Blechbauteil wird von Kameras begutachtet

Beim Stanzen und Umformen von Blechbauteilen kommt es auf ein engmaschiges, smartes Monitoring an, um schon früh im Fertigungsprozess Fehler zu vermeiden. (Bild: Audi)

Der Beginn der Automobilproduktion ist rustikal und präzise zugleich: Im Presswerk werden aus kilometerlangen Blechrollen, den Coils, oder Platinenstapeln hochpräzise Bauteile für den Karosseriebau gestanzt und umgeformt. Am Ende eines mehrstufigen Prozesses, der bereits heute bei den Automobilbauern hochautomatisiert abläuft, lässt sich so zum ersten Mal erkennen, wie aus Rohmaterialien am Ende das fertige Produkt Auto aussehen könnte. Dabei kommt es schon sehr früh darauf an, dass trotz des immensen durch die Servo-Transferpressen ausgeübten Drucks die Präzision erhalten und der Ausschuss minimal bleibt.

Um auch auf den riesigen Pressenstraßen, die täglich über tausend Tonnen Stahl in abertausende Karosserie- und Außenhautteile unterschiedlichster Größe stanzen und umformen, die Produktivität zu erhöhen und Ausfallzeiten deutlich zu reduzieren, hilft die Digitalisierung weiter. Die zentralen Herausforderungen für die Pressenhersteller und letztlich für die Autobauer selbst bestehen darin, die Maschinen miteinander zu vernetzen und die Prozess- und Qualitätsüberwachung mittels Datenanalyse zu optimieren. Um die Prämissen der Industrie 4.0 gleich von Anfang mitzudenken, haben Autobauer wie Volkswagen oder BMW zuletzt große Summen in die Hand genommen, um neue moderne Presswerke zu errichten.

Das Leuchtturmprojekt von Schuler und Porsche

Ein Vorzeigeprojekt in der Automobilindustrie ist mit Sicherheit auch das vor vier Jahren ins Leben gerufene Joint Venture zwischen Porsche und Maschinenbauer Schuler. Für die Herstellung von Karosseriebauteilen für den Macan in Leipzig entstand in Halle auf der grünen Wiese ein vollvernetztes und datengetriebenes Presswerk, für das die beiden Unternehmen mehr als 100 Millionen Euro aufgerufen haben. Auf dem 13 Hektar großen Areal in Halle an der Saale produziert der Smart Press Shop seit Sommer 2021 die entsprechenden Komponenten für das SUV des schwäbischen Sportwagenherstellers.

„Der gemeinsame Aufbau und Betrieb des Smart Press Shops ist unser zentrales Leuchtturmprojekt, um die Produktionseffizienz und Digitalisierung wichtiger Prozessschritte der Automobilproduktion auf ein neues Niveau zu heben“, sagte Schuler-CEO Domenico Iacovelli 2019 im Doppelinterview mit Porsche-Produktionsvorstand Albrecht Reimold gegenüber Automobil Produktion. „Wir erhalten damit den direkten Zugriff auf die Ergebnisse und Datenströme des Produktionsprozesses, die wir in geeigneter Form unmittelbar Porsche, aber auch weiteren Kunden unserer Technologien zugutekommen lassen können.“

Ein wesentliches Ziel des smarten Pressshops ist mittels digitalen Tools den Ausschuss und die Notwendigkeit der Nachbesserung deutlich zu reduzieren. So überwachen beispielsweise kamerabasierte Systeme an den Servopresslinien den Ziehrand von geformten Bauteilen. Sollten die während des Umformprozess eingefangenen Messbilder von den Sollwerten abweichen, wird der Anlagenbediener darüber informiert und kann eingreifen. Bei einer Pressengeschwindigkeit von bis zu 20 Hüben pro Minute könnten so Kosteneinsparungen im zweitstelligen Bereich erzielt werden.

Zusätzliche Produktivitätssteigerungen erhofft man sich bei Porsche und Schuler durch die Anbindung der Pressensysteme an die Cloud: So fließen die Zustandsdaten, die die Sensoren und Vision-Systeme an den Presslinien sammeln, zentral auf der Digital Manufacturing Cloud von SAP zusammen und werden dort auch analysiert und gespeichert. Seit August 2021 kommen im intelligenten Presswerk in Halle zudem Track-and-Trace-Lösungen zu Einsatz, um eine lückenlose Rückverfolgbarkeit von Bauteilen in der Produktion zu gewährleisten.

Audi setzt im Presswerk auf KI

Wie Porsche und Schuler in Halle will auch Audi in Ingolstadt Ausschuss und ganze Maschinenausfälle in der Fertigung gleich beim Pressen der Karosseriebauteile verhindern. Seit 2018 setzt die Volkswagen-Tochter am Hauptstandort auf Verfahren des Machine Learning im Presswerk, um die Qualitätssicherung an Ort und Stelle und möglichst in Echtzeit merklich zu optimieren. Der Kern der KI-Lösung ist eine Computer-Vision-Software, die via Kameras direkt an der Presslinie feinste Risse in den Blechkomponenten erkennt und diese markiert. Während früher vor allem den geschulten Augen der Mitarbeiter an der Linie diese Aufgabe oblag, kommt nun ein komplexes neuronales Netz zum Einsatz. Das Ziel: deutlich schnellere Prozesse und weniger Fehler.

Um die smarten Algorithmen für diese Herkulesaufgabe adäquat zu trainieren, brauchte es Millionen von beispielhaften Prüfbildern, die wiederum von speziell ausgebildeten Fachkräften annotiert, also begutachtet und nachgezeichnet werden müssen. Die Datenbasis umfasst dabei mehrere Terabyte an Beispielbildern, die von sieben Pressen am Standort Ingolstadt weiteren Presswerken des Wolfsburger Mutterkonzerns stammten. Grundsätzlich will Volkswagen die Machine-Learning-Lösung über die digitale Produktionsplattform DPP über sämtliche Standorte der Konzernmarken ausrollen, um die Fehlerhäufigkeit in den Presswerken nachhaltig zu minimieren.

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