Ungenutztes Potenzial

Deutschland hinkt beim bidirektionalen Laden hinterher

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Mercedes-Benz startet bidirektionales Laden für zu HauseMercedes-Benz launches bidirectional charging for home use
Mercedes-Benz kündigte zur IAA Mobility 2025 die Einführung eines vollintegrierten Serviceangebots für bidirektionales Laden an.

Immer mehr Autos sind bereit für bidirektionales Laden, Vehicle-to-Grid kommt langsam in Fahrt. Doch hierzulande wirken viele Faktoren als Bremsklotz. Warum sich das ändern muss und wird? Starthilfe bietet ein Blick ins benachbarte Ausland.

Es hat sich langsam herumgesprochen: Grüne Energie ist günstig, sie zu speichern hingegen teuer – aber nötig, um Stromnetze zu stabilisieren und Dunkelflauten zu überbrücken. E-Autos könnten tagsüber überschüssigen Strom aus der heimischen Photovoltaik-Anlage speichern und abends wieder abgeben, etwa um die Waschmaschine laufen zu lassen. Fachleute sprechen dabei von Vehicle-to-Home (V2H). Warum also einen kostspielen Stromspeicher in den Keller stellen, wenn das Auto vor der Tür eine Batterie hat?

Größer betrachtet, stellen E-Autos einen riesigen Stromspeicher dar, der über das ganze Land verteilt sein könnte, was Übertragungsnetze deutlich entlasten würde. „Daher gilt Vehicle-to-Grid, kurz V2G, also die Übertragung von Strom aus dem E-Auto in das öffentliche Verteilnetz, als wesentlich für das Gelingen der Energiewende“, erklärt Götz Warnke, Vorsitzender des Fachausschusses Nachhaltige Mobilität der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS). Nur: In Deutschland ist davon wenig zu sehen. „Trotz der grundsätzlichen Anerkenntnis der Notwendigkeit, und der Zustimmung wichtiger Beteiligter, geht es mit dem V2G nur im Schneckentempo voran“, beklagt Warnke.

Was ist bidirektionales Laden?

Es gibt drei Varianten des bidirektionalen Ladens:

V2G (Vehicle-to-Grid): Vom Fahrzeug zum Netz. Hierbei wird der Strom aus dem Auto ins öffentliche Netz gespeist.

V2H (Vehicle-to-Home): Vom Fahrzeug zum Heimnetz. Hierbei gibt das an die Wallbox angeschlossene E-Auto Energie ans Stromnetz des Hauses zum Eigenverbrauch ab.

V2L (Vehicle-to-Load): Vom Fahrzeug zu Verbrauchern. Hierbei wird Energie aus dem Auto direkt für Geräte wie Campingausrüstung oder Ladegeräten abgegeben.

Die Voraussetzungen für bidirektionales Laden

Dabei ist die „Vom Fahrzeug ins Netz-Technologie“ alles andere als neu. Bereits seit den frühen 1990er Jahren wird die Idee verfolgt und seit Anfang der 2000er erprobt. Der dafür nötige bidirektionale Ladevorgang ist kein Hexenwerk. Beim bidirektionalen Laden kann Strom in zwei Richtungen fließen: Aus dem Netz in den Speicher und wieder aus ihm heraus, zurück ins Netz. Besonderheit der E-Auto-Batterie ist, dass diese mit Gleichstrom arbeitet, im Haushalt aber Wechselstrom genutzt wird, weshalb der Wechselstrom beim Laden in Gleichstrom (DC) umgewandelt werden muss. Das erledigt ein Gleichrichter, entweder im Bordladegerät des Fahrzeugs oder in einer DC-Wallbox, die den Lade- und Entladevorgang intelligent steuert, um den Bedürfnissen des Stromnetzes gerecht zu werden.

Anspruchsvoller wird das, wenn eine Armada von Autos überschüssigen Strom ins öffentliche Netz einspeisen soll, sie Teil eines virtuellen Kraftwerks werden. Es bedarf hard- und softwareseitig einer Ladeinfrastruktur, die in der Lage ist, die V2G-Funktionen zu unterstützen wie auch Schnittstellen, die den Datenaustausch zwischen Fahrzeugen, Ladeinfrastruktur und Stromnetz ermöglichen. Das bedingt zudem einheitliche Normen und Regeln, um die Verbindungsmöglichkeiten zwischen diversen Fahrzeugmodellen, Ladeinfrastrukturen und dem Stromnetz sicherzustellen. Überdies wird ein Home Energy Management System (HEMS) benötigt, um etwa vorhersagen zu können, wie weit man kann ein Fahrzeug entladen kann, damit es einsatzbereit bleibt.

Frankreich zeigt, wie es geht

Alles machbar, wie ein Blick nach Finnland, die Niederlande oder Frankreich zeigt. Jenseits des Rheins betreiben die Renault Group, Mobilize und The Mobility House bereits ein Vehicle-to-Grid. Renault 5, R4 und Mégane-Fahrer können seit letztem Jahr kostenlos laden und fahren - vorausgesetzt, sie verfügen über eine entsprechende bidirektionale 11-kW AC-Ladestation samt dazugehörigem Energievertrag. Die ersten Nutzer verdienen mit bidirektionalem Laden 600 Euro pro Jahr, heißt es bei dem Anbieter, womit Jahresfahrleistungen unter 10.000 Kilometern praktisch kostenlos würden. „Mit dem Launch in Frankreich haben wir ein bedeutendes Etappenziel erreicht, das beweist, dass wir technisch in der Lage sind, V2G erfolgreich umzusetzen“, sagt Thomas Raffeiner, Gründer und CEO bei The Mobility House, „Nun gilt es, auch in Deutschland zu zeigen, dass kostenlos und emissionsfrei Elektroauto gefahren werden kann.“

Doch das könnte noch ein wenig dauern. An rollenden Speichern liegt das nicht. Immer mehr Fahrzeuge sind zu bidirektionalen Laden in der Lage oder vorbereitet. Darunter Modelle von BMW, BYD, Cupra, Genesis, Mercedes-Benz, Nissan, Volkswagen oder Volvo. Auch die ersten bidirektionalen Wallboxen sind in Deutschland erhältlich. „In Deutschland sind schon rund 1,65 Mio. batterieelektrische Fahrzeuge zugelassen – mit zusammen über 100 GWh Speicherkapazität, also mehr als doppelt so viel wie alle Pumpspeicherkraftwerke im Land“, heißt es vom The Mobility House. „Technisch sei wir auf dem Weg: Laut TÜV könnten bereits mindestens 166.000 Fahrzeuge bidirektional laden. Doch es hapert noch an Regulatorik und generell daran, dass alle Rädchen ineinandergreifen.

Die Gründe für Deutschlands Rückstand

Vor allem das ewige Trauerspiel um „schlaue Stromzähler“, Smart Meter, ist eine gewichtige Hürde, um das Thema voranzubringen. „Aktuell verfügen nur etwa zwei Prozent der deutschen Haushalte über Smart Meter, während es in Bulgarien 80 und in Dänemark gar 100 Prozent sind“, so Warnke. Doch ohne intelligentes Lastmanagement geht es nicht.

Außerdem müssen Hausanschlüsse und Wallboxen mit technischen Unterschieden diverser E-Autos (etwa der Größe der Batterie oder der Bordnetz-Spannung) umgehen können, um Kurzschlüsse oder Schäden an der Batterie zu vermeiden. Wer haftet, sollte doch etwas schief gehen? Das führt zu der ungeklärten Frage, wie OEMs Garantieleistungen für Autobatterien gestalten werden, wenn diese durch bidirektionales Laden häufiger be- und entladen werden als üblich? Der ADAC sieht überdies den Gesetzgeber in der Pflicht, denn E-Autos sind rechtlich Pkw und keine Batteriespeicher, für die es teils günstigere rechtliche Vorgaben gibt. Der Verkehrsclub setzt sich daher für eine steuerliche Gleichbehandlung von stationären und „rollenden“ Speichern ein. Andernfalls drohe eine Doppelbesteuerung von Strom – beim Tanken und bei der Rückspeisung ins Netz. Und: Wie attraktiv kann die Abrechnung mit dem Stromversorger für den abgegebenen Strom gestaltet werden, damit sich die Investition in deutlich teurere Wallboxen und Autos überhaupt lohnt?

Fazit: Technisch sieht Warnke keine Probleme, zumal andere Länder zeigten, wie es geht: „Die zentralen Hürden in Deutschland sind vor allem der lächerlich langsame Smart-Meter-Ausbau, die schneckenhafte Normungspraxis, unter anderem des VDE, und wohl auch Ängste der Steuerbehörden, es könnten Gelder an ihnen vorbeilaufen.“ Sofern hänge viel von der Politik ab. „Wie immer dort die Entscheidungen fallen: Wir brauchen Speicher für die Stabilisierung des Energiesystems“, sagt Warnke. Und der Ausbau solcher Speicher sei sinnvoller als der Aufbau von neuen Gaskraftwerken.