Jan Henning Mehlfeldt, Webasto

Zwei wesentliche Punkte für Zulieferer sind Geschwindigkeit und Inhouse-Kompetenzen, betont Webasto-Vorstand Jan Henning Mehlfeldt. (Bild: Marco Priske)

Die automobile Welt brauche die Zulieferer, aber warten werde niemand auf sie, konstatiert Webasto-Vorstand Jan Henning Mehlfeldt und bringt während des Automobil Produktion Kongress 2024 in München auf den Punkt, was eine ganze Branche benötigt, die vielerorts gebannt, womöglich bisweilen sogar schockstarr nach China blickt, wo sich derzeit neben einer OEM- auch eine immense Zuliefererexpertise aufbaut: Geschwindigkeit. Webasto entwickelt sich derzeit vom großen Dachexperten mit Weiterverarbeitungskompetenz zugekauften Glases zum globalen Player für Glasdächer mit profunder Produkt- sowie Prozesskompetenz. Jeder spreche von Disruption, aber die wenigsten würden sie akzeptieren oder negierten sie gar, so Mehlfeldt, der beim Zulieferer als Vorstand für das globale Dachgeschäft zuständig ist. „Ich rate Ihnen: akzeptieren Sie Disruption“, niemand solle jetzt noch drum herumreden.

Webasto wird zur All-Roof-Company

Mehlfeldt kann aus einem Unternehmen berichten, das sich derzeit zu einer „echten All-Roof-Company“ mit Inhouse-Kompetenz auch bei der Herstellung entwickelt. Webasto sei der einzige Zulieferer, der jetzt die ganze Palette – vom Hightech-Glas bis zum Cabrio-Dach – anbieten könne - ein Alleinstellungsmerkmal. Und womöglich ist dies ein Garant für gute Geschäfte in den kommenden Jahren, in denen sich eine ganz neue Fahrzeuggeneration gerade über Komfort- und Individualisierungsfeatures definieren wird. Das Familienunternehmen aus Stockdorf bei München habe dies erkannt und insbesondere verstanden, dass nur Geschwindigkeit in Kombination mit einem gerüttelten Maß an Inhouse-Kompetenz helfe, die kommenden Herausforderungen und Jahre zu meistern. Da man in kürzester Zeit nicht alles schaffen und jede Kompetenz von Neuem aufbauen könne, würden Merger wie sie Webasto mit dem luxemburgischen Glasexperten Carlex kürzlich durchführte, helfen.

Zu diesen - mit Blick auf die Geschwindigkeit - neuen Tugenden zählen auch ausgeprägte Flexibilität. Auf die setzt man beim finnischen Auftragsfertiger und Zulieferer Valmet Automotive. Manuel Ötsch, Vice President Operations EVS, kann dem Publikum fast schon eine Flexibiliäts-Roadmap in Sachen Elektromobilität präsentieren. 2010 hatte man erste Berührungspunkte mit EV in Form der Fertigung für Fisker. 2019 begann Valmet dann mit der 48V-Batterie-Produktion im finnischen Salo. Heute verlassen dort 3.000 System täglich das Werk. 2021 erfolgte der erste Großauftrag im High-Voltage-Bereich mit Fertigungen in Salo sowie am Stammsitz in Uusikaupunki, seit dem vergangenen Jahr ist die dritte Fabrik für EV-Systeme im württembergischen Kirchardt gestartet. 2023 konnte Valmet Automotive dadurch etwa 1,2 Mrd. Euro erwirtschaften.

Valmet Automotive setzt auf mehr Flexibilität

Dennoch handelt es sich bei Elektroautos um ein volatiles Themenfeld, wie Ötsch erläutert. Mit Blick auf die Volumina nehme man extreme Schwankungen wahr. Stückzahlen seien schwer planbar. Daher brauche es mehr flexible Linien, auf denen man mehrere Produkte fertigen könne. Ein spannender Aspekt dabei: Speziell im Modulbereich der Assemblierung von Batterien bedeute dies den Schwenk von hochautomatisierten in eher manuelle Prozesse. Ötsch betont dabei die Wichtigkeit solcher modularer Fertigungen: Mit ihrer Hilfe könne man neue Produkte auf eine Hauptlinie nehmen. Derzeit helfe dies Einbrüche bei den reinen BEV-Volumina durch das Thema 48 Volt zu kompensieren. Ötsch nimmt auch eine stärker werdende Nachfrage bei OEMs für Aftersales wahr – eine zusätzliche Belastung für Zulieferer, denn um solche zusätzlichen Bedürfnisse bedienen zu können, bedürfe es neuer Linienkonzepte, so Ötsch. Garant für weitere Geschäfte sei überdies unausweichlich eine Diversifizierung über Automotive hinaus, so der Experte.

ZF stellt mit globalem Produktions-Ökosystem die Weichen

Um die vielfältigen Herausforderungen die wirtschaftlichen Unsicherheiten und sich wandelnde Kundenansprüche zu stemmen, setzt man in der Division Electrified Powertrain Technology bei ZF auf ein intelligentes globales Produktions-Ökosystem. Zur Antriebsstrangproduktion des Zulieferers zählen heute weltweit 26 Werke, die alle noch vor Ablauf des Jahres Zugriff auf die Applikationen der sogenannten Digital Manufacturing Platform DMP haben werden. Mit ihrer Hilfe kommen digitale Simulatonstechniken für die Anläufe zum Einsatz. Speziell in der Produktion von Statoren habe man mit dem Anlagenhersteller einen digitalen Zwilling umgesetzt und sei weg vom „verketteten Dinosaurier hin zu einer permanenten Darstellung der Produktion in Echtzeit gelangt, wie es Arno Güllering Senior Vice President Operations der Division Electrified Powertrain Technology, beschreibt.

Auch mit Blick auf die Halbleiterverfügbarkeit wolle man noch in diesem Jahr den Materialfluss als Digital Twin mit Echtzeitdaten aus einem KI-Modell abbilden. Künstlicher Intelligenz gegenüber ist man beim Unternehmen ohnehin aufgeschlossen: Bereits seit fünf Jahren unterstützt eine entsprechende Lösung bei der Endprüfung in der Getriebefertigung die Qualität hunderter Arbeitsschritte, kann Güllering berichten. Er hebt jedoch hervor, dass es bei den digitalen Methoden künftig neben einzelner Insel-Lösungen eines ganzheitlichen, holistischen Ansatzes bedarf. Wenn man sehe, wie stark Asien auf den Markt drücke, müssen man schlicht „jeden Hebel stellen, der uns bei den Prozessen in die richtige Richtung bringt“, resümiert der Antriebsexperte.

Schaeffler rollt KI-Anwendungen aus

Die Dominanz Chinas bei KI beschreibt Roberto Henkel, Senior Vice President Digitalization & Operations IT bei Schaeffler. KI sei eine Technologie die da sei, man habe sie quasi on hand. Es gelte sie nun zu eigenen Gunsten zu nutzen. Sein tägliches Business sei es, 83 Werke mit wertschöpfungsgenerierenden Themen zu versorgen. Dabei helfe ihm zum einen eine businessbezogene Betrachtung, entlang der Wertschöpfungskette also, sowie eine technologische. Am Beispiel des sogenannten Reinforcement-Learning-Prozess zeigt Henkel, was heute schon möglich ist: Im Rahmen des Prozesses bekommt der Robotor eine Bewegung gezeigt und entwickelt quasi durch Trial-and-Error ein entsprechendes Modell. Beim Zulieferer hat man dies in der Montage eines Getriebes getestet. Wie Henkel schildert, hätte man bei händischer Programmierung acht Wochen benötigt, mit Hilfe von KI konnte der Einsatz innerhalb eines halben Tages erfolgen. Für den Schaeffler-Experten sind digitalisierte Prozesse auch in der Endsichtkontrolle möglich, entsprechende Anwendungen mittels Deep Learning rolle man derzeit aus. Weiter vorausblickend sieht man bei Schaeffler im Metaverse eine nächste Evolutionsstufe, etwa in der kompletten Simulation eines Roboterarbeitsgangs auf Basis synthetischer Daten.

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