"Next Level Production"

Mercedes-Werke bereiten sich auf 40 neue Modelle vor

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Next Level Production: Mercedes-Benz Werke bereit für die umfangreichste Produktoffensive in ihrer GeschichteNext Level Production: Plants ready for largest Mercedes-Benz product offensive
Das Mercedes-Benz Werk Bremen ist bereit für den Start des vollelektrischen GLC.

Digital und automatisiert: Im Rahmen der selbsternannten größten Produktoffensive der Geschichte will Mercedes seine Werke radikal transformieren. Mehr als zwei Milliarden Euro sollen in europäische Aufbauwerke investiert werden.

Mercedes-Benz richtet sein Produktionsnetzwerk für eine ausgedehnte Modelloffensive neu aus – mit „Next Level Production“ als Klammer für mehr Digitalisierung, Automatisierung und antriebsflexible Fertigung. Den Auftakt sollen die Werke Bremen und Kecskemét ab 2026 geben: Der vollelektrische GLC soll im ersten Quartal vom Band laufen, eine C-Klasse mit EQ-Technologie im zweiten. Beide Modelle sind Teil der neuen Elektro-Architektur MB.EA und werden – passend zur weiterhin verfolgten Mischfertigung – auf Linien produziert, auf denen heute auch Verbrenner und Hybride laufen. Parallel sieht der Business-Plan Investitionen von mehr als zwei Milliarden Euro in europäische Aufbauwerke vor, verbunden mit dem Ziel, die Produktionskosten bis 2027 um zehn Prozent zu senken und den Low-Cost-Country-Anteil von 15 auf 30 Prozent zu erhöhen.

Vor diesem Hintergrund ordnet der Konzern seine Werke enger an die MO360-Datenplattform an. Das digitale Produktionsökosystem vernetzt bereits heute rund 30 Pkw-Werke und hat 2023 erste generative KI-Anwendungen bis in die Fertigung getragen, etwa ChatGPT-basierte Assistenten für Qualitäts- und Prozessdaten. In Rastatt steuerte KI in der Lackiererei Teilprozesse und ermöglichte laut Unternehmensangaben Energieeinsparungen von rund 20 Prozent. Die Umrüstungen in Rastatt und Kecskemét wurden zuvor als digitale Zwillinge durchgespielt. Diese Bausteine rahmen die nun angekündigten Anläufe ein.

Diese Anpassungen nimmt Mercedes vor

Die Produktwelle fällt in eine Phase, in der Mercedes die eigene Ausrichtung straffer zieht: 2024 ging der Absatz auf 1,98 Millionen Pkw zurück, die bereinigte Marge der Pkw-Sparte lag bei 8,1 Prozent; der Hersteller kündigte an, die globale Pkw-Kapazität bis 2027 auf 2,0 bis 2,2 Millionen Einheiten zu justieren. In Sindelfingen wechselte die Factory 56 im zweiten Halbjahr 2024 vom Zwei- in den Ein-Schicht-Betrieb – offiziell als Flexibilisierungsmaßnahme, in Reaktion auf eine geringere Auslastung im Luxussegment. Vor diesem Hintergrund setzt die Organisation auf Skalierbarkeit und schnelle Reaktionsfähigkeit im Netzwerk, inklusive „Local-for-Local“-Anläufen: Längere Versionen künftiger Core-Modelle für China sind für Peking vorgesehen, das als BBAC-Joint-Venture mit BAIC ohnehin einen hohen Anteil der globalen Fertigung trägt.

Humanoide Roboter sollen kommen

Inhaltlich greift „Next Level Production“ Entwicklungen auf, die Mercedes in den vergangenen Jahren in Berlin-Marienfelde, Rastatt und Kecskemét erprobt hat: Auf dem Digital Factory Campus testet das Unternehmen neue MO360-Funktionen (u. a. LLM-gestützte Chatbots), MB.OS-basierte Produktions-IT und humanoide Robotik des Partners Apptronik („Apollo“) zunächst für wiederkehrende Intralogistik-Aufgaben. Ergänzend führt der Konzern autonome Systeme in weiteren Werken ein – in Düsseldorf etwa einen Roboterhund zur Erkennung von Druckluftleckagen sowie eine Drohne für Leergutzählungen. Diese Beispiele zeigen, woher die erwarteten Effizienzgewinne in Fertigung und Werkslogistik kommen sollen, bevor sie in größerem Umfang skaliert werden.

MB.EA folgt auch MMA

Operativ ist der Pfad durch die Plattformstrategie vorgezeichnet: Mit der MMA-Architektur bereitet Mercedes seit 2024/25 den software-definierten Unterbau vor (Electric-first, zugleich hybridfähig), Rastatt, Kecskemét und Peking wurden dafür angepasst. Der angekündigte MB.EA-Anlauf im „Core“-Segment mit elektrischem GLC und C-Klasse mit EQ-Technologie baut auf diesen Vorarbeiten auf – inklusive gemeinsamer Linien mit bestehenden Baureihen und der Möglichkeit, je nach Nachfrage Antriebsarten variabel zu mischen. „Mit MMA hat Mercedes-Benz den ersten Schritt in eine Ära der software-definierten Fahrzeuge gemacht. Mit MB.EA folgt eine noch konsequentere Umsetzung der intelligenten Modularisierung von Technologien innerhalb des gesamten Mercedes-Benz Portfolios. Dies erfordert auch eine höhere Intelligenz und Flexibilität in der Produktion“, sagt Produktionsvorstand Jörg Burzer.

Alles hängt am Kundenfeedback

Gleichzeitig adressiert der Hersteller Energie- und Nachhaltigkeitsfragen in der Produktion: Die Standorte arbeiteten demnach bilanziell seit 2022 CO₂-neutral, bis 2030 sollen mehr als 70 Prozent des Produktionsenergiebedarfs aus erneuerbaren Quellen stammen – unter anderem durch eigene Wind- und PV-Projekte sowie Stromabnahmeverträge. Die Digitalisierung der Energieverteilung und der verstärkte Einsatz von Daten- und KI-basierten Verfahren auf MO360-Basis sind Teil dieser Roadmap.

Unterm Strich steht ein eng getakteter Rollout über drei Jahre mit mehr als 40 Anläufen – getragen von digitaler Fabrik-IT, KI-gestützten Assistenzsystemen und antriebsflexibler Montage. Wie zügig die Ziele beim Kostensenkungspfad und die Auslastungsstabilisierung tatsächlich erreicht werden, ist offen. Die vielen Enttäuschungen der letzten Zeit haben die Stuttgarter dazulernen lassen. So endet die verheißungsvolle Mitteilung des OEM mit dem Satz: „Das Tempo der Transformation bestimmen die Marktbedingungen und die Wünsche der Mercedes-Benz Kundinnen und Kunden.“