Treiber der Nachhaltigkeit
Wie Venture Capital die Autoindustrie grüner macht
Nachhaltigkeit verändert die Autoindustrie tiefgreifend. Startups liefern Technologien, die CO2 senken, Kreisläufe schließen und Produktion effizienter machen – Venture Capital wird zum zentralen Beschleuniger.
Dort, wo die Lieferkette beginnt, zeigen Startups und Venture Capital ihre Wirkung – nachhaltige Innovation direkt im Werk.
BMW
Wenn ein Industriekonzern sich neu erfinden will, beginnt er
selten im Rampenlicht. Oft zeigen sich die großen Veränderungen zuerst dort, wo
sie kaum jemand sieht – in den Tiefen der Lieferkette, im Material des nächsten
Bauteils oder auf dem stillen Weg eines Neuwagens von der Linie zum
Logistikplatz. Die neue Realität nachhaltiger Automobilproduktion beginnt
nicht mit Versprechen, sondern mit Technologie, die praktisch wirkt. Denn
Nachhaltigkeit in der Industrie ist längst keine rhetorische Übung mehr. Sie
entscheidet darüber, ob Lieferketten widerstandsfähig bleiben, ob Klimaziele
erreichbar sind und ob ein Fahrzeug, das heute vom Band rollt, morgen noch
als verantwortungsvoll produziert gilt. Die Automobilindustrie steht damit vor einer ihrer größten
Transformationen: Kreislaufwirtschaft, CO2-Reduktion und Ressourceneffizienz
sind nicht nur Begriffe, sondern Leistungsgrößen, die über Zukunftsfähigkeit
entscheiden.
Autonomes End-of-Line in sechs BMW-Werken
Wie tiefgreifend dieser Wandel inzwischen ist, zeigt ein Blick auf einen
unscheinbaren Abschnitt des Produktionsprozesses: den End-of-Line-Bereich. In
den BMW-Werken Dingolfing, Leipzig, Regensburg und Oxford verlassen
Neufahrzeuge die Produktionslinie und steuern anschließend selbstständig
die vorgesehenen Logistikplätze an. Keine futuristischen Manöver durch die
gesamte Fabrik, sondern ein präzises, autonomes Rangieren an einem Ort, der
bisher von konventioneller, ressourcenintensiver Logistik geprägt war. Ermöglicht wird dies durch das Schweizer Startup Embotech.
Was wie ein Detail wirken mag, ist in Wahrheit ein Baustein einer größeren
Vision: Fabriken, die effizienter, energieärmer und zugleich sicherer
operieren. Der autonome End-of-Line-Prozess reduziert innerbetriebliche
Verkehre, schafft klare Abläufe und ermöglicht eine Produktion, in der digitale
Intelligenz ganz konkret zur Ressourcenschonung beiträgt. Und es bleibt nicht bei diesen vier Werken: Ab 2026 sollen
auch Debrecen in Ungarn sowie Spartanburg in den USA mit Embotech-Systemen
ausgestattet werden. Aus einem lokalen Pilotprojekt wird damit ein globaler
Standard – ein Beispiel dafür, wie ein Startup-Ansatz Konzernlogik verändert.
Wie Venture Capital die Produktion grüner macht
Im Hintergrund dieser Entwicklung wirkt BMW i Ventures, der
Venture Capital-Fond des Konzerns. Seit 2011 investiert die Einheit in
Technologien, die nicht nur Rendite versprechen, sondern industriellen
Fortschritt liefern müssen: weniger CO2, weniger Materialeinsatz, mehr
Kreislauffähigkeit. Die Logik dahinter ist bestechend simpel: Startups bewegen
sich schnell, OEMs bewegen den Markt. Venture Capital wird zum Katalysator, der
beides zusammenführt.
Mit mehr als 800 Millionen US-Dollar verwaltetem Vermögen
investiert der Fonds gezielt in Bereiche, die die nachhaltige Transformation
der Automobilproduktion vorantreiben sollen – von Energiespeichern über
Leistungselektronik bis zu Robotik, Additive Manufacturing und
Lieferkettentechnologien. Dabei schaut das Team bewusst von außen auf den
Markt: Welche Technologie kann in fünf Jahren kritischer Bestandteil einer
dekarbonisierten Industrie sein? Und wie lässt sie sich früh genug fördern, um
Skalierung zu ermöglichen?
Investmentlogik:
Nur Technologien mit messbarem Nachhaltigkeitsbeitrag
Während anderswo Nachhaltigkeitsziele gern als Ergänzung
formuliert werden, funktioniert das Investmentmodell bei BMW i Ventures
andersherum: Ohne klaren Beitrag zur Reduktion von Scope-1–3-Emissionen, ohne
Potenzial zur Schließung von Materialkreisläufen, ohne messbare
Resilienzgewinne – keine Beteiligung. Drei Beispiele zeigen, wie konkret dieser Anspruch ist. Boston Metal entwickelt emissionsarmen bis nahezu emissionsfreien Stahl – eine Technologie, die zwar futuristisch wirkt, aber die ökologische Gesamtbilanz jedes Fahrzeugs unmittelbar beeinflusst, da die Stahlproduktion zu den weltweit größten CO2-Quellen gehört.
Cyclic Materials wiederum schließt Materialkreisläufe, die heute kaum existieren. Das Startup recycelt seltene Erden, deren globale Wiederverwertungsquote bei lediglich rund einem Prozent liegt, und steigert damit mit jedem zurückgewonnenen Material die Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit der Lieferkette.
Bcomp schließlich setzt auf Flachsfasern als Alternative zu CO2-intensiven Kunststoffen. Die Naturfaserverbundwerkstoffe des Unternehmens haben bereits im Motorsport von BMW Einzug gehalten und sind serienreif. Immer mehr Karosserie- und Anbauteile – von Motorhaube über Dach und Außenspiegel bis hin zu Heckklappe und Diffusor – lassen sich aus diesen leichten Komponenten fertigen. Auch im Innenraum, wo Carbon aus optischen Gründen bislang dominiert, könnten künftig sowohl Zierleisten als auch größere Bauteile wie die Rückenlehnen der M Carbon Schalensitze durch nachhaltige Naturfasern ersetzt werden.
Industrialisierung als Hürde: Wie Startups den Sprung
ins Werk schaffen
Die zentrale Herausforderung liegt jedoch nicht in der
Technologie selbst, sondern in ihrer Industrialisierbarkeit. Viele gute Ideen
scheitern an den Anforderungen des Werksbetriebs: Zu wenig robust, zu schwer
skalierbar, zu teuer im Betrieb. Hier kommt die BMW Startup Garage ins Spiel – ein Bereich,
der Technologien unter realen Produktionsbedingungen testet, bevor über eine
Beteiligung entschieden wird. Beim Embotech-Projekt war genau dieser Schritt
entscheidend: Die autonome Navigation im End-of-Line-Bereich musste in vier
Werken funktionieren, bevor eine Ausweitung beschlossen wurde. So entsteht ein systematischer Prozess, der
Startup-Geschwindigkeit mit OEM-Gründlichkeit verbindet. Pilotierung,
Validierung, Investment, Skalierung – ein Kreislauf, der technologischen
Fortschritt beschleunigt.
Die Beispiele zeigen, dass die Zukunft der
Automobilproduktion nicht allein elektrifiziert ist. Sie ist zirkulär, digital
vernetzt und wertet jeden Prozess daraufhin aus, ob er Ressourcen spart oder
verbraucht. In dieser Logik wird Venture Capital zum strategischen Werkzeug: Es
schafft Zugang zu Technologien, die sonst Jahre brauchen würden, um den Weg in
die Werkshallen zu finden. Die autonome Bewegung der Fahrzeuge an den Logistikflächen
ist dabei kein futuristischer Marketinggag. Sie ist ein kleiner, aber
symbolträchtiger Schritt auf dem Weg zu einer Produktion, die effizienter,
nachhaltiger und resilienter ist. Und vielleicht ist genau das die wichtigste Erkenntnis: Die
große Transformation beginnt oft mit sehr kleinen, sehr unspektakulären
Bewegungen – wie einem Auto, das nach dem Ende der Linie einfach selbst
weiterfährt.