Ein Mann beobachtet aud einem Monitor einen 3D-Gebäudequerschnitt

Arbeitsplätze in der Produktion werden nicht einfach verschwinden, sondern verändern sich sukzessive. Darauf müssen die Mitarbeiter umfassend vorbereitet werden. (Bild: Bosch)

Wer vor zwanzig Jahren gut ausgebildet in einen Entwickler-, Konstruktions- oder Produktionsjob gestartet ist, wird heute, und erst recht künftig, eher wenig mit dem Wissen von damals anfangen können. In der Smart Factory kommunizieren Maschinen untereinander, lösen selbst Wartungsaufträge aus - das Werk an sich wird immer autonomer. Doch den Menschen verdrängt es nicht. Im Gegenteil: Die Autoindustrie sucht händeringend qualifizierte Fachkräfte für die vierte industrielle Revolution. Industrial Data Scientists, Robotik-Experten, digitale Automatisierer, Software-Ingenieure, Smart-Machine-Maintenance-Engineers – die Liste wird stetig länger.

So entfaltet die Smart Factory ihr Potenzial

„Immer stärker rückt die Frage in den Fokus, wie die Arbeit in der digitalen Produktion aussehen kann und soll“, sagt Christian von Stengel, CEO des Softwarehauses Germanedge, „Denn das volle Potenzial der Smart Factory kann nur gehoben werden, wenn die Mitarbeiter fähig sind, mit den vorhandenen Ressourcen maximaleffizient zu arbeiten.“ Wichtig sei auch zu verstehen, dass die digitale Infrastruktur in der Fabrik der Zukunft und Maschinen zwar komplexer würden, „doch die Arbeit mit den Informationen aus dieser digitalen Struktur muss für den einzelnen nicht komplex sein“, betont Stengel.

Voraussetzung: Mitarbeitende werden passgenau weiterentwickelt. Stengel: „Arbeitsplätze in der Produktion verschwinden nicht, sondern sie verändern sich und die Bedeutung eines qualifizierten Mitarbeiters steigt.“ Das große Ziel dabei sei, funktionsspezifische Silos aufzubrechen und eine Effizienzebene zu erreichen, in der Wissen und Fähigkeiten übergeordnet kombiniert werden können. Sprich: Es bedarf einer personalbezogenen Strategie für die Produktion der Zukunft.

Strategische Personalarbeit ist ein Muss

Auf was es dabei unter anderem ankommt, berichtet Christina Marpe, Leiterin Employer Branding und Talent Attraction bei ZF Friedrichshafen: „Die Digitalisierung verändert nicht nur unsere Produkte, sondern auch unsere Produktion. Fern- und vorbeugende Wartung sowie Instandhaltung, um nur zwei Aspekte zu nennen, werden zunehmend Alltag in der vernetzten Fabrik.“

Nur: Was sind die neuen Kernkompetenzen? Und welche Kompetenzen sind knapp? „Immer mehr unserer Produkte haben einen Softwarebezug. Daher wird das Verständnis für diese Disziplinen für uns unabdingbar“, so Marpe. Wie umfangreich das sein müsse, hänge vom jeweiligen Produkt und Einsatzbereich ab. So sei beispielsweise im Bereich Data Science das Verständnis statistischer und stochastischer Methoden wichtig sowie die Interpretationskompetenz von Daten.

Auch die Interaktion ganzer Datenmodelle gelte es zu verstehen. Marpe: „Denn die Spezialisten von heute arbeiten mehr und mehr virtuell – vom Produktdesign bis hin zur Produktionsplanung.“ Daher sei eine der wichtigsten Kernkompetenzen die Interdisziplinarität und damit die Fähigkeit, über die Grenzen der klassischen Strukturen hinweg zusammenarbeiten zu können.

So qualifizieren Zulieferer und Autohersteller

ZF hat bereits vor Jahren über die Einführung einer Digital Academy die Mitarbeiter für Themen der Digitalisierung sensibilisiert: „Diese Themen fließen in alle Weiterbildungsaktivitäten ein“, sagt Marpe, „Es geht dabei um Mindset, Prozesse und Produkte.“ Neben klassischen Lernformen gebe es Grassroot-Initiativen und Austauschformate bis hin zu Bar Camps, in denen verschiedenste Formate genutzt werden – mehr und mehr auch virtuell.  

Bei Audi geht man in Sachen „Fit for Smart Factory“ in die Vollen: „Mit einer nachhaltigen und strategischen Personalplanung legen wir die Basis dafür“, so Sprecherin Linda Kawan. „Bis 2025 haben wir eine halbe Milliarde Euro für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen bereitgestellt. Entsprechend liegt der Fokus bei den Zukunftsarbeitsplätzen in den Bereichen IT, Automatisierung und Elektromobilität.“

Konzernweit gebe es rund 150 verschiedene Jobcluster, deren Analyse dafür sorgt, dass qualitative und quantitative Über- und Unterdeckungen frühzeitig erkannt würden.  Kawan: „Für 2022 zeigen diese Analysen, dass unter anderem Softwareentwickler, Data Analysts, IT Security Officer und Architects oder Berufe im Bereich der Batterietechnologie besonders gefragt sein werden.“ Mit der Initiative „Digital Shift in Produktion und Logistik“ werden beispielsweise am Standort Neckarsulm Mitarbeitende innerhalb von sechs bis 18 Monaten in Theorie und Praxis digital qualifiziert. Und so rollt der Autobauer konzernweit diverse digitale Qualifizierungsprojekte aus.

Eine Glaswand mit bunten Post-it-Zetteln im Software Development Center in Ingolstadt.
Bei Audi wird ein großer Fokus auf das Thema Software und Softwareentwicklung gelegt. (Bild: Audi)

Teams für Industrie 4.0 treiben bei Bosch den Wandel

Auch bei Bosch läuft ein umfassendes Aus- und Weiterbildungsprogramm, bei dem Mitarbeitende aus rund 360 Schulungen, Trainings und Lehrgängen speziell für Industrie 4.0 und zu Aspekten rund um die Digitalisierung der Fertigung wie Programmierung oder Datenanalyse wählen können. „Die Praxis zeigt, dass die Umsetzung von Industrie-4.0-Projekten oft scheitert, wenn qualifiziertes Personal fehlt“, weiß Stefan Aßmann, Business Chief Digital Officer des Bosch-Unternehmensbereichs Industrial Technology.

Der Industrie-4.0-Experte unterstreicht: „Qualifikationen mit IT-Bezug haben einen deutlich größeren Stellenwert als in der Vergangenheit. Alleine in den rund 240 Bosch-Werken weltweit sind rund 85 Prozent aller Teilefertigungen und Montaglinien vernetzt.“ Das bedeutet, die Fabriken erfassen Leistungsdaten ihrer Maschinen wie Taktzeiten, Störungen oder Ausschuss automatisiert und digital. Aßmann: „Eine Affinität zur IT, der Umgang mit Computern, Tablets und IT-gestützten Systemen ist somit in Fertigungsbereichen flächendeckend notwendig.“

So soll künftig jedes Bosch-Werk über ein festes Industrie-4.0-Team verfügen, das aus einem Koordinator sowie IT-Spezialisten für Infrastruktur, Hardware und Prozesse besteht. Komplettiert werden die Teams durch Datenanalysten und Datenwissenschaftler, die Produktionsergebnisse übersichtlich aufbereiten und Probleme mit Hilfe von Machine Learning frühzeitig erkennen. Man sieht: In der Smart Factory mögen alte Blue-Collar-Jobs verschwinden, doch sie werden durch etliche neue ersetzt.

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