Das Electrification Center von Ford in Köln.

Bereits im kommenden Jahr sollen die ersten E-Autos in Köln produziert werden. (Bild: Ford)

Die gemieteten Werkshallen am Berliner Westhafen reichten nicht aus. Auf der Suche nach einem richtigen Produktionsstandort und einer deutschen Unternehmenszentrale entschied sich Ford im Jahr 1930 für die Grundsteinlegung in Köln-Niehl. Der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer hatte Firmengründer Henry Ford von den Standortvorteilen am Rhein überzeugt. Seither wurden in Köln fast 18 Millionen Einheiten produziert. Mehr als die Hälfte entfällt davon auf den Kleinwagen Fiesta, der bereits in achter Generation vom Band läuft.

Doch mit dieser Konstanz ist es für die aktuell rund 14.000 Mitarbeiter bald vorbei. Bis Ende 2025 sollen in Köln und Aachen 2.300 Stellen aus Kostengründen wegfallen. Ab 2030 will der US-amerikanische Hersteller keine Verbrenner in Europa fertigen oder verkaufen. Bereits 2023 soll am Standort das erste vollelektrische Volumenmodell produziert werden – ein weiteres soll folgen. Die dafür notwendigen baulichen Veränderungen und den Umbau der Produktionsanlagen lässt sich Ford zwei Milliarden US-Dollar kosten. Es ist die größte Investition der Werksgeschichte.

Das Ford-Werk Köln-Niehl im Jahr 1931 aus der Vogelperspektive.
Die 740 Meter lange Rheinfront zählt zu den Standortvorteilen. 1931 startete die Serienproduktion. (Bild: Ford)

Wann rollt in Köln der letzte Fiesta vom Band?

„Eine der größten Herausforderungen bei der Transformation zum Electrification Center ist, dass wir zunächst das neue E-Modell und den Ford Fiesta parallel produzieren werden“, erläutert Ford Planungschef Darko Drazic. Ein genaues Datum für den vollständigen Umstieg wird indes nicht verlautbart. Einzig ein Volumen von 1,2 Millionen E-Autos innerhalb von sechs Jahren steht im Raum.

Im Gegensatz zum Werk im spanischen Valencia wird dafür jedoch nicht die eigene Elektro-Fahrzeugarchitektur der nächsten Generation, sondern der Modulare E-Antriebs-Baukasten (MEB) des Volkwagen-Konzerns verwendet. Die Produktionsplanung sei allerdings nicht zugekauft worden, betont Drazic. Man wolle bei gleicher Fertigungstiefe noch effizientere Prozesse implementieren als in den Werken des Konkurrenten.

Ford prüft den Einsatz kognitiver Roboter

Ob über das derzeit geplante E-Volumen hinaus am MEB festgehalten wird, ließ Rene Wolf, Geschäftsführer für Fertigung der Ford-Werke, bei den Manufacturing TechDays im Mai offen. „Wir installieren jetzt für diese Plattform, aber können auch auf andere Plattformen umrüsten.“ Mit dem Umbau gehe vielmehr nicht nur ein Antriebswechsel einher, sondern auch Neuerungen im Bereich Industrie 4.0. Auf diese Weise soll unter anderem ein noch höherer Automatisierungsgrad als bei der Fiesta-Produktion realisiert werden.

Auf einige der neuen Technologien greift der Autobauer bereits jetzt zurück. So werden kollaborierende Roboter (Cobots) unter anderem seit April 2021 in der Montagestation im Motorenwerk sowie seit März 2022 in der Türenstraße der Fiesta-Endmontage genutzt. Darüber hinaus wird auch der Einsatz von kognitiven Robotern geprüft. Sie verfügen mehr Sensoren und eine künstliche Intelligenz, um die Umgebung zu erfassen und die Mitarbeiter fernab fest definierter Tätigkeiten zu unterstützen.

Rene Wolf, Geschäftsführer für Fertigung der Ford-Werke, erklärt bei den TechDays, wie Cobots im Motorenwerk eingesetzt werden.
Bei den TechDays zeigte Rene Wolf, Produktionschef der Ford-Werke, wie Cobots bei der Motorenmontage eingesetzt werden. (Bild: Ford)

Ford initiiert Evolution fahrerloser Transportsysteme

Und auch bei fahrerlosen Transportsystemen (FTS) macht Ford den nächsten Schritt: Aktuell kommen Automated Guides Vehicles (AGV) – die mittels Bodenmarkierungen oder Laser-Navigation auf vordefinierten Routen fahren – etwa in der Unterbodenfertigung im Rohbau oder der Türenfertigung im Rohbau und der Endmontage zum Einsatz. Sie werden durch frei navigierende Autonomous Mobile Robots (AMR) ergänzt. Auch das selbstständige Be- und Entladen sowie das Separieren von Behältern mit Kleinteilen ist diesen dank einer Eigenentwicklung fortan möglich.

Eine weitere Neuerung stellt das Mobile Artificial Intelligence Vision System (MAIVS) dar. Es kommt noch in diesem Jahr erstmalig am Standort zum Einsatz, bedarf keiner IT-Implementierung und soll Qualitätsmängel mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erkennen. Gesteuert wird das mit Fotos angelernte System über Apps auf dem Smartphone oder Tablet. „Wir setzen das System dort ein, wo Qualitätsschwerpunkte liegen“, erläutert Produktionschef Rene Wolf. An Hotspots könne dadurch flexibel sensibilisiert werden.

So beginnt die Produktion des Ford Fiesta

Einsatzmöglichkeiten für neue Technologien bietet der Standort zur Genüge. Auf seinen 1,25 Millionen Quadratmetern findet der vollständige Prozess des Automobilbaus statt – von der Anlieferung der Coils, über den Rohbau und die Lackiererei, bis zum letzten Check in der Endmontage. Die Fertigung des Ford Fiesta beginnt dabei in der Halle F/K, wo seit 1954 das Presswerk beheimatet ist. Fünf Zuschnittanlagen schneiden das Blech der Stahlrollen zunächst in unterschiedlich große Platinen. In elf Presswerklinien entstehen dann 138 verschiedene Karosserieteile. Die meisten davon sind für den Fiesta vorgesehen, aber auch die anderen europäischen Werke in Saarlouis, Valencia oder Craiova werden beliefert.

Vom angeschlossenen Hochregallager kommen die Komponenten schließlich in den Rohbau, der seit 1957 in den Hallen F/K und X untergebracht ist. Dort werden die 309 Einzelteile des Fiesta zusammengefügt. Fast 1.100 Roboter sorgen für den höchsten Automatisierungsgrad unter den Gewerken – 98 Prozent. Nirgends sonst sind so viele Roboter im Einsatz. Die Unterbodenfertigung für den neuen vollelektrischen Crossover ist indes in einer neuen, benachbarten Halle vorgesehen. Im Sommer vergangenen Jahres starteten die Bauarbeiten.

Unweit entfernt, gegenüber der Y-Halle, entsteht ein weiteres Gebäude für die Vorbehandlung der Rohkarossen. Es ist auf Elektrofahrzeuge ausgerichtet und wurde extra auf die Anlagen gemünzt. Hier müssen die E-Autos künftig die kathodische Tauchlackierung über Kopf passieren, bevor der Lack aufgetragen wird. Die Hochbauarbeiten beider Neubauten sind fast abgeschlossen, sodass derzeit mit dem Innenausbau sowie der Installation der Anlagen begonnen wird.

Der Standort Köln-Niehl im Überblick:

In dieser Halle wird künftig der Unterboden des neuen E-Modells produziert

Die Lackiererei wird generalüberholt

In der Halle Y herrscht während des Werksurlaubs im Juli 2022 ebenfalls reger Betrieb. Seit rund 32 Jahren befindet sich dort die Lackiererei, inzwischen erstreckt sie sich über drei Etagen. „Wir haben derzeit 45 Baustellen in der Lackiererei“, sagt Britta Dürscheid, Fertigungsingenieurin im Lack und derzeit Projektleiterin für verschiedene Baustellen. Erst 2011 hatte Ford die beiden Lackstraßen auf einen vollautomatisierten Prozess umgestellt. Nun folgt die nächste Transformation.

Nach Reinigung, Phosphat-Bad und kathodischer Tauchlackierung in einem Hängetransportsystem wurde bislang der Sealer zur Abdichtung aufgetragen und die Oberfläche von sechs Cobots abgeschliffen, bevor die Grundierung mit dem Primer erfolgte. Für das E-Modell baut Ford eine neue Nahtabdichtungs-Anlage auf. Zudem wird die stationäre Primer-Anlage durch vierzehn softwaregesteuerte, intelligente Roboter ersetzt. Zehn davon würden den Farbauftrag übernehmen und dabei laut Dürscheid weniger Lacknebel als die stationäre Anlage erzeugen.

Die übrigen vier Roboter ersetzen mit ihren Kunststoffbürsten die Oberflächenreinigung, die bislang von großen Rollen mit Emu-Federn übernommen wurde. Aufgrund ihrer Sensorik meiden sie die feinen Abdichtungsnähte, sodass der vorherige Trocknungsprozess obsolet wird. Der dafür genutzte Gelierofen wird aus diesem Grund demontiert. Und auch nach Aufbringen der dritten Lackschicht entfällt ein Prozess: Zwei Wachsöfen finden keine Verwendung mehr. Das neue wasserbasierte Hohlraumwachs versiegelt gänzlich ohne Wärmezufuhr.

Neue Roboter in der Lackiererei im Ford-Werk Köln.
Ford installiert in Köln unter anderem neue Lackierroboter. (Bild: Ford)

Ford errichtet neue Fertigungslinie für E-Autos

Ebenfalls in der 1957 fertiggestellten Halle Y beheimatet ist die Endmontage der Fahrzeuge. Die reguläre Produktionskapazität beträgt derzeit 960 Einheiten pro Tag. Bisher lief die Montage des Ford Fiesta dabei auf zwei parallelen Linien. Eine davon wird nun komplett abgebaut. Für den neuen vollelektrischen Crossover sei eine völlig neue Fertigungslinie notwendig, erklärt Planungs-Chef Darko Drazic. Fahrzeugmodule von Lieferanten werden darüber hinaus mittels einer Elektrohängebahn direkt aus dem benachbarten Industriepark an die Linie gebracht, wo aktuell 1.350 Mitarbeiter und 40 Roboter die Endmontage übernehmen.

Für das neue Elektromodell erweitert das Team von Drazic nun die Montagebänder, verstärkt das Hängetransportsystem, sorgt für eine weiterhin vollautomatisierte Hochzeit und installiert unter anderem eine automatisierte Reifenmontage sowie neue Prüfstände für die Scheinwerfereinstellung. Nach der Endkontrolle geht es für den Fiesta – und künftig auch für die Elektromodelle – vom werkseigenen Hafen zu den Überseehäfen im niederländischen Vlissingen und Antwerpen. Der elementarste Standortvorteil zahlt sich auch im 21. Jahrhundert noch aus.

Motoren- und Getriebewerke werden zum Überbleibsel

Doch nicht alle Werksteile sind unmittelbar vom Wandel betroffen. Schließlich fertigt Ford in der Halle W bereits seit rund 60 Jahren klassische Verbrennungsmotoren. 1990 kam nach einem Ausbau die Halle W3 hinzu. 1.050 Einheiten des FOX-Motors, also des 1.0 Liter Dreizylinder EcoBoost, werden täglich für den Fiesta und zahlreiche andere Modelle wie den Focus, Mondeo, Puma, Transit Connect oder EcoSport produziert. Neben diesen für Saarlouis vorgesehenen Antrieben, laufen pro Tag zudem mehr als 2.400 Motorblöcke für die EcoBlue Dieselmotoren vom Band, die im britischen Dagenham endmontiert werden. Noch sind die 850 Arbeitsplätze im Motorenwerk also gesichert. Ob langfristig auch E-Antriebe in Köln hergestellt werden, steht allerdings in den Sternen.

Und auch das Getriebewerk, das mit Produktionsstart im Jahr 1931 eröffnet wurde, wird in absehbarer Zeit mit der Elektromobilität konfrontiert. Rund 700 Mitarbeiter stellen am heutigen Standort der Halle G manuelle Sechsganggetriebe für den Ford Focus, Mondeo, S-Max, Galaxy und Kuga sowie für die leichten Nutzfahrzeuge Transit, Tourneo und den Mercedes-Benz Sprinter her. Immerhin, auch das einstufige E-Getriebe für den Ford Transit Plug-in-Hybrid stammt aus der Rheinmetropole. Bei einem vollelektrischen Modellportfolio wird das Werk jedoch überflüssig.

Im 1960 errichteten Schmiedewerk entstehen zudem Schmiederohlinge und zerspante, einbaufertige Teile für das eigene Unternehmen sowie andere Hersteller und Zulieferer wie Volkswagen, Audi oder Magna. Rund 280 Mitarbeiter fertigen jährlich 30 Millionen Bauteile wie Getriebezahnräder, Antriebswellen, Achskomponenten oder Differenzialteile. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit die Auswirkungen der Elektromobilität abgefedert werden. Der Standort Köln-Niehl hat mit ihr zwar eine Zukunftsperspektive gewonnen, alle Unsicherheiten für die Belegschaft sind – trotz Jobgarantie für die nächsten fünf Jahre – jedoch nicht beseitigt. Nach dem Bangen der vergangenen Jahre ist das Electrification Center aber zumindest ein großer Schritt nach vorne.

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