Management

25. Jun. 2025 | 19:30 Uhr | von Wolfgang Gomoll

Markus Schäfer, Mercedes-Benz

„Wir brauchen eine europäische Batterieindustrie“

Markus Schäfer, Einkaufs- und Entwicklungsvorstand bei Mercedes-Benz, fordert eine konzertierte Aktion von Politik und Autobranche, um China in Sachen E-Mobilität Paroli bieten zu können. Auch beim autonomen Fahren sieht der Manager Handlungsbedarf.

Markus Schäfer, Mercedes-Benz

"Bei der Elektromobilität benötigen wir ein nachhaltiges Ökosystem", betont Markus Schäfer, im Mercedes-Benz-Vorstand verantwortlich für Entwicklung und Einkauf. (Bild: press-inform)

Darüber, dass die Wege in die Elektromobilität und das autonome Fahren schwierig sind, weiß man bei gerade auch beim Premiumhersteller Mercedes-Benz gut Bescheid. Früh hat man dort beide Themen in Bewegung gesetzt und die Systeme inzwischen perfektioniert. Aber Hürden wie ein belastbares Ökosystem mit Blick auf das "E" im Antrieb, die inhomogenen Märkte und die unterschiedlichen weltweiten gesetzlichen Regularien bei der Automatisierung des Fahrens fordern vom OEM ein enormes Gespür für Timing, Handling, Entwicklung und Investition.

Wie man diese multiplen Anforderungen beim ältesten Automobilhersteller bewerkstelligt und orchestriert und die relevanten Themen auch im weltweiten Produktionsnetzwerk in die Zukunft führt, erklärt Markus Schäfer, der im Vorstand von Mercedes-Benz das Ressort Entwicklung & Einkauf leitet und als Chief Technology Officer am Puls der Zeit von Produkten und Märkten arbeitet.

Herr Schäfer, die Studie Concept AMG GT XX basiert auf der AMG.EA Architektur Was ist das Besondere an dieser Plattform?

Der Concept AMG GT XX steht nicht nur für die Weiterentwicklung der AMG-Modelle in die Zukunft, in eine emissionsfreie Zukunft mit einem revolutionären Antrieb. Es geht auch darum, die Entwicklung des gesamten Konzerns zu befeuern und nach vorne zu treiben. Also auch technologische Grenzen zu verschieben. Beim Vision EQXX wollten wir das effizienteste Elektrofahrzeug der Welt bauen. In einer ähnlichen Dimension agiert auch der Concept AMG GT XX. Nicht nur bei der Effizienz, sondern vor allem bei der Performance. Außerdem wollen wir auch ein Zeichen setzen und eine authentische Zukunft von AMG skizzieren.

Was kommt vom Concept AMG GT XX in Serie?

Das wird so ähnlich wie beim Vision EQXX sein, bei dem viele der Konzepte in Serie gegangen sind, wie Antrieb, Batterien oder vieles vom Infotainment. Beim Concept AMG GT XX werden wir den Axialfluss-Motor-Antrieb und die Batterietechnologie in die Serie übertragen.  Auch die Außenkommunikation durch die einzelnen Panels wird kommen.

Stichwort Laden. Beim Concept AMG GT XX beträgt die durchschnittliche Ladeleistung 850 kW. Sehen Sie die immer höheren Ladeleistungen als zielführend an? Oder befürworten Sie dann doch eher ein dichteres Schnellladenetz mit lediglich 350 KW?

Ich bin seit einigen Wochen mit dem CLA auf langen Strecken unterwegs und stelle immer wieder fest, was es für ein Fortschritt ist, mit über 300 kW laden zu können. Unser Ziel lautet nach wie vor: Laden wie tanken. Wenn wir das realisieren, ist der Durchbruch für Elektromobilität geschafft. Es ist entscheidend, nicht nur an einem Punkt schnell laden zu können, sondern in verschiedenen Zuständen der Batterie zwischen zehn und 80 Prozent eine hohe Ladeleistung zu haben.

Also reichen 300 bis 400 kW?

Ich glaube, die Entwicklung wird weitergehen. Das sieht man bereits in China. Dort steigt die Ladeleistung weiter an und auch das Netzwerk bildet sich aus. Für elektrische Lkw braucht man solche Ladepunkte ohnehin. Die ersten Stationen gibt es ja auch schon hier in Deutschland.

Die Bundesregierung will mit einem Acht-Punkte-Plan die Elektromobilität vorantreiben. Was halten Sie davon?

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Umsetzung entscheidend ist. Vor allem, was die Ladeinfrastruktur angeht. Das High Performance Charging und ein möglichst dichtes Netz sind essenziell. Auch eine Förderung für eine gewisse Zeit wäre hilfreich. Bei der Elektromobilität ist ein verlässliches Umfeld für Käufer wie auch für die Zulieferer der Automobilindustrie elementar wichtig.

Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

Bei der Elektromobilität benötigen wir ein nachhaltiges Ökosystem. Dazu zählen in erster Linie die Produkte und das schnelle Laden. Andererseits sind auch die Komponenten wichtig. Wir brauchen eine europäische Batterieindustrie. Das bedeutet eine europäische Zellfertigung und abgesicherte Rohstoffe. Europa muss sich dringend von den Abhängigkeiten auf dem Sektor der Rohstoffe befreien und schnell tiefgreifende Maßnahmen ergreifen, um aus dieser Abhängigkeit zu kommen.

Warum?

Mit zunehmender Elektromobilität werden die Bedarfe weiter zunehmen. Momentan sind Angebot und Nachfrage bei den Rohstoffen ausgeglichen. Aber es werden auch Zeiten der Rohstoffknappheit mit steigenden Preisen kommen, in denen wir potenziell in große Abhängigkeiten vom Ausland geraten können.

Welche konkreten Maßnahmen müssen ergriffen werden?

In Europa sind Rohstoffe vorhanden und diese industriell zu erschließen ist sicherlich ein wichtiger Punkt. Eines der größten Lithiumvorkommen befindet sich in Serbien, wo es bereits eine gemeinsame europäische Initiative zur Erschließung gibt. Das zweite Thema ist die Forschung. Wir müssen sie intensivieren, um Substitute für seltene Erden zu finden und wenn möglich Magnete ohne schwere seltene Erden zu produzieren. Wir müssen also eigene Raffinerien in Europa haben und dürfen nicht alles aus dem Ausland beziehen. Drittens müssen wir die Batteriezellforschung intensivieren, um auch bei den Inhaltsstoffen Alternativen zu finden.

Diese Zellen müssen schließlich produziert werden. Mit Northvolt ist kürzlich ein Hoffnungsträger Pleite gegangen ...

Zusammen mit dem Stellantis-Konzern und TotalEnergies betreibt Mercedes-Benz über ACC eine Zellfabrik in Frankreich. Sonst ist in der gesamten Industrie von den vielen geplanten Projekten nicht viel übriggeblieben. Das zeigt, wie schwierig es ist, eine industrielle Zellproduktion zu realisieren. China hat das über 15 Jahre durch ein Zusammenspiel aller Akteure perfektioniert. Das ist genau das, was Europa braucht. Die dafür nötige Anlagentechnik ist in Europa kaum vorhanden. Zudem ist Fertigungs-Knowhow unabdingbar, um, diese Prozesse zu perfektionieren. Nur so kann man diese Fertigung wirtschaftlich darstellen. Auch das ist in Europa noch nicht vorhanden.

Was ist also zu tun?

Wir müssen alle an einem Strang ziehen. Man muss gewillt sein, in dieses Feld zu investieren, sonst wird es in Europa nicht stattfinden. Die Automobilindustrie, Zulieferer, Automobilverbände, Staaten und Europa müssen Hand in Hand arbeiten. Nur eine konzertierte Interaktion von unterschiedlichen Stakeholdern kann am Ende zum Erfolg führen. Dazu ist aber ein langer Atem nötig.

Auch beim autonomen Fahren scheinen die europäischen Hersteller den Anschluss zu verlieren. Die Chinesen zielen bereits auf Level vier. Wie lange wird es denn noch dauern, bis Mercedes Level vier realisiert?

In China sind die Fortschritte bei der Software und den KI-Modellen sehr hoch. Fakt ist, dass Mercedes-Benz der erste und einzige Hersteller ist, der das automatisierte Fahren auf Level drei in Europa und den USA umgesetzt hat. Jetzt haben wir in Shanghai mit dem Drive Assist Pro ein so genanntes Punkt-zu-Punkt-System präsentiert und wir brauchen uns da vor dem Wettbewerb nicht zu verstecken. Das kooperative Lenken und das Agieren mit dem Fahrzeug beherrschen die meisten Konkurrenten nicht. Wir wollen beim Level 3 noch vor Ende der Dekade die Geschwindigkeit auf 130 Kilometer pro Stunde steigern. Unser weiteres Ziel ist es, ein Level-4-System zu entwickeln. Hierfür gewinnen wir bereits seit August 2024 wertwolle Erkenntnisse in Peking, wo wir auf Basis von S-Klassen ein Level 4-System testen.

Die MMA-Architektur von Mercedes-Benz

Mercedes-Benz MMA-Plattform
Die MMA-Plattform wurde zunächst als rein elektrische Plattform konzipiert. Das Packaging erlaubt es dennoch einen quer eingebauten Vierzylinder-Mildhybrid-Verbrennungsmotor zu integrieren. (Bild: Mercedes-Benz Group AG)

Können Sie bereits eine Prognose abgeben, wann das der Fall sein wird? Erst Ende der nächsten Dekade?

Ich würde sagen, es wird eher früher als später. Es hängt auch sehr stark von den weltweiten Regularien ab, was diese Level-4-Fahrzeuge können müssen, wenn sie nicht nur in einem sehr begrenzten Raum unterwegs sind. Gerade entstehen ja erst die Regularien für Level drei, die gibt es bisher nur in einer Handvoll von Ländern; in China beispielsweise noch gar nicht. Insofern müssen wir abwarten, welche Regularien letztendlich kommen werden.

Auf der Mercedes-Benz-Homepage steht: „Die Zukunft ist elektrisch“. Dennoch ist die MMA-Architektur mittlerweile als Mischplattform konzipiert. Verzetteln Sie sich da nicht? Sollte Mercedes-Benz nicht auf eine rein elektrische Architektur setzen, um dem harten Konkurrenzkampf gewachsen zu sein?

Eine Einstiegsplattform wie die MMA ist prädestiniert für den Verbau von zwei Antrieben ohne Kompromisse. Warum sage ich das? Diese Plattform wurde zunächst als rein elektrische Plattform konzipiert. Das Packaging erlaubt uns dennoch einen quer eingebauten Vierzylinder-Mildhybrid-Verbrennungsmotor zu integrieren. Wir nutzen genau den Raum, der für den Elektroantrieb vorgesehen ist. Bei längs eingebauten Triebwerken müssten wir einen Kompromiss eingehen.

Wie sieht es bei den größeren Baureihen aus?

In den weiteren Segmenten, wie zum Beispiel der E-Klasse, wird es eine Trennung zwischen den elektrischen Architekturen und den Verbrenner-Plattformen geben. Eben weil hier ein solcher Kompromiss stattfinden würde. Dazu sind wir nicht bereit. Wir entwickeln ein kompromissloses Elektrofahrzeug und ein ebenso kompromissloses mit einem Verbrennungsmotor.

Man hört, dass Mercedes noch bis weit in die 40er-Jahre Verbrennungsmotoren bauen wird. Stimmt das?

Darüber kann man heute noch keine Aussage treffen, das wäre ein Blick in die Glaskugel. Das hängt von den Regularien in den verschiedenen Ländern und von der Kundennachfrage ab. Unser Ziel ist, elektrisch zu werden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine Nachfrage von Kunden nach Fahrzeugen mit einem Verbrennungsmotor. Wir müssen gemeinsam mit den Kunden den Weg vom Verbrennungsmotor in eine elektrische Welt gehen. Über Mildhybride, Plug-in-Hybride und elektrische Fahrzeuge, die emotional sind. Wie eben das Concept AMG GT XX.

Zur Person

Markus Schäfer, Mercedes-Benz
(Bild: Mercedes-Benz Group AG)

Markus Schäfer ist seit Beendigung der Hauptversammlung der Daimler AG – heute Mercedes-Benz Group AG – am 22. Mai 2019 Vorstandsmitglied des Unternehmens. Er leitet im Vorstand das Ressort Entwicklung & Einkauf und ist seit 1. Dezember 2021 zudem Chief Technology Officer. In dieser Funktion verantwortet er auf Ebene des Konzerns den ganzheitlichen Entwicklungsprozess von Mercedes-Benz Cars sowie den Einkauf. Markus Schäfer ist außerdem Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz AG. Schäfer absolvierte ein technisches Studium an der Technischen Universität Darmstadt, das er 1990 als Diplom-Ingenieur abschloss. Im November 1990 trat er über die internationale Nachwuchsgruppe in die damalige Daimler-Benz AG ein.

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