Intelligente Roboter vermessen und schweißen die Rohkarosserie des neuen Volvo EX30 vollautomatisch. Sie sind Teil der umfassenden Investitionen, mit denen der Standort Gent seine Rolle als europäischer Vorreiter der Volvo-Elektrifizierungsstrategie ausbaut.(Bild: Volvo)
Um seine Rolle als Elektropionier im Volvo-Netzwerk zu stärken, halbierte das Werk Gent die Hochlaufzeit für den EX30. Was den E-Vorreiter neben diesem Rekordtempo sonst noch ausmacht, zeigt unser Standortportrait nach einer exklusiven Werksführung.
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In Gent steht ein Werk, das sich mit Recht als Vorreiter der Volvo-Elektrifizierungsstrategie bezeichnen darf. Seit dem Produktionsstart des ersten vollelektrischen Fahrzeugs der Marke im Jahr 2020 ist der belgische Standort im Volvo-Produktionsnetz zu einem Leuchtturm für E-Mobilität geworden. Mit dem Anlauf des EX30 im Frühjahr 2025 baut Volvo nun das dritte Elektrofahrzeug in Gent und beweist damit, wie sich ein Werk innerhalb weniger Jahre an neue Technologien, Plattformen und Marktbedürfnisse anpassen kann. Der EX30 basiert auf der SEA-Plattform von Geely und ist ein zentrales Modell in Volvos Elektrifizierungsstrategie. In Gent wird er in zwei Varianten gebaut: mit LFP- oder NMC-Batterie.
„Die Entscheidung, den EX30 in Gent zu bauen, fiel im Herbst 2023. Normalerweise beträgt die Vorlaufzeit für solche Projekte drei Jahre. Wir haben uns entschieden, das in anderthalb Jahren zu realisieren. Warum? Weil wir nah am Markt und schnell lieferfähig sein wollten", erklärt Werkleiter Stefan Fesser im Interview mit der Automobil Produktion. Der schnelle Hochlauf sei nur möglich gewesen, weil das Werk eng mit internationalen Volvo-Standorten zusammenarbeitet. Wertvolles Knowhow kam insbesondere aus China, wo das Modell erstmals in Serie ging. Erfahrene Spezialisten aus Gent reisten nach China, um sich mit den dortigen Teams über Prozessabläufe, Werkzeuge und Qualitätsstandards auszutauschen. Dieses Wissen floss direkt in den Aufbau der Produktionslinien in Belgien ein.
Durch den gezielten Technologietransfer konnte die Komplexität des Anlaufs erheblich reduziert und die Produktionszeit bis zum ersten fertigen Fahrzeug auf nur achtzehn Monate verkürzt werden, so Volvo. Diese Schnelligkeit war kein Zufall. Mit dem Ziel, „Autos dort zu bauen, wo sie verkauft werden“, investierte Volvo rund 200 Millionen Euro in den Standort. Über600 neue Roboter, ein zusätzlicher Karosseriebereich mit 40.000 Quadratmetern Fläche sowie die massive Umrüstung bestehender Linien waren erforderlich.
Insgesamt arbeiten heute 6.500 Beschäftigte in drei Schichten im Werk, die im Karosseriebau mit der Transformation vom einzelnen Blech zum Fahrzeugkörper beginnen. Für den Produktionsanlauf des EX30 wurde dieser Bereich umfassend modernisiert. Die neuen Roboter übernehmen bis zu neunzig Prozent der Arbeitsschritte, setzen über viertausend Schweißpunkte pro Karosserie und fügen die Struktur zusätzlich mit einer Klebelänge von mehr als fünfzig Metern. Diese Kombination sorge für maximale Steifigkeit und unterstütze zugleich die Schwingungsdämpfung während der Fahrt.
„Wir arbeiten hier mit intelligenten Robotern, die jeden Schweißpunkt eigenständig vermessen und bei Bedarf automatisch korrigieren“, erklärt Patrick De Buck, der knapp 40 Jahre beim Automobilhersteller in Gent beschäftigt war – anfangs in Produktion und Logistik, dann in der Volvo Car Academy und seit einiger Zeit im Ruhestand ist, aber immer noch als Werksguide für Volvo Car Gent arbeitet. Die Volvo Car Academy gilt als wichtiger Baustein für die konsequente Qualifizierung der Belegschaft am Standort Gent. Sie vermittelt den Mitarbeitenden nicht nur das nötige Fachwissen, sondern auch praktische Routine im Umgang mit neuen Technologien. Bevor ein neues Modell wie der EX30 an der Linie gefertigt wird, trainieren die Teams in realitätsnahen Schulungsumgebungen alle relevanten Arbeitsschritte: von der Handhabung neuer Werkzeuge bis hin zu Prüf- und Kontrollprozessen. So soll sichergestellt werden, dass jede Umstellung in der Produktion nahtlos erfolgt.
Besonderes Augenmerk liegt auf den hochfesten Stählen, die in den Seitenstrukturen und Türen eingesetzt werden. Boronstahl, der mit Bor angereichert wird, erhöhe die Festigkeit erheblich und trage wesentlich zur Sicherheit im Seitenaufprall bei. Die Passgenauigkeit der Karosserieelemente wird von Messrobotern an mehr als dreißig Referenzpunkten geprüft. Jede Abweichung wird sofort korrigiert, um spätere Montageprobleme auszuschließen. Im weiteren Ablauf entstehen aus einzelnen Modulen die seitlichen Rahmen, Front- und Hecksektionen sowie der Fahrzeugboden. Die präzise Ausrichtung dieser Baugruppen erfolgt automatisiert, bevor sie in der Hochzeit miteinander verbunden werden. Dieser Moment markiert den Übergang von losen Bauteilen zu einer geschlossenen Karosseriestruktur.
Ein Blick ins Innere der Rohkarosserie verdeutlicht die komplexe Struktur und die präzise Ausführung der tragenden Elemente.(Bild: Volvo)
Lackierprozess im Zeichen der Nachhaltigkeit
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Die Lackiererei bildet den nächsten zentralen Produktionsschritt. Sie ist in Gent auf zwei Linien ausgelegt, die jeweils Grundierung, Füller, Decklack und Klarlack auftragen. Neben der Optik spielt der Korrosionsschutz eine entscheidende Rolle. Der gesamte Prozess ist hochautomatisiert und so getaktet, dass auch Kleinserien oder Sonderlackierungen flexibel eingeschleust werden können, ohne die Haupttaktung zu beeinträchtigen. Gleichzeitig ist dieser Bereich ein Schlüsselfaktor in der Nachhaltigkeitsstrategie des Werks. „Ein zentraler Meilenstein war die CO2-Neutralität des Standorts, die wir Anfang des Jahres erreicht haben“, erinnert sich Werkleiter Fesser.
Seit 2018 konnte der Energieverbrauch im Werk um dreißig Prozent gesenkt werden – bis 2030 sollen es fünfzig Prozent sein. In der Lackiererei wurden gasbetriebene Öfen vollständig auf elektrische Systeme umgestellt, was nicht nur CO2 einspare, sondern auch einen flexibleren, bedarfsorientierten Betrieb ermögliche. Ergänzt wird dies durch smarte Steuerungstechnik, die Anlagen automatisch regelt und so Effizienzgewinne im laufenden Betrieb sicherstellt. Die Lackiererei ist zudem ein Vorreiter beim Wasserverbrauch: Gent hat heute konzernweit den niedrigsten Wert pro Fahrzeug. Auch die Farbpalette ist bewusst schlank gehalten und bietet statt mehr als zweihundert Farbtönen wie bei anderen Herstellern gezielt nur zehn Varianten an. „Das reduziert nicht nur Komplexität, sondern spart auch Ressourcen in der gesamten Prozesskette“, betont Fesser.
Letzte Fertigungsschritte und Qualitätsverantwortung
Nach der Lackierung folgt die Endmontage, in der der Anteil manueller Arbeit deutlich höher ist. Hier wird deutlich, dass Volvo bewusst auf eine Balance zwischen Automatisierung und handwerklicher Präzision setzt. Etwa zwanzig Prozent der Arbeitsschritte erfolgen automatisiert – beispielsweise das Einsetzen von Front- und Heckscheiben durch Robotersysteme, die Glasflächen mit Flüssiggummi abdichten und millimetergenau positionieren. Viele andere Arbeitsschritte, wie der Einbau von Interieurkomponenten, Armaturenbrettern, Sitzen oder Kabelbäumen, werden hingegen von geschulten Fachkräften ausgeführt. Qualitätssicherung ist dabei integraler Bestandteil jedes Fertigungsschritts. Adaptive Schweißsysteme überwachen in Echtzeit die elektrische Energie jedes Schweißpunkts und setzen bei Abweichungen automatisch einen zweiten Punkt. Im Montagebereich analysieren digitale Systeme Drehmomente und Montagepositionen, um fehlerhafte Verschraubungen auszuschließen.
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Batteriemontage als Schlüsselkompetenz
Die Batteriemontage ist seit 2020 ein fester Bestandteil des belgischen Standorts. In diesem Jahr wurde hier nicht nur das erste vollelektrische Volvo-Modell, der XC40 Recharge, gebaut, sondern auch das Batteriewerk eröffnet. „Die Entscheidung, die EX30-Batterie in Gent zu fertigen, fiel vor allem aus Kostengründen und wegen der unmittelbaren Nähe zur Endmontage. Das Batteriegebäude liegt nur wenige Hundert Meter von der Fahrzeugmontage entfernt, was den Materialfluss stark vereinfacht. Die Umsetzung war jedoch eine enorme Herausforderung: Zwischen der Entscheidung und dem Bau der ersten Batterie lagen nur zwölf Monate, was ungewöhnlich wenig Zeit für ein solches Projekt ist", erinnert sich De Buck.
„Spot“ bewegt sich selbstständig durch das Werk und erreicht auch schwer zugängliche Bereiche wie Treppenaufgänge, um Inspektionen effizient durchzuführen.(Bild: Volvo)
Industrieroboter setzen im Volvo-Werk Gent Fahrzeugdächer millimetergenau auf die Karosserie und sorgen für gleichbleibende Präzision im Montageprozess.(Bild: Volvo)
In der Endmontage werden Räder manuell angebracht – ein Arbeitsschritt, der Präzision und Erfahrung erfordert, um Fahrsicherheit und Qualität sicherzustellen.(Bild: Volvo)
Später folgten der EC40 und seit April 2025 der EX30. In Gent entstehen sowohl NMC- als auch LFP-Batterien, wobei die LFP-Variante speziell für den EX30 gefertigt wird. Der Montageprozess folgt dem Prinzip „Module to Pack“: Vorgefertigte Module, die aus einer Kombination mehrerer Zellen bestehen, werden in die Batteriewanne eingesetzt, elektrisch verschaltet und mit einem Deckel verschlossen. Rund 150 Beschäftigte arbeiten in drei Schichten in den beiden Batteriewerken – 60 für den EX30, 90 für den EX40. Alle wurden in der Volvo Car Academy für die Batteriemontage qualifiziert und waren bereits zuvor im Unternehmen tätig. Nur speziell autorisierte Mitarbeitende mit entsprechender Zugangsberechtigung dürfen die Batteriefabrik betreten.
Die Batteriezellen kommen aktuell aus China. Für die europäische Fertigung hat Volvo jedoch bereits mehr als die Hälfte der Zulieferer lokalisiert, etwa in Belgien, Deutschland und Frankreich, um Kosten zu senken und Abhängigkeiten zu reduzieren. Die Fertigungslinie ist bewusst nur teilautomatisiert, um flexibel auf Schwankungen reagieren zu können. „Harte Automatisierung“ wird vermieden, damit Anpassungen jederzeit möglich bleiben. Jede Batterie, die das Werk verlässt, wird zu 100 Prozent getestet. Die fertigen Akkus gelangen über ein Förderband direkt zur Endmontage. Dort werden sie im gleichen Takt wie Hybrid- und Verbrennerfahrzeuge eingebaut. Farbmarkierungen an den Paletten sorgen für Übersicht.
Die Logistik gilt in Gent als strategisches Rückgrat der Fertigung. Vor allem, weil auf einer Linie Mild-Hybride, Plug-in-Hybride und vollelektrische Fahrzeuge entstehen. Fesser verrät, wie dieser erhöhte Komplexität in die Logistik ausgelagert wird: „Die zentrale Herausforderung bei der Fertigung unterschiedlichster Fahrzeugmodelle auf ein und derselben Linie liegt darin, die enorme Variantenvielfalt beherrschbar zu machen – und genau dafür setzen wir auf eine durchgängige End-to-End-Planung und ein hochmodernes Logistik-Optimierungszentrum.“ Der Platz an der Linie ist begrenzt, dennoch muss sichergestellt werden, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter zur richtigen Zeit genau die Bauteile erhält, die für das jeweilige Modell benötigt werden.
Im North Sea Port, dem Hafen von Gent, entstand Anfang des Jahres ein neues Logistikzentrum, das genau auf diese Anforderungen zugeschnitten ist. „Dort bündeln wir sämtliche Materialströme aus See-, Schienen- und Straßentransporten und kommissionieren alle Teile exakt in der Reihenfolge, in der sie an der Linie verbaut werden", erklärt der Werkleiter. Die hervorragende Anbindung an maritime und landseitige Transportwege mache Gent zu einem idealen Logistikdrehkreuz. Manche Komponenten gelangen in exakt vorkonfigurierten Boxen direkt ins Fahrzeug, andere liegen als Kleinteile griffbereit an der Linie. So bleibt die Linienfassade kompakt und übersichtlich. Die eigentliche Komplexität wird nicht an der Linie selbst, sondern „upstream“ im Logistikzentrum beherrscht. Dieses System erlaubt es, verschiedene Modelle tatsächlich back-to-back zu fertigen, also unmittelbar hintereinander, ohne Umrüstungen oder Chargenbildung. Das schaffe maximale Flexibilität und sichere eine hohe Produktivität.