Fertige Gen6-Elektroantriebe auf der Montagelinie in Steyr – bereit für den Einsatz in den Fahrzeugen der Neuen Klasse.(Bild: BMW)
Im BMW-Werk Steyr startet die Serienproduktion des Gen6-Elektroantriebs für die Neue Klasse. Der Standort gilt als zentrales Antriebszentrum im BMW-Netzwerk und soll mit neuer Fertigungstechnik den Wandel zur Elektromobilität vorantreiben.
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Am südlichen Stadtrand von Steyr, eingebettet zwischen den Ausläufern der Alpen und der Enns, liegt eines der aktuell wichtigsten Werke im Produktionsnetzwerk der BMW Group. Seit mehr als vier Jahrzehnten werden hier bereits Motoren für BMW und MINI gefertigt. Rund 4.400 Menschen arbeiten an diesem traditionsreichen Standort. Was einst als klassisches Motorenwerk für Benziner und Diesel begann, hat sich in den letzten Jahren zu einem hochmodernen Kompetenzzentrum für Antriebe gewandelt. Steyr vereint heute durch die Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren, Technologen und Produktionsmitarbeitern Entwicklung und Fertigung unter einem Dach.
Die Erfahrung im präzisen Maschinenbau, gepaart mit einer hohen Fertigungstiefe, macht das Werk zum idealen Standort für die nächste Evolutionsstufe: den elektrischen Antrieb der sechsten Generation, kurz Gen6. Bis 2030 investiert BMW über eine Milliarde Euro in den Standort, allein 500 Millionen Euro in Maschinen und Anlagen für die E-Antriebsproduktion. Ziel: jährlich bis zu 600.000 elektrische Antriebe fertigen und damit die Neue Klasse, die künftige vollelektrische Modellfamilie von BMW, antreiben.
Am 1. August 2025 beginnt in Steyr offiziell eine neue Ära: Die Serienproduktion der Gen6-Elektromotoren läuft. Für Produktionsvorstand Milan Nedeljković ist es ein strategischer Meilenstein: „Als erster Produktionsstandort des Gen6-E-Motors spielt das Werk Steyr eine zentrale Rolle für die Neue Klasse und für die Weiterentwicklung unseres weltweiten Produktionsnetzwerks.“ Vor drei Jahren hatte BMW angekündigt, dass die Fertigung des Gen6-Antriebs am österreichischen Standort stattfinden wird. Nun liefert Steyr – und das nicht nur im wörtlichen Sinn. „Was hier startet, ist mehr als ein Produktionsanlauf. Es ist ein klares Bekenntnis zu Europa, zur Technologie, zur Zukunft", betont auch Werksleiter Klaus von Moltke.
Bereits im Dezember 2025 – Monate vor dem Serienstart – gingen die ersten Steyrer E-Motoren nach Debrecen. Dort wurden sie in Erprobungsfahrzeugen der Neuen Klasse verbaut. Diese nahezu serienreifen Fahrzeuge dienen nicht nur der technischen Erprobung, sondern auch der Feinabstimmung von Logistik- und Montageprozessen in der Fahrzeugproduktion. Zuvor hatte das Werk seit September 2025 Motoren an die Zentrale in München geliefert, wo sie in Entwicklungsfahrzeugen unter verschiedensten Bedingungen getestet wurden. Die Erfahrungen aus diesen Tests flossen direkt in die finale Prozessoptimierung in Steyr ein.
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In der Sauberraumumgebung entstehen in Steyr die Inverter für die Gen6-Antriebe.(Bild: BMW)
Fertigungstiefe und modulare Flexibilität
Die Gen6-Antriebe entstehen in Steyr mit einer hohen Fertigungstiefe. In der Rotorfertigung werden zunächst die Wellen präzise bearbeitet, bevor Magnete eingepresst, fixiert und abschließend ausgewuchtet werden. Parallel dazu erfolgt die Statorproduktion: Auf hochautomatisierten Anlagen werden die Kupferspulen gewickelt, anschließend imprägniert und ausgehärtet, um eine maximale Isolationsfestigkeit zu erzielen. In der Getriebemontage werden Zahnräder, Lager und Wellen zusammengesetzt und die Übersetzungseinheit in das Antriebsmodul integriert. Der Inverter entsteht in einem speziellen Sauberraum, wird mit Siliziumkarbid-Halbleitern bestückt und vor der Montage im Motor auf seine elektrischen Eigenschaften geprüft.
Das Gehäuse stammt aus der Aluminiumgießerei des BMW-Werks Landshut und wird in Steyr weiterverarbeitet. Auf zwei neuen Montagebändern fügen sich alle Komponenten zu kompletten Antriebseinheiten zusammen. Das modulare Produktionskonzept erlaubt es, unterschiedliche Derivate flexibel für verschiedene Modelle der Neuen Klasse herzustellen. Bevor ein in Steyr gefertigter E-Motor das Werk verlässt, durchläuft er eine umfassende Reihe an Prüfprozessen. Auf End-of-Line-Prüfständen werden reale Fahrbedingungen simuliert, um Funktion und Leistungsfähigkeit des Antriebs unter praxisnahen Belastungen zu überprüfen.
Hochspannungsprüfungen dienen der Kontrolle der elektrischen Isolation, während Vibrations- und Geräuschtests sicherstellen, dass die Antriebe auch im Hinblick auf akustischen Komfort und Laufruhe den Vorgaben entsprechen. Jeder Inverter wird zudem bereits vor seiner Montage im Motor einzeln getestet. Sämtliche Prüfergebnisse fließen in eine zentrale Qualitätsdatenbank ein, die sowohl der kontinuierlichen Optimierung der Produktionsprozesse dient als auch bei Bedarf eine lückenlose Rückverfolgbarkeit ermöglicht.
Investitionen in Produktionskapazität und CO2-arme Energie
Die Grundlage für die heutige Fertigung in Steyr wurde Anfang 2024 mit der Fertigstellung neuer Produktionshallen geschaffen. Auf einer Fläche von 60.000 Quadratmetern entstanden moderne Montagebereiche, Logistikzonen und Prüfflächen. In den folgenden Monaten installierte BMW rund 300 neue Anlagen – von kompakten Spezialmaschinen bis hin zu einer über 30 Meter langen „Hochzeitsstation“, in der Getriebe und Motor vollautomatisiert miteinander verbunden werden. Die Inbetriebnahme erfolgte schrittweise: Zunächst wurden die Anlagen installiert und präzise justiert, anschließend liefen Pilotproduktionen mit Testkomponenten, bevor die Vorserienfertigung zur Validierung aller Prozesse begann. Parallel dazu wurden Mitarbeitende geschult und zusätzliche Fachkräfte für die Elektromobilität eingestellt. Ziel war es, zum Serienstart eine stabile, fehlerfreie Taktfertigung sicherzustellen.
Die Transformation in Österreich betrifft dabei nicht nur die Produkte, sondern auch die Art und Weise, wie Energie gewonnen und genutzt wird. Bereits im September 2024 stellte das Werk vollständig auf Fernwärme um und erreichte dieses Ziel damit zwei Monate früher als ursprünglich vorgesehen. Die benötigte Wärme stammt aus einem nahegelegenen Biomassekraftwerk, das mit regionalen Holzhackschnitzeln befeuert wird. Auf diese Weise kann der Standort seinen Wärmebedarf vollständig ohne fossile Energieträger decken. Mit einem Jahresverbrauch von rund 250 Gigawattstunden, was dem Energiebedarf von etwa 59.000 Haushalten entspricht, leistet das Werk einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung energieintensiver Produktionsprozesse. Seit dem Jahr 2006 konnte der Energieverbrauch pro produziertem Motor nahezu halbiert werden, was die kontinuierlichen Anstrengungen zur Steigerung der Energieeffizienz eindrucksvoll belegt.
Die sechste Generation des BMW eDrive bringt spürbare technische Verbesserungen mit sich: Zentrales Element ist eine 800-Volt-Architektur, die höhere Ladegeschwindigkeiten erlauben und den Energiefluss effizienter gestalten soll. Im Inverter kommt Siliziumkarbid-Halbleitertechnik zum Einsatz, um Schaltverluste zu verringern und damit den Wirkungsgrad zu erhöhen. Insgesamt konnten die Energieverluste um rund 40 Prozent reduziert, die Produktionskosten um 20 Prozent gesenkt und das Gewicht um etwa 10 Prozent verringert werden, berichtet der Automobilhersteller. So soll der künftige BMW iX3 50 xDrive eine Reichweite von bis zu 800 Kilometern nach WLTP erreichen. Die Integration des Inverters direkt ins Motorgehäuse reduziere zudem den Platzbedarf, verringert Schnittstellenverluste, spart Material und vereinfacht die Montage.
Mit dem Start der Gen6-Produktion hat das Werk seine Rolle im BMW-Netzwerk neu definiert. Es bleibt nicht nur führend in der Entwicklung und Fertigung von Verbrennungsmotoren, sondern übernimmt nun auch eine Schlüsselposition in der Elektromobilität. Die modulare Fertigung erlaubt es, flexibel auf Markttrends zu reagieren – eine strategische Absicherung für Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit. „Steyr bleibt das Herz der Antriebskompetenz – für Verbrenner- und Elektro-Mobilität gleichermaßen“, fasst Werksleiter von Moltke zusammen.