Das letzte Interview mit Ihrem Vorgänger Michael Oeljeklaus haben wir geschlossen, in dem wir ihn gefragt haben, was er Ihnen persönlich mitgeben möchte. Er war sich sicher, dass Sie Ihren eigenen Weg gehen müssen und werden und Sie keine Ratschläge von ihm brauchen. Jetzt muss ich natürlich fragen: Wann haben Sie Michael Oeljeklaus das letzte Mal gesprochen?
Michael lebt weiterhin in Prag, daher sehen wir uns gelegentlich, ich freue mich immer ihn zu treffen, allerdings sprechen wir nie über die Arbeit. Das letzte Mal haben wir uns bei der Skoda Klassik gesehen. Diese Oldtimer-Rallye organisiert Skoda jährlich für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit historischen Fahrzeugen der Marke. Es war eine großartige Veranstaltung mit mehr als 200 Teilnehmern und vielen Zuschauern entlang der Strecke. Es ist beeindruckend zu sehen, wie stark Skoda hier in der Region verankert ist und wie viel Begeisterung unsere Marke hervorruft.
Philosophie und Maßnahmen für die Skoda-Produktion
Gerade bei einem Wechsel auf einer Vorstandsposition möchte man als Außenstehender wissen, wie der Nachfolger tickt. Wie sieht denn Ihre Philosophie in der Fertigung aus?
Der Fokus liegt derzeit eindeutig auf Digitalisierung und Flexibilisierung. Wir befinden uns in einem enormen Transformationsprozess, der sich nicht nur auf die Fahrzeuge selbst, sondern auch auf die Prozesse in den Werken auswirkt. Bei der Digitalisierung geht es beispielsweise auch darum, die Prozesse erst zu optimieren und nicht nur, bestehende, möglicherweise ineffiziente Abläufe einfach zu digitalisieren. Nur so können wir die Effizienz erreichen, die es uns ermöglicht, auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen flexibel zu reagieren und kosteneffizient zu bleiben. Wichtig ist dabei vor allem auch die Mitarbeiter mitzunehmen, sie für die Digitalisierung zu begeistern und vor allem zu qualifizieren.
Ist es Ihrer Meinung nach der falsche Weg, Werke komplett auf batterieelektrische Fahrzeuge umzurüsten?
Die aktuelle Situation ist so volatil, dass es schwierig ist, klare Prognosen zu treffen. Flexibilität ist entscheidend, und das gilt nicht nur für die Fahrzeugproduktion, sondern auch für die Anpassung an neue Modelle. Es ist wichtig, dass unsere Fabriken in der Lage sind, Veränderungen effizient und kostenoptimal zu bewältigen.
Gibt es in Sachen Flexibilität und Digitalisierung schon eigene Akzente, die Sie seit Ihrem Amtsantritt im September setzen konnten?
Wir haben insbesondere im Bereich der Digitalisierung noch einmal einige Initiativen angestoßen. Bei Skoda sind wir in der Produktion schon sehr innovativ unterwegs, da hat Michael (Oeljeklaus, Anm. d. Red.) mir ein sehr gut bestelltes Feld hinterlassen. In diesem Jahr galt es, die Dynamik noch einmal zu erhöhen, etwa durch den verstärkten Einsatz von Kamerasystemen und künstlicher Intelligenz. Hier passiert bei uns derzeit eine Menge.
Fast schon obligatorisch folgt die Frage nach der nahen Zukunft: Was kann man bei Ihnen derzeit ganz oben auf der To-Do-Liste lesen?
Unser Ziel ist es, die Transformation so zu gestalten, dass die Wettbewerbsfähigkeit unserer Standorte auch in Zukunft gesichert ist. Das hat für mich Top-Priorität. Wir verfügen über eine sehr hohe Flexibilität in unseren Arbeitsregimen und sind in einer sehr guten Kooperation mit unserem Sozialpartner. Die gilt es zu bewahren und auszubauen. Darüber hinaus bereiten wir uns auf neue Fahrzeugkonzepte vor und überlegen, welche neuen Produktionsprozesse – wie etwa Aluminium-Großguss – wir sinnvoll einsetzen können. Skoda verfügt hier über eine hohe Kompetenz, auf die wir künftig noch stärker setzen wollen. Die wenigsten wissen, dass der Aluminium-Druckguss vor 60 Jahren hier in Mladá Boleslav erfunden wurde und im Bereich Motorblockherstellung erstmalig zum Einsatz kam. Im Bereich Internationalisierung liegt unser Blick vor allem auf Indien, wo Skoda die Aktivitäten des Volkswagen-Konzerns verantwortet und aktuell zwei Werke betreibt. Der indische Markt hat meiner Meinung nach enormes Potenzial.
Gibt es schon konkrete Pläne in Sachen Megacasting? Das ist ja ein Innovationsthema, bei dem vor allem Tesla vorgeprescht ist.
Dem Thema widmen sich aktuell viele Wettbewerber. Wir werden uns das gemeinsam im Volkswagen-Konzern anschauen und damit auch das Potenzial für weitere Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen.
Elektroflaute macht Dick keine Angst
Wenn wir über Kosten und Effizienz sprechen, liegt die Diskussion über die Auslastung der Produktionsstandorte gerade im Bereich neuer Antriebe nahe. Wie besorgniserregend ist es für Sie, dass der Hochlauf der Elektromobilität so dermaßen ins Stocken geraten ist?
Eine grundlegende Transformation wie der Wandel zur Elektromobilität ist selten ein geradliniger Prozess, bei dem man klar vorhersagen kann, wie schnell sich eine neue Technologie durchsetzt. Zudem waren bestimmte politische Entscheidungen, wie beispielsweise das spontane Beenden der E-Auto-Förderung in Deutschland, nicht unbedingt hilfreich und haben in der Bevölkerung zu einer gewissen Verunsicherung geführt. Für uns in der Produktion bedeutet das, dass wir uns nicht nur bei den Fahrzeugvarianten flexibel aufstellen müssen, wichtig ist gleichzeitig eine hohe Arbeitszeitflexibilität. Wir haben bei uns am Standort Mlada Boleslav zum Beispiel den Vorteil, dass Verbrenner- und Elektromodelle wie Octavia, Enyaq und zukünftig auch Elroq auf einer Linie produziert werden, damit können wir die Auslastung flexibel steuern. Das hilft natürlich, genauso wie die geringeren Lohnkosten, die Fabrikkosten zu optimieren. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass wir an vielen Stellen schnell und flexibel auf Nachfrageschwankungen oder Versorgungsengpässe reagieren können.
„Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Standorte hat für mich Top-Priorität“
Mladá Boleslav ist der erste europäische Standort außerhalb Deutschlands, der auch MEB-Batteriesysteme fertigt. Neben Verbrennern laufen hier auch BEVs vom Band. Sind Sie aktuell zufrieden mit der Elektro-Auslastung?
Aktuell haben wir mit dem Enyaq ein Elektrofahrzeug im Programm, das sich sehr gut verkauft. Im September war es das meistverkaufte Elektroauto in Deutschland. Wir haben zudem kürzlich den Elroq vorgestellt, von dem wir uns ebenfalls viel versprechen. Insgesamt blicke ich optimistisch auf das kommende Jahr. Vieles hängt von den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ab, da gibt es noch einige Unwägbarkeiten. Für eine mittel- bis langfristige Planung, gerade auch für uns in der Fertigung, brauchen wir allerdings Klarheit, wohin der Weg nun führt. Ich halte es für richtig, den eingeschlagenen Kurs grundsätzlich beizubehalten.
Erkenntnisse aus China helfen bei der Transformation
Derzeit wird zunehmend die wachsende Bedeutung von China im globalen Automobil-Spiel betont. Sie kennen China besonders gut. Was nehmen Sie für Erkenntnisse mit nach Tschechien?
In China ist die Digitalisierung viel stärker im Alltag verankert. Das zeigt sich auch in der Fertigung, wo digitale Lösungen viel selbstverständlicher genutzt werden. Beispielsweise ist es völlig normal, dass die Mitarbeiter, wenn sie die Fabrik betreten, keinen Werksausweis bei sich tragen, sondern über Gesichtsscanner identifiziert werden. Die Affinität gegenüber digitalen Tools ist in China nicht nur in den Unternehmen viel größer, man tut sich insgesamt leichter mit der Implementierung. Die Offenheit für Neues und die Geschwindigkeit der Umsetzung sind beeindruckend. Das ist einer der großen Unterschiede zu Europa. Hier wird Veränderung häufig erstmal als Risiko wahrgenommen, in China oder ganz grundsätzlich im asiatischen Raum wird Wandel eher als Chance begriffen.
Wie leicht gelingt es in der Automobilproduktion, in der sich viele Prozesse über Jahrzehnte hinweg fast zur Perfektion eingespielt haben, ein offenes Mindset und ein Klima für Kreativität zu schaffen?
Der Bereich Produktion ist die ideale Spielwiese für Innovationen, gerade auch im Bereich Digitalisierung. Es gibt zahlreiche Einsatzbereiche für künstliche Intelligenz, beispielsweise intelligente Kamerasysteme zur Qualitätsüberwachung oder selbstlernende neuronale Netze zur Optimierung von Logistikströmen. Solche neuronalen Netze können unsere Mitarbeiter mittels Open-Source-Systemen selbst anlernen und trainieren. Und die Begeisterung, das anzugehen, wächst, da jeder schnell merkt, wie einfach das ist. Das zu triggern, gelingt in China etwas schneller als in Europa, aber auch hier nehmen wir mehr und mehr Fahrt auf und ich sehe auch bei Skoda eine zunehmende Begeisterung für diese Themen.
Ein großes Thema – nicht nur in China – ist die Transformation zum softwaredefinierten Fahrzeug. Wie stark ist der Einfluss neuer Fahrzeugarchitekturen auf die Produktionsprozesse?
Neue Fahrzeugarchitekturen, insbesondere die Umstellung auf zentrale Steuergeräte, bieten große Chancen für die Produktion. Diese zentralisierten Systeme, wie sie beispielsweise auch Volkswagens neuer Partner Xpeng nutzt, vereinfachen die Prozesse in der Fertigung erheblich. Die Inbetriebnahme wird effizienter und die Verkabelung im Fahrzeug wird weniger komplex. Dadurch wird die Produktion insgesamt flexibler und kostengünstiger.
Wie groß ist der KI-Impact in Skodas Werken?
Noch einmal zurück zur Smart Factory: Welches Innovationsfeld begeistert Sie momentan am meisten?
Mein persönliches Steckenpferd ist die künstliche Intelligenz. Sie bietet wahnsinnig viele Anwendungsmöglichkeiten. Dazu kommt, dass die Kosten für entsprechende Systeme momentan stark sinken, während ihre Leistungsfähigkeit enorm steigt. Das merkt man besonders in den Bereichen Prozessüberwachung oder bei der Fehlererkennung. Wir setzen diese Technologien bereits in großem Umfang ein und das Potenzial für die Zukunft ist immens.
Kann generative KI speziell in der Produktion nochmal ganz andere Kräfte freisetzen?
Ich denke schon. Die Schwelle, die die Menschen überwinden müssen, um mit solchen Systemen arbeiten zu können, wird sehr viel niedriger. Die Arbeit in der Fertigung wird sich dadurch deutlich verändern – und bei uns passiert das schon heute. So haben wir beispielsweise in der Nacharbeit einen Use Case, in dem bei der parallel zur Abarbeitung von Fehlern ein Large-Language-Model trainiert wird. Dadurch kann das System dem Mitarbeiter Hinweise geben, wenn vergleichbare Fehlercodes auftauchen. Das wird die Prozesse in Zukunft auf ein neues Effizienzlevel heben.
Wie schulen Sie Ihre Mitarbeitenden im Umgang mit neuen Technologien?
Unsere Mitarbeitenden werden kontinuierlich geschult. Wir haben ein spezielles Programm ins Leben gerufen, um sie mit Programmiersprachen wie Python vertraut zu machen. Dabei geht es sowohl um die Angestellten im Büro, als auch um die Mitarbeitenden in der Fertigung. Ein Instandhalter im Karosseriebau beispielsweise braucht heutzutage viel mehr IT- und KI-Knowhow als ein Mitarbeiter in der Verwaltung. Die Grenzen zwischen verschiedenen Tätigkeitsbereichen verschwimmen zunehmend und technisches Knowhow wird in allen Bereichen immer wichtiger. Es ist entscheidend, dass wir alle Mitarbeitenden auf diesem Weg mitnehmen und sie dafür begeistern, sich auf die neue, digitalisierte Welt einzulassen.
Skoda ist in Sachen Tradition für Tschechien vergleichbar wichtig wie zum Beispiel Seat in Spanien oder Volkswagen für Norddeutschland. Empfinden Sie es als Vorteil in Mladá Boleslav, dass Sie diese Bedeutung gut einschätzen können? Sie waren unter anderem Werkleiter in Emden.
Absolut. Skoda hat nicht nur für Mladá Boleslav, sondern in ganz Tschechien eine enorme Strahlkraft. Die Marke ist tief in der Identität des Landes verwurzelt und die Menschen sind stolz darauf, bei Skoda zu arbeiten. Skoda ist einer der ältesten Automobilhersteller der Welt und wir feiern im nächsten Jahr 130-jähriges Jubiläum. Diese Tradition ist ein wichtiger Teil der Unternehmensidentität und motiviert die Menschen, die hier arbeiten.
Produziert Skoda künftig auch andere Konzernmarken?
In der jüngeren Vergangenheit kam es mehr und mehr zu Mehrmarkenbelegungen in den Werken des Volkswagen-Konzerns. Wie stehen Sie dem Konzept gegenüber?
Die gemeinsame Produktion von Fahrzeugen, die technisch verwandt sind, ist absolut sinnvoll. Das tun wir bereits, etwa mit dem Superb und dem VW Passat in Bratislava oder dem Karoq und dem Seat Cupra Ateca in Kvasiny. Diese Synergien zu nutzen, macht aus fertigungstechnischer Sicht viel Sinn und hilft, Kosten zu senken. Ich habe das auch schon während meiner Zeit bei FAW-Volkswagen vorangetrieben, dort werden heute in allen Werken verwandte VW- und Audi-Modelle gemeinsam gefertigt.
Werden wir das auch hier in Mladá Boleslav sehen, zum Beispiel bei Konzernmodellen auf MEB-Basis?
Das ist im Rahmen der aktuellen Belegung nicht geplant. Wenn es in Zukunft unter Synergie-Gesichtspunkten Sinn ergibt, sind wir dafür aber natürlich sehr offen.
Wie steht es um den Plan, eine eigene Batteriezellfabrik in Tschechien zu errichten?
Der Plan, eine Batteriezellfabrik zu bauen, wurde vorerst auf Eis gelegt. Aufgrund der aktuellen Volumina bei BEVs ist der Bedarf durch bestehende Fabriken gedeckt. Wir konzentrieren uns darauf, unsere Produktionskapazitäten für Batteriesysteme auszubauen.
In den Skoda-Werken kocht man künftig eigenen, nachhaltigen Kaffee. Was wie ein Marketing-Gag klingt, hat auch einen handfesten fertigungstechnischen Hintergrund: So werden die Schalen der Kaffeebohnen als Abfallprodukt zum Gerben von Sitzleder eingesetzt. Was für Ideen haben Sie noch im Kopf, wenn wir über Zirkularität und Nachhaltigkeit bei Skoda sprechen?
Ein großes Projekt, an dem wir derzeit arbeiten, ist die Umstellung unseres Kraftwerks in Mladá Boleslav auf CO2-Neutralität. Bis 2027 wollen wir das Kraftwerk, das nicht nur unseren Standort, sondern auch die Stadt und das Umland mit Energie und Wärme versorgt, auf nachwachsende Rohstoffe wie Holz und Phytopellets umstellen. Daneben beziehen wir auch Strom aus unserem eigenen Windpark und von Solaranlagen auf unseren Gebäuden und setzen vermehrt auf Biogas. Daneben sind wir natürlich auch noch in vielen anderen Bereichen ambitioniert unterwegs, um unsere Produktion nachhaltig zu gestalten.
Zur Person:
Andreas Dick stieg 1998 nach dem Studium der Fertigungstechnik an der TU Braunschweig in den Volkswagen-Konzern ein. Der Diplom-Ingenieur durchlief Stationen als Leiter des Karosseriebaus bei Volkswagen de Mexico und in der Werkleitung des Werks von FAW-Volkswagen in Changchun, bevor er 2011 den Aufbau des Werkes in Foshan verantwortete und dort anschließend die Werkleitung übernahm. Von 2016 bis 2019 leitete er das VW-Werk in Emden und verantwortete dort unter anderem die Anläufe von Passat und Arteon. Zuletzt war er seit 2019 als Technical Vice President bei FAW-Volkswagen in Changchun unter anderem für die Bereiche Produktion, Logistik, Planung und technische Entwicklung verantwortlich. Seit September 2023 ist Dick Vorstand für Produktion und Logistik bei Skoda Auto.