Das Wort "Ikone" wird im Automobilbereich fast schon inflationär verwendet. Vor allem in englischsprachigen Sprachraum beweihräuchern sich die Autobauer gerne mit diesem Ausdruck - seien es nun irgendwelche Kanten in der Karosserie oder ein Kühlergrill - alles ist "iconic". Eines der wenigen Fahrzeuge, die diese Bezeichnung tatsächlich verdienen, ist die Mercedes S-Klasse. Inbegriff der luxuriösen Automobil-Oberklasse und des Könnens deutscher Ingenieure. Egal, wo man auf der Welt fragt, selbst im entlegensten Ort gilt: Wer mobil ist, kennt die S-Klasse. Für Daimler war dieses Auto der Werbeträger schlechthin, bei fast jedem Staatsakt rollte die Luxuslimousine mit dem Stern durch das Bild. Auch intern war dieses Fahrzeug ein Hoffnungsträger.

Zum Beispiel im Mai 2013, als Mercedes wirtschaftlich nach der Finanzkrise noch etwas in Schieflage hing, präsentierte der schwäbische Autobauer sein Top-Modell im Airbus Hangar in Hamburg. Der Stern-Konzern setzte bewusst ein positives Zeichen. Als fast alle Gäste gegangen waren, hielt der damalige Mercedes-Chef Dieter Zetsche eine Ansprache an die anwesenden Mitarbeiter und bedankte sich für den Einsatz. "Damals ging ein Ruck durch die Belegschaft"; erinnert sich ein Teilnehmer. Sieben Jahre später hängt Mercedes am Tropf. Smart wandert nach China aus und infolge der Corona-Krise fährt Daimler einen Milliardenverlust ein. Gerüchte machen die Runde, wonach bis zu 30.000 Mitarbeiter vor die Tür gesetzt werden.

Daimler-Chef Ola Källenius verkündet die Rückkehr zu traditionellen Werten. Luxus statt Masse. Da kommt die neue S-Klasse gerade recht. "Normalerweise soll man kein Lieblingskind haben, aber als Mercedes CEO kann ich glücklicherweise sagen, dass die S-Klasse eines meiner liebsten Kinder ist", erklärt Mercedes-Chef Ola Källenius.

Da wäre doch eine Präsentation des Flaggschiffs in einem ähnlichen Rahmen wie beim Vorgänger ein Signal, das es bergauf geht. Natürlich ist das in Zeiten des Social Distancing und COVID-19 nur mit der nötigen Vorsicht möglich, doch viel pragmatischer hätte der Rahmen nicht sein können. Für die Taufe des Mercedes Benz mit dem internen Code W223 wählte man das neueste Daimler Werk in Sindelfingen, die "Factory 56", wo das Flaggschiff auch produziert wird. Bevor das Auto auf die Bühne rollte, flimmerte die S-Klasse über Bildschirme und Verantwortliche, wie Designchef Gorden Wagener, lobten ihr Werk virtuell in den höchsten Tönen.

Komfortables Fahrwerk

Dabei hat dieses Auto alles was man braucht, um ein Anti-Krisen-Zeichen zu setzen. Der schwäbische Luxuskreuzer steht auf einer neuen Version der MRA-Plattform, die natürlich auch für eine umfangreiche Elektrifizierung durch Plug-in-Hybride und 48 Volt Mildhybridisierung mittels eines integrierten Starter-Generators (ISG) geeignet ist. Wer unbedingt rein elektrisch unterwegs sein will, muss zum kleineren Bruder EQS greifen. Immerhin sollen die PHEV-Versionen der neuen S-Klasse nächstes Jahr bis zu 100 Kilometer weit kommen. Der neue Top-Mercedes soll überall auf der Welt Mercedes wieder in die Erfolgsspur bringen, deswegen sind drei Radstände, Heck- und Allradantrieb sowie Panzerversionen für Politik und Staatsoberhäupter geplant. Zudem gibt es Maybach- und AMG-Varianten, die entweder noch mehr Luxus oder noch mehr Dampf bieten.

Damit die S-Klasse auch immer souverän unterwegs ist, haben die Entwickler einiges in das Fahrwerk gepackt. Angefangen von der Hinterachslenkung und dem Fahrwerk mit Luftfedern, dass sich bei einem seitlichen Einschlag anhebt wie ein Boxer, der sein Gesicht mit der Schulter schützt. Anders als Audi, die beim Audi A8 nur die Seite, bei der der Fremdkontakt droht, nach oben schiebt, hebt Mercedes die ganze Karosserie an. Auch beim autonomen Fahren wollen die Schwaben einen entscheidenden Schritt nach vorne machen, aber der versprochene Level 3 Autopilot wird erst im zweiten Halbjahr 2021 verfügbar sein.

Software lernt vom Fahrer

Aber eine Chauffeurs-Limousine wie die Mercedes S-Klasse definiert sich über den Innenraum, und da haben die schwäbischen Ingenieure einiges an Hirnschmalz investiert. Mit der neuen S-Klasse-Generation führt Mercedes auch das Bediensystem MBUX der zweiten Generation ein, das mit 3D-Effekten und Eye-Tracking brilliert. Die wichtigsten Informationen werden jedoch über ein üppige dimensioniertes Head-up-Display auf die Straße rund zehn Meter vor dem Auto und somit ins Blickfeld des Fahrers projiziert. Im Vergleich zum Vorgänger ist das Cockpit deutlich entschlackt, laut Mercedes gibt es 27 Taster, Schalter und Bedienelemente weniger als beim Vorgänger.

Neu ist eine Schalterleiste unter dem zentralen Touchscreen mit Direktzugriffen auf die wichtigsten Funktionen wie Fahrprogramm, Warnblinkanlage, Kameras oder laut/leise. Den Fingerabdruckscanner gab es schon einmal bei der vorletzten Generation des Audi A8. Er soll jedoch nicht nur aus Erkennungsmerkmal, sondern später auch für Bezahlfunktionen im Auto als letzte Bestätigung genutzt werden können. Der Zugriff auf gespeicherte Individualisierungen läuft neben dem Fingerandruckscanner auch über eine kleine Kamera in der Instrumenteneinheit sowie die Sprache.

Innenraumkameras sind bei der neuen S-Klasse ebenfalls ein Thema. Neben der Sprachsteuerung setzt Mercedes weiter auf die Gestensteuerung, die mithilfe von Kameras realisiert wird. Außerdem interpretiert eine Software die Intention der Bewegung des Fahrers und setzt diese um. Der Algorithmus lernt dabei die Eigenarten des Piloten und reagiert auf diese. Wenn der Fahrer beispielsweise über die Schulter nach hinten in Richtung Heckscheibe blickt, öffnet der MBUX Interieur-Assistent das Sonnenrollo vor der Heckscheibe automatisch.

Soviel Technik hat natürlich seinen Preis, der für die Einstiegsversion unter 100.000 Euro liegen dürfte, aber wer S-Klasse auf den Auftragszettel schreibt, meint eigentlich "volle Hütte". Und da sich Mercedes einige der neuen Funktionen extra bezahlen lässt, dürfte auch dieser Luxuskreuzer, der im Herbst erscheint, einen sechsstelligen Betrag kosten.

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