Herr Mogge, wir sprechen nun seit einigen Jahren im Rahmen dieser Ausgabe über die Situation der Automobilzulieferer und von Jahr zu Jahr fällt das Fazit ernüchternder aus. Das dürfte auch in diesem Jahr der Fall sein…
Ja und nein. Wirtschaftlich hat sich die Zuliefererindustrie letztes Jahr seitwärts bewegt. Die Rendite lag im Schnitt bei 4,5 Prozent und damit auf dem Niveau von 2022. Es gab im vergangenen Jahr einige positive Dinge zu verzeichnen: Diese massiven Schwankungen in der Lieferkette und bei den Materialpreisen haben sich deutlich normalisiert. Das hilft vielen Zulieferern bei der operativen Steuerung des Geschäftes. Ein gutes Stück der operativen Hektik, die diese Krisen mit sich gebracht haben, ist verschwunden. An den strukturellen Herausforderungen für die Branche hat sich dadurch aber nichts geändert. Vor dem Hintergrund der kurzfristigen Krisenbewältigung wurde an vielen Stellen nicht so konsequent an diesen Herausforderungen gearbeitet, wie es notwendig gewesen wäre. Die Konsequenzen davon sind jetzt schon bei vielen Zulieferern sichtbar.
Auch bei den Großen der Branche, die mehr Schlagezeilen durch Stellenstreichungen als mit technischen Innovationen machen. Ist wenigstens ein Ende des Personalabbaus in Sicht?
Klare Antwort: Nein. Und das gilt auch ganz unabhängig von konkreten Einzelfällen. Die gesamte Automobilindustrie befindet sich noch immer mitten in der größten Transformation ihrer Geschichte. Die Technologie verändert sich massiv. In einigen Komponentenbereichen entsteht starkes Wachstum und andere verzeichnen deutliche Rückgänge. Parallel stagniert die Nachfrage nach Neufahrzeugen in Europa und Nordamerika, abgesehen von einigen Ausgleichseffekten aus den Krisensituationen der vorherigen Jahre. Gleichzeitig nimmt die Produktivität zu. Das alles muss und wird mittelfristig weiter zu Personalanpassungen führen. Anpassung muss aber nicht immer Abbau bedeuten: In vielen Hochtechnologiebereichen suchen Unternehmen dieser Tage händeringend Arbeitskräfte.
Für die kleinen und mittelständischen Lieferanten dürfte es noch schwerer werden. Was können sie tun, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden?
Zukunftsfähigkeit ist ja nicht nur eine Frage der Größe, aber sie hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und das wird auch für die nächsten Jahre so bleiben. Die meisten Zukunftstechnologien im Fahrzeug haben Systemcharakter. In diesen Bereichen sind erhebliche Aufwendungen und Investitionen in die Entwicklung nötig, aber auch in Lieferkettenkontrolle, Nachhaltigkeit oder Risikomanagement. Um das zu managen, bedarf es einer gewissen Größe. Als Konsequenz werden sich viele kleinere Zulieferer darauf einstellen müssen, eher als Tier 2 mit einem großen Systemintegrator die Geschäfte zu machen, anstatt als Tier 1 direkt mit dem OEM. Auch das muss nicht notwendigerweise schlecht sein, aber es ist eine Veränderung des Geschäftsmodells, an der für viele Mittelständler kein Weg vorbeiführen wird.
Ironischerweise besteht ein Problem im Stocken der E-Mobilität. Der Wandel zum batterieelektrischen Antrieb war das große Diktat der vergangenen Jahre. Wird nun ausgerechnet diese Transformation vor allem den Zulieferern zum Verhängnis, die sie gut gemeistert haben?
Die nachlassende Dynamik im Wandel hin zur Elektromobilität vor allem in Nordamerika und in Europa ist natürlich eine große Belastung für alle Zulieferer, die damit befasst sind. Viele Unternehmen hatten für die nächsten beiden Jahre ein deutliches Wachstum in dem Bereich eingeplant. Darin wurde investiert, man ist in Vorleistungen in der Entwicklung gegangen und jetzt fehlen die entsprechenden Deckungsbeiträge, weil die Produktionsvolumina nicht in dem Maße erreicht werden können. Diese Tatsache darf allerdings zwei Dinge nicht überdecken: Zum einen wird ein Großteil der Komponenten und Systeme für die Elektromobilität von den großen Powertrain-Zulieferern hergestellt – und die profitieren im Umkehrschluss aktuell von der starken Nachfrage nach Verbrennerkomponenten. Zum anderen sieht man derzeit recht schonungslos, dass die Elektromobilität schlicht und ergreifend noch kein profitables Geschäft ist. Das gilt sowohl für die Hersteller als auch für die Zulieferer. Und gerade letztere haben sich in den letzten fünf Jahren einen ruinösen Preiswettbewerb um Marktanteile geliefert. Diesen Effekt werden wir noch eine ganze Zeit lang in den Ergebnissen der Zulieferer sehen, völlig unabhängig davon, wie stark sich die Nachfrage der Kunden nach E-Fahrzeugen entwickelt.
Ist es auf der anderen Seite eine trügerische Sicherheit für die, die nun mit Verbrennerkomponenten besser dastehen als gedacht?
Ja, das ist es. Und viele Zulieferer, mit denen ich spreche, sind gar nicht uneingeschränkt glücklich darüber. Natürlich hilft ein höheres Geschäftsvolumen mit Verbrennerkomponenten kurzfristig bei der Umsatz- und Ergebnissituation in diesem und wahrscheinlich auch im kommenden Jahr. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass vor allem im Pkw-Bereich in vielen Teilen der Welt der Verbrennungsmotor eine auslaufende Technologie ist. Der Markt für die Komponenten dazu wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren dramatisch rückläufig sein. Und die Zuliefererlandschaft muss in der Summe Kapazitäten abbauen und konsolidieren. Je später ein Unternehmen damit beginnt, desto schmerzhafter wird der Prozess.
Viele Zukunftsthemen der vergangenen Jahre, etwas das autonome Fahren oder neue Mobilitätsdienste, sind ein wenig in der Schublade verschwunden. Geraten die Zulieferer unter die Räder einer Industrie, die derzeit nicht so recht weiß, wo sie hinwill?
Das würde ich nicht unbedingt behaupten. Die Zulieferer sind schließlich ein integraler Bestandteil dieser Industrie. Sicher ist es so, dass ein Großteil der technologischen Innovationen – das autonome Fahren, der Umbau der Elektrik-Elektronik-Architekturen hin zum softwaredefinierten Fahrzeug – viel mehr Zeit brauchen als ursprünglich geplant. Die Technologieentwicklung ist komplexer, die Anpassung der Fahrzeugportfolios benötigt mehr Zeit und teilweise passt der Business Case mit dem Endkunden nicht. Da war die gesamte Industrie, OEMs wie Zulieferer, deutlich zu optimistisch. Am langfristigen Zielbild, wie das Fahrzeug in zehn Jahren aussieht, hat sich aus meiner Sicht aber nichts geändert.
Wie können Zulieferer denn wieder Augenhöhe mit den OEMs herstellen, ihre Position am Verhandlungstisch verbessern?
Entscheidend ist für mich die Frage, was eigentlich verhandelt wird. In den vergangenen Jahren haben die OEMs und Zulieferer einen Großteil ihrer Energie darauf verwendet, Forderungen nach Kompensation für inflatorische Kostensteigerungen entweder zu stellen oder selbige entsprechend abzuwenden. Das war aufgrund der historisch unflexiblen Preisstrukturen zwischen Autobauern und Zulieferern auch notwendig, hat aber davon abgelenkt, worauf es in der Industrie in der Zukunft wirklich ankommt: Durch die technologische Transformation steigen die Kosten für das Fahrzeug in einem Maße, die der Endkunde nicht zu zahlen bereit ist. Die Frage ist für mich also: Wie finden Hersteller und Supplier gemeinsame Lösungen, mit denen die Technologien im Fahrzeug in Summe günstiger werden? Wo kann die Branche weiter standardisieren, damit Zulieferer größere Skaleneffekte erzielen? Wie erreicht die Industrie höhere Transparenz in der Lieferkette, damit sich Störungen, die es auch in der Zukunft geben wird, nicht immer weiter aufschaukeln? Das sind für mich die wesentlichen Fragen, um die es für OEMs und Zulieferer in den nächsten Jahren am Verhandlungstest gehen muss. Das kann nur auf Augenhöhe gelingen. Am Ende brauchen beide Seiten sich gegenseitig.
Es könnte noch ein Verhandlungspartner mit am Tisch sitzen: Ist auch die Politik gefragt, um die deutsche Zulieferlandschaft zu schützen?
Die deutsche Zulieferindustrie braucht die Politik nicht, um sich zu schützen. Von den zehn größten Zulieferern weltweit kommen immer noch vier aus Deutschland. Man muss aber auch sagen: Die Transformation der Industrie kam nicht über Nacht. Jedes Unternehmen hatte ausreichend Zeit, sich darauf einzustellen. Und vielen ist das im Übrigen auch gut gelungen. Jede Veränderung produziert aber neben Gewinnern auch Verlierer. Meiner Ansicht nach ist die Politik gut beraten, die Dynamik des Marktes nicht zu ändern. Was sie hierzulande tun kann und sollte, ist die richtigen Rahmenbedingungen für den Standort zu schaffen. Damit kann die deutsche Politik die Zulieferer unterstützen, schützen muss sie sie nicht.
Fragen wir nicht nur nach Schatten, sondern auch nach Licht: Welche Technologien sind es denn, die für Zulieferer derzeit Gold wert sind?
Interessanterweise ist das automobile Komponentengeschäft global betrachtet noch immer ein riesiger Wachstumsmarkt. Die Anzahl der produzierten Fahrzeuge wächst bis Ende der Dekade weiter, zwar nur langsam und regional begrenzt, aber sie wächst und der Wert der Komponenten pro Fahrzeug nimmt deutlich zu. Die Wachstumsbereiche sind vor allem der elektrische Antrieb, das Thermomanagement, Elektronik, das autonome Fahren und Software. In diesen Bereichen werden im Jahr 2030 voraussichtlich 250 Milliarden Euro mehr erlöst als heute. Für die Batterie kommen nochmal ungefähr 250 Milliarden Euro hinzu. Das bedeutet, es gibt eine halbe Billion Euro zu verteilen. Sicher werden dafür Elektronik- und Softwarekompetenzen in den nächsten Jahren nochmals deutlich wichtiger werden für Zulieferer als sie das heute schon sind. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass das Geschäft im Bereich der mechanischen Komponenten und für Verbrennungsmotoren bis etwa 2030 um mindestens 50 Milliarden Euro zurückgeht – mit der Konsequenz, dass am Ende des Tages nicht genügend Geschäft für alle übrig bleibt.
Potenzial für Geschäft ist in Fernost zu finden: Wie bewerten Sie den Expansionskurs chinesischer OEMs? Ein Anknüpfungspunkt für deutsche Zulieferer?
In Summe werden die chinesischen OEMs als Kunden für die Zulieferer in den nächsten Jahren nochmals wichtiger werden. China ist und bleibt der größte Wachstumsmarkt für Fahrzeuge weltweit, allein das erhöht per se die Bedeutung der chinesischen Hersteller. Sie gewinnen im lokalen Markt weiter Markteinteile. Der Exportanteil der chinesischen Autobauer ist weltweit noch gering. Das heißt, selbst eine moderate Steigerung führt zu einem signifikanten Mehrgeschäft für Zulieferer. Aber klar muss auch sein, dass der Wettbewerb zwischen den chinesischen OEMs momentan sehr intensiv ist. Im Heimatmarkt herrscht ein irrsinniger Preiskampf um die Markteinteile. Wir werden also auch dort eine massive Konsolidierung erleben. Kurzum: Das Potenzial wird am Ende des Tages in China entschieden und verteilt. Das heißt, Zulieferer müssen dort lokal gut vernetzt und kostenseitig wettbewerbsfähig sein. Das Anspruchsniveau ist in China inzwischen keinen Deut geringer als im Rest der Welt. Am Ende des Tages ist es auch ein wenig eine Frage des Glücks, auf die Autobauer zu setzen, die die Konsolidierung überleben.
Während China Fahrt aufnimmt, nimmt hierzulande ein ganz anderes Thema Tempo auf: Catena-X. Liegt gerade für Zulieferer eine Chance in der stärkeren Vernetzung der Branche untereinander?
Ohne Zweifel: Ja. Das gilt sowohl auf der Umsatzseite, um durch eine Reduktion der Time-to-Market schneller mit neuen innovativen Produkten am Markt zu sein, als auch auf der Kostenseite. Ich habe vorhin gesagt, dass sich die Lage im Vergleich zu den Krisenjahren 2021 und 2022 wieder deutlich stabilisiert hat. Aber die Verwerfungen in den Lieferketten in dieser Zeit haben aufgezeigt, wie wichtig eine hohe Transparenz und bessere Vernetzung sind. Das hat in der jüngeren Vergangenheit zu Mehraufwendungen in Milliardenhöhe bei Autobauern und Zulieferern geführt. Das Geld wäre zur Bewältigung der Transformation besser aufgehoben gewesen. Insofern können Catena-X oder andere Ansätze definitiv einen wertvollen Beitrag leisten und werden ihn auch leisten müssen.
Für den Abgleich mit dem obligatorischen Interview in einem Jahr: Was denken Sie, wir Ihr Fazit im kommenden Sommer lauten wird?
Ich würde mich freuen, wenn wir in zwölf Monaten sagen können, dass die Herausforderungen der automobilen Transformation zwar immer noch groß, aber Autohersteller und Zulieferer bei der Bewältigung ein gutes Stück vorangekommen sind.
Zur Person:
Felix Mogge ist Senior Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger. Er berät Firmen entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette und ist Spezialist für die weltweite Automobilzulieferindustrie. Seine Expertise umfasst unter anderem Restrukturierungs- und Leistungssteigerungsprogramme, M&A und Post-Merger-Integrationen. Felix Mogge ist seit 2003 bei Roland Berger und hat Betriebswirtschaft an der Otto Beisheim Graduate School of Management in Vallendar (Deutschland) und der John M. Olin School of Business in St. Louis (USA) studiert.