Das Seat-Werk Martorell von oben fotografiert.

Das Seat-Werk Martorell von oben. (Bild: Seat)

Inzwischen ist es fast ein halbes Jahr her, dass wir uns das Seat-Stammwerk in Martorell persönlich im Detail ansehen durften. Damals herrschte in Deutschland bei Seats Schwestermarke VW große Aufregung. Es boten sich also zahllose Möglichkeiten an, den Einstieg in diese Factory Tour mit Vergleichen zwischen Spanien und Deutschland zu beginnen. Vom Ausbruch aus dem grauen Alltag, rein ins beliebteste Reiseland der Teutonen, rein in die 25 Grad von Barcelona, von damaligen Existenzängsten deutscher Werksmitarbeiter hin zu großen Zukunftsplänen – oder schlicht aus dem Heimatland VWs ins Heimatland von Seat und Cupra. Werkleiter José Arreche verantwortet als Werkleiter die Produktion im Stammwerk von Seat in Martorell, rund 30 Autominuten von Barcelona entfernt. Auf 2,8 Millionen Quadratmetern arbeiten rund 11.000 Mitarbeiter. 2024 liefen mehr als 480.000 Autos vom Band, darunter der Verkaufsschlager Cupra Formentor, der Cupra Leon, Seats Leon-Pendant sowie der Arona und Ibiza. Martorell ist das einzige Vollwerk Seats. Weitere Modelle werden unter anderem in Zwickau, Kvasiny, Györ und Anhui gefertigt.

Neuer KTL-Trockner für neue E-Auto-Karossen

Direkt zum Start unserer Tour wird es ordentlich warm, denn es geht zum neuen Trockner der kathodischen Tauchlackierung. Sichtbar stolz zeigt uns der Bereichsleiter den seit Mai 2024 bim Betrieb befindlichen, neuen, vollelektrischen KTL-Trockner. Ein wesentlicher Fortschritt ist die platzsparende Anordnung der Karosserien im Trockner. Die Hitzeverteilung ist ebenfalls optimiert: Anders als bei den konventionellen Anlagen, die die Wärme lediglich von außen zuführen, leitet dieser Trockner die Wärme gleichmäßig von innen und außen an die Karosserien weiter, wodurch eine gleichmäßige Trocknung des schwereren und stabileren Karosseriebaus neuer Elektrofahrzeuge gewährleistet wird. Die Luftzufuhr im Trockner wird auf 200 Grad Celsius erhitzt, während die Karosserien selbst auf Temperaturen zwischen 170 und 180 Grad gebracht werden.

Die Trocknungszeit beträgt in der neuen Anlage 44 Minuten pro Karosse und damit etwas länger als in den herkömmlichen Trocknern, die 30 Minuten pro Durchlauf benötigen. Dies ist notwendig, um die robusteren Karosseriestrukturen der Elektrofahrzeuge gründlich zu trocknen. Trotz der längeren Verweildauer erreicht die Anlage eine Kapazität von rund 42 Karosserien pro Stunde, was etwa 1.000 Karosserien pro Tag entspricht. Zusammen mit den weiteren Trocknern erreicht Seat hier eine Tageskapazität von rund 2.500 Karosserien. Mit einer Investition von 27 Millionen Euro bietet die neue Technologie nicht nur ökologische Vorteile, sondern verbessert durch die innovative Wärmeverteilung und die kompakte Anordnung der Fahrzeuge auch die Effizienz des gesamten Trocknungsprozesses erheblich.

KI und Roboter bessern Fehler im Lack aus

Sobald die Lackiererei durchlaufen ist, werden die Karossen gründlich kontrolliert. Dabei hilft künstliche Intelligenz und spezialisierte Robotik, um die Qualität in der Fertigung weiter zu optimieren, Defekte wie Partikel, Kratzer oder Lacktropfen frühzeitig zu identifizieren und gezielt zu beheben. Statt ganze Karosserien nachzuarbeiten, erkennen Maschinen mithilfe von Bilderkennung und maschinellem Lernen punktgenau die Stellen, die korrigiert werden müssen. Dabei kommen fortschrittliche Sensoren und Steuerungssysteme zum Einsatz, die auch Faktoren wie die Größe und Art des Defekts berücksichtigen.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Konsistenz in der Qualität: Das System ist so eingestellt, dass bei jedem Vorgang eine konstante Menge an Polierpaste – etwa 0,3 Gramm pro Anwendung – aufgetragen und eine präzise Drehzahl von 7.000 Umdrehungen pro Minute eingehalten wird. Dies gewährleistet eine hohe Gleichmäßigkeit und Zuverlässigkeit im Lackierprozess. Erstmals wird in Martorell ein vollautomatisches System zum Schleifen und Polieren von lackierten Oberflächen eingesetzt, das menschliche Bewegungen mittels künstlicher Vision nachahmt. Die Kombination aus KI, Robotik und automatisierter Nachbearbeitung stellt einen Meilenstein in der modernen Fahrzeugproduktion dar.

Small-BEV-Produktion wird virtuell geplant

Von der Gegenwart weiter in die Zukunft. Ab 2026 soll die Serienproduktion der neuen Small-BEVs von Volkswagen anlaufen. Dafür wird bereits jetzt simuliert und getestet. In einer der Karosseriehallen werden heute schon unterschiedliche Fahrzeuge effizient gefertigt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Flexibilität der Anlage. Dank eines modularen Aufbaus kann die Produktion an unterschiedliche Fahrzeugmodelle angepasst werden. Mehrere Fahrzeugvarianten lassen sich auf derselben Linie fertigen, ohne die komplette Anlage neu zu bauen.

Ein besonderes Merkmal der Produktion im Seat-Werk ist die Nutzung der virtuellen Inbetriebnahme, Stichwort Digital Twin. Mit dieser Technologie wird der gesamte Produktionsprozess zunächst digital simuliert, bevor die physische Produktion beginnt. Dadurch können Fehler frühzeitig erkannt und behoben werden. Früher dauerte es Wochen, um eine Anlage in Betrieb zu nehmen – heute gelingt dies in einem Wochenende. Ein weiteres Highlight des Karosseriebaus in Martorell ist die präzise Qualitätssicherung. Mit speziellen Messrobotern werden die Karosserieteile bis auf 0,2 Millimeter genau vermessen – auch die Position der Messinstrumente selbst wird dabei überwacht. Dies ist ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass die Karosserien den höchsten Qualitätsstandards entsprechen und perfekt für die weitere Montage vorbereitet sind.

Ein zentraler Punkt ist auch im Karosseriebau die hohe Automatisierung. Die manuelle Arbeit wird zunehmend reduziert, was die Effizienz steigert und die Mitarbeitenden entlastet. Dennoch bleiben qualifizierte Mitarbeitende unverzichtbar – insbesondere in der Anlagenführung und Wartung. Zudem profitieren die Mitarbeitenden vom Wissenstransfer zwischen Standorten wie Pamplona.

Brücke soll Endmontage mit der neuen Batteriemontage verbinden

Zum Abschluss geht es noch weiter in die Zukunft. Helm auf, Warnweste an und rein in die 64.000 Quadratmeter große Halle, in der die neue Batteriemontage entsteht. Die neue Halle liegt etwas erhöht auf einem Hügel und ist so konzipiert, dass sie sowohl den gesamten Fertigungsprozess als auch die Logistik effizient vereint. Auf der linken Seite des noch weitestgehend leeren Gebäudes sind 13.000 Quadratmeter für die Logistik vorgesehen, während die restliche Fläche für die automatisierte Fertigung genutzt werden soll. Die Konstruktion umfasst eine zwölf Meter hohe Stahlstruktur mit verschiedenen Ebenen für Roboter, Fördertechnik und Transportwege, die für einen nahtlosen Ablauf zwischen den Produktionsschritten sorgen.

Der gesamte künftige Produktionsprozess ist dabei klar strukturiert: Die Einzelteile, insbesondere die Zellen als Hauptbauteile, sollen von links nach rechts durch die Halle geführt werden. Nach einer ersten Vormontage, bei der das Gehäuse und die Elektronik zusammenfinden, gelangen die Teile in die sogenannte Stacks-Linie, wo die Zellen in drei Schichten montiert werden. Am Ende der Linie, in der Montage-Station, werden alle vormontierten Komponenten kombiniert. Die fertigen Batterien wandern in ein automatisiertes Lager, wo sie für den Transport zur Fahrzeugmontage bereitstehen.

Fast schon standardmäßig wird auch diese Halle mit 11.000 Solarpaneelen ausgestattet. Darüber hinaus soll Regenwasser in einem 7.300-Kubikmeter-Tank gesammelt werden, das zur Kühlung der Klimaanlagen genutzt wird. Die Halle ist in Sektoren unterteilt, um den Brandschutz im Logistik- und Produktionsbereich optimal abzusichern. Das Highlight stellt die noch zu errichtende Brücke dar, die die Batteriehalle mit dem Fahrzeugwerk verbinden und eine schnelle, automatisierte Lieferung der Batterien zur Endmontage ermöglichen soll. Die umfangreichen Bauarbeiten umfassen auch das Verlegen von Anlagen des Entwicklungszentrums und die Bewegung von 300.000 Kubikmetern Erde – genug, um ein Fußballfeld bis zu 42 Meter hoch zu füllen.

Vorbereitung auf Marktstarts 2026

Doch bei all der Euphorie, bei all dem Tatendrang und all dem vorherrschenden Optimismus dürfte allen Beteiligten in Martorell klar sein, dass die künftige Stimmung maßgeblich vom Erfolg des Anlaufs der neuen Small-BEVs abhängen wird. Durch jahrelange gute, effektive Arbeit hat sich Seats Stammwerk zum großen Hoffnungsträger im VW-Konzern entwickelt. Dabei ist es die eine Sache, viele Seats und Cupras zu bauen – doch ab 2026 produzieren die Spanier erstmals auch für die Kernmarke Volkswagen: den Cupra Raval und die Serienversion des ID.2all – beide rein elektrisch.

Interims-CEO und Produktionschef Markus Haupt bringt es auf den Punkt: „Seat führt das Cluster für urbane Elektromobilität in Spanien an – mit dem Ziel, E-Mobilität zu demokratisieren. Der Umbau des Werks Martorell ist ein historischer Meilenstein auf diesem Weg. 2025 ist ein entscheidendes Jahr für die Elektrifizierung unseres Unternehmens und Spaniens. Für 2026 bereiten wir uns weiter intensiv auf einen erfolgreichen Produktionsstart vor – beginnend mit dem Cupra Raval. Es gibt keinen anderen Weg, Europa zu dekarbonisieren, als durch den Wandel zur Elektromobilität. Es gibt schlicht keinen Plan B.“

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