Ola Källenius, Vorsitzender des Vorstands der Daimler AG und Mercedes-Benz AG ist an diesem 2. September sichtlich stolz. Auf die Factory 56, zu deren Eröffnung neben den Vorständen und der Belegschaft, einigen Journalistinnen und Journalisten auch der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, anreiste. Und stolz ist der CEO freilich auf das neue Flaggschiff, das hier tarditionell in Sindelfingen produziert wird. „In unserer digitalen Fabrik stellen wir unser digitalstes Auto vor“, sagte der CEO mit Blick auf das Kernfahrzeug der Marke Mercedes-Benz. Källenius spricht über die neue Fertigung der S-Klasse in der Factory 56 als Leuchtturm.
Effiziente Zero Carbon Factory
Mit einer Investition von rund 730 Millionen Euro sei die Fabrik im Mercedes-Benz Werk Sindelfingen ein klares Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort Deutschland. Insgesamt investiert Mercedes-Benz rund 2,1 Milliarden Euro in den Standort Sindelfingen. In der Factory 56 soll die Effizienz um 25 Prozent im Vergleich zur bisherigen S-Klasse-Montage gesteigert werden. Hier ist alles vernetzt und auf neuestem Stand. Die Halle mit einer Fläche von 220.000 Quadratmetern ist Angaben des OEMs zufolge zu 100 Prozent flexibel konzipiert, so dass perspektivisch je nach Nachfrage alle Modellreihen von Mercedes-Benz in kürzester Zeit in die laufende Produktion integriert werden können. Zunächst rollt in der Factory 56 die neue Generation der Mercedes-Benz S-Klasse Limousine und Langversion vom Band. Später werden hier auch die Mercedes- Maybach S-Klasse sowie der EQS, das erste vollelektrische Mitglied der neuen S-Klasse Familie, vollflexibel auf der gleichen Linie produziert.
Beim Gang durch die neue Fertigung des Flaggschiffs von Mercedes-Benz merke man, dass es der Hersteller Ernst meint mit der Zukunft, betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seiner Ansprache. Dem Grünen-Politiker dürften einige Fakten über die Fertigung des neuen Topmodells hier im Landkreis Böblingen gefallen: So sprechen die Daimler-Experten von Effizienzgewinnen in Höhe von rund 25 Prozent im Vergleich zur bisherigen S-Klasse-Montage. Die Factory 56 produziert von Beginn an CO2-neutral und wird damit zur Zero Carbon Factory. Auf dem Dach der Factory 56 befindet sich eine Photovoltaik-Anlage, die die Halle mit selbst erzeugtem, grünem Strom versorgt. Damit kann jährlich rund 30 Prozent des Strombedarfs der Factory 56 gedeckt werden. Zudem werden etwa 40 Prozent der Dachfläche begrünt.
Neue Wege zur smarten Produktion
Um die gesteckten Ziele einer noch effizienteren Fertigung zu erreichen, setzt der OEM auf das digitale Ökosystem MO360, das in der Factory 56 erstmals vollumfänglich zum Einsatz kommt. MO360 umfasst eine Familie von Softwareapplikationen, die durch gemeinsame Schnittstellen und einheitliche Benutzeroberflächen verbunden sind und mit Echtzeitdaten die weltweite Fahrzeugproduktion von Mercedes-Benz Cars unterstützen. MO360 integriert dabei die Informationen aus den wichtigsten Produktionsprozessen und IT-Systemen der mehr als 30 Mercedes-Benz Pkw-Werke weltweit. In der Factory 56 bildet eine neue, digitale Infrastruktur mit einem leistungsfähigen WLAN- und 5G Mobilfunknetz eine wichtige Basis für die vollständige Digitalisierung. Industrie 4.0-Anwendungen – von Smart Devices bin hin zu Big Data Algorithmen – kommen zum Einsatz. Maschinen und Anlagen sind in der gesamten Halle miteinander vernetzt, der größte Teil davon ist bereits Internet-of-Things (IoT)-fähig.
Bei einem Rundgang durch die neue Fertigung mit dem Produktionschef Jörg Burzer, zeigt sich der besonders angetan von der sogenannten Fullflex Marriage. Dem Ziel folgend, in der Fertigung hier am Standort alle Varianten vom reinen Verbrenner über Hybride bis hin zum reinen Elektrofahrzeug montieren zu können, habe man mit dieser Form der Hochzeit einen neuen Standard implementiert, bei der die Karosserie mit dem Antrieb verbunden werde. Die Hochzeit in der Factory 56 besteht aus mehreren modularen Stationen. Damit sollen sich große Umbauten und so auch längere Produktions- Unterbrechungen vermeiden lassen. Im Moment fährt man die Produktion in der Factory 56 hoch. Burzer spricht von einem Ausstoß von unter hundert Fahrzeugen pro Tag. Doch bereits in der kommenden Woche werde der Output dreistellig sein. Dass dabei der Mensch nicht zu kurz komme, zeigt der Vorstand am Beispiel der Montage von Komponenten unterhalb des Fahrzeugs: Die Fahrzeuge auf dem Band können nach Anforderungen der Mitarbeiter mit den ausgewählten Fördertechnikelementen wie etwa den Hängedrehförderern oder Schubplattformen in bestmögliche Arbeitspositionen gebracht werden. Im Rahmen einer Online-Befragung hat man Daimler zufolge die Belegschaft zu ihren persönlichen Präferenzen befragt. 85 Prozent der geäußerten Wünsche habe man umsetzen können.
Källenius stellt S-Klasse höchstpersönlich vor
Der OEM nutzte das großflächige Areal der Factory 56, um auch gleich sein Premiummodell der Öffentlichkeit vorzustellen. Neben Markus Schäfer, Mitglied des Vorstands der Daimler AG und Mercedes-Benz AG; verantwortlich für Daimler Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars COO, hob auch der CEO die Highlights des Flaggschiffs hervor und saß zudem beim eingeblendeten Film höchstpersönlich am Steuer. „Mit der neuesten Generation wollen wir unseren Kunden Innovation, Sicherheit, Komfort und Qualität bieten wie noch nie zuvor“, so Källenius. Das Auto werde intelligenter, das Fahrerlebnis rücke auf die nächste Stufe. Zu den Highlights zählen etwa die Hinterachslenkung mit großem Lenkeinschlag und Sicherheitsinnovationen wie der Fondairbag. Auf den bis zu fünf großen Bildschirmen, teils mit OLED-Technologie, erleichtern digitale Anzeigen die Steuerung von Fahrzeug- und Komfortfunktionen. In der neuen S-Klasse geht die zweite Generation des 2018 vorgestellten, lernfähigen Infotainmentsystems MBUX (Mercedes-Benz User Experience), an den Start. Mit der MBUX Smart Home-Funktion soll die S-Klasse auch zur Schaltzentrale für die Wohnung werden. Bis zu fünf große Bildschirme, teils mit OLED-Technologie, sollen die Steuerung von Fahrzeug- und Komfortfunktionen erleichtern. Auf den traditionell im eigenen Haus gefertigten Sitzen passen bis zu 19 Motoren die Oberflächen an die individuellen Bedürfnisse der Passagiere an.
Wie Daimler mitteilt, wird die S-Klasse voraussichtlich ab dem zweiten Halbjahr 2021 mit dem neuen Drive Pilot bei hohem Verkehrsaufkommen oder Stausituationen auf geeigneten Autobahnabschnitten in Deutschland hochautomatisiert (Level 3) fahren können. Zum Start kommt das Topmodell mit Reihensechszylindern als Otto und Diesel in verschiedenen Leistungsstufen. Ein V8-Motor mit integriertem Starter-Generator (ISG) und 48-Volt-Bordnetz soll bald darauf verfügbar sein. 2021 folge ein Plug-in-Hybrid mit einer rein elektrischen Reichweite von rund 100 Kilometern, heißt es. Die neue S-Klasse kann in Deutschland ab Mitte September 2020 bestellt werden und kommt im Dezember 2020 zu den Vertriebspartnern.