Bereits 1998 startete Audi die Fertigung in Györ mit der Serienproduktion des TT Coupé, ein Jahr später kamen die TT Roadster-Modelle hinzu. Zu Beginn wurden lackierte Karosserien aus Ingolstadt geliefert und in Györ lediglich montiert. Mit der Eröffnung des neuen Fahrzeugwerks im Jahr 2013 begann für das Werk allerdings eine neue Ära: Presswerk, Karosseriebau, Lackiererei, Montage und die dazugehörige Qualitätssicherung wurden allesamt am nun zum Vollwerk avancierten Standort Györ angesiedelt.
„2018 begann die Serienproduktion der Audi Q3 Modelle, was für uns einen großen Schritt bedeutete, schließlich war dies das erste Györer SUV-Modell, das die bisherige TT-Produktion in der Stückzahl weit übertraf“, sagt Zoltán Les, Vorstand Produktion Fahrzeuge der Audi Hungaria. „Im letzten Jahr haben wir mehr als 171.000 Autos produziert – noch nie wurden in unserem Werk so viele Autos in einem Jahr gebaut.“ Mit rund 94.000 Einheiten - davon knapp ein Drittel Hybridfahrzeuge - steht der Q3 auch im Jahr 2023 für einen Löwenanteil der Fahrzeugproduktion in Györ.
Ein Jahr nach dem SoP des Q3 wurde die Produktion um den Q3 Sportback, den RS Q3 und den Q3 Sportback erweitert. Im gleichen Jahr folgten der Q3 und der Q3 Sportback als Mildhybrid, 2020 die Plugin-Hybridvarianten der Fahrzeuge. Mit dem Produktionsstart des Cupra Terramar im Jahr 2024 wird Györ zum ersten Produktionsstandort Audis, der markenübergreifend fertigt.
Der Fokus Györs liegt auf den Antrieben
Für insgesamt 35 Produktionsstandorte des Volkswagen-Konzerns hat das Werk im Nordwesten Ungarns im Jahr 2023 insgesamt 1,66 Millionen Antriebe produziert – 1,16 Millionen davon Drei- oder Vierzylinder-Benziner sowie Dieselmotoren. Hinzu kommen 19.734 Fünfzylinder-Ottomotoren sowie 277.0081 Sechszylinder-Ottomotoren, 78.905 Sechszylinder-Dieselmotoren sowie 6.216 Zehnzylinder-Motoren. Darüber hinaus sind 114.058 elektrische Achsantriebe in Györ gebaut worden. Diese E-Motoren werden im Audi Q8 E-Tron, Audi Q5 E-Tron und Porsche Macan verbaut.
Im Fokus der ungarischen Produktion stehen künftig vor allem Antriebe der Premium Platform Electric (PPE). Zum Einsatz kommen die Maschinen zunächst in der Baureihe des Q6 E-Tron aus Ingolstadt. Für die Produktion der PPE-Antriebe hat Audi am Standort insgesamt 15.000 Quadratmeter Platz geschaffen. Hier werden neben Antrieben auch die entsprechenden Statoren und Getriebekomponenten gefertigt sowie Achsen montiert. Um die Systeme zu fertigen, hat Audi drei neue Linien in Betrieb genommen. „Die Fertigungslinie für Statoren hat 28, die Getriebefertigung 15 Arbeitsschritte. Allein für die Achsmontage sind mehr als 190 einzelne Montageschritte erforderlich“, erläutert Csaba Imre Benke, Leiter Produktsegment E-Antriebe in Györ und verantwortlich für die Produktion der PPE-Antriebe.
Insgesamt sind rund 700 Mitarbeiter in die Fertigung der Systeme involviert, im Dreischichtbetrieb könne man pro Tag 2.000 E-Motoren bauen. Neben den E-Motoren für die PPE fertigt Audi in Györ außerdem die Antriebe für den Q8 E-Tron. Darüber hinaus wird derzeit für die E-Maschinen für Fahrzeuge auf Basis des MEBeco (Modularer E-Antriebs-Baukasten) aus dem Volkswagen-Konzern ein zusätzlicher Produktionsbereich aufgebaut.
PPE erhöht die Komplexität der Fertigung
Durch die neue Form der Antriebe für die PPE habe sich die Komplexität der Produktion deutlich erhöht, erklärt Audi-Experte Benke. „Wegen der technischen Unterschiede sehen die Linien ganz anders aus. Bei der PPE sind allein 15 automatische Biegeautomaten für die dreidimensionale Hairpin-Wicklung und das anschließende Laserschweißen der Enden in zwei weiteren Anlagen im Einsatz. Pro Stator werden 140 Meter Kupferdraht verarbeitet. 235 Laserschweißvorgänge sind nötig.“ Da es im Vergleich zu Verbrennern weniger Verschraubungen, aber mehr Pressumfänge gebe, könne man auf ein höheres Maß an Automatisierung setzen.
Das Werk Györ in Zahlen
Bei der Umstellung starte man nicht bei null, betont Benke. Seit 2018 habe der Standort in Györ bereits 500.000 E-Motoren gebaut – ein Erfahrungsschatz, der dem Hersteller nun zugutekommt. Dennoch müssen die Mitarbeiter auch für die neuen Systeme ausgebildet werden. Rund 20 Tage seien pro Mitarbeiter für Schulungen nötig, so Benke. Dabei baue man die Qualifizierung in unterschiedlichen Ebenen auf. „Auf der ersten Stufe sind es relativ einfache Grundschulungen über zwei Stunden für Mitarbeitende, die neben der Linie arbeiten“, so Benke. „Hier unterscheidet sich die Tätigkeit nicht wesentlich von der, die beim Bau eines Verbrenners nötig ist.“ Die höchste Ausbildungsstufe bildet diejenige der verantwortlichen Elektrofachkraft, die bis zu drei Monate beanspruchen kann. „Dafür greifen wir überwiegend auf vorhandenes Personal aus der Verbrenner-Welt zurück. In Györ wurden seit 2022 rund 2.000 Mitarbeitende für die Elektrifizierung fortgebildet“, erläutert Benke.
Györ geht über Klimaneutralität hinaus
Im Rahmen der Strategie 360factory setzt Audi am Standort Györ nicht nur auf Automatisierung und Digitalisierung – auch Nachhaltigkeit steht im Fokus der Bemühungen. Bereits seit 2020 produziert das Werk bilanziell CO2-neutral. Möglich macht dies die Nutzung industrieller Geothermie und die größte Photovoltaik-Dachlange Europas. Doch man ruht sich nicht aus: Im Juni 2024 unterzeichnete Audi Hungaria mit dem Energieunternehmen Smart Solar eine Vereinbarung über den weiteren Ausbau. Zu den 160.000 Quadratmetern Solarpanels auf dem Logistikzentrum sollen knapp 85.000 Quadratmeter auf der Montagehalle sowie 75.000 Quadratmeter auf Grünflächen des Werks kommen. Durch den Einsatz „innovativer Sonnennachführtechnik mit beidseitigen Aktiveinsätzen“ sei die auf derselben Fläche erzeugte Energiemenge fast 30 Prozent höher als bei herkömmlichen Systemen, heißt es beim Autobauer.
Für Fahrzeuge auf Basis der PPE liefert DB Cargo die in Györ gebauten Motoren außerdem CO2-neutral nach Ingolstadt. „Wichtig ist auch die Flexibilität zwischen der Schiene und der Straße. Dazu setzen wir seit April bei Logistikverkehren zwischen den Standorten Neckarsulm, Ingolstadt und Györ auf einen 'grünen' Zug mit einem innovativen Verladekonzept“, führt Audis Produktionsvorstand Gerd Walker im Interview mit Automobil Produktion aus. „Lkw-Trailer werden dabei smart auf die Schiene gesetzt, ohne dass wir dafür aufwendige Infrastruktur benötigen. Der kombinierte Verkehr aus Lkw und Bahn spart im Jahr bis zu 11.500 Tonnen CO2.“
Weitere Projekte umfassen zudem die Umgestaltung von Grünflächen zu Blühwiesen sowie ein Recycling-Kreislauf für Aluminium, den Audi seit 2017 betreibt.
Györ ist mehr als nur ein Produktionsstandort
Die Rolle von Audis ungarischem Standort jedoch lediglich auf die Fertigung zu reduzieren, wird Györ nicht gerecht. Bereits seit 2001 ist die Technische Entwicklung von Audi ebenfalls im Nordwesten Ungarns zuhause. Mit inzwischen 673 Mitarbeitern bilden die Fachbereiche Fahrsystem und Entwicklung Gesamtfahrzeug die drittgrößte TE-Einheit Audis und versorgen den gesamten Volkswagen-Konzern mit Entwicklungsdienstleistungen. Zum Umfang gehören etwa komplette Entwicklungsprojekte von Antriebsmodulen sowie deren Fahrzeugintegration sowie die Fahrwerkssystementwicklung.
Von der Konstruktion über die Thermodynamik und die numerische Simulation bis hin zur Erprobung auf dem Prüfstand und im Fahrzeug decke Audi Hungaria das gesamte Entwicklungsspektrum ab, heißt es beim Unternehmen. Zu diesem Zweck kann Audi in Györ unter anderem auf 18 Verbrennungsmotoren- und vier elektrische Achsantriebsprüfstände – darunter zwei Akustikprüfstände und vier klimatisierte Prüfstände – zurückgreifen. Einen Schwerpunkt setzt der Standort in der Gesamtfahrzeugentwicklung im Bereich der virtuellen Entwicklung mit Hilfe numerischer Simulationen sowie der E/E-Integration mit Hardware-in-the-Loop (HiL)-Anwendungen. In den kommenden Jahren plant Audi, einen zweistelligen Millionenbetrag in die Technische Entwicklung Györ zu investieren.
Der seit 2005 am Standort aktive Werkzeugbau beschäftigt derweil rund 700 Mitarbeiter, die auf einer Fläche von rund 60.000 Quadratmetern tätig sind. Das Leistungsportfolio der drei Geschäftsfelder Presswerkzeugbau, Anlagen- und Vorrichtungsbau sowie Exklusivserienfertigung umfasst ein Spektrum von der Design- und Machbarkeitsbeurteilung sowie der Fertigungssimulation über die Methodenplanung und Konstruktion bis hin zur Betriebsmittelherstellung, Inbetriebnahme und Serienübergabe sowie der Fertigung von Karosseriebauteilen.
Insbesondere in der Exklusivserienfertigung verzeichnete der Bereich zuletzt ein deutliches Wachstum: Insgesamt wurden 2023 rund 41.400 Anbauteilesätze ausgeliefert. Kern der Produktion ist ein flexibles Fertigungskonzept, das die wirtschaftliche Herstellung von Karosserieanbauteilen in Kleinserienstückzahlen ermöglichen soll. Zu den Hauptkunden zählt Audi Sport mit den RS-Modellen, dem Audi R8 und dem Audi E-Tron GT Quattro, auf den im letzten Jahr allein 10.000 Anbauteilesätze entfielen. Zudem liefert der Bereich Aluminiumanbauteile an Lamborghini, die unter anderem im Huracán sowie dem Revuelto zum Einsatz kommen. Auch Teile des Bentley Bentayga stammen aus Györ.
Im Jahr 2023 gründete Audi Hungaria zudem die 100-prozentige Tochtergesellschaft Ahead aus, für die rund 400 Mitarbeiter aktiv sind. Zum Angebot zählen unter anderem Services aus den Bereichen Beschaffung, IT und Finance.