Management

20. Jun. 2025 | 10:01 Uhr | von Chris Löwer

Krisenfeste Logistik-Teams

Warum resiliente Lieferketten beim Menschen beginnen

Die Zeiten sind volatil. Doch die Herausforderungen für Logistik und Lieferketten lassen sich bewältigen, wenn Teams es gewohnt sind, mit Widerständen umzugehen. Praktiker sagen, wie Mitarbeitende krisenfester werden.

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Seit 2021 läuft bei Audi ein sogenanntes "Resilienz-Programm", das darauf abzielt, Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Motivation der Mitarbeiter trotz steigendem Druck aufrechtzuerhalten. (Bild: Audi)

Nach der Krise ist vor der Krise. Und das muss nicht unbedingt schlecht sein. Diesen Eindruck erhält man, wenn man Dieter Braun, Leiter Supply Chain bei Audi, zuhört: Im Podcast „Was mich bewegt“ beklagt er nicht die volatile VUCA-Welt, sondern lobt mit Blick auf die jüngere Vergangenheit (Pandemie, Chipkrise, Kriege…) sein „sehr krisenerprobtes Team, das in der Lage ist, mit sich kurzfristig verändernden Randbedingungen optimal umzugehen“. Salopp könnte man sagen: Übung macht den Meister.

Neben multiplen Feuertaufen in der Praxis hat Audi allerdings auch mit einem „Resilienz-Programm“ nachgeholfen, durch das Mitarbeitende lernen, persönlich besser mit Belastungen umzugehen. „Denn am Ende sind es Mitarbeitende, die die richtigen Entscheidungen treffen müssen“, betont Braun, „Resiliente Logistik gelingt nur über resiliente Mitarbeitende.“ Daher wird es immer wichtiger, solche Fähigkeiten zu entwickeln. Doch wie erkennen Führungskräfte und man selber überhaupt, ob man resilient ist?

So erkennen Mitarbeiter, ob sie resilient sind

„Resilienz ist ein Begriff aus der Technik. Er besagt, wie gut ein Gegenstand nach Druck wieder in den Urzustand zurückfindet“, erklärt Coach Renate Sperber. Deshalb solle man sich für einen Selbsttest fragen: Wie gut kann ich nach einem Arbeitstag entspannen? Kann ich noch abschalten? Kann ich genießen? Habe ich mich verändert? Habe ich das Gefühl, gar nichts bewirken zu können? „Ein resilienter Mensch geht nicht in die Opferrolle“, erklärt Sperber, „Er hat ein hohes Kohärenzgefühl.“

Dieses beruhe auf den drei Komponenten: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit. „Ein Mensch mit hohem Kohärenzgefühl reagiert auf bedrohliche Situationen eher mit situationsangemessenen und zielgerichteten Gefühlen“, erläutert die Expertin, „Menschen mit niedriger Kohärenz tendieren eher zu diffusen, schwer zu regulierenden Emotionen, etwa mit blinder Wut oder Angst. Sie werden handlungsunfähig, da ihnen das Vertrauen in die Bewältigung des Problems fehlt.“ Das gilt es zu vermeiden. Und das geht. „Unsere Erfahrung ist: Resilienz kann man trainieren“, sagt ein Audi-Sprecher und verweist auf das Resilienz-Programm, das in der Logistik auf dem Höhepunkt der Halbleiter- und Coronakrise gestartet wurde.

Wobei es nicht immer extreme Situationen sein müssen, die herausfordernd sind, betont man bei dem OEM: „In der Logistikbranche gehören Störungen zum Tagesgeschäft.“ Staus auf der Autobahn reichen schon. „Deshalb ist es so wichtig, dass unsere Mitarbeitenden sowohl Experten für Prozesse sind, als auch persönliche Stressresistenz mitbringen.“

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Mentale Gesundheit und ein hohes Kohärenzgefühl sind in Krisenzeiten die Grundlage, Unternehmensprozesse am Laufen zu halten. (Bild: Audi)

Das seit 2021 laufende Resilienz-Programm in der Supply Chain zielt mit zwei Kernelementen darauf, Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Motivation Mitarbeitender trotz steigendem Druck in der gesamten Lieferkette zu erhalten.

  • Resilienz-Dialoge: Teilnehmende erhalten in einem geschützten virtuellen Raum die Möglichkeit, Impulse von Fachexpertinnen und -experten (wie Coaches, Psychologinnen und Psychologen, erfahrene Mitarbeitende oder Ärzten von Audi) aufzunehmen und diese anschließend in Gruppenarbeiten zu vertiefen.
  • Resilienz-Rad: Mittels eines Fragebogens wird die Resilienz auf individueller, Team- und Organisationsebene einer Abteilung erfasst. Der Fragebogen ist Teil eines kennzahlgesteuerten Konzepts, das als „Resilienz-Rad” bezeichnet wird. Es ermöglicht eine jährliche Bestandsaufnahme der Resilienz-Kompetenz, die in Folgeformaten – gemeinsam mit dem Audi Gesundheitswesen – begleitet und gefördert wird.

Flankiert wird das durch eine Reihe gesundheitsfördernder Maßnahmen. „Resilienz wird nicht erst in der Krise relevant, sondern sie beginnt mit einer strukturellen Vorbereitung durch stabile Prozesse, ist verankert in der Unternehmenskultur und wächst beständig durch das gemeinsame Meistern neuer Herausforderungen.“

Wie wird man widerstandsfähiger?

Bei Audi stehen vier Fähigkeiten im Mittelpunkt, die Mitarbeitenden zu mehr Widerstandskraft verhelfen sollen: Erstens die Fähigkeit, große Datenmengen zu analysieren und daraus fundierte Entscheidungen abzuleiten. Dazu gehören auch Kenntnisse in der Datenvisualisierung und -interpretation. Zweitens eine ganzheitliche Sichtweise, denn jede Entscheidung in der globalen Logistik kann enorme Auswirkungen haben. Drittens die Fähigkeit, schnell und kreativ auf unvorhergesehene Probleme zu reagieren, was analytisches Denken und Flexibilität erfordert. Viertens die Bereitschaft für Veränderung.

Coaches fügen noch einen grundlegenden Aspekt an: Raus aus der Opferrolle, egal, was passiert. Stockt der Nachschub mit Chips, sollte das nicht zu einem Lamento führen, sondern antreiben, eine Lösung (etwa durch Substitution) zu finden. „Entdecken Sie, was Sie tun können. Das Erleben der Selbstwirksamkeit ist der wichtigste Punkt, um Resilienz aufzubauen“, sagt Sperber, „Sie sind selbst verantwortlich und können etwas ändern.“ Die Frage ist also nicht: Wer hat Schuld, sondern: Wie wird es besser?

Unternehmen müssen unterstützen

Unternehmen brauchen nicht nur Tools, um Lieferketten resilienter zu gestalten, sondern müssen ihre Teams tatkräftig unterstützen: „Transparente und verständliche Strukturen sowie Prozesse sind wichtig. Eine auf Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung basierende kollegiale Zusammenarbeit sowie eine ‚gute‘ Führungs- und Kommunikationskultur sind ebenfalls hilfreich“, weiß Wirtschaftsingenieurin Astrid Weidner, Executive Coachs und Beraterin.

Die pflegt man auch bei Audi. Für Braun steht fest: Ein gutes, krisenerprobtes Team ist die tragende Säule für resiliente Lieferketten. „Wichtig ist, dass Mitarbeitende relativ schnell strukturiert eingehende Informationen verarbeiten können“, betont er. Denn die Welt verändere sich zu schnell für einen langsamen Informationsflow. Wobei es entscheidend sei, Teams dazu zu befähigen, dass sie eben nicht sofort auf jede Änderung reagieren: „Denn die Lage kann sich morgen schon wieder ganz anders darstellen. Es kommt auf die Fähigkeit an, abschätzen zu können, ob ein sofortiges Eingreifen erforderlich ist“, unterstreicht Braun.

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