Peter Weber vor einem BMW i4

Vor zwei Jahren posierte Werkleiter Peter Weber vor dem i4. In zwei Jahren soll die Neue Klasse in München gebaut werden. (Bild: BMW)

Herr Weber, verspüren Sie besonderen Druck – gerade jetzt mit der Neuen Klasse, die ja ein fixes Startdatum hat?

Das ist eine besondere Situation. Als ich gefragt wurde, ob ich die Leitung des Werks München übernehmen möchte, war ich zuvor Werkleiter in Oxford. Das Stammwerk der BMW Group zu leiten, ist eine Ehre, besonders in einer Phase, in der man die größte Transformation des Werks gestalten kann. Das ist ein Traum.

Wie schaffen Sie das? Sie sind auch für die laufende Produktion verantwortlich. Ihr Tag hat auch nur 24 Stunden…

Das funktioniert nur mit einem perfekten Team. Viele unterschiedliche Disziplinen müssen zusammenarbeiten, von der Baufirma über die einzelnen Gewerke bis hin zu unserer Produktion, Instandhaltung, den Bauplanern und Projektmanagern. Das Team ist hoch interdisziplinär und es funktioniert nur, wenn alle als Einheit zusammenarbeiten.

Aber es liegt noch einiges vor Ihnen, oder?

Selbstverständlich. Die großen Meilensteine sind aber klar: Der Karosseriebau soll Ende dieses Jahres fertig sein. Die nördliche Montagehalle wird im September vollständig stehen. Das südliche Montagegebäude wird im Sommer 2025 fertig sein. Im Jahr 2026 produzieren wir dort die vollelektrische Limousine der Neuen Klasse. Diese gesamte Transformation läuft parallel zur laufenden Produktion. Wir haben die Produktionskapazität nicht reduziert, sondern produzieren weiterhin über 1.000 Fahrzeuge am Tag.

Welche baulichen Veränderungen standen und stehen aktuell noch an?

Bevor wir die großen baulichen Veränderungen im Werk München umsetzen konnten, mussten wir zunächst 15 unterschiedliche Verlagerungsprojekte durchführen. Nur so war es uns möglich, die für die Neubauten notwendigen Baufelder freizumachen. Weiter haben wir das Gebäude unserer alten Lackiererei abgerissen. Auf der freigewordenen Fläche entsteht aktuell der neue Karosseriebau mit entsprechender Logistikstruktur. Auf dem Areal unserer ehemaligen Motorenproduktion entsteht die neue Fahrzeugmontage- und Logistikstruktur, die sich über drei Gebäude erstrecken wird.

Sie sind umgeben von Stadt und direkt angrenzenden Wohngebieten. Was müssen Sie da alles beachten?

Es gibt gesetzliche Vorgaben bezüglich Beeinträchtigungen durch eine Baustelle. Diese halten wir ein. Zusätzlich haben wir uns zum Ziel gesetzt, die angrenzenden Nachbarn so gering wie möglich zu belasten. Die Kommunikation mit den Anwohnern ist dabei ein wichtiger Faktor.

Wie kommunizieren Sie mir den Anwohnern?

Auf unserer Internetseite veröffentlichen wir aktuelle Informationen zu den jeweiligen Bauvorhaben. Dort ist auch unsere Kontakt E-Mail Adresse hinterlegt sowie die Telefonnummer der BMW Group Sicherheitsleitstelle die 365 Tage, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag erreichbar ist.

Wie oft passiert sowas, dass sich Leute melden oder Beschwerden kommen?

Bei solch großen Bauprojekten, wie wir sie hier im Werk München umsetzen, gibt es immer wieder Kontaktaufnahme aus unserem Umfeld. Hier ist es uns wichtig, dass wir schnell reagieren und zeitnah eine Lösung für das jeweilige Anliegen finden beziehungsweise umsetzen.

Wie sieht die Produktion heute aus?

Aktuell fertigen wir rund alle 60 Sekunden einen neue BMW. In Abhängigkeit von der Marktnachfrage bauen wir über 1.000 Fahrzeuge pro Tag. Hierfür können wir unser Schichtmodell flexibel anpassen. Aktuell produzieren wir von Montag bis Samstag im Zweischichtbetrieb. Innerhalb der Schicht können wir mit entsprechenden Flexibilitätsbausteinen auf die Marktnachfrage reagieren.

Welchen Stellenwert nimmt der BMW i4 aktuell ein?

Der BMW i4 ist unser vollelektrisches Gran Coupé, das wir hier gemeinsam mit Verbrenner- und Plug-In Hybrid Modellen auf einer Linie produzieren. Vergangenes Jahr haben wir über 93.000 vollelektrische BMW i4 gebaut. Insgesamt haben wir im Jahr 2023 rund 217.000 Einheiten produziert.

Was macht den Produktionsstandort München so einzigartig?

Die Lage mitten in der Stadt ist im Vergleich zu anderen Fahrzeugwerken besonders. Wir haben eine größere Produktions- als Grundfläche, denn wir allokieren unsere Produktionsprozesse über mehrere Stockwerke. Unser Wertstrom ist dadurch sehr kompakt. Aus unserer Sicht ein enormer Vorteil.

Welche weiteren Modelle bauen Sie zurzeit?

Wir bauen die BMW 3er Limousine und den BMW 3er Touring, beide Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und Plug-in Hybrid, das BMW 4er Gran Coupé und den vollelektrischen BMW i4. Zwei High Performance Fahrzeuge der BMW M GmbH, der M3 als Limousine und als Touring, werden ebenfalls bei uns gefertigt.

Wie schaffen Sie es, dass alle Mitarbeiter diese großen Veränderungen mittragen?

Das Werk München ist über hundert Jahre alt und Veränderungen sind ein Teil des Werks. Für die heutige Transformation mussten wir unseren Motorenbau komplett verlagern und die knapp 1.200 Mitarbeitenden im Unternehmen weiterentwickeln. Der letzte Motor ist Anfang November 2023 produziert worden, die Kommunikation an die Mitarbeitenden zum Auslauf der Motorenproduktion ist bereits 2020 erfolgt. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, alle Mitarbeitenden über die Transformation zu informieren, damit sie verstehen, was in den nächsten Jahren passieren wird. Vergangenes Jahr hatten wir an einem Tag alle Mitarbeitenden über alle Schichten und Technologien hinweg über die nächsten Schritte informiert. Im Sommer dieses Jahr wiederholen wir das.

Wie verlief der Abschied vom Motorenbau seinerzeit?

Wir haben ein großes Event organisiert, um uns gemeinsam mit den Kollegen von der Motorenproduktion zu verabschieden. Das war sehr emotional. Stolz, ein Teil der Transformation im Werk München zu sein, überwog den Wehmut der Mitarbeitenden. Denn ohne die Fläche des Motorenbaus wäre die Transformation des gesamten Werks nicht möglich gewesen.

Und die Menschen, die bisher oder zuletzt im Motorenbau tätig waren, sind die tatsächlich alle hiergeblieben?

Nein, die sind über das gesamte Unternehmen verteilt. Einige sind an andere Produktionsstandorte gewechselt, andere in ganz andere Ressorts, wie den Einkauf oder die Entwicklung.

Wenn wir auf die drei Säulen der iFactory Effizienz, Nachhaltigkeit, Digitalisierung eingehen: Wie verändern sich die Produktionsprozesse?

Die Pflichtaufgabe in den Produktionstechnologien ist es, sich jeden Tag zu überlegen, wie man den eigenen Prozess verbessern kann. Das umfasst Qualität, Flexibilität und Effizienz. Die Kür ist es, die Prozesse über die Technologien hinweg zu verbessern. Darin liegt der größte Hebel, um den Wertstrom zu optimieren.

Wie gehen Sie dabei vor?

Nehmen wir beispielsweise eine Tür und verfolgen diese durch die Produktion. Beginnend bei Platinen, die umgeformt und im Karosseriebau zu einer Tür gefügt wird, über die Lackierung bis hin zur Montage. Dabei merkt man, dass ähnliche Aufgaben von verschiedenen Menschen in unterschiedlichen Technologien erledigt werden. Das haben wir optimiert, indem wir technologieübergreifend denken und die Prozesse so gestalten, dass Qualität an den richtigen Stellen produziert und abgesichert wird.

Wie verstehen Sie Führung in Ihrem Werk?

Die wichtigste Führungskraft im Werk ist der Meister, unterstützt vom Vorarbeiter. Diese sind direkt im Kern der Wertschöpfung tätig. Wir stellen den Meister und den Vorarbeiter ins Zentrum unserer Überlegungen und fragen uns, welche Unterstützung sie von der Planung, der Instandhaltung und den Prozessspezialisten benötigen. Jeder Meister hat ein standardisiertes Prozess-Board, auf dem alle Daten verfügbar sind. Das gleiche System nutzen auch die höheren Führungsebenen.

Seit wann haben Sie dieses System?

Das haben wir schon seit über drei Jahren. Die Plattformen haben sich im Laufe der Zeit geändert, aber die Grundlogik bleibt dieselbe.

Wie sieht es beim Thema Nachhaltigkeit aus?

Wir haben ein ganzheitliches Verständnis von umweltfreundlichen Produktionsprozessen. Wir betrachten CO2, Energie, Wasserverbrauch, Abwasser und Abfall. Unser Ansatz ist, zuerst den Bedarf zu reduzieren und dann Kreisläufe zu schließen. Zum Beispiel nutzen wir die Wärme, die bei der Lackierung entsteht, in anderen Prozessen weiter. Unsere Energiebedarfe sind transparent dargestellt, sodass der Meister beispielsweise seine Ofensteuerung optimieren kann, um den Energiebedarf zu reduzieren. Außerdem arbeiten wir daran, die Logistikprozesse CO2-neutral zu gestalten. Wir haben Pilotprojekte mit unseren Speditionspartnern, bei denen wir unterschiedliche Technologien wie Gas, E-Antrieb und Verbrennungsmotoren mit HVO 100 testen.

Welche Digitalisierungsprojekte treiben Sie in München voran?

Digitalisierung ist ein Mittel zum Zweck. Unsere Ziele sind, den Prozess zu vereinfachen und den Menschen zu unterstützen. Wir fokussieren uns dabei auf Datenanalyse und Datenbereitstellung. Mit dem digitalen Prozess-Board T-Cube und dem digitalen Wertstrom haben wir den kompletten Wertstrom vom Presswerk bis zur Endmontage digitalisiert. Smart Maintenance ist ein weiteres Beispiel. Wenn eine Störung auftritt, kann der Instandhaltungsmitarbeiter den QR-Code am Roboter scannen, die Zustandsdaten einsehen und den Instandhaltungsprozess beauftragen. Alles nur über das Handy.

Ums Thema KI kommen wir nicht herum…

Künstliche Intelligenz kommt ebenfalls zum Einsatz. Beispielsweise scannt ein System die gesamte Oberfläche einer lackierten Karosserie und erkennt Oberflächenfehler. Das System entscheidet, ob eine Nacharbeit notwendig ist, und gibt Anweisungen an den Roboter zur vollautomatischen Behebung des Fehlers.

Wie motivieren Sie die Mitarbeiter am KVP teilzunehmen?

Grundsätzlich ist die Motivation der Mannschaft entscheidend für den Erfolg. Wir legen großen Wert auf Respekt, Wertschätzung und Anerkennung. Jeden Tag von 9 bis 11 Uhr sind wir am Shopfloor, um mit den Meistern und Mitarbeitern zu sprechen, zuzuhören und Unterstützung anzubieten. Persönliche Anerkennung und Dankbarkeit sind die effektivsten Werkzeuge, um die Motivation hochzuhalten.

Welchen Stellenwert spielen klare Zielvorgaben in Ihrer Philosophie?

Das eben Beschriebene ist für mich persönlich eine Grundüberzeugung. Sie können ein Werk sehr gut über Ziele führen. Diese Ziele können Sie gut bis zum Meister herunter kaskadieren. Sie müssen sich jedoch immer nur vor Augen führen, dass Sie mit dem Set an Zielen das gesamte Werk ausrichten. Im Rahmen der Transformation haben wir beispielsweise unser Zielesystem weiterentwickelt, um sicherzustellen, dass wir der Mannschaft nur die Fokuspunkte setzen, die wir wirklich bis zum Meister durchziehen wollen. Bestimmte Ziele bleiben auf meiner Ebene.

War das schon immer so?

In der Vergangenheit wurden Ziele bis zum Meister heruntergebrochen, sodass der Meister wusste, dass er das Jahresziel schon mit einem ersten Fehler nicht mehr erreichen konnte. Das ist nicht motivierend, sondern setzt den Meister unter Druck. Wir haben das bewusst umgedreht und gesagt, dass wir beim Thema Ziele die richtige Auswahl treffen, sodass wir so wenige wie möglich, aber die richtigen Ziele haben.

Wie qualifizieren Sie ihre Mitarbeiter für die Zukunft?

Mit der Neuen Klasse und der iFactory wissen wir, wie sich unsere Produktionsprozesse und Arbeitsplätze verändern. Wir trainieren unsere Mitarbeiter jetzt schon für die zukünftigen Arbeitsplätze.

Mit der iFactory haben Sie das Ziel, gleicher Leitlinien in allen Werken. Wie profitieren Sie jetzt schon oder in Zukunft davon, dass Debrecen noch vor Ihnen mit der Neuen Klasse startet?

Wir profitieren bereits heute davon, dass wir gemeinsam die Prozesse in Debrecen gestalten. Denn die Mitarbeiter, die zukünftig in Debrecen Autos bauen, werden bei uns und anderen Standorten trainiert. Aktuell sind unsere Mitarbeitenden in Debrecen mit dabei, Prozesse aufzubauen und zu optimieren. Das erlernte Wissen bringen sie mit zurück nach München.

Aber es gibt doch gewisse Unterschiede. Allein die Dimensionen des Werks sind anders, sodass man nicht alles eins zu eins vergleichen kann, obwohl es das gleiche Modell ist, oder?

Man muss das Thema eine Ebene abstrakter betrachten. Grundsätzlich können Sie beispielsweise den Karosseriebau als Produktionssystem gestalten. Je nach Standort kann die Automatisierungsquote variieren, aber das Produktionssystem selbst ist in der Einzeltechnik so gestaltet, dass es im gesamten Netzwerk ausgerollt werden kann. Dabei ist es egal, ob das Auto in Debrecen, München oder Mexiko gebaut wird. Was wir uns anschauen, ist, ob Prozesse von der Ergonomie, Wiederholgenauigkeit und Qualität unabhängig davon sind, ob sie von einem Menschen oder einem Roboter ausgeführt werden.

Weil Sie gerade die Automatisierungsquote angesprochen haben, die wird ja wahrscheinlich in Debrecen eine andere sein als hier. Was haben Sie hier für eine Automatisierungsquote?

Nein, wir haben keine. Es ist schwierig, eine allgemeingültige Kennzahl zu definieren. Es gibt Prozesse, die unabhängig vom Standort automatisiert werden müssen, aufgrund von Prozessanforderungen oder Anforderungen an die Ergonomie und Wiederholgenauigkeit. Weiter gibt es Prozesse, die sowohl manuell als auch automatisiert ausgeführt werden können. Wichtig ist, pro Standort zu entscheiden, wie man am besten vorgeht.

Gerade als deutscher Standort ist es eine besondere Herausforderung, aufgrund von Einflüssen wie Personal- und Energiekosten konkurrenzfähig zu bleiben. Wie nehmen Sie das wahr?

Die Kennzahl, an der wir uns im Werk ausrichten, sind die Kosten pro Einheit. Es gibt Kostenelemente, die wir am Standort beeinflussen können, und andere, die wir nicht beeinflussen können - nehmen Sie die Strompreise. Trotzdem müssen wir wettbewerbsfähig sein, also fokussieren wir uns auf die beeinflussbaren Stellen. Wenn wir die Energiekosten nicht beeinflussen können, reduzieren wir den Energiebedarf pro produziertem Fahrzeug.

Gibt es da unter den Werkleitern der BMW Group eine große Konkurrenz?

Das ist ein klares Miteinander. Es ist kein Wettbewerb unter den Werken. Manchmal suchen wir die sportliche Herausforderung im Werkevergleich zur Motivation der Mannschaft, aber wichtiger ist das Vertrauen und die volle Transparenz untereinander. Wir schauen uns an, wie gut ein Werk in einem bestimmten Prozess ist, um von den besten Ansätzen zu lernen.

Gibt es bestimmte Bereiche, in denen München besonders hervorsticht, vielleicht auch im Vergleich zu anderen Werken?

Das ist schwierig zu beantworten. Aufgrund unserer begrenzten Fläche können wir bestimmte Lösungen aus anderen Werken nicht direkt kopieren. Die Mannschaft hier findet zu jedem Problem eine Lösung unter Berücksichtigung der speziellen Rahmenbedingungen. Not macht erfinderisch.

Sie haben kommuniziert, dass 650 Millionen Euro für den Umbau investiert werden. Wie verteilen sich diese Investitionen?

Die 650 Millionen Euro sind für die Befähigung des Werks München für die Neue Klasse.

Sie wollen es also nicht verraten, verstanden. Aber wann zeigen Sie uns endlich die finale Neue Klasse?

Offiziell wird die neue Klasse im Jahr 2026 kommuniziert. Das Design bleibt bis zur offiziellen Kommunikation ein Geheimnis.

Zur Person:

Peter Weber
(Bild: BMW)

Peter Weber trat im Jahr 2005 in die BMW Group ein und übernahm eine Stabsfunktion in der Produktionsstrategie. Von 2006 bis 2009 leitete er die Vorentwicklung und das Innovationsmanagement im Produktionsressort. Anschließend war er von 2009 bis 2011 als Leiter der Technischen Planung sowie des Prozess- und Methodenmanagements tätig. In den Jahren 2011 bis 2013 übernahm Weber die Leitung der Technischen Planung für Produktionskonzepte und -technik. Im Jahr 2014 wechselte Peter Weber zum BMW Group Werk Leipzig, wo er bis 2015 die Produktion der lackierten Karosserien leitete. Von 2015 bis 2019 war er Leiter der Technischen Planung für lackierte Karosserien und den Karosseriebau. Danach übernahm er von 2019 bis 2021 die Leitung der MINI Werke in Oxford und Swindon. Seit September 2021 ist Peter Weber Leiter des BMW Group Werks in München.

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