In der hochautomatisierten Halle 9 des Mercedes-Werks Bremen laufen Karosserien durch die Produktionslinie.(Bild: Mercedes-Benz)
Das Mercedes-Benz Werk Bremen verbindet Tradition mit Zukunft. In einer der flexibelsten Produktionsstätten Europas entstehen zehn Fahrzeugmodelle – vom vollelektrischen EQE bis hin zu exklusiven AMG-Roadstern.
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Wer das Mercedes-Benz Werk im Norden Deutschlands besucht, spürt schnell: Hier trifft Geschichte auf Hightech. Die Ursprünge reichen zurück bis ins Jahr 1938, als Carl Borgward auf dem heutigen Werksgelände mit dem Automobilbau begann. Nach einer Zwischenphase mit Hanomag und Henschel übernahm Mercedes-Benz das Areal 1972. Die Pkw-Produktion startete 1978 mit dem T-Modell der Baureihe 123. Ab 1983 kam der sogenannte „Baby-Benz“ hinzu – der W201, erste Vertreter der heute in sechster Generation gebauten C-Klasse.
Seither hat sich das Werk stetig weiterentwickelt. Auf 1,5 Millionen Quadratmetern Fläche werden heute zehn verschiedene Modelle produziert – sieben davon exklusiv in Bremen, darunter alle Cabrio-Varianten sowie das neue CLE Coupé. Besonders stolz ist das Werk auf seine Rolle im oberen Fahrzeugsegment: AMG GT, SL und seit Anfang 2025 auch der Maybach SL werden ausschließlich hier gefertigt – in einer Produktionsumgebung, die eher an eine Manufaktur erinnert als an eine klassische Fertigungslinie.
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Maybach-Produktion läuft entschleunigt
Wer die Sportwagenhalle im Mercedes-Benz Werk Bremen betritt, merkt sofort: Hier läuft Produktion anders. Statt Hektik und Maschinenlärm herrscht fast schon Manufaktur-Atmosphäre. Kein einziger Gabelstapler ist im Einsatz. Stattdessen übernehmen fahrerlose Transportsysteme (FTS) die gesamte Materialversorgung – leise, effizient und unfallfrei. „Wir wollten eine Halle ohne Stapler. Unsere FTS beliefern alle Stationen unfallfrei“, sagt Dieter Martens, der die Halle leitet.
Impressionen aus dem Bremer Werk:
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Das Bremer Werk erstreckt sich über 1,5 Millionen Quadratmeter.(Bild: Mercedes-Benz)
Michael Frieß zeigte uns sein Werk höchstselbst.(Bild: Mercedes-Benz)
Interview der „Automobil Produktion“ mit Michael Friess, Standortverantwortlicher und Leiter der Produktion Mercedes-Benz Werk Bremen (März 2025)(Bild: Mercedes-Benz)
(Bild: Mercedes-Benz)
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(Bild: Mercedes-Benz)
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(Bild: Mercedes-Benz)
(Bild: Mercedes-Benz)
(Bild: Mercedes-Benz)
(Bild: Mercedes-Benz)
In der früheren Borgward-Halle, die vollständig entkernt und neugestaltet wurde, laufen heute AMG-Modelle wie der SL und GT sowie der neue Maybach SL vom Band – allerdings in einem ganz eigenen Takt. Statt Tempo steht Handarbeit im Vordergrund. Auch die Belieferung unterscheidet sich: keine Ladungsträger mehr am Band, sondern Warenkörbe, die sequenziert angeliefert werden. „Die Verantwortung liegt beim Mitarbeiter – wie zu Hause beim Regal aufbauen. Wenn am Ende ein Brett übrig ist, war’s das falsche Teil“, sagt Martens schmunzelnd. Digitale Prüfmechanismen sorgen dafür, dass das richtige Teil im richtigen Warenkorb landet.
Der Rundgang durch die Halle zeigt: Vieles ist hier noch echte Handarbeit. Türen werden frühzeitig demontiert, separat vormontiert und erst ganz am Ende wieder ans Fahrzeug gebracht. Die Hochzeit – also das Zusammenfügen von Antriebseinheit und Karosserie – wird von Hand vorbereitet, lediglich zwei Roboter unterstützen an neuralgischen Stellen: einer beim Scheibenkleben, ein anderer beim Einsetzen der 80 Kilogramm schweren Hybridbatterie. „Mehr Mechanisierung ist nicht effizient“, so Martens. Stattdessen wird mit Handlingsgeräten gearbeitet – schwer heben muss hier niemand mehr. Auch die Stimmung in der Halle ist entschleunigter als in anderen Werksteilen.
Dieter Martens (links) ist stolz, die Maybach-Linie zu leiten.(Bild: Mercedes-Benz)
Emotionale Abholungen direkt im Werk
Besonders stolz ist Martens auf das Kundenerlebnis. Wer seinen AMG oder Maybach direkt im Werk abholen möchte, kann das in der Halle tun – inklusive rotem Teppich und Stoffabdeckung über dem Fahrzeug. „Wir hatten Kunden mit Tränen in den Augen. Für viele ist das mehr als nur eine Fahrzeugübergabe – das ist ein emotionaler Moment.“ Danach wird der Wagen mit dem Kunden auf dem Beifahrersitz ins Kundencenter gefahren. Fahren darf der neue Besitzer aus versicherungstechnischen Gründen erst dort. Die Halle ist nicht nur Schauplatz hochwertiger Produktion, sondern auch ein Ort des Wissenstransfers. Mitarbeiter wie Theo Kock, die seit dem ersten SL129 dabei sind, geben ihr Wissen gezielt weiter. „Wir nennen sie ‘Multis’, weil sie ihr Know-how multiplizieren“, erklärt Martens.
Junge Kolleginnen und Kollegen, darunter viele aus der Ausbildung, werden so gezielt eingearbeitet. Auch Martens selbst ist tief mit dem Standort verbunden. Der gebürtige Norddeutsche war viele Jahre in der Entwicklung in Stuttgart tätig, kam der Liebe wegen zurück in den Norden und durchlief seitdem Stationen in Qualität, Rohbau und Montage. „Ich war früher schon in der SLK-Produktion. Mit Cabrios kenne ich mich aus. Als man mir das hier zugetraut hat, war für mich klar: Wenn mich keiner wegnimmt, bleib ich hier.“ Ein „Traumjob“, wie Martens sagt – und das meint er ernst.
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Dieter Mertens (links) erklärt die Abläufe in der SL-Linie.(Bild: Mercedes-Benz)
Die Produktionsvielfalt ist beachtlich: Insgesamt zehn unterschiedliche Modelle laufen aktuell in Bremen vom Band, sieben davon ausschließlich hier – darunter sämtliche Cabrio-Varianten sowie das neue CLE Coupé. Das beliebteste Modell ist der GLC, der hier ebenso gebaut wird wie der EQE SUV. Besonders stolz ist man auf die Flexibilität: In Halle 9 etwa werden gleich fünf Modellvarianten auf einer Linie gefertigt – Verbrenner, Hybride und vollelektrische Fahrzeuge in scheinbar beliebiger Reihenfolge. Diese Multi-Produktionsfähigkeit macht das Werk einzigartig in Europa.
„Perlenkette“ als Grundlage für flexible Produktion
Wer Halle 9 im Mercedes-Benz Werk Bremen betritt, bekommt einen Eindruck davon, wie moderne Fahrzeugproduktion in ihrer flexibelsten Form aussieht. Auf einer Linie laufen vier verschiedene Grundtypen: C-Klasse Kombis, GLCs als Verbrenner und Hybride sowie vollelektrische EQEs – und das in scheinbar beliebiger Reihenfolge. „Für den Produktionsablauf ist es egal, ob ein Kunde einen Verbrenner, einen Hybrid oder ein elektrisches Fahrzeug bestellt“, erklärt der Standortverantwortliche Michael Frieß beim Rundgang.
„Wir können alles auf einer Linie abbilden – mit etwas Vorlauf passt sich das System an.“ Die Produktionslogik dahinter heißt bei Mercedes Perlenkette: Zehn Tage vor Produktionsstart im Rohbau wird die exakte Reihenfolge festgelegt, inklusive Rückmeldung an Lieferanten. Frieß beschreibt das System als fein austariert: „Wir geben gewisse Regeln vor – etwa, dass eine bestimmte Anzahl an Modellen hintereinander möglich ist. Das Einplanungsteam achtet dann auf eine bestmögliche Effizienz.“
Michael Frieß (rechts) ist Standortverantwortlicher und Leiter der Produktion Mercedes-Benz Werk Bremen.(Bild: Mercedes-Benz)
Der Kundenauftrag wird in sogenannte Dekaden eingetaktet – Drittel eines Monats –, innerhalb derer das Werk dann die bestmögliche Produktionsreihenfolge bestimmt. Die Mischung aus taktischer Steuerung und operativer Flexibilität ist entscheidend, um auf Marktveränderungen reagieren zu können. „Wenn Elektromobilität weiter hochläuft, können wir in sehr kurzer Zeit alles umtakten. Das hat sich über die Jahre sehr bewährt.“
Tatsächlich war Bremen der erste Mercedes-Standort, der E-Fahrzeuge in die reguläre Großserienproduktion integriert hat. „Mit dem EQC waren wir damals Vorreiter. Das war das erste vollelektrische Modell in der Großserie – und wir haben es bewusst in die bestehende Linie integriert, statt eine separate Linie aufzubauen.“ Heute zeigt sich, wie strategisch richtig dieser Ansatz war: „Wir haben uns damals zugetraut, die höhere Varianz zu bewältigen – auch wenn’s am Anfang mit Herausforderungen verknüpft war.“, betont Frieß.
Ein wesentlicher Baustein dieses Erfolgs: die logistische Durchgängigkeit. Statt klassischer Linienbelieferung setzt man in vielen Bereichen auf sequenzierte Warenkörbe, die fahrerlose Transportsysteme (FTS) automatisiert ans Band bringen. „Falschpicken ist hier quasi ausgeschlossen“, so Frieß. „Die Mitarbeiter greifen nur noch auf das zu, was sie wirklich brauchen – abgesichert durch Pick-to-Light-Systeme.“
Die Hallenstruktur ist zweigeschossig – eine Besonderheit, die bereits bei der Gründung in den 1980er Jahren mit Blick auf Flächenknappheit so angelegt wurde. Die obere Montageebene wird heute über Fördertechnik und Lkw-Rampen direkt beliefert, Materialflüsse folgen einem ausgeklügelten Fischgrätmuster. „So können wir die Fläche maximal effizient nutzen – auch das ist Teil unserer Wettbewerbsfähigkeit.“ Auch bei der Digitalisierung ist Halle 9 auf dem neuesten Stand.
Technikaffine Mitarbeiter bringen eigene Ideen ein
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Arbeitsanweisungen, Qualitätsprüfungen und Rückmeldungen laufen papierlos über Tablets und Bildschirme an den Stationen. Erfassungen von Auffälligkeiten und Nacharbeitsprozesse sind digital abgesichert. „Das Fahrzeug kommt nur weiter, wenn alles freigegeben ist“, sagt Frieß. Auch das Qualitätsmanagement ist vollständig digitalisiert – mit direkter Auswertung, Alarmfunktionen und Anbindung an das Mercedes-eigene Produktions-Ökosystem MO360. „Die ersten Schritte für die Digitalisierung des Qualitätsmanagements machte Bremen – das erste Projekt hieß Qi, und daraus hat sich dann das ganze System für die Qualitätsdatenerfassung entwickelt“, erinnert sich Frieß. Zunehmend kommt auch künstliche Intelligenz zum Einsatz. „Wir pilotieren die automatisierte Innenraumkontrolle mittels eines taktilen Roboters, den die Kollegen im Digital Factory Campus am Standort Berlin-Marienfelde gemeinsam mit uns erproben.“
Die Systeme lernen stetig dazu – und helfen so, Fehlerquellen früh zu erkennen und Qualität weiter abzusichern. Besonders stolz ist Frieß auf die Dynamik, die in der Mannschaft entstanden ist. „Unsere Mitarbeiter bringen selbst Ideen ein, entwickeln digitale Hilfsmittel, nutzen 3D-Druck oder schlagen Verbesserungen vor.“ Das liege auch an der Kultur im Werk – und daran, dass viele Beschäftigte technikaffin sind. „Einige drucken sich zu Hause Bauteile aus dem 3D-Drucker – und bringen ihre Ideen mit in den Betrieb.“ Der Innovationswille sei tief im Werk verankert. „Was hier läuft, ist keine Pflichtübung – das ist echte Begeisterung für Technik.“
Für Frieß ist klar: Halle 9 steht beispielhaft für das, was moderne Fertigung heute leisten muss – flexibel, effizient, integriert. „Wir haben ein Setup geschaffen, das auf jeden Kundenwunsch reagieren kann – und trotzdem industrialisiert und hochqualitativ bleibt.“