Je mehr Elektrofahrzeuge produziert werden, umso mehr ungenutzte Speicherkapazität steht – aktuell noch – an den Straßenrändern, in Garagen oder auf Parkplätzen herum. Dabei könnten Fahrzeugbatterien zu einem zentralen Baustein der Energiewende avancieren, sofern sie denn in einem smarten Stromnetz als Puffer für erneuerbare Energien eingesetzt würden. Erste Autobauer und ihre Partner haben bereits erkannt, dass die Einsatzmöglichkeiten von Fahrzeugakkus deutlich über den bloßen Antrieb hinausgehen.
Damit die stetig wachsende Menge an E-Fahrzeugen schneller in das Stromnetz integriert werden kann, wollen unter anderem die Volkswagen-Tochter Elli und die Elia Group zusammenarbeiten. Die Elia Group versorgt mit ihren Tochtergesellschaften in Belgien (Elia) und im Norden und Osten Deutschlands (50hertz) 30 Millionen Endverbraucher und betreibt mehr als 19.000 Kilometer Hochspannungsleitungen. „Der rasante Anstieg von Elektrofahrzeugen verstärkt die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen dem Strom- und dem Mobilitätssektor“, betont Chris Peeters, CEO des Unternehmens. In den nächsten Jahren wollen Elli und Elia Kernelemente für die Integration von E-Fahrzeugen ermitteln und untersuchen, welche Vorteile sich daraus ergeben. „Verstehen wir die Batterie im Elektrofahrzeug als mobile Powerbank, bringt uns das einen dreifachen Nutzen“, sagt Elke Temme, CEO von Elli. Erstens profitiere das Klima, da erneuerbare Energien gespeichert und so effizienter genutzt werden können, zweitens profitiere das Stromnetz, da das Auto zur Netzstabilität beitragen könne, und drittens könne der Kunde mit smartem Laden Geld sparen oder sogar zusätzliche Einnahmen erzielen.
Audi und Volkswagen erforschen das Smart Grid
Audi und der Netzbetreiber Bayernwerk Netz widmen sich seit April 2021 der Frage, wie sich E-Mobilität, Netzsteuerung und Ladeverhalten optimal vereinen lassen. In einer Testreihe wurden 20 Mitarbeiter des Bayernwerks mit einem Audi E-Tron und speziell ausgerüsteter Ladetechnik auf die Straße geschickt, um wichtige Erkenntnisse zu sammeln. In der Testzeit nutzten die Teilnehmer die Autos sowohl im Alltag als auch für Urlaube oder andere Fahrten. Eine cloudbasierte Plattform von Venios ermöglichte dabei den virtuellen Zusammenschluss von Testhaushalten zu einem gemeinsamen Niederspannungsnetz. Die Übermittlung der Daten zu den Verbräuchen für Haushalt und Ladevorgänge an das virtuelle Netzwerk fand in Echtzeit statt, so dass die aktuelle Netzauslastung bestimmt und der zusätzliche Leistungsbedarf realitätsnah nachgebildet werden konnten.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Autobauer erste Ergebnisse aus den gesammelten Daten: Das Potenzial, Ladevorgänge zu steuern und dabei einen netzdienlichen Effekt zu erzeugen, konnte im Feldtest bestätigt werden. In der Regel wurde nach Feierabend über Nacht geladen, wodurch gerade in den Abendstunden die Netzauslastung in der Niederspannung häufig sehr hoch gewesen sei. Eine Reduzierung der Ladeleistung in diesem Zeitraum habe somit bei einer hohen Gleichzeitigkeit der Ladevorgänge einen netzdienlichen Effekt. Dieser möglichen Ladedauer über Nacht von häufig über zehn Stunden bis zum Abfahrtszeitpunkt am nächsten Morgen stand meist eine benötigte Ladedauer von nur etwa drei bis vier Stunden gegenüber. Die lange Ansteckdauer über Nacht ließe demnach eine abschnittsweise Reduzierung der Ladeleistung zu, ohne die Mobilitätsbedürfnisse der Teilnehmer einzuschränken.
Auch für ein bundesweites Pilotprojekt, für dass die Volkswagen-Tochter Elli, der Netzbetreiber Mitnetz Strom und das Beratungsunternehmen E-Bridge im Herbst 2022 insgesamt 20 Nutzer mit den Modellen ID.3, ID.4 und ID.5 ausgestattet hatte, zog der Konzern Anfang 2023 eine positive Bilanz. Durch finanzielle Anreize habe man mit Hilfe von Algorithmen das Ladeverhalten der Nutzer optimieren können, ohne dass Einbußen bei Ladekomfort oder Engpässe im Stromnetz vorgekommen seien. Die optimierte Auslastung des Netzes habe sogar dazu beigetragen, die für die benötigte Stromversorgung anfallenden CO2-Emissionen um 30 Prozent zu senken.
Allein in Deutschland musste laut Volkswagen im Jahr 2021 rund 6.000 Gigawattstunden regenerativer Strom abgeregelt werden, weil die Netze diesen nicht komplett aufnehmen konnten. Bei der vollen Ausnutzung der Kapazitäten sei es möglich, rund 2,4 Millionen E-Fahrzeuge mit Strom zu versorgen. „Smartes Laden hilft, vorhandene Netze viel besser auszulasten, das ist ein Fazit des Pilotprojekts“, kommentiert Michael Lehmann, Leiter Prozess- und Systemmanagement der Mitnetz Strom. „Werden die geplanten Ladezeiten mit den Beschränkungen des Ortsnetzes abgeglichen, lassen sich bis zu fünfmal so viele Elektroautos an ein lokales Netz anschließen.“
BMW setzt auf praxisnahe Tests
Das bidirektionale Laden steht nicht nur bei Volkswagen auf der Agenda: Unter anderem partnert BMW mit dem Energiekonzern E.On. Im Fokus steht hier vor allem die Nutzung von Photovoltaikanlagen in Privathaushalten. Münchener Umland testen aktuell zwei Familien entsprechende Systeme. Dazu wurden Ladelösungen und Steuerungsboxen von E.On installiert, die speziell ausgerüstete i3 mit Energie versorgen. Bei Sonnenschein wird überschüssiger Solarstrom ins Fahrzeug geladen, der bei Bedarf wieder in den Haushalt fließen kann. „Besonders wichtig ist uns die Kundenfreundlichkeit der Anwendung. Daher erfolgt die Steuerung der Lade- und Entladevorgänge automatisch und intelligent durch eigens entwickelte Soft- und Hardware“, erläutert Mark Ritzmann von E.On Innovation. Zentral sei die vom Tochterunternehmen GridX entwickelte GridBox. Ein ähnliches Projekt mit größerem Umfang hatte BMW bereits im vergangenen Jahr mit dem KIT und Kostal unter Trägerschaft des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gestartet. Insgesamt 50 i3 wurden hierzu an Kunden übergeben.
Volvo und Honda bringen bidirektionales Laden in Serie
Nägel mit Köpfen macht neben Mercedes-Benz mit einem Angebot für japanische Besitzer des EQS auch Volvo mit dem EX90, der im November der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und bereits als Zwischenspeicher für Energie dienen kann. Die entsprechende Funktion, die zunächst auf „ausgewählten Märkten“ angeboten werden soll, kann dazu beitragen, Fahrzeuge exakt dann aufzuladen, wenn die Nachfrage und somit die entsprechenden Preise geringer sind. Einmal im Akku gespeichert, könne die Energie vielseitig genutzt werden, erklärt Olivier Loedel, Leiter Electrification Ecosystem bei Volvo. Autofahrer könnten unter anderem unterwegs ihr E-Bike aufladen oder während des Campingausflugs ein Outdoor-Kochgerät anschließen. Während teurer Spitzenzeiten könne auch das Haus mit günstigem Strom aus dem Auto versorgt werden, außerdem lasse sich das Modell zur mobilen Ladestation für andere Volvo-E-Autos umfunktionieren. Zur intelligenten Gestaltung der Ent- und Aufladung kommt ein Algorithmus in der App zum Einsatz, der die Haltbarkeit der Akkus optimieren soll. Fahrzeuge können auch als Zwischenspeicher zur Stabilisierung des öffentlichen Stromnetzes beitragen. Während das Fahrzeug zu Zeiten des Überschusses an erneuerbaren Energien günstig geladen wird, lässt sich bei höherer Nachfrage in Spitzenzeiten Energie zurückverkaufen. Je mehr Autos über entsprechende Systeme verfügen, umso besser könne man Ladespitzen ausgleichen, heißt es bei Volvo.
Honda hingegen arbeitet bei Vehicle-to-Grid-Lösungen mit dem V2X Suisse Konsortium zusammen. Als weiterer Projektpartner wurde der Carsharing-Anbieter Mobility ausgewählt, der insgesamt 50 Honda e in der eigenen Flotte zum Einsatz bringt. Man gehe diesen Schritt, um die entscheidende Rolle von elektrobetriebenen Fahrzeugen und bidirektionaler Ladetechnologie für die Zukunft des Energiemanagements zu demonstrieren, heißt es von Seiten des Autoherstellers. Der V2X Suisse-Versuch umfasst Honda zufolge den weltweit ersten Masseneinsatz der Combo CCS-Konfiguration (Combined Charging System) mit bidirektionaler Funktion.
Umsetzung erst Ende der Dekade
Wann also wird das bidirektionale Laden Realität? Eine entsprechende Netzintegration in Deutschland sei erst im Jahr 2030 realistisch, erklärt etwa Jens van Eikels, Leiter Projekthaus Laden bei Audi, im Rahmen des Mobility Circle 2022. Zu den maßgeblichen Hürden zählen dem Experten zufolge neben der Fahrzeugtechnik auch regulatorische Elemente. Der Austausch mit Politik und Interessensvertretern sei jedoch im Gang, so van Eikels. Weitere Faktoren seien Steuern und Kosten sowie die Notwendigkeit neuer Steuerungs- und Zählmethoden für den genutzten Strom. Energieversorger müssten sich zudem auf die Elektroflotten verlassen können, damit Kunden nicht das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der eigenen Angebote verlieren. Eine sinnvolle Lösung sei nur im Zusammenspiel der beiden Fraktionen möglich, so van Eikels.