Global Automotive Business

24. Jun. 2025 | 10:15 Uhr | von Fabian Mechtel, Stefan Grundhoff / press-inform

Dicke E-SUVs und Super Cruise

So versucht Cadillac in Europa wieder Fuß zu fassen

General Motors und Europa – das war noch nie eine Liebesbeziehung. Jetzt startet Cadillac als edelster GM-Ableger und soll erfolgreich gegen die deutsche Premium-Konkurrenz antreten. Trotz Elektroantrieben alles andere als ein einfaches Vorhaben.

Cadillac Escalade IQ

Wer soll das fahren? Cadillacs elektrische Dickschiffe wie der Escalade IQ könnten auf europäischen Straßen eine Seltenheit bleiben. (Bild: General Motors)

Sie heißen Lyriq, Vistiq und Optiq – so extravagante Bezeichnungen kannte man sonst fast nur von Citroen. Wer die Nomenklaturen liest, weiß, dass Cadillac alles anders machen wir – wieder einmal. Der nächste Versuch auf dem bisher so wenig volumen-, aber so imageträchtigen Markt zu gefallen. An sich hatten sich die Amerikaner aus Europa verabschiedet. Trotz ansprechender SUV-Produkte wie Escalade, XT4, 5, und 6, der Oberklasse-Limousine CT5 oder den potenten V-Spotmodellen – die Stückzahlen, die die Europa-Zentrale in Zürich nach Michigan spiegelte, waren homöopathisch.

Jetzt sollen es Elektromodelle richten, um den Wiedereintritt ins Europa-Universum zu ermöglichen. Ob dies gelingt, darf ob einmal mehr ordentlicher Produkte bezweifelt werden, denn mit Design, Nomenklatur und einer bisher fehlenden Markt- sowie Händlerpräsenz ist es bei den alles andere markenoffenen Kunden in Deutschland, der Schweiz, Frankreich oder England schwerer denn je.

Breitschultrig und luxuriös: Vistiq und Escalade IQ

Keine Frage, General Motors hat mit Cadillac viel vor. Versuchten die Amerikaner vor Jahren mit Technik und Design von Opel und Saab europäisch zu werden, so sieht das aktuell ganz anders aus. Nach dem Lyriq, der als SUV-Coupé eher eine Nischenklientel anspricht, soll der neue Cadillac Vistiq für Sichtbarkeit sorgen. Als dreireihiger Fullsize-Geländewagen mit sieben Sitzplätzen markiert er schon in Sachen Abmessungen ein echtes Volumenmodell. Doch mit über 5,20 Metern Länge, fast zwei Metern Breite und einem Eigengewicht jenseits der 2,8 Tonnen stellt sich die Frage: Passt so viel Auto überhaupt noch zu unseren Innenstädten, oder bleibt das Prestigeprojekt der Amerikaner nur eine schöne Vision für Europa?

Optisch ist der Vistiq unverkennbar Cadillac. Seine breiten Schultern, die steil stehende Front mit den vertikalen Lichtsignaturen und dem „Black Crystal Shield“-Kühlergrill zementieren den Premiumanspruch schon rein optisch. Angetrieben wird der Vistiq von zwei permanenterregten Synchronmotoren, die jeweils auf eine Achse wirken. Die NCMA-Batterie, deren nutzbare Kapazität 91 kWh beträgt, bietet bis zu 460 Kilometer Reichweite nach WLTP. DC-Laden gelingt mit bis zu 190 kW – das ist nicht viel.

Wer hier noch mehr Batterieleistung braucht, der muss eine Etage höher ins Regal greifen. Dort wartet der Cadillac Escalade IQ und der legt noch einmal deutlich auf den Vistiq drauf. Noch größer, noch luxuriöser, noch mehr Technik. Die Frage, ob so etwas noch zeitgemäß ist, beantworten die Verkaufszahlen in USA selbst. Dort verkauft sich der Escalade aktuell so gut wie praktisch noch nie.

Doch während der elektrische Hummer noch als Kuriosum durchrollt und nicht nach Europa gehen soll, muss sich der geplante Marktstart des Escalade IQ vor allem einer kritischen Frage stellen: Wer soll das fahren? Der in der IQL-Version mit verlängertem Radstand exakt 5,80 Meter messende Escalade bringt es mit seiner gigantischen 205 kWh-Batterie auf ein fahrfertiges Gewicht von über 4,2 Tonnen. Und diese XXL-Dimensionen bringen in Europa ein gravierendes Problem mit sich: Der Giga-Stromer darf in Deutschland mit dem klassischen Pkw-Führerschein der Klasse B gar nicht gefahren werden, sondern erfordert einen C1-Schein bis 7,5 Tonnen.

Für GM ist der Elektrokurs nicht mehr alternativlos

Derweil wird auch bei General Motors die Elektrostrategie nachjustiert. Ursprünglich sollten bis 2035 nur noch Elektroautos verkauft werden. Doch interne Finanzkennzahlen zeigen: GM verdient sein Geld weiterhin mit Verbrennern. Allein 2024 wurden fast 900 Millionen Dollar in die neue Generation des Smallblock-V8-Motors gepumpt und zusätzliche 4 Milliarden Dollar in die Fahrzeug- und Truck-Entwicklung mit konventionellen Motoren umgeleitet, auch die Produktion mehrerer EVs wurde verlangsamt oder gestoppt.

Die Botschaft ist klar: Elektromobilität bleibt für GM wichtig, aber nicht alternativlos. Modelle wie Lyriq, Vistiq, Optiq und Escalade IQ dienen damit auch als Beweisstücke eines zweigleisigen Kurses. Prestige und technologische Führungsrolle einerseits, ökonomische Vernunft und realitätsnahe Marktbedienung andererseits. GM-Chefin Mary Barra lässt sich so zitieren, dass der Konzern „kundenzentriert“ agieren und auf die tatsächliche Nachfrage reagieren wolle, statt den Markt zu überfordern.

Die Entscheidung für eine weitere V8-Generation statt der bedingungslosen Elektro-Umstellung ist dabei gar nicht so mutlos, wie sie auf den ersten Blick wirken mag. Im Hintergrund sind weiter extreme Investitionen im Gang, es werden nicht nur neue Entwicklungszentrum für die E-Architekturen gebaut, sondern sogar Fertigungen für Prototypen-Batteriezellen. Man möchte bei GM nicht nur auf die Durchbrüche der Partner wie Samsung SDI oder LG Chem angewiesen sein, sondern möchte mit eigenem Knowhow an vorderster Front kämpfen.

GM will mit Autopilot punkten

Gleiches gilt für die Softwareintegration. Dabei ist die neueste Generation von GMs Super Cruise getauftem Autopiloten eine echte Machtdemonstration. Das System ermöglicht freihändiges Fahren auf ausgewählten Autobahnen, nun sogar inklusive automatischem Spurwechsel ohne weiteres Zutun des Fahrers. Zwar kann der Drive Pilot Pro von Mercedes-Benz und der FSD-Autopilot von Tesla Ähnliches, es ist aber vor allem die präzise Spurführung und die sehr natürlichen Lenkreaktionen, die Super Cruise zum vielleicht intuitivsten System am Markt machen.

Man darf sich allerdings nicht zu stark ablenken lassen von der Robustheit und dem Komfort des Systems, denn auch im aktuellen US-Modelljahr bleibt das System noch auf Level 2+ beschränkt: Die Hände dürfen vom Lenkrad, die Augen aber nicht von der Straße. Wer zu lange aus dem Seitenfenster schaut, oder gar das Handy in die Hand nimmt, wird erst mit einer Warnung und dann mit einem Ausstieg des Systems gestraft. In Deutschland wird Super Cruise übrigens erst zum Ende des Jahres erwartet, wenn die gesetzlichen Regelungen der Fahrerassistenten erneut novelliert werden.

Gut für die Kunden: Sämtliche Fahrzeuge sind OTA-Update-fähig und können vom Abstandstempomat mit Spurhalteassistent auf den vollen Super-Cruise-Funktionsumfang gebracht werden. Sämtliche Hardware ist bereits vorhanden, es muss nur ein aktives Telematik-Abonnement bestehen, mit dem die Super-Cruise-Steuergeräte die aktuellen Karteninformationen nachladen.

In Sachen Sensorik bleiben auch die Vistiq und Escalade IQ überraschend simpel. Beide Modelle verzichten, wie auch der Rest der Super-Cruise-Flotte, auf einen eigenen Lidar-Sensor. Die Positionierung wird über ein Enhanced-GPS-Signal, Kameras und eine Kombination verschiedener Radarsensoren ermöglicht und mit einem HD-Kartensystem abgeglichen, dass allerdings mit Hilfe von Lidar-Sensoren erstellt wurde.

In den USA sind so bereits über 600.000 Meilen kartiert und für Super Cruise-Nutzung freigegeben. In Europa arbeitet GM mit dem gleichen Zulieferer der Karten zusammen wie etwa BMW, sodass davon ausgegangen werden darf, dass das Super-Cruise-System nach erfolgreicher Zulassung auch auf nahezu allen europäischen Autobahnen sofort zur Verfügung steht.

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