Vor zwei bis drei Jahren sah es so aus, als sei das vollautonome Fahren nur noch eine Frage der Zeit. Die Hände weg vom Steuer, etwas ausruhen oder zumindest seine Mails checken oder auf dem Smartphone surfen schien nur eine Frage von ein paar Jahren zu sein. Autohersteller wie Mercedes, Volvo, General Motors oder Nissan überboten sich mit kühnen Aussagen und weckten Hoffnungen bei den weltweiten Autofahrern. Unfallfreies Fahren sollte bis Anfang der 2020er Jahre möglich sein und innerhalb einer Dekade sei das autonome Fahren der Stufe fünf denkbar, das den Fahrer vollautonom von A nach B brächte. Doch seit gut mehr als einem Jahr macht sich eine technologische Ernüchterung breit. Tesla hat seinen Autopiloten mittlerweile deutlich zurückgenommen und das teilautomatisierte Fahren der Stufe drei, mit dem der neue Audi A8 in der Erprobung noch lautstark getrommelt hatte, fand bis heute keinen Einzug ins längst auf dem Markt befindliche Serienfahrzeug.

Unverändert werden rund 90 Prozent der weltweiten Autounfälle von Menschen verursacht. Doch es ist kaum anzunehmen, dass sich die Öffentlichkeit offiziell eingestehen kann, dass 1.500 oder 2.500 Unfalltote auf deutschen Straßen verursacht durch autonome und hoch automatisierte Fahrzeuge als ein lebensrettender Fortschritt zu den 3.285 Toten des Jahres 2018 wahrgenommen werden. Die Technik lässt deutlich länger auf sich warten, als dies vor Jahren in Aussicht gestellt wurde. Cadillac hat als einer von wenigen Herstellern seinen Fahrassistenten Super Cruise mittlerweile in Serie gebracht. In der Luxuslimousine Cadillac CT6 ist der Autobahnassistent verfügbar, der einen auf bestimmten Straßen bei der Fahrt unterstützt, indem er die Lenkarbeit übernimmt. Das aktuelle Netz erfasst in den USA und einigen Teilen Kanadas Freeways in einer Gesamtlänge von mehr als 215.000 Kilometern. Alle drei Monate gibt es ein Kartenupdate und derzeit sind es ausschließlich Freeways mit genau definierten Auf- und Abfahrten, die erfasst sind. Super Cruise arbeitet zudem mit Karten, die mit Lidar-Systemen erstellt wurden und mit einem extrem präzisen GPS. Lidar scannt mit Laserstrahlen die Umgebung und kann so sehr exakt die Position von Objekten messen.

Super Cruise gibt es als teilautonomes System der Stufe drei zunächst nur für den Cadillac CT6 - gegen einen Aufpreis von 5.000 Dollar. In Europa bieten Hersteller wie Audi, Mercedes oder BMW selbst in ihren Topmodellen aus der Luxusklasse durch die Fahrerassistenzsysteme derzeit einen kaum messbaren Mehrwert. Im Stau fahren S-Klasse, 7er und A8 eine kurze Zeit allein und man kann die Hände vom Lenkrad nehmen. Ist man im normalen Fahrbetrieb unterwegs, melden sich nach 10 bis 30 Sekunden visuelle und akustische Signale, wieder beide Hände ans Steuer zu nehmen. Selbst das kurze Checken von Emails oder Terminen bleibt ein gefährlicher Traum. Auf einen Autobahnassistenten wie Super Cruise von Cadillac wird man noch warten müssen. Anzunehmen, dass Audi seinen Autobahnassistenten der Stufe drei im kommenden Jahr freischaltet, da abzusehen ist, dass die kommende Mercedes S-Klasse ab dem Frühjahr 2020 eine ebensolche Technik bietet.

Nach wie vor sind die rechtlichen Rahmenbedingungen in vielen Ländern nur unzureichend geklärt. China hat das Tor autonome Fahrfunktionen noch weiter geöffnet als einige Bundesstaaten der USA. Hier testen die meisten Autohersteller seit Jahren vielfältig ihre Modelle, die mit Kamera-, Laser- und Radarsystemen ihre Erprobungskilometer abreißen. Doch es sind nicht nur aktuelle Serienautos, die einen bei normaler Fahrt nach wenigen Sekunden lautstark daran erinnern, wieder ans Lenkrad zu greifen. Mittlerweile melden sich immer mehr Zulieferer, sowie hochrangige Vertreter der Autohersteller, die ernsthafte Zweifel daran bekunden, dass wir in den kommenden zehn Jahren vollautonom auf den Straßen unterwegs sein können. „Zunächst wird die Technik nicht in Autos zu finden sein, die man kaufen kann, sondern in Fahrzeugen von Mobilitätsdienstleistungen“, erläutert Mercedes-Vorstand Wilko Stark. Der Grund liege nicht zuletzt in einer Sicherheitszentrale, die alle Fahrten koordiniert und überwacht. Daimler will ein erstes autonomes Fahrzeug im Rahmen seiner verschiedenen Mobilitätsprojekte bis Ende 2020 auf die Straße bringen und folgt damit Firmen wie Waymo oder Ford, die mit ähnliche Testflotten in den USA bereits auf der Straße unterwegs sind. „Anfangs wird es das in den USA, China und Europa geben“, so Wilko Stark, „in Ländern wie Australien oder Indien wird dies erst später geschehen. Zunächst brauchen wir sehr genaue HD-Karten, weil das System auch funktionieren muss, wenn das Auto gerade keine Funkverbindung hat. Die Autohersteller müssen hier mit Kommunen und Ländern zusammenarbeiten, da wir auch neue Gesetze benötigen.“

„Auf dem Weg zum automatisierten Fahren wird sich noch sehr viel verändern“, sagt Cathy Chase, die sich in den USA seit Jahren in verschiedenen Organisationen für mehr Sicherheit auf Autobahnen und Schnellstraßen einsetzt, „die Autohersteller treten derzeit auf die Bremse, weil noch viel Arbeit zu tun ist. Die Autos müssen absolut sicher sein, ehe sie auf die Straße kommen.“ Bryan Reimer vom renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) sieht das ganz ähnlich: „Tesla verkauft es als autonomes Fahren, doch das ist es nicht. Es funktioniert sehr gut, ist aber nur automatisiert. Und eines muss klar sein: sicherer als der Mensch am Steuer ist eben für einen Roboter am Steuer noch nicht sicher genug.“ Zuletzt starben im amerikanischen Straßenverkehr jährlich knapp 40.000 Menschen.

„Heute ist die Luftfahrt unglaublich sicher“, räumt Bryan Reimer ein, „doch Autofahren ist heute allenfalls so sicher wie das Fliegen in den 40er oder 50er Jahren. Das muss sich verbessern und das wird noch dauern.“ Nach Ansicht von Reimer wird sich das autonome Fahren erst einmal auf die Verbindungen zwischen den Städten beschränken. „In den Städten selbst wird wegen der sehr komplexen Verkehrssituationen erst einmal nichts geschehen. Es geht um die Strecken zwischen den Städten“, sagt der MIT-Analyst, „wir werden daher noch sehr lange Pedale und Lenkrad im Fahrzeug haben.“ Bisher verzichteten allenfalls visionäre Studien wie der Audi Aicon (2017) oder der Mercedes F015 (2015) mit neuen Innenraumkonzepten gänzlich auf Lenkrad und Pedale. „Die autonomen Fahrzeuge werden uns auch ein anderes Fahrzeugdesign bringen“, ergänzt Daimler-Mann Wilko Stark.

Die Hauptarbeit in Sachen Fahrerassistenzsysteme liegt bei den Autozulieferern. Doch auch hier rudern Firmen wie Bosch, Conti oder Delphi mittlerweile zurück. Continental-CEO Elmar Degenhart verwies jüngst auf die großen Schwierigkeiten, mit denen Autofirmen durch die technologischen Veränderungen konfrontiert sind. Demnach stellt der schrittweise Übergang der Automobilindustrie zur Elektrifizierung und zum autonomen Fahren insbesondere die großen Zulieferer vor große Herausforderungen. Auch Volkswagen sieht das autonome Fahrer erst einmal nicht im Alltag. Kosten und Komplexität würden die weltweite Einführung der Level-fünf-Technologie für autonome Fahrzeuge untergraben, so VW-Nutzfahrzeug-Chef Thomas Sedran gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. „Es wird weitere fünf Jahre dauern, um die Technologie zu entwickeln, um ein höheres Maß an Autonomie zu erreichen“, erklärt Thomas Sedran, „können Sie einen Geschäftsfall sehen, der diese Gemeinkosten für diesen Zeitraum rechtfertigt? Level fünf wird niemals global sein: Sie benötigen überall mobile Infrastruktur der neuesten Generation sowie ständig aktualisierte, hochauflösende digitale Karten. Und Sie benötigen immer noch nahezu perfekte Straßenmarkierungen. Dies ist in sehr wenigen Städten der Fall. Und selbst dann funktioniert die Technologie nur bei idealen Wetterbedingungen. Wenn auf der Straße bei starkem Regen große Pfützen entstehen, zwingt dies bereits dazu, dass ein Fahrer eingreift.“ Doch es geht nicht nur um die Technik, sondern auch ein Umdenken der Verkehrsteilnehmer, die hinter dem Steuer sitzen. „60 bis 80 Prozent der Amerikaner fühlen sich Umfragen zufolge unwohl damit, zusammen mit automatischen Autos im Verkehr unterwegs zu sein“, erklärt David Friedman. Und das dürfte noch länger dauern, ehe sich daran etwas ändert.

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