Ingenieur an einem PC-Arbeitsplatz / So setzen Engineeringunternehmen bereits auf KI

Die Komplexität vieler Entwicklungsaufgaben macht den Einsatz neuer Technologien bei Engineeringunternehmen inzwischen zur Pflicht. (Bild: Adobe Stock / Gorodenkoff)

Monitor und Tastatur gehören zum klassischen Repertoire in vielen Entwicklungsabteilungen. Mit jedem neuen Planungsprojekt allerdings wachsen auch die Herausforderungen. Bernhard Rumpe, Leiter des Lehrstuhls für Software Engineering an der RWTH Aachen und Mitinitiator des Center for Systems Engineering, beschreibt dies pointiert wie folgt: „Die Komplexität von Software in heutigen Systemen steigt deutlich schneller an, weshalb die Entwicklungsprozesse neu ausbalanciert werden müssen.“

Für Wolfgang Pelzer, Geschäftsführer der M.TEC Engineering, verstärkt sich der Trend ganz klar in Richtung KI-basierter Prozessoptimierung. „Die KI ist in der Lage, Wechselwirkungen zwischen einzelnen physikalischen Disziplinen, sprich Bauteileigenschaften, zu erfassen und je nach definierter Wichtigkeit bei der Auslegung zu berücksichtigen“, beschrieb es der Experte im vergangenen Dezember anlässlich eines Kongresses am Center for Systems Engineering in Aachen.

Kombination aus Multiphysik-Simulationen mit lernfähigen Algorithmen

Das Unternehmen aus Herzogenrath hat mithilfe von künstlicher Intelligenz eine Automotive-Tragstruktur für den Fahrzeuginnenraum von BMW neu konstruiert und damit die Präzision und Qualität eines 1,5 Meter breiten Kunststoffbauteils deutlich gegenüber dem klassisch berechneten Vorgängermodell gesteigert. Der entscheidende Unterschied: Die hauseigene Toolbox kombiniert Multiphysik-Simulationen mit lernfähigen Algorithmen, die eine Vielzahl an Designparametern und divergierende Entwicklungsziele anhand von erlernten Musterlösungen aufeinander abstimmen.

Intelligente Software und modellbasierte Systementwicklung (Model-Based Systems Engineering, MBSE) gehören in jedes unternehmerische Fitnessprogramm, verkünden die meisten Konstruktions- und Automatisierungsexperten. Die Porsche-Tochter MHP hat erste KI-Lektionen hinter sich und präsentiert im Rahmen ihres neuen Geschäftsfelds Industrial Cloud Solutions (ICS) einen Paintshop mit cloudbasiertem Monitoring-System und eine KI-gestützte Geräuscherkennung für den Einsatz in der Qualitätssicherung oder der Bauteilequalifizierung. In beiden Fällen geht es um eine schnelle und präzise Fehlererkennung, die eine stichprobenartige Prüfung vor Ort ersetzt.

Das für Lackierprozesse vorgesehene Monitoring-System im MHP-Rechenzentrum wertet mithilfe einer speziell entwickelten Lernsoftware sensoriell erfasste Informationen, die bei der Ermittlung der verschiedenen Qualitätskriterien einer Beschichtung in der Produktion anfallen, aus. Darunter fallen beispielsweise die Schichtdicke des Lacks, der Farbton und die Struktur. Die gesammelten Messdaten aus der Lackieranlage vergleicht die Software mit gespeicherten Referenzwerten samt projektspezifischen Toleranzen und weiteren, als Soll-Vorgaben spezifizierten Musterdaten.

Der KI entgeht kein vorher definierter Qualitätsmangel

Dem cloudbasierten Analysesystem entgeht nach eigenen Angaben kein als Fehler definierter Qualitätsmangel im Lack. Die KI-Software detektiert die Lackeigenschaften anhand der trainierten Musterdaten innerhalb von Bruchteilen von Sekunden und kann auch während des Lackiervorgangs zunehmende Abweichungen einzelner Qualitätskriterien von den zulässigen Toleranzwerten prognostizieren. Die Prüfergebnisse gelangen umgehend an die Prozessüberwachung, die rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Durch die intelligente Datenauswertung samt Fehlerprognose sinke die Anzahl der Qualitätsmängel zugunsten eines höheren Durchsatzes in der Produktion. Das entlaste auch die Kostenbudgets.

Hohe Komplexität fordert die EDL-Branche heraus

Eine kürzere Time-to-Market sowie Kostensenkungen bei gleichbleibend hoher Qualität sind Kernaufgaben für Engineering-Companys. Das Beherrschen hoher Komplexitäten in der Produktentwicklung ist eine zusätzliche Anforderung, die MHP durch seinen mietbaren Clouddienst adressiert. Innerhalb des eigenen Konzerns ist die Umsetzungsphase bereits angelaufen. Jetzt hoffen OEMs und Zulieferer auf Wettbewerbsvorteile durch den maßgeschneiderten Einsatz intelligenter Methoden und Vorgehensweisen.

Dasselbe ist auch bei autonomen mobilen Robotern (AMR) zu sehen. Seit einiger Zeit nutzen Roboterhersteller KI-gestützte Steuerungs- und Navigationsfunktionen, um das Einsatzspektrum ihrer maschinellen Arbeitsgeräte zu erweitern. Smarte Transportfahrzeuge, die sich in einem intralogistischen Netz ohne feste Spurführung bewegen, sind wichtige Bausteine in einer digital transformierten Produktion. Die eidgenössische Firma Sevensense Robotics hat hierfür ein 3D-Visionsystem mit KI-basierter Navigation entwickelt. In einem zigarrenkistengroßen Gehäuse stecken sogenannte 3D-Visual-Autonomy-Funktionen, die eine zuverlässige Wahrnehmung von Innen- und Außenumgebungen mittels mehrerer bordseitig montierter 3D-Kameras ermöglichen und auch selbstständig Navigationsentscheidungen treffen und an die Fahrzeugsteuerung weitergeben.

Auch die Robotik setzt auf KI-gestützte Funktionen

Diese auch als Visual Simultaneous Localization and Mapping (Visual SLAM) bezeichnete Technik erstellt in Echtzeit eine 3D-Karte aller Objekte in der Umgebung. Intelligente Algorithmen erkennen Navigationsreferenzen wie Böden, Decken und Wände, identifizieren Hindernisse und andere bewegliche Objekte wie Personen oder Fahrzeuge. Seit Kurzem stattet ABB Robotics seine autonomen mobilen Roboter eigenen Angaben zufolge mit künstlicher Intelligenz und 3D-Mapping-Technologie des schweizerischen Startup-Unternehmens aus. Sevensense ist bereits seit November 2021 als strategischer Partner von ABB aktiv.

Auch beim ambitionierten Lieblingsprojekt der OEMs, selbstfahrenden Autos und Connected Cars, sitzt KI-Software in der ersten Reihe. Unternehmen mit Fokus auf Sicherheits- und Assistenzsysteme treiben bereits ihre Entwicklungen mithilfe von intelligenter Datenverarbeitung voran. Radar, Lidar oder Kamerasysteme sind eifrige Datensammler, die aus dem Fahrzeugumfeld stammen. Das Zusammenführen der Informationen mithilfe künstlicher Intelligenz ist beispielsweise bei Continental Automotive die Voraussetzung für Fahren auf den Automatisierungsleveln 3 oder gar auf Level 4.

Den hohen Stellenwert von Artificial Intelligence (AI) betont Gilles Mabire, Chief Technology Officer Continental Automotive: „Ein treibender Faktor für die weitere Entwicklung und Zukunft der Mobilität ist ganz klar die künstliche Intelligenz“, erklärte der Experte in seiner Eröffnungsrede zu einem neuen AI Lab auf dem AI Campus Berlin. Dort arbeiten seit Anfang des Jahres Experten des Unternehmens an Technologien wie Computer Vision für maschinelles Sehen, am Zusammenführen von maschinellem Lernen mit herkömmlichen Softwareprogrammen und automatisiertem Data Labeling von Objekten als Trainingsgrundlage für maschinelles Lernen. Das Ziel: fit werden für zukünftige Mobilitätslösungen.

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