Die Aion-Fabrik hat eine Kapazität von maximal 200.000 Einheiten pro Jahr.

Die Aion-Fabrik hat eine Kapazität von maximal 200.000 Einheiten pro Jahr. (Bild: GAC)

Für chinesische Verhältnisse sind das fast biblische Zyklen. Denn das erste Auto ist hier bereits vor sechs Jahren vom Band gelaufen. Doch bis die Fabrik ihre Anerkennung gefunden hat, sind dann noch einmal fünf Jahre vergangen. Erst 2024 hat das World Economic Forum das Stammwerk der GAC Marke im Panyu-District von Guangzhou als erste und damals einzige Fabrik für elektrifizierte Fahrzeuge zu einer Lighthouse Factory geadelt. Damit würdigen die Experten aus Davos die CO2-neutrale Produktion, die mit über 50.000 Solarpanels für jährlich 20 Millionen kWh auf dem Dach, Parks aus recycelten Traktionsbatterien als Zwischenspeicher, dem Zukauf grüner Energie und smarten Kleinkraftwerken erreicht wird. So hat das Werk 2023 rund 55.000 Tonnen CO2-Emissionen eingespart – mehr, als bei der Produktion freigesetzt wurden. Und das WEF-Gremium lobt mit seiner Auszeichnung zugleich den hohen Grad an Digitalisierung in der nahezu papierlosen Fabrik mit cloudbasierter Steuerung im eigenen 5G-Netzwerk, weil hier die neuen Regeln der Industrie 4.0 konsequenter und schneller umgesetzt wurden als andernorts.

Aions Absatz ist bereits spitze

Und dabei ist das Werk, zehn Busminuten entfernt vom Headquarter und dem 6.000 Ingenieure großen R&D-Center der bereits 1955 gegründeten Guangzhou Automobile Group, wie alle Autofabriken im China von stattlicher Größe und Komplexität. Schließlich ist es die Homebase für die bislang rein elektrische Marke Aion und ihren ambitionierten Premium-Ableger Hyptec, die dem Staatsunternehmen mit einem Jahresabsatz von rund 500.000 Fahrzeugen nach Tesla und BYD den dritten Platz in der Weltrangliste der Hersteller von „New Energy Vehicles“ sichert.

Binnen zwei Jahren für umgerechnet eine halbe Milliarde Euro aus dem Boden gestampft, ist der rund 470.000 Quadratmeter große Komplex im Südosten der 18 Millionen-Stadt das erste von mittlerweile drei Aion-Werken allein in China und nur eine von vielen Autofabriken in Guangzhou. Schließlich produziert GAC hier auch im Joint-Venture mit Honda und Toyota, Dongfeng betreibt ein Kooperationswerk mit Nissan und einen Steinwurf vom Panyu-Plant entfernt hat Xpeng sein Stammwerk errichtet. In guten Zeiten laufen im Großraum Guangzhou deshalb bis zu vier Millionen Autos pro Jahr vom Band und machen die Stadt am Pearl River zur automobilen Metropole im Reich der Mitte.

Eine Linie für sechs Modelle

Aber man muss für so viel Varianz gar nicht in die Vogelperspektive gehen. Schon das Aion-Werk selbst rühmt sich einer Flexibilität, wie sie im Westen selten ist. Schließlich bauen die 2.500 Mitarbeiter hier mit einer Taktfrequenz von 53 Sekunden auf einer einzigen Linie sechs Autos von zwei Marken, sodass Limousine, Coupé oder SUV genauso wechseln wie die Markenzeichen Aion oder Hyptec, Batterien oder Benzintanks und Karosserien aus Stahl oder Aluminium. „Es gab Zeiten, da haben wir hier in einer Schicht zehn Bodystyles durchlaufen sehen“, erinnert sich ein Manager. Zusammen mit 25 Farbvarianten und den einzelnen Ausstattungsoptionen ergeben sich so über 100.000 Konfigurationen, die aus der Halle rollen können.

Arbeitszeiten werden tagesaktuell angepasst

Und flexibel sind sie nicht nur bei der Belegung, sondern auch bei der Belegschaft. Denn ob sie hier in ein, zwei oder drei Schichten produzieren, hängt wie überall auf der Welt von der Nachfrage ab. Nur dass sie das hier jeden Tag neu entscheiden und mehrmals die Woche anpassen. „Drei Wochen Vorlauf zwischen Bestellung und Auslieferung reichen uns für eine tagesaktuelle Anpassung unserer Arbeitszeiten“, rühmt der Schichtleiter die Personaldecke.

Im Rohbau und der Lackierung ist das egal, weil beide Bereiche voll automatisiert sind. Doch weil die Automatisierungsquote zum Beispiel in der Endmontage bei 40 Prozent liegt, ist die Planung für die rund 1.400 Mitarbeiter allein in diesem Bereich ein wenig ambitionierter. Gut, dass die meisten Monteure in fabrikeigenen Wohnblocks logieren, die nur fünf Minuten Fußweg vom Arbeitsplatz entfernt sind.

Eine Manufaktur inmitten der Massenproduktion

Zwar produziert das Werk unter voller Auslastung 200.000 Autos im Jahr oder 1200 am Tag. Doch sie können hier nicht nur Masse, sondern auch Klasse. Denn auf einer Insel mitten zwischen Endkontrolle und Batteriemontage haben sie die erste chinesische Hypercar-Manufaktur eingerichtet. Weitgehend von Hand und fast in Zeitlupe baut dort ein kleines Team von 60 Mitarbeitern in 160 Schritten an vier Stationen den Hyptec SSR. Mit 1225 PS und einen Sprintwert von 1,9 Sekunden einer der stärksten und schnellsten Sportwagen im Land, mag es der Ferrari aus Fernost bis zur Jungfernfahrt aber gemütlich: Wo nebenan jede Minute ein neues Auto vom Band rollt, wird hier nur eines pro Tag fertiggestellt.

Wann kommt das erste Werk in Europa?

Nachdem GAC seine New Energy-Marken bislang vor allem daheim und im asiatischen Umfeld verkauft hat, rüstet sich das International-Team in Guangzhou gerade für den Weg in den Westen und will mit Aion noch in diesem Sommer unter anderem in Ländern wie Portugal, den Niederlanden und Norwegen und dann bald auch in Deutschland starten. Ein paar zusätzlichen Schichten im Panyu-Plant sind dafür bereits in Planung. Doch exportiert GAC von Guangzhou aus nicht nur Autos, sondern auch seine Fertigungsphilosophie. Die beiden weiteren Werke ebenfalls in Guangzhou und in Changsha sind nach den gleichen Plänen gebaut, seit dem letzten Sommer gibt es als erstes Auslandswerk eine Blaupause in Indonesien und bald sollen nach dem Vorbild des Stammwerks auch in Thailand und den Emiraten Aion-Modelle vom Band laufen. Wenn das mal kein Wink mit dem Zaunpfahl oder besser mit der Bagger-Schaufel ist. Denn parallel zu den Ankündigungen für den Markteintritt in Europa berichten zumindest die chinesischen Medien bereits stolz über Produktionspläne in der „alten“ Welt. Dann könnte der Leuchtturm aus Guangzhou bald bis nach Europa strahlen.

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