Prof. Dr.-Ing. Wolfram Volk, Leiter des Lehrstuhls für Umformtechnik und Gießereiwesen (utg) an der Technischen Universität München (TUM)

Im Gigacasting sieht Wolfram Volk eine Alternative, die den technologischen Baukasten im Karosseriebau um eine interessante Variante bereichert. (Bild: utg, TUM)

Welches Potenzial steckt in der Giga- oder Megacasting genannten Technologie und wie neu ist diese?

Neu ist, dass sich mit ihr extrem große Schalenbauteile gießereitechnisch herstellen lassen. In der Druckgießtechnologie waren Federbeindome und Längsträger die bislang größten Gussteile, wie sie etwa Audi und BMW in ihren größeren Baureihen einsetzen. Diese Technologie nun auf weit größere Bauteile auszuweiten, insbesondere auf das hintere Bodenblech, das obendrein auch noch als besonders verzugskritisch gilt, ist eine mutige Entscheidung. Dies bedeutet zugleich aber auch, dass etablierte Materialkonzepte modifiziert werden müssen.

Inwiefern?

Tesla umgeht das Thema Wärmebehandlung. Bei der neuen Technologie wird mit naturharten Legierungen gearbeitet. Ausscheidungshärtende Legierungen hingegen bieten im Hinblick auf die Festigkeit und Duktilität Vorteile. Mit naturharten Legierungen geht man Kompromisse ein, spart sich wiederum aber die nachträgliche Vergütung. Es liegen keine profunden Erkenntnisse darüber vor, wie sich bei Bauteilen dieser Dimension der aus der Wärmebehandlung resultierende Verzug in den Griff bekommen lässt.

Tesla etwa will mit diesem Prozess die Teilezahl schließlich bis hinunter auf ein Bauteil reduzieren. Wie realistisch ist dies?

Ich hatte die Gelegenheit das Model Y auf einer sogenannten Zerlegfläche zu betrachten. Tesla hat die Teilezahl signifikant reduziert. Klar ist aber: Eine Teilereduktion an sich bietet noch keine betriebswirtschaftlichen Vorteile. Denn die Fertigungs- und Materialkosten sowie die Kosten für die Investition gilt es gesamthaft zu betrachten, was wir zusammen mit verschiedenen Fraunhofer-Instituten wie dem IAO, IFAM und IWU auch ermittelt haben. Zudem wird eine Karosserie damit nicht per se leichter. Ein großes Bauteil bedarf schlicht entsprechender Wandstärken, gleichzeitig büßt man die Möglichkeit ein, die entsprechenden Materialeigenschaften an die exakt richtigen Stellen zu bringen, so wie es mit einer klassischen Blechschalenbauweise in vielen Fällen gelingt. Blechbauteile sind in der Herstellung zudem sehr günstig und die entsprechenden Fügetechnologien lassen sich auch sehr gut automatisieren.

Welcher Reiz liegt im Aluminiumdruckguss großer Bauteile anstelle der Blechschalenbauweise?

Die Blechschalenbauweise hat sich zusammen mit dem Punktschweißen in verschiedenen Varianten über viele Jahrzehnte hinweg als probates Verfahren entwickelt. Während man beim Druckgießen mit Blick auf die Blechdicken von einer Untergrenze von zwei bis drei Millimetern ausgeht, sind bei Blechschalen Wandstärken bis hinunter zu 0,7 Millimeter möglich. Giga- oder Megacasting kann man also per se weder als effiziente Lösung, noch als Leichtbaulösung oder als höher performanteres Verfahren einstufen. Wohl aber stellt es eine Alternative dar, die den doch recht eingefahrenen technologischen Baukasten im Karosseriebau um eine interessante Variante bereichert. Gigacasting ist dazu geeignet den Karosseriebau insbesondere mit Blick auf die Elektromobilität neu zu denken. In der Elektromobilität hat man die Batteriewanne als ein zentrales und wesentliches neues Bauteil, das es zu integrieren gilt. Die bei Verbrennerfahrzeugen über die Jahre erfolgten Fortschritte im Karosseriebau gelten daher bei E-Autos nur noch eingeschränkt. Insbesondere mit Blick auf deren Hinterbau und die Fahrzeugmitte. Mit dem Greenfield-Ansatz, wie ihn Tesla etwa in Brandenburg propagiert, kann der OEM signifikant Flächen im Karosseriebau für seine Elektrofahrzeuge sparen. Mit Blick auf das Brownfield gilt es dagegen sehr wohl zu überlegen, ob Aluminium-Gigacasting Sinn ergibt.

Medienberichten zufolge ist bei Aluminium-Casting von Einsparpotenzialen in Höhe von 20 bis 30 Prozent die Rede, da vor allem Umformpressen und Schweißroboter reduziert werden können.

Hier wäre ich vorsichtig, denn insbesondere bei Schweißrobotern werden die Investitionen auf eine Modellgeneration abgeschrieben, bei Umformpressen gar auf drei oder vier Modellgenerationen. Diese technologische Abschreibung - wohlgemerkt nicht die steuerliche - läuft über einen Zeitraum von 30 Jahren. Für OEMs, die diese Maschinen bereits in bestehenden Fahrzeuggenerationen einsetzen, ergibt der Einsatz der neuen Technik also keinen Sinn. Tesla hingegen kann sich aufgrund seines Greenfield-Ansatzes diese typischen Investitionen in die Schalenbauweise sparen. Im Brownfield wäre es betriebswirtschaftlich Unfug, längst abgeschriebene Maschinen nicht weiter zu nutzen. Daher würde ich die genannten 20 bis 30 Prozent Kosteneinsparungen so nicht unterschreiben.

Welche Stückzahlen lassen sich mit Aluminium-Casting praktikabel umsetzen?

Ein wichtiger Aspekt ist, dass beim Druckgießen eine merkliche Einschränkung bei den Standzeiten der Druckgießformen besteht. Bedingt durch den sogenannten Thermoschock gilt die Faustformel, dass eine Druckgießform 100.000 bis 150.000 Schuss hält. Ein Umformwerkzeug hingegen schafft fünf bis sechs Millionen Teile. Wir sprechen also vom Faktor 20 bis 30. Für diese guss-intensive Lösung gibt es also ganz klar einen limitierten Stückzahlbereich, für den sie sich eignet. Sehr kleine und sehr große Stückzahlen halte ich im Aluminium-Casting für wenig attraktiv. Insbesondere für die Massenfertigung im Millionenbereich würde man etwa sechs bis sieben dieser teuren Druckgießformen benötigen. Wir schätzen die Masse der Druckgießform für den einteiligen Hinterbau bei Tesla auf 80 bis 100 Tonnen. Dies bedeutet einen immensen Aufwand mit Blick auf das Handling und die Peripherie, etwa in Form der dafür erforderlichen Kräne. Zudem bergen Druckgießformen technologische Hürden und Gefahren. Als Beispiel sei das Auslaufen der Schmelze genannt. Die Risiken, unter Umständen gar nicht produzieren zu können, sind also nicht gering.

Blick auf Aluminium-Coils bei Audi
Aluminium wird in der Automobilindustrie in großen Mengen eingesetzt. Besonders große Schalenbauteile gießereitechnisch herzustellen ist aber eine noch junge Technologie. (Bild: Audi)

Wie anfällig ist das Aluminiumdruckgießen denn?

Ein Gießprozess ist schlicht um ein vielfaches komplexer als ein Kaltumformprozess. Ein Stichwort hierbei lautet: Ausschuss. Ein wichtiges Thema ist dabei die Kühlung. Einem Betreiber muss klar sein, dass Ausschussquoten in Höhe von zehn, 20 und mehr Prozent möglich sein können. Dies wiederum hat Auswirkungen auf den Ablauf im Karosseriebau, also darauf, wie viele Karosserieteile er lagern muss, um etwaige Ausfälle in der Fahrzeugproduktion kompensieren zu können.

Auch andere OEMs erwägen den Einsatz von Aluminium-Casting für E-Fahrzeuge und sprechen sogar vom Anheben der Karosseriesteifigkeit.

Wichtig dabei ist, auf was exakt sich diese Aussage bezieht. Die großen Zielkonflikte im Karosseriebau gilt es gesamthaft zu betrachten. Da sind zum einen die Karosseriesteifigkeit, die Festigkeit, die Eigenfrequenz sowie zum anderen die Crashperformance. Je weniger Bauteile man hat, umso mehr schränkt dies den Spielraum für Optimierungen ein. Beim Druckgießen haben wir den großen Vorteil, dass sich Versteifungselemente hoher Komplexität direkt realisieren lassen. Allerdings gibt es auch klare Einschränkungen: Beispielsweise beim E-Modul, das die Steifigkeit des Fahrzeugs wesentlich mitbestimmt, lässt sich nichts verändern. Bei Aluminiumdruckgusslegierungen liegt man im Vergleich zu Stahl sehr schnell an der Grenze zur ingenieurseitigen Realisierbarkeit. Auch hierbei gilt die Frage: Was vergleicht man miteinander? Ein E-Fahrzeug sieht in der Architektur komplett anders aus und es stellt sich bei ihm die Frage der Optimierung der Freiheitsgrade. Insbesondere bei naturharten Legierungen für den Druckguss sind diese eben stark eingeschränkt.

Wie ist es um die Festigkeit bei Aluminium im Vergleich zu Stahl bestellt? Wo liegen die Grenzen des einen und anderen Materials?

Die Bandbreite ist mit Blick auf die Legierungen groß. Naturharte Legierungen, die keine Wärmebehandlung vertragen, liegen bei zirka 250 bis höchstens 350 MPa. Bei pressgehärtetem Stahl verfügt man über eine Bandbreite bei den weichen Tiefziehstählen, die von 140 bis 1.500 MPa reicht. Der Baukasten an verfügbaren Materialien ist hier sehr viel größer. Aluminium-Knetlegierungen haben freilich auch eine respektable Bandbreite: Die sogenannte 7.000er-Klasse etwa bietet um die 500 bis 600 MPa.

Wo ergibt der Einsatz von Aluminium, gerade mit Blick auf ganz bestimmte Teile der Karosserie, dann Sinn? Stichwort: Crashperformance.

Prädestiniert sind die Bodenmitte sowie der Hinterbau. Hier benötigt man im Crashfall nicht so hohe Duktilitäten. Nur bedingt sehe ich einen Einsatz dagegen im Vorderbau, denn gerade mit Blick etwa auf die Front-Crash-Anforderungen bedarf es hier einer deutlich größeren Duktilität und Zähigkeit. Klarzustellen ist hierbei aber auch, dass sich im Rahmen der Elektromobilität der Vorderbau ohnehin völlig anders gestaltet, etwa bei einem Einsatz des E-Motors als Mittelmotor. Hingegen sind die Anforderungen an die Bodenmitte mit den Batteriewannen eines E-Fahrzeugs deutlich höher. Hier kommt es mehr auf die Festigkeit als auf die Duktilität an. Große Bauteile haben freilich auch einen Einfluss auf die Reparaturmöglichkeit und Reparaturfreundlichkeit und somit letztlich auf die Kosten. Hier sind noch einige Fragen zu klären.

Der Cell-to-Chassis-Ansatz, bei dem die Batterien eine strukturelle Aufgabe in der Karosserie übernehmen, gibt hier also die Richtung vor?

Dank der tiefen Platzierung der masseintensiven Elemente bietet diese Architektur Vorteile für die Fahrdynamik, denn sie trägt zu einem niedrigen Schwerpunkt und einer guten Gewichtsverteilung bei. Die Funktionsintegration der Batteriegehäuse ist Grundprinzip einer Karosserieauslegung in der Elektromobilität. Diese lässt sich aber auch durch geeignete Fügeoperationen erreichen und hängt nicht zwingend am Gigacasting.

Sehr viele Maschinen zur Verarbeitung großer Aluminiumbauteile gibt es noch nicht am Markt. Ein Hersteller etwa ist Idra aus Italien. Welche Prognosen sehen Sie für diesen Typ Maschine und den Prozess?

Idra ist aktuell einer der Hersteller auf diesem Feld, aber es gibt auch andere, die die Möglichkeiten dieses Marktes erkennen. Angedacht sind Maschinen, die bis hinauf zu 80.000 kN Spannkraft reichen. Dann gelangt man jedoch an physikalische Grenzen. Über die Verfügbarkeitsfaktoren dieser Anlagen kann man im Moment nur spekulieren. Über Störungen und sogenannte Kinderkrankheiten wird man zudem auch erst im Laufe der Produktionsprozesse mehr erfahren. Die Gesamtanlageneffektivität ist derzeit also noch ein großes Thema.

Wer Aluminiumdruckguss betreibt, spart einerseits im Karosseriebau Platz, weil, wie eingangs angesprochen, weniger Roboter zum Einsatz kommen. Andererseits sind diese Druckgussmaschinen wiederum gigantisch dimensioniert …

Für eine Fabrik bedeutet Aluminium-Casting einen erheblichen Platzbedarf. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass sich die Druckgießformen derzeit nur vertikal mit Hilfe eines Krans tauschen lassen. Ein Wechsel der bis zu 100 Tonnen schweren Werkzeuge nimmt zehn bis zwölf Stunden in Anspruch. Im Vergleich dazu liegen Werkzeugwechsel in aktuellen Großpresswerken mit ihren effizienten Servopressen im Bereich von drei Minuten. Die Werkzeuge lassen sich hier horizontal ein- und ausfahren. Druckgießformen müssen vertikal eingefahren werden, weil sich sonst Probleme mit dem Trennmittel ergeben. Dieser Umstand, sowie der, dass lediglich ein Bauteil pro Maschine gefertigt werden kann, stellen also erhebliche Einschränkungen dar. Dennoch bringt Gigacasting Schub und Bewegung in die Produktion. Auch andere OEMs machen sich nun wieder mehr grundlegende Gedanken und erreichen neue Freiheitsgrade in der Fertigung. Ich bin schon sehr gespannt, welche Konzepte sich in Zukunft durchsetzen werden.

Zur Person:

Prof. Dr.-Ing. Wolfram Volk, Leiter des Lehrstuhls für Umformtechnik und Gießereiwesen (utg) an der Technischen Universität München (TUM)

Prof. Dr.-Ing. Wolfram Volk ist seit 2011 Leiter des Lehrstuhls für Umformtechnik und Gießereiwesen (utg) an der Technischen Universität München (TUM) sowie seit 2016 Teil der Institutsleitung des Fraunhofer-Instituts für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik (IGCV). Er studierte Mechanik an der Technischen Hochschule Darmstadt und forschte anschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mechanik an der Universität in Stuttgart. Nach seiner Promotion war er von 1994 bis 2011 in leitenden Positionen bei der BMW Group in München in den Bereichen Innovationsmanagement des Werkzeug- und Anlagenbaus sowie der Produkt- und Prozessplanung der Technologie Umformen tätig.

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