
Europäische Autobauer müssen sich Batteriezell-Knowhow in eigene Haus holen - und zwar schnell. (Bild: Volkswagen)
So richtig böse werden sie zwar angesichts der abgekühlten Euphorie fürs Elektroauto womöglich gar nicht gewesen sein. Doch mit der Northvolt-Pleite dürften die Premierenpläne einiger Autohersteller gehörig durcheinander geraten sein. Schließlich hatten sich insbesondere in Deutschland einige OEMs darauf verlassen, dass die Schweden zum ersten europäischen Batteriegiganten und somit zum Gegengewicht für die Übermacht aus Asien werden – nur um jetzt mit leeren Händen dazustehen und eine ganze Reihe neuer Modelle verschieben zu müssen.
Batteriekompetenz dringend gesucht
„Das zeigt, wie abhängig sich die Fahrzeughersteller beim neuen Herzstück des Autos von ihren Zulieferern gemacht haben“, sagt Martin Winter, „von der geopolitischen Anfälligkeit vermeintlich stabiler Handelsbeziehungen ganz zu schweigen.“ Der Professor leitet das Batterieforschungszentrum MEET an der Universität Münster und plädiert vor diesem Hintergrund umso vehementer dafür, diese wichtige Kernkompetenz zurück ins eigene Unternehmen zu holen – oder zumindest auf den eigenen Kontinent.
„Die europäische Industrie ist verletzlich geworden und abhängig von strategischen Entscheidungen von Ländern wie China“, umschreibt Falko Schappacher, kaufmännisch-technischer Direktor des MEET Batterieforschungszentrums die aktuelle Situation. Er verweist auf die neuen Exportregeln für Seltene Erden, die zwar nicht in Batterien zum Einsatz kommen, dafür aber in den Permanentmagneten der Elektromotoren. Und bei Batterierohstoffen wie Lithium und Kobalt habe China ebenfalls eine nahezu monopolartige Stellung, die zunehmend als Risiko betrachtet würden.
Die Zölle auf Elektrofahrzeuge aus China von bis 35,3 Prozent könnten zwar den Vormarsch chinesischer Autos auf Europas Straßen verlangsamen, dürften aber erstens zu Lasten der Verbraucher gehen und werden zweitens die Abhängigkeit der europäischen Industrie nicht mindern, ist Schappacher überzeugt. Europäische Hersteller und die EU arbeiten daher an Strategien zur Diversifizierung der Lieferketten, einschließlich Investitionen in Rohstoffprojekte in anderen Ländern und dem Aufbau einer eigenen Batterieproduktion.
Asien dominiert weiter den Batterie-Markt
Neue Zölle, neue Dokumentations- und Nachweispflichten sowie politisch regulierte Partnerschaften entlang der Wertschöpfungskette haben die Spielregeln verändert, pflichtet ihm Andreas Radics vom Strategieberater Berylls by Alix-Partners bei: „Es wird deshalb Zeit, in Europa endlich (wieder) eine eigene Zell-Industrie zu etablieren.“ Denn aktuell, so zeigen es die Berylls-Daten, beziehen nicht nur die chinesischen, sondern auch die europäischen Fahrzeughersteller über 90 Prozent ihrer Batterien aus Asien.
Und von den 14 größten Batterieherstellern der Welt haben mittlerweile alle ihren Sitz im fernen Osten, hat SNE Research ermittelt und weist den Chinesen einen Weltmarktanteil von 60 Prozent zu, gefolgt von Korea mit 32 Prozent. Dahinter stehen als Spitzentrio der Weltrangliste Firmen wie CATL mit einer Jahresproduktion von 381 GWh und BYD mit 165 GWh aus China oder der koreanische Champion LG mit 120 GWh.
Die europäischen Autohersteller haben den Warn- und Weckruf zwar längst gehört und wissen selbst, dass sie auf fremden Beinen allein schlecht stehen können. Deshalb haben viele ihre Zulieferbasis breiter aufgestellt und den Aufbau eigener Kapazitäten geplant, kommen damit aber nur eingeschränkt voran: Laut Spiegel laufen in der EU erst acht Zellfabriken, 14 befänden sich im Bau und 15 weitere seien angekündigt worden, von denen aber einige bereits wieder in Frage stünden.
VWs Gigafactories sollen günstige ID-Modelle ermöglichen
Der Volkswagen-Konzern hatte laut Berylls zuletzt ein halbes Dutzend Batteriezulieferer, von die alle aus China, Korea und Japan kommen. Um unabhängiger zu werden, um Kosten zu drücken und zugleich von der Transformation bedrohte Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern, bauen die Niedersachsen mit ihrer Tochter PowerCo in Salzgitter gerade ihre erste Gigafactory mit einer Kapazität von zunächst 40 GWh pro Jahr, aus der noch 2025 neue Einheitszelle kommen soll.
In Massen produziert, soll sie den Batteriepreis so weit senken, dass endlich Autos wie der ID.2 für einen Zielpreis von 25.000 Euro und später sogar der ID.1 für unter 20.000 Euro möglich werden. Dabei ist nicht nur die Zelle standardisiert, sondern auch die Fabrik: Nach dem gleichen Muster baut VW deshalb gerade auch im spanischen Valencia und in Kanada je eine Gigafactory und installiert dort Kapazitäten für bis zu 200 Gigawattstunden, die für etwa zwei Millionen Elektroautos reichen.
BMW hat kleinen Knowhow-Vorsprung
BMW hat aktuell vor allem drei Batteriezulieferer und bekommt seine Zellen von CATL oder Svolt aus China sowie von Samsung aus Taiwan. Zwar bauen die Bayern für ihre Neue Klasse gerade fünf Batteriewerke auf drei Kontinenten – eines davon auch in Deutschland. Doch von einer eigenen Zellfertigung ist derzeit keine Rede, sagt MEET-Experte Schappacher – zumindest nicht im großen Stil.
Allerdings habe BMW seine Kompetenz in diesem Feld seit Jahren sehr konsequent auf- und ausgebaut und kann entsprechend schnell reagieren: So leistet sich BMW ein Forschungs- und Entwicklungszentrum für Batteriezellen und eine Pilotanlage in Parsdorf, um die Prozesse zu verstehen und bei Bedarf ohne große Anlaufverluste in die Fertigung einsteigen zu können.
Auch bei Mercedes sollen eigene Gigawattstunden steigen
Gleich neun Batteriehersteller werden in den diversen Übersichten für Mercedes genannt – und auch die kommen fast alle aus China, Korea und Japan. Zwar betreiben die Schwaben auch eigene Batteriewerke etwa in Kölleda in Thüringen, wollen nun aber auch im großen Stil in die Zellfertigung einsteigen: Bis zum Ende des Jahrzehnts planen sie zusammen mit Partnern weltweit acht Fabriken für Batteriezellen, von denen vier in Europa entstehen sollen.
Unter anderem hat sich Mercedes dafür mit einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag an der Automotive Cells Company (ACC) beteiligt, zu der noch Stellantis und die Total-Tochter Saft gehören. ACC produziert laut MEET bereits in Frankreich mit 13 GWh pro Jahr und plant den Ausbau auf 40 GWh. Weitere Vorhaben in Kaiserslautern (13 GWh/Jahr mit einer Ausbaureserve auf 40 GWh/Jahr) und in Termoli (Italien, 40 GWh/Jahr) wurden aber im letzten Sommer erst einmal auf Eis gelegt und bislang nicht wieder aktiviert.
Stellantis und Renault mit starker Abhängigkeit
Stellantis ist neben Mercedes der zweite Automotive-Partner bei ACC und kann auf absehbare Zeit ebenfalls kaum auf Zellen aus Kaiserslautern und Termoli hoffen. Dafür baut Stellantis in Nordamerika jeweils im Joint Venture mit LG und Samsung zwei Batteriefabriken, um Chrysler, Jeep & Co mit lokalen Energiespeichern zu versorgen. Bis der Mischkonzern so seine Abhängigkeiten reduziert und sein Schicksal ein Stück weit selbst in die Hand nimmt, machen die Zulieferer noch gute Geschäfte: Nicht umsonst führt die Berylls-Statistik über ein Dutzend Batteriehersteller auf der Stellantis-Liste.
CATL, Farasis, LG und ein halbes Dutzend anderer - auch Renault kauft laut Berylls-Analyse bei den üblichen Verdächtigen ein. Und auch die Franzosen wollen diese Abhängigkeiten durch eigene Beteiligungen reduzieren: Sie setzen deshalb auf den chinesisch-japanischen Zulieferer AESC und auf das französischen Start-up Verkor, die in Nordfrankreich Gigafactories gebaut haben und so die von Modellen wie dem R5 und dem R4 getragene Renaulution befeuern.
Produktionsprozesse haben es in sich
Dass der Aufbau der europäischen Zellproduktion so schleppend und schwerfällig ist, liegt nicht allein an der schwankenden und tendenziell noch immer verhaltenden Nachfrage nach Elektroautos und dem Schlingerkurs der Politik oder dem technischen Vorsprung der Asiaten. Sondern auch der Produktionsprozess an sich hat es in sich: Batterieexperte Winter sieht einen Grund dafür auch im extrem komplizierten Produktionsprozess, bei dem es auf das richtige chemische Gemisch für Anode und Kathode in der Zelle ankommt, die über flüssige Elektrolyte verbunden werden und so letztlich den Strom erzeugen.
Batterieexperte Winter aus Münster spricht von sehr kleinen Fertigungstoleranzen und entsprechend hohen Ausschussraten beim Anlauf der Produktion. Es gäbe europäische Hersteller, bei denen anfangs kaum mehr als ein Drittel aller produzierten Zellen die Qualitätskontrolle passieren würden. „Das zeigt, wie sehr Europa die Erfahrung bei der Fertigung fehlt,“ sagt der Professor und warnt: Man müsse hart arbeiten und viel Zeit und Geld in die Hand nehmen, um die Prozesse zum Laufen zu bringen.

„Es wird deshalb Zeit, in Europa endlich (wieder) eine eigene Zell-Industrie zu etablieren.“
Momentum für die Aufholjagd
Umso wichtiger sei es, dass endlich das nötige Momentum aufgebaut und dann auch erhalten werden und man sich von Rückschlägen wie der Northvolt-Pleite nicht ausbremsen lasse, sagt Winter: „Die heimische Automobilindustrie sowie der Standort Deutschland brauchen volkswirtschaftlich eine eigene Zellfertigung.“
Allerdings werden die Europäer, davon sind die Experten überzeugt, ihren Rückstand nicht über Nacht aufholen können. Zu weit sind die Asiaten bei Technologie, Preisen und Prozessen voraus, sagt Berylls-Partner Radics: „Deshalb muss die Aufholjagd unvermindert weitergehen, damit der Vorsprung nicht auch bei der nächsten Technologiegeneration ins Unermessliche wächst. Dazu gehört aber auch eine klare Strategie, an der die OEMs derzeit noch arbeiten.“