzieren und kritische Wertschöpfung – etwa bei Batterien oder Elektronik – näher an befreundete Märkte zu verlagern. Der Zolldeal ist Teil dieser (US-)Strategie, macht aber zugleich deutlich, dass Europa in diesem Block die Juniorrolle spielt. Insofern bleibt offen, ob die Strategie aufgehen wird. Die Verhandlungen waren von allem anderen als Freundschaft geprägt, und wie verlässlich Trumps Zusagen sind, kann niemand seriös vorhersagen. Für OEMs heißt das: Wer nicht nur auf die USA setzt, sondern gleichzeitig Alternativen in Mercosur, Indien oder China sucht, und neue Rohstoffpartnerschaften aufbaut, wird langfristig robuster aufgestellt sein. Gerade die Automobilindustrie muss ihre Lieferketten jetzt neu denken, um zwischen den großen Blöcken flexibel und wettbewerbsfähig zu bleiben.