Zwei frauen inder Fabrik

Zahlreiche Expertinnen fordern mehr Frauen und PoC (People of Colour) in allen Bereichen der Automobilindustrie. (Bild: Adobe Stock / Supachai)

In einer Branche, die sich am Scheideweg zwischen Innovation und Tradition befindet, braucht es Vielfalt und qualifizierte Arbeitskräften, die in der Lage sind, die Autoindustrie in ihre nächste Wachstums- und Innovationsphase zu führen. Ekaterina Serban, Leiterin des Bereichs Datenschutz und Informationssicherheit bei Bosch und internationale Partnerin des World Business Angels Investment Forum (WBAF), stellt in diesem Kontext die wichtige Frage, welche Fachkräfte in den nächsten fünf bis zehn Jahren den Wandel der Autoindustrie vorantreiben werden. Viele Unternehmen müssen sich für den künftigen Erfolg ihres Business genau dieser Frage ernsthaft widmen. Laut Serban sollten sie dringend darüber nachdenken, wie sich die Arbeitslandschaft und die Strategie mit den aufkommenden Technologien verändern wird, und dass sie die nächste Generation von Experten und Führungskräften mit unterschiedlichen Denkweisen und Fähigkeiten vorbereiten müssen.

Frauen in der Autobranche brauchen Mut zum Quereinstieg

Obwohl Frauen etwa die Hälfte der Erwerbsbevölkerung ausmachen, sind sie nach Angaben des Beratungsunternehmens Deloitte nur zu einem Viertel in der Automobilbranche vertreten. Dabei ist ihr Anteil an den Führungspositionen noch geringer. Serban, die seit 16 Jahren bei Bosch arbeitet, sieht sich selbst als moderne Führungskraft. Mit zwei Studienabschlüssen hat sie sich innerhalb des Unternehmens hochgearbeitet. Sie begann im Bereich Logistik und Lieferkette, bevor sie ihr Spektrum auf die Bereiche IT und Digitalisierung erweiterte - etwas, in dem sie zuvor keine Erfahrung hatte.

„Ich hatte keinen IT-Hintergrund, aber mein Lebensmotto ist, dass sich Chancen nicht einfach ergeben, sondern dass man sie schaffen muss", erklärt die Datenschutz-Expertin. Serban rät Frauen in der Branche, Erfahrungen zu sammeln, indem sie innerhalb eines Unternehmens ebenfalls Quereinstiege wagen. „Ich habe viele IT- und digitalbezogene Projekte und Transformationen in den Bereichen Finanzen, Einkauf, Lieferkette und Produktion durchgeführt", erinnert sie sich. „Ich war an fast allen Bosch-Produktionsstandorten, von Mexiko bis Malaysia, so dass ich ein gutes Verständnis dafür habe, wie das Geschäft und die Fertigung funktionieren."

Anschließend wurde Serban von einem Manager angesprochen, der ihr anbot, im Bereich Datenschutz und Cybersicherheit zu arbeiten. Dort baute sie Teams für einen Endkunden-geschäftsbereich mit 20.000 Mitarbeitenden auf und wechselte auf die Unternehmensebene von Bosch, um die Bereiche Datenschutz, Informationssicherheit und digitale Compliance über alle Geschäftsbereiche und Regionen hinweg zu leiten und zu optimieren.

Wie aus Gelegenheit Karriere wird  

Insbesondere in technologieorientierten Bereichen wie Datenschutz und Cybersicherheit sieht Serban einen Mangel an Experten in der Automobilbranche. „Für Cyber-Themen und künstliche Intelligenz braucht es neue Fähigkeiten", sagt sie. "Das hat nicht immer etwas mit dem Alter zu tun, und wir haben durchaus ältere Mitarbeiter, die neue Technologien fantastisch verstehen, aber sie sind in der Minderheit. Früher gab es nicht den rasanten technologischen Fortschritt, den wir heute haben, und es ist manchmal eine ziemliche Herausforderung, wenn man mit Führungskräften in der Branche über neue Technologien spricht. Wir müssen uns auf die kommenden Technologien vorbereiten und dafür sorgen, dass wir in diesem Bereich schneller und flexibler sind und natürlich auch mehr Frauen haben". Ihrer Meinung nach brauche es einen grundlegenden Perspektivwechsel: Weg von alten Verfahren und Vorschriften, hin zu verbesserter Wettbewerbsfähigkeit durch mehr Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen.

Mandisa Gordon, Expertin für Finanztransformation bei JLR, empfiehlt ebenfalls den Quereinstieg und in verschiedenen Funktionen so viel wie möglich über die Branche zu lernen. Sie kam vor sieben Jahren in die Automobilindustrie als Projektmanagerin im Bereich Powertrain-Logistik bei JLR – ein großartiger Einstieg in die Branche, sagt sie. „Ich glaube, es war eine Feuertaufe, in die Fabriken zu gehen und zu sehen, wie die Dinge dort gemacht werden und wo der Großteil unserer Belegschaft arbeitet. Aber es war eine dringend benötigte Feuertaufe für mich, denn wenn ich das nicht getan hätte, wäre mein Blick auf das, was wir in diesem Unternehmen tun, wohl verzerrt gewesen", berichtet sie.

Auf diesen Erfahrungswerten basierend wurde Gordon von ihrem Vorgesetzten ermutigt, ein festes Mitglied der Belegschaft zu werden. Daher bewarb sie sich um eine Stelle in der Abteilung Special Vehicle Operations (SVO), die JLRs Spezialfahrzeuge mit geringen Stückzahlen unter einem Dach vereint. „In einem größeren Unternehmen wie JLR hat man mehr Möglichkeiten, sich zu bewegen und verschiedene Dinge auszuprobieren, aber das muss man auch wollen", erklärt Gordon. "Niemand wird dir diese Möglichkeiten vorschreiben, du musst sie selbst schaffen. Wir müssen Gelegenheiten schaffen und zeigen, dass wir mehr tun wollen, anstatt darauf zu warten, dass uns jemand fragt."

Mandisa Gordon, JLR
Mandisa Gordon leitet das JLR-Netzwerk "Race, Ethnicity and Cultural Heritage" (Reach). (Bild: JLR)

Reverse-Mentoring für mehr Vielfalt in der Autobranche

In ihren sieben Jahren bei JLR war Gordon eine aktive Fürsprecherin, nicht nur für mehr Frauen in der Branche, sondern auch für People of Colour (PoC) und andere Minderheiten, die es gezielt zu unterstützen und fördern gelte. „Warum sehe ich keine Menschen in Führungspositionen, die so aussehen wie ich?", fragte sie sich und auch die Teams sowie Führungskräfte um sich herum. Im vergangenen Jahr übernahm Gordon dann den Vorsitz des JLR-Netzwerks Race, Ethnicity and Cultural Heritage (Reach), das im November zum größten mitarbeitergeführten Netzwerk des OEM wurde. Im Rahmen des Netzwerks haben sie und andere Mitarbeiter Veranstaltungen und Bildungsveranstaltungen für den South Asian Heritage Month und den Black History Month organisiert.

Eine der Initiativen, die ihr besonders am Herzen liegt, ist das Reverse-Mentoring-Programm. Dabei stehen JLR-Mitarbeiter mit unterschiedlichem Background als Mentoren für Führungskräfte auf Vorstandsebene zur Verfügung, wobei sich beide Seiten verpflichten, sich sechs Monate lang regelmäßig zu treffen, um ihre Erfahrungen sowohl innerhalb von JLR als auch in der weiten Welt auszutauschen. Alle Vorstandsmitglieder von JLR nahmen daran teil, und Gordon selbst war umgekehrt Mentorin von JLRs CEO Adrian Mardell. Als Barbara Bergmeier 2022 zu JLR kam, um die Abteilung Industrial Operations zu leiten, die für die Bereiche Fertigung, Einkauf und Lieferkette zuständig ist, wurde diese zu einer der größten Fürsprecherinnen des Programms.

Vielfalt und Inklusion sind erfolgskritisch

„Die nachhaltige Wirkung, nicht nur auf Vorstandsebene, sondern für unsere Führungskräfte auf allen Ebenen, hat einen Wandel in der Organisation ausgelöst, bei dem die Menschen jetzt Beziehungen haben, die über das Programm hinausgehen", berichtet Gordon. „Es ist nicht so, dass die Leute das sechsmonatige Programm abschließen und dann fertig sind. Wir haben erlebt, dass unsere Führungskräfte diese Mitarbeiter tatsächlich fördern und sie in ihrer Karriere unterstützen." Als Ergebnis der Teilnahme an dem Programm sagt sie, hätten Führungskräfte ihre Must-haves bei der Einstellung überdacht und Maßnahmen ergriffen haben, um ein breiteres Spektrum an Mitarbeitern zu rekrutieren. Dazu gehört unter anderem die Abschaffung des Erfordernisses eines Hochschulabschlusses.

Vielfalt und Inklusion sollten jedoch nicht bei Einstellungs- und Förderprogrammen enden, warnt Bosch-Expertin Serban. „Wir müssen anfangen, richtige Nachfolgepläne aufzustellen, denn bis jetzt haben wir das nicht getan. Nach der Pandemie und den rasanten technologischen Fortschritten in den letzten zwei bis drei Jahren hat ein deutlicher Mentalitätswandel stattgefunden.“ Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, eine vielfältige, qualifizierte Belegschaft einzustellen und zu unterstützen. „Und damit sind nicht nur Frauen gemeint, sondern auch PoC sowie Menschen, die andere Sprachen sprechen und Menschen mit anderen Denkweisen. Das ist der springende Punkt. Die Menschen, die jetzt in unsere Belegschaft eintreten, die Talente der Generation Z, werden die Zukunft unserer Branche sein. Die OEMs müssen jetzt über die Führungskräfte der Zukunft nachdenken."

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei unserem englischen Schwestermagazin automotive logistics. Das englische Original finden Sie hier.

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