Herr Hegel Gunther, Ihr Werk wurde 2023 mit dem Automotive Lean Production Award ausgezeichnet. Was zeichnet neben den Lean-Praktiken den Geist Ihrer Fabrik aus?
Volkswagen Autoeuropa wurde 1991 gegründet, seit 1995 bauen wir Fahrzeuge hier in Portugal. Heute sind wir der einzige Pkw-Hersteller, der in Portugal produziert. Wir spielen auch in der portugiesischen Volkswirtschaft eine große Rolle: Volkswagen Autoeuropa macht etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Portugal aus, Zulieferer nicht mit eingerechnet. Darüber hinaus sind wir die größte ausländische Investition in Portugal und verantwortlich für vier Prozent des Exports des Landes.
So viel zur Einordnung. Trotzdem noch mal die Frage: Was zeichnet den Geist der Mitarbeiter hier aus? Wie schafft man es, in einem bestehenden Werk, das schon älter als 30 Jahre ist, solche Erfolge zu erzielen?
Wir sind Teil des Volkswagen-Konzerns, liegen geografisch jedoch an der süd-westlichsten Ecke Europas. Das bringt logistische Herausforderungen mit sich, gerade im Vergleich zu Werken in Mitteleuropa. Wir versuchen aber, diesen Nachteil durch Optimierung der Logistik, durch Produktivität und kontinuierliche Verbesserung wettzumachen.
Können Sie das ein bisschen präzisieren? Was macht es besonders herausfordernd, wenn man hier in Portugal lokalisiert ist? Was sind denn die größten logistischen Herausforderungen?
Oft spricht man über die Iberische Halbinsel und denkt, das liegt alles nah beieinander. Aber unsere spanischen Werke im Konzern, wie etwa das in Pamplona, sind knapp 1.000 Kilometer von uns entfernt. Unsere Werke in Deutschland sind mehr als 2.500 Kilometer entfernt. In unserem Produktionsverbund gibt es viele Teile, die wir aus Mittel und Osteuropa importieren. Da spielt Logistik zwangsläufig eine wichtige Rolle. Beispielsweise erhalten wir unsere Motoren, die mehrheitlich aus Deutschland kommen, über den Seeweg. Dadurch können wir die Logistikkosten und den CO2-Fußabdruck reduzieren.
Die Nachfrage nach dem T-Roc ist groß. Da dürften sie doch fast durcharbeiten, oder?
Wir arbeiten an sieben Tagen pro Woche, in 19 von 21 möglichen Schichten. In den zwei Schichten, in denen wir keine Autos produzieren, haben wir eine Mannschaft, die die Wartungsarbeiten, aber auch viele Optimierungs- und Vorbereitungsarbeiten durchführt.
Grundsätzlich zur strukturellen Organisation: Sie stehen an der Spitze, wie ist das Werk sonst aufgestellt?
Wir haben innerhalb der Marke eine Struktur, die grundsätzlich über die Werke hinweg standardisiert ist, aber abhängig von bestimmten Eigenschaften der Werke punktuelle Unterschiede aufweist. Die Größe des Werkes spielt eine Rolle, die Anzahl der vor Ort produzierten Modelle und welche zusätzlichen Tätigkeiten im Werk durchgeführt werden. Eine Besonderheit bei uns in Palmela ist etwa, dass wir einen eigenen Werkzeugbau haben und Presswerkzeuge herstellen. Und das nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere Werke im Konzern. Und auch von den Teilen, die wir bei uns im Presswerk produzieren, wird ein großer Teil in andere Werke exportiert.
Was sind für Sie als Werkleiter in dieser Zeit die größten Herausforderungen speziell an diesem Standort?
Meine Aufgabe als Werkleiter ist es, die Mannschaft dabei zu unterstützen und zu motivieren, unsere Prozesse weiter zu optimieren. Denn: Je besser die Prozesse, desto besser ist unsere Performance. Letztlich liegt es in meiner Verantwortung den Standort so weiterzuentwickeln, dass er für die Zukunft gut aufgestellt ist.
Inwiefern haben Ihre vorherigen Stationen Ihnen geholfen, hier Fuß zu fassen? Es ist sicherlich etwas anderes, ob man beispielsweise in einem Werk in Deutschland tätig ist oder hier.
Ich habe bei Volkswagen verschiedene Stationen durchlaufen. Egal ob in der Komponentenfertigung in der Sitzherstellung oder in der Logistik – bei all diesen Stationen haben wir immer sehr kostensensibel und effizient gearbeitet. Da habe ich viel mitgenommen, was ich hier in Portugal anwenden kann.
Viele Verbesserungen kommen in Palmela direkt vom Shopfloor. War das vor Ihrer Zeit hier schon so oder haben Sie stark Einfluss genommen?
Volkswagen Autoeuropa gehörte schon vor meiner Zeit zu den produktivsten Werken der Marke Volkswagen. Ich habe die Mannschaft motiviert, sich nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen. Wir haben eine eigene Werkstrategie entwickelt, in die unsere Managerinnen und Manager eingebunden waren, und die aufzeigt, wo sich das Werk hin entwickeln muss. Da sind dann Leitplanken und strategische Ziele gesetzt worden. Eins davon war, dass wir die Zahl der täglich produzierten Autos steigern wollten, um die große Nachfrage nach dem T-Roc bedienen zu können. Wir wollen unsere Produktivität steigern, indem wir mit der bestehenden Mannschaft mehr Autos bauen, anstatt die Produktivität durch Personalabbau zu steigern. Das hatte zugleich einen positiven Einfluss auf die Fabrikkosten.
Auf unserer Factory Tour haben Sie die Lackiererei als Bottleneck beschrieben. Wie konnten Sie diesen Engpass auflösen?
Zuerst gilt es, die Bottlenecks überhaupt zu identifizieren. Wir haben uns auf die Wertstrom-Management-Methode fokussiert, das heißt die Kombination aus Wertstrom-Analyse und Wertstrom-Design. Ein interdisziplinäres Team hat die Werksprozesse sieben Wochen lang detailliert analysiert, besichtigt und Daten aufgezeichnet. Nachdem die Bottlenecks identifiziert waren, haben wir in unserem Wertstrom-Design-Workshop Arbeitspakete entschieden. Mit dem klaren Ziel, die Performance des Werkes signifikant zu verbessern. Den Fokus haben wir verlagert vom Point-Kaizen zum System-Kaizen.
Können Sie konkretisieren, was genau Sie in der Lackiererei gemacht haben?
Die Kolleginnen und Kollegen in der Lackiererei haben Möglichkeiten identifiziert, welche Abschnitte der Lackiererei beschleunigt werden können, um die die Tagesproduktion zu erhöhen. Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel: Wir hatten eine Kabine, in der früher zwei Mitarbeiter von Hand lackiert haben. Aufgrund der Optimierungen konnten wir das auf einen Mitarbeiter pro Schicht reduzieren. Dann wurde der Mannschaft klar, dass man diese Kabine auch während der Pausenzeit durchfahren kann, wenn man sie automatisiert. Dadurch haben wir die Produktivität gesteigert. Ein Nebeneffekt ist, dass wir auch Energiekosten einsparen, weil wir in der Kabine weder Belüftung noch Beleuchtung für die Mitarbeiter benötigen. Diese kontinuierliche Prozessverbesserung hat das Team über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass die Lackiererei jetzt synchron zu den anderen Gewerken fährt. Anders formuliert: Mit minimalen Investitionen haben wir die Ausbringung um fast 100 Autos pro Tag gesteigert.
Anders als in manch anderem Werk scheint hier nicht alles von Grund auf neu gemacht zu werden. Es scheint vielmehr darum zu gehen, das Beste aus dem 30 Jahre alten Vorhandenen zu machen, würden Sie zustimmen?
Ganz genau. Man muss aber auch dazu sagen, dass 30 Jahre kein Alter für eine Automobilfabrik ist. Alte Anlagen sind oft gut eingefahren und können effizient genutzt werden. Im Fall der Lackiererei ist es jedoch so, dass wir, obwohl sie immer hervorragend optimiert, gewartet und gepflegt wurde, nun an dem Punkt sind, wo wir sie an vielen Stellen ersetzen müssen. Das ist auch aufgrund der verschärften Gesetzgebung notwendig. Daher bauen wir jetzt eine neue Lackiererei. Aber auch das wird eine hybride Lösung sein, bei der Teile der jetzigen Lackiererei für die Zukunft ertüchtigt werden.
Kommen wir noch zum Thema Nachhaltigkeit. Wie sticht Palmela hier hervor?
Nachhaltigkeit ist eine der sechs Säulen unserer Strategie. Unser Plan ist es, den CO2-Ausstoß unserer Fabrik bis 2030 im Vergleich zu 2021 um 80 Prozent zu reduzieren. Wir haben konkrete Maßnahmen, um das Ziel zu erreichen. Die neue Lackiererei ist ein großer Teil davon, aber nicht der einzige. Wir machen auch ein sehr genaues und präzises Tracking, um unsere CO2-Emissionen zu senken. Wir produzieren heute bereits zu 100 Prozent mit grünem Strom und wollen in Zukunft auch unseren eigenen Strom produzieren. Unser Ziel ist es, dass wir 2026 die Grundlast der Fabrik mit eigenem Grünstrom abdecken, den wir mit Photovoltaik-Anlagen auf unserem Lieferantenpark nebenan produzieren.
Wie groß ist Ihr Lieferantenpark?
Zurzeit haben wir elf Lieferanten im Lieferantenpark und rund 1700 Mitarbeiter, die direkt für Volkswagen Autoeuropa arbeiten. Der Lieferantenpark grenzt direkt an unser Werk. Das hat den Vorteil, dass wir JIT-Module wie Sitze und Stoßfänger auf kürzesten Wegen an die Linie bringen können.
Werden wir wieder etwas allgemeiner: Wie sehr freut man sich da, wenn man so ein Erfolgsmodell wie den T-Roc baut, das sich überall gut verkauft?
Wir freuen uns enorm, dass sich der T-Roc gut verkauft. Das ist aber zugleich auch eine große Verantwortung. Wir wollen den Markt bedienen und unseren Job innerhalb des Produktionsnetzwerks der Marke Volkswagen machen. Um das aber auch in aller Deutlichkeit zu sagen: Ich freue mich auch, wenn andere Werke gut performen – da gibt es kein Konkurrenzdenken.
Wie steht es um den Austausch mit Werken in anderen Regionen der Welt?
Da wir auf der Iberischen Halbinsel zuhause sind, pflegen wir natürlich einen sehr intensiven Austausch mit unseren Kollegen in Spanien, also mit Seat in Martorell und auch mit Volkswagen Navarra in Pamplona. Aber auch mit unseren Kollegen in Brasilien und Argentinien haben wir viel Austausch, einmal aufgrund der Sprache, aber auch, weil wir viele Beschäftigte und Führungskräfte haben, die für eine Zeit in diesen Werken arbeiten und umgekehrt.
Sie hatten erwähnt, dass im Zuge der Lean-Transformation die Mitarbeiteranzahl reduziert wurde. Können Sie ein bisschen darauf eingehen, inwiefern das dazu beigetragen hat, effizienter zu arbeiten?
In den letzten zwei Jahren ist die Zahl der Beschäftigten hier am Standort um mehr als 200 gesunken, ausschließlich durch natürliche Fluktuation. Trotzdem haben wir uns darauf konzentriert, mit der vorhandenen Mannschaft mehr Autos zu bauen – und dadurch unsere Fabrikkosten zu senken
Hat sich im Zusammenhang mit dem Mitarbeiterabbau die Automatisierungsquote erhöht?
Automatisierung ist kein Selbstzweck, und es gibt auch nicht die eine richtige Automatisierungsquote. Wir prüfen, wie wir sukzessiv produktiver werden. Automatisierung kann auch notwendig sein, um die Qualität oder die Ergonomie zu verbessern. Jeder Fall muss Sinn machen, jeder Use Case muss einen Business Case haben.
Welchen Stellenwert spielt die Digitalisierung bei Ihrer Lean-Reise?
Einen großen Stellenwert. Wir haben realisiert, dass die Kombination aus Lean Production und Digitalisierung einen weiteren Schub für Prozessoptimierung gibt. Es liegen viele Daten vor, die wir nutzen, um gezielt Optimierungen durchzuführen. So nutzen wir etwa Process Mining, um den ganzen Prozess von der Lackiererei bis zur Montage zu optimieren.
Das nächste Jahr ist für Volkswagen Autoeuropa nicht gerade unwichtig: Was bedeutet der Anlauf eines neuen Fahrzeugs für das Werk?
Wir haben mit dem Anlauf des neuen T-Rocs in der Tat eine große Aufgabe vor uns. Wir integrieren das neue Modell in die bestehende Produktion, die fast rund um die Uhr läuft. Das bedeutet, dass die Vorbereitung des neuen Modells in den vorhandenen Anlagen nur während des Werksurlaubs oder an langen Wochenenden stattfinden kann. Das ist alles sehr genau geplant, und wir dürfen uns keine Fehler erlauben.
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