Die Smart Factory ist mehr als eine intelligente, vernetzte und digitale Produktionsstätte. Wirklich smart wird sie erst, wenn durch sie eine nachhaltige, umweltschonende Automobilproduktion ermöglicht wird. Datenanalyse und das Internet der Dinge sind die Hebel, um Ressourcen und Energie zu schonen. „IoT-Lösungen sind ‚Enabler‘, die dabei helfen, Transparenz bei den Kennzahlen in allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (ökonomische, ökologische und soziale) in einer Fabrik zu erhalten“, erklärt Tobias Bock, Automotive-Experte beim Beratungsunternehmen Horváth & Partners. Durch die Integration von IT-Systemen und Sensorik würden zunehmend Daten generiert, die durch Data Analytics und KI-Systeme „nicht-wertschöpfende Prozesse und Verbräuche identifizieren und anschließend minimieren.“
Der Digitale Zwilling als Umweltschützer
Das zeigt auch eine Studie des Branchenverbandes Bitkom, nach der durch die Digitalisierung in der industriellen Fertigung bis zu 61 Megatonnen CO2 bis 2030 eingespart werden könnten. Insbesondere der digitale Zwilling als virtuelles Spiegelbild von Produkten, Maschinen und Anlagen sorge für deutliche CO2-Einsparungen, denn durch ihn würden Material, Energie und Ressourcen deutlich reduziert.
Darauf verweist auch Bock. Zunächst reduzieren Digital Twins teure, ressourcenfressende Prototypen. In der Simulation erkennen Entwickler frühzeitig Fehler, was unter anderem Ausschuss vermeidet. In der Produktion verhilft der Digitale Zwilling zu einem genauen Überblick über den Energie- und Wasserverbrauch, außerdem wird durch ihn vorausschauende und zielgenaue Wartung der Maschinen möglich, wodurch enorm Ressourcen geschont werden können. Bock betont: „In einer Smart Factory gibt es neben der smarten Produktion und der smarten Logistik auch die smarte Instandhaltung.“
Wie Digitale Zwillinge praktisch bei der Ressourcenschonung helfen können, zeigen Forschende des Fraunhofer IPK: Sie machen mit einem Tool das ökologische Potenzial der virtuellen Abbilder für die Industrie nutzbar, indem Emissionsdaten über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts analysiert werden: Von der Rohmaterialbeschaffung bis zu Entsorgung, Wiederverwendung oder Wiederaufbereitung. Bei dieser Bewertung spielen digitale Zwillinge die zentrale Rolle, weil sie präzise Daten über Klimafreundlichkeit und Kreislaufwirtschaftsfähigkeit einer Komponente oder eines gesamten Fahrzeuges liefern – und das lange vor der Fertigung, wodurch bereits in der Entwicklung wesentliche Entscheidungen getroffen werden können, damit Produkt und Produktion möglichst nachhaltig gestaltet werden können. Digitale Zwillinge könnten künftig, so die Forscher, sogar mithilfe von geeigneter Datenanalytik auch selbst Entscheidungen treffen – völlig autonom.
Wie die Datenanalyse den CO2-Ausstoß senkt
Audi hat derweil die Mission:Zero für eine nachhaltige Produktion und Logistik ausgerufen, mit der die Produktionsstandorte bis 2025 bilanziell CO2-neutral werden sollen. Dabei helfen wird das selbstentwickelte Tool Energy Analytics. „Der jährliche Energiebedarf des Audi-Standorts in Ingolstadt entspricht dem der gesamten Stadt. Ein wichtiger Hebel, um Energie einzusparen, sind Daten und deren Auswertung“, erklärt Stephan Benkert, Data Analyst Energiemanagement von Audi.
Das Tool ermittelt auffällige Energieverbrauche in der Produktion, indem unter anderem Energiedaten aus Lackierkabinen oder Schweißzangen sowie Daten aus Verbräuchen durch Beleuchtung oder Belüftung in den Gebäuden erfasst und ausgewertet werden. „Die Daten werden mittels Industriezähler über Leittechniksysteme erfasst und anschließend in eine eigene Energy Analytics Datenbank übertragen“, so Benkert, „Dann führen wir sie in speziell dafür vorgesehenen Tools zusammen, bereiten sie auf und analysieren sie.“ Priorität bei der Datenerfassung haben die Hauptverbrauchsbereiche, wie etwa die Lackiererei oder der Karosseriebau, die über 90 Prozent des Gesamtverbrauchs ausmachen. Allein am Standort Ingolstadt konnten so im letzten Jahr rund 37.000 Megawattstunden Energie einspart werden. Das Tool wird inzwischen standortübergreifend eingesetzt und an einer Konzernlösung gearbeitet, berichtet Benkert. Denn: „Abweichungen vom energetischen Sollzustand schnell und effizient aufzuspüren sowie zu beheben, stellt ein großes Potenzial der Big-Data-Technologien im Bereich Energiemanagement dar.“
Warum das Digital Performance Management eine Schlüsselrolle spielt
Daten bilden die Grundlage, um ressourcenschonender, (energie-)effizienter, kostensparender und weniger anfällig für Störungen zu produzieren. Bleiben diese jedoch weitgehend ungeachtet in ihren Silos, was noch häufig der Fall ist, wird eine Produktion niemals so nachhaltig sein, wie sie es könnte. Damit kommen Digital Performance Management und der permanenten Analyse von Maschinendaten eine Schlüsselrolle zu. Aktuell zeigt sich, dass dank IoT zwar massenweise Rohdaten über den Maschinenzustand wie etwa Temperatur, Druck oder Stromaufnahme vorliegen, doch sowohl die Analyse als auch die Herstellung von Zusammenhängen zwischen einzelnen Daten- und Fehlermeldungen sind noch ausbaufähig. Dabei sind Datenvisualisierungs- und Kontextualisierungstools längst verfügbar.
Das Softwareunternehmen PTC bietet dafür Lösungen an, mit denen die Automobilindustrie ihre Anlagen in Echtzeit überwacht und optimiert, sodass die Anlageneffektivität um bis zu 50 Prozent erhöht und die Ausfallzeiten um die Hälfte verringert werden können, so die Erfahrungswerte. Frank Böllert, Senior Director Mobility bei PTC, sagt: „Umrüstzeiten können sogar um bis zu 70 Prozent verkürzt werden. Heißt: Wenn die Effizienz der Produktion bei 85 Prozent statt 40 Prozent liegt, dann bedeutet das, dass im selben Maße Energie gespart wird, es zu weniger Ausschuss, Umlaufbestand und Materialverschwendung kommt.“ Womit sich auch die Lebensdauer der Maschinen verlängere.
Wobei der datengetriebene Umweltschutz bereits vor der eigentlichen Herstellung beginnt: Im Rahmen der Entwicklung von Komponenten und der Produktionsplanung lässt sich der CO2-Fußabdruck eines Produktes berechnen, bevor es physisch vorliegt. „So lassen sich Design- und Lieferkettenentscheidungen im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit deutlich optimieren sowie Prozesse automatisieren und standardisieren“, betont Frank Böllert. Man sieht: Daten sorgen für „Nachhaltigkeit by Design“. Wenn man sie nutzt.
5 Top-Nachhaltigkeitstrends
Für Tobias Bock, Automotive-Experte bei Horváth, hat das Thema Nachhaltigkeit weiterhin eine sehr hohe Priorität für das Topmanagement – trotz kurzfristiger Engpässe und Krisen. In diesem Zusammenhang sieht er diese Top-Trends für die kommenden Jahre:
Lifecycle Management: In der Entwicklung spielen Nachhaltigkeitseffekte wie Materialverbrauch und Recyclingfähigkeit eine viel größere Rolle als bisher – ganz im Sinne einer „Sustainability by Design“.
Sustainable Twin: Ein Sustainable Twin begleitet das physische Gegenstück (bleibt beim Hersteller) während des gesamten Wertschöpfungsprozesses und kann Informationen liefern, beispielsweise zur Nutzung oder zu Demontierungsabläufen.
Material Pass: Der Material Pass ist gekoppelt an das Produkt. Entlang der Wertschöpfungskette wird dieser dabei kontinuierlich um Informationen erweitert, zum Beispiel Details zu Material, Recyclingvorgaben oder Angaben zum ökologischen Fußabdruck.
Re-Manufacturing: Am Ende des Lebenszyklus steht nicht mehr die Entsorgung, sondern ein automatisiertes Re-Manufacturing. Bei dieser Refabrikation werden gebrauchte Geräte aufbereitet und auf den Qualitätsstandard von Neugeräten gebracht.
Reverse Logistics: Aus der bislang dominierenden Einweglogistik entwickelt sich ein Mehrwegsystem – und im besten Fall ein Kreislauf. Damit steigt auch die Ressourceneffizienz. Schließt sich der Produktkreislauf, spricht man von Closed Loop Supply Chains.