Scheidender Produktionsvorstand
„Das Produktionsnetzwerk muss mit höchster Flexibilität agieren können"
Produktionsvorstand Jörg Burzer sieht für die erste Hälfte dieses Jahrzehnts auch reine E-Werke bei Mercedes-Benz.
Claus Dick)
Noch bis Dezember verantwortet Jörg Burzer die Produktion bei Mercedes-Benz. Bevor er neuer Entwicklungsvorstand wird, erklärt er im Interview alle Details der zukünftigen Produktions-Agenda des Stuttgarter OEMs.
Herr Burzer, Sie haben mit „Next Level
Production“ die Grundlage für die
umfangreichste Produktoffensive in der Geschichte von Mercedes-Benz gelegt. Was war für Sie persönlich der wichtigste Hebel,
um die Werke in so kurzer Zeit auf diesen Wandel
vorzubereiten?
Mit „Next Level Production“ nutzen wir
Digitalisierung und Automatisierung als Schlüsselkompetenzen für die
Produktion der Zukunft. Die Basis dafür, haben wir vor einigen Jahren schon mit der vollständigen Integration der Werke in
unser digitales Produktions-Ökosystem MO360 und durch die Vernetzung über die
MO360 Data Platform, gelegt. Durch den hohen Digitalisierungsgrad unserer
Standorte und den gezielten Einsatz
von digitalen Zwillingen und künstlicher Intelligenz können wir heute standardisierte,
skalierbare und gleichzeitig flexible Produktionsabläufe im gesamten Netzwerk
darstellen. Man könnte also sagen, höhere Effizienz und Resilienz durch höhere
Intelligenz.
Bremen und Kecskemét starten als erste Standorte mit der
MB.EA- Architektur. Welche besonderen
Herausforderungen gab es bei den Umbauten – und wie haben sich digitale Zwillinge dabei konkret bewährt?
Der neue elektrische GLC startet im
ersten Quartal 2026 in Bremen und die Produktionstests laufen bereits. Er wird in die laufende
Serienproduktion integriert und läuft damit flexibel mit dem EQE und
dem GLC mit Verbrennungsmotor sowie mit Hybridantrieb vom Band. Diese nahtlose Integration
ist schon eine gewisse Herausforderung. Dank der virtuellen Inbetriebnahme und
dem Einsatz digitaler Zwillinge konnten wir die nötigen Umbaumaßnahmen und
Anpassungen zügig und kosteneffizient umsetzen. Die Abläufe konnten zunächst
virtuell erprobt und potenzielle Korrekturen schon im Vorfeld behoben werden.
Kecskemét folgt dann im zweiten Quartal mit der elektrischen C-Klasse. Die Vorbereitungen sind auch hier schon
sehr weit fortgeschritten.
Sie sprechen von zehn Prozent Effizienzsteigerung bis 2027. Wo erwarten Sie die größten
Effekte – bei Prozessen, beim Ressourceneinsatz
oder in der Zusammenarbeit mit Lieferanten?
Wir nutzen alle Hebel, um die Effizienz
zu erhöhen. In den letzten zwei Jahren haben wir unsere Produktionskosten bereits um 10 Prozent
gesenkt und planen eine weitere Reduktion um 10 Prozent bis 2027. Das
erreichen wir einerseits durch die gezielte Nutzung von Digitalisierung und
Künstlicher Intelligenz sowohl in unseren Prozessen als auch in unserem
Mercedes-Benz Produktionssystem. Dazu gehört zum Beispiel der Einsatz von Digitalen Zwillingen, die wir auch zur Optimierung von Logistikprozessen
nutzen. Indem wir den Anteil erneuerbarer Energien erhöhen und unsere
Energieeffizienz optimieren, leisten wir einen wichtigen Beitrag zu unseren
Nachhaltigkeitszielen, reduzieren aber gleichzeitig die Kosten. Auch die
Weiterentwicklung unseres Produktionsnetzwerkes ist ein Faktor: Wir erhöhen den
Low-Cost-Country-Anteil von 15 auf 30 Prozent bis 2027. Ein Beispiel ist die neue elektrische
C-Klasse, die ab dem kommenden Jahr das Produktionsportfolio des Werks
Kecskemét ergänzen wird. Letztlich geht es aber um eine Reihe von Maßnahmen,
wobei innovative Technologien immer neue Möglichkeiten eröffnen. Die
Integration von humanoiden Robotern zum Beispiel hat das Potenzial, unsere
Automobilproduktion nachhaltig zu verändern und nochmal effizienter und
produktiver zu machen.
Low-Cost ist keinesfalls gleichzusetzen mit Low-Quality
Jörg Burzer
Der Low-Cost-Country-Anteil soll bis 2027 auf 30 Prozent steigen.
Wie stellen Sie sicher, dass
Qualität und Versorgungssicherheit dabei gewährleistet bleiben – gerade mit
Blick auf Premiumfahrzeuge?
Low-Cost ist keinesfalls gleichzusetzen
mit Low-Quality – das möchte ich sehr deutlich sagen. Das Werk Kecskemét produziert seit 2012 verschiedenste Mercedes-Benz Modelle aus dem
Entry-Segment und das Team steht in
Sachen Qualität den anderen Standorten unseres weltweiten Netzwerks in nichts
nach. Die Anläufe der neuen Plattformen MMA und MB.EA erfolgen zuerst in
Deutschland. Unser Standort in Ungarn ist sehr eng mit den Schwesterwerken
verbunden. Dass nun mit der elektrischen C-Klasse ein Modell aus dem Core-Segment
hinzukommt, ist demzufolge ein logischer Schritt. Grundsätzlich optimieren wir
unser globales Produktionsnetzwerk kontinuierlich mit Blick auf die Kapazitäten
und Kosten, denn es ist unser Ziel jeden Standort optimal auszulasten.
Automatisierung und KI sind zentrale Stellhebel. Können
Sie Beispiele nennen, wo der Einsatz schon heute messbare
Verbesserungen gebracht hat – etwa bei Qualität, Ergonomie
oder Taktzeit?
Mittlerweile sind mehr als 600 Anwendungsbeispiele
entlang der gesamten Wertschöpfungskette bei
Mercedes-Benz im Einsatz.
Beispiele zu nennen,
fällt mir also sehr leicht.
Bereits im September 2023
haben wir etwa eine KI-gesteuerten Verfahrenstechnik in den Decklackkabinen im Werk Rastatt
pilotiert und seither
auf weitere Standorte
ausgerollt. Anstelle einer herkömmlichen SPS-Steuerung, bei der die
Sensoren durch einen speziellen Industrie-Computer gesteuert werden, übernimmt
KI die Überwachung der relevanten Teilprozesse. Das Ergebnis:
Energieeinsparungen von 20 Prozent. Zudem gibt es mittlerweile eine ganze Reihe
maßgeschneiderte KI-Lösungen, die von den Mitarbeitenden weltweit genutzt
werden. Durch die Automatisierung von Abläufen, effektivem Wissensmanagement
und einer sehr stark erleichterten Datenanalyse können wir die Effizienz und
Qualität von Produktionsprozessen optimieren.
Sie haben humanoide Roboter für Intralogistik-Aufgaben
angekündigt. In welchem Zeitrahmen rechnen Sie mit einem breiten Einsatz – und
wie verändern diese Technologien die Aufgaben der Mitarbeitenden?
Aktuell testen wir die Integration von
humanoiden Robotern, konkret den humanoiden
Roboter Apollo unseres
Partners Apptronik, in unserer Produktion.
Im Fokus stehen dabei sich wiederholende Aufgaben in der Intralogistik. Unser Team des Digital Factory Campus in
Berlin-Marienfelde spielt bei der Integration eine wichtige Rolle. Hier trainiert Apollo in einer realen
Produktionsumgebung und sammelt Daten indem unsere erfahrenen
Produktionsmitarbeitenden ihr Wissen mithilfe von Teleoperationsprozessen und Augmented Reality
auf ihn übertragen. Unser Ziel ist es,
Apollo langfristig in die Lage zu versetzen, autonom zu agieren. Wir sind davon
überzeugt, dass diese
Innovationen nicht nur unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken, sondern auch dazu beitragen
werden, die Arbeitsbedingungen für unsere Mitarbeitenden weiter zu verbessern.
In den kommenden drei Jahren werden mehr als 40 Fahrzeuge innerhalb des globalen Produktionsnetzwerks anlaufen
Jörg Burzer
Ein zentrales Versprechen lautet „antriebsflexibel“. Welche
Vorteile hat es, weiterhin Verbrenner, Hybride und Elektrofahrzeuge auf einer Linie zu
fertigen – und wo stoßen
Sie an Grenzen?
In den kommenden
drei Jahren werden mehr als 40 Fahrzeuge innerhalb des globalen Produktionsnetzwerks anlaufen –
ob hocheffiziente Verbrenner,
Plug-in-Hybride oder Elektrofahrzeuge: Mercedes-Benz hat für jeden Kundenwunsch
das entsprechende Angebot im Portfolio. Hierfür muss das globale
Produktionsnetzwerk mit höchster Flexibilität
agieren können. Zwei Wege sind dafür grundsätzlich denkbar: Entweder die flexible Produktion auf einer hybriden
Linie und damit die Integration in eine bestehende Werksstruktur oder der Bau
komplett neuer Werke für die E-Modelle. Letzteres ist jedoch sehr zeit- und
kostenintensiv. Wir setzen voll auf Flexibilität in unseren Werken, denn die
Komplexität ist mit dem Einsatz entsprechender Systeme – bei uns zum Beispiel die
sogenannte Full-Flex-Marriage – und Digitalisierung absolut beherrschbar. Alle
unsere Werke arbeiten mittlerweile nach diesem Prinzip. So, wie schon erwähnt,
auch das Werk Bremen, das im ersten
Quartal 2026 den neuen vollelektrischen GLC auf einer Linie
mit dem EQE und den anderen Antriebsvarianten des GLC fertigt. In Kecskemét
wird es genauso sein.
Nachhaltigkeit ist ein Kernziel: Bis 2030 sollen mehr als
70 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen stammen. Wie weit sind
die Projekte in Papenburg und in der Ostsee – und welchen
Beitrag leisten sie konkret für die Werke in Deutschland?
In unserer nachhaltigen
Unternehmensstrategie spielt die Produktion und deren Energieversorgung eine wichtige Rolle. Bis 2030 wollen wir bereits mehr als 70 Prozent des Energiebedarfs in der Produktion durch erneuerbare Energien
decken – durch den Ausbau von Solar- und Windenergie an den eigenen Standorten
und dem Abschluss entsprechender Stromabnahmeverträge. Die geplanten Projekte
zu einem On-Shore- Windpark im norddeutschen Papenburg und einem
Off-Shore-Windpark in der Ostsee kommen gut voran.
Für den Windpark auf unserem
Testgelände in Papenburg
haben wir gerade erst die
behördlichen Genehmigungen erhalten. Damit geht einer der leistungsstärksten
Onshore-Windparks in Deutschland in die Umsetzungsphase. Mit den geplanten 20
Windenergieanlagen, die wir mit unserem Partner UKA umsetzen, erreichen wir
eine Deckung von rund 20 Prozent des jährlichen Strombedarfs der Mercedes-Benz
Group AG in Deutschland und können gleichzeitig unsere Kosten reduzieren.
Die hohe Taktung mit mehr als 40 Anläufen
in drei Jahren verlangt eine enorme
Resilienz. Wie haben Sie Ihr Produktionsnetzwerk organisatorisch aufgestellt, um geopolitische und logistische Störungen besser abzufangen?
Resilienz ist ein ganz entscheidender
Faktor in der Produktion – und eine hohe Resilienz erreicht man insbesondere
durch Transparenz. Durch unseren hohen Digitalisierungsgrad im Netzwerk – sowohl in der Produktion als auch in der Logistik
–erhöhen wir unsere
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit und ermöglichen es zugleich,
schnell und effektiv auf neue, manchmal auch geopolitische Herausforderungen
reagieren zu können.
Zum Abschluss: „Next Level Production“ verspricht mehr Effizienz
und Flexibilität. Welche Veränderungen werden Ihre Beschäftigten im Alltag am deutlichsten spüren – und wie bereiten
Sie sie auf diesen Kulturwandel vor?
„Next Level Production“ funktioniert nur
gemeinsam mit unseren Teams weltweit. Sie tragen mit ihrer Fertigungskompetenz
maßgeblich zur erfolgreichen Umsetzung der globalen Produktionsstrategie bei. Und sie tragen entscheidend zum Erfolg
unserer Digitalisierungsoffensive bei. Entsprechend stellen wir sie ins Zentrum
unserer Aktivitäten. Die hohen Investitionen in unsere Standorte sind also gleichzeitig
auch Investitionen in die Mitarbeitenden. Beispielsweise bieten wir umfassende
Weiterbildungsmöglichkeiten an, um die Belegschaft gezielt zur Nutzung der neuen
digitalen Prozesse, und speziell dem Einsatz von KI im eigenen Arbeitsalltag zu
unterstützen. So schulen wir in den nächsten Wochen und Monaten an unserem
Digital Factory Campus in Summe über 1.600 Mitarbeitende aus der Produktion zum
Thema KI. Solch einen Kulturwandel erreicht
man nur, indem man die Kolleginnen und Kollegen befähigt die neuen Tools aktiv
zu nutzen. Mit unseren konzerneigenen Programmen „Data Worker“ und „D.SHIFT“,
der Ausbildung unserer so genannten digitalen Pioniere, haben wir schon vor
einigen Jahren wichtige Weichen gestellt. Mit dem berufsbegleitenden Programm
D.SHIFT fördern wir konkret die digitale Transformation in der Produktion. Die
spezielle Kombination aus Produktionserfahrung und digitalen Kompetenzen bietet
einen großen Mehrwert für das Unternehmen und ermöglicht den Beschäftigten,
innovative und datenbasierte Lösungen in der Produktion zu entwickeln.
Zur Person:
Jörg Burzer ist seit dem 1. Dezember 2021 Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz Group AG. In seiner Funktion leitet er das Ressort Produktion, Qualität und Supply Chain Management und steuert damit das globale Produktionsnetzwerk mit über 30 Fahrzeug-, Powertrain- und Batteriestandorten sowie die weltweiten Logistikprozesse. Der promovierte Ingenieur begann seine Karriere 1999 in der Pkw-Vorentwicklung der damaligen DaimlerChrysler AG. Es folgten Stationen im Einkauf, in der Produktionssteuerung, Logistik und Qualitätsmanagement – unter anderem in den USA und China. 2019 übernahm Burzer die Verantwortung als Executive Vice President für Produktion & Supply Chain Management bei der Mercedes-Benz AG. Ab dem 1. Dezember 2025 witd Burzer neuer Vorstand für Entwicklung und Einkauf bei Mercedes-Benz.