Mitarbeitende in der Montagehalle am neuen BMW-Standort in Debrecen, Ungarn, arbeiten an der Karosserie eines Fahrzeugs der Neuen Klasse. Die Fahrzeugkarosse ist in einem drehbaren Montagerahmen fixiert, um eine ergonomische Bearbeitung zu ermöglichen. Im Hintergrund sind moderne Fertigungsanlagen und weitere Mitarbeitende zu sehen.

Nach einer Befähigung der Lackiererei mit Hilfe von BMW iX1 Karosserien im August 2024, laufen mittlerweile erste Erprobungsfahrzeuge der Neuen Klasse in Ungarn vom Band. (Bild: BMW)

In Ungarn wird zum Zielsprint angesetzt und der Herzschlag des Werkes zum Leben erweckt: Mit diesen Worten kündigt BMW kürzlich die Inbetriebnahme der Montagelinie für die Neue Klasse im Werk Debrecen an. In der Montage werden die einzelnen Komponenten und Systeme in die lackierte Karosserie verbaut – am Ende rollt ein fahrbereites Auto vom Band. Die Fahrzeugarchitektur der Neuen Klasse eröffne dabei in der Montage ganz neue Möglichkeiten: Mehr Effizienz dank Modularisierung, weniger unterschiedlicher Verbindungselemente und einer vereinfachten Installation des Kabelbaums. Auch eine innovative Cockpitmontage sorge für mehr Geschwindigkeit, sagen die Münchener.

Der Kabelbaum ist im Vergleich zu bisherigen Modellen in mehrere Teile gegliedert und sei damit leichter und ergonomischer verbaubar. Die zonale Kabelbaumarchitektur kommt mit 600 Metern weniger Kabeln aus und ermögliche ein Gewichtsersparnis von 30 Prozent gegenüber der Vorgängergeneration. Andererseits setzt man auf die Modularisierung von Bauteilen. Aus vielen kleinen Einzelteilen wird also eine Baugruppe.

Auch die Varianz an Verbindungselementen ist bei der Neuen Klasse drastisch reduziert. Dadurch reduziert sich die Anzahl der unterschiedlichen Stecker, Schrauben und Klemmen. Mit der Neuen Klasse lassen sich zudem diverse Qualitätschecks bereits digital am Band durchführen. Diese Vorgehensweise soll nach dem Ersteinsatz in Debrecen auch an weiteren Standorten umgesetzt werden. Für zusätzliche Geschwindigkeit am ungarischen Standort sorgt die innovative Cockpitmontage. Sie ist eine der kompaktesten in BMWs Produktionsnetzwerk, ermögliche aber trotzdem volle Flexibilität und Vielfalt.

Erste Erprobungsfahrzeuge werden produziert

Am ungarischen Standort Debrecen bereitet sich die BMW Group bereits seit Längerem intensiv auf den Produktionsstart der Neuen Klasse vor, der für Ende 2025 geplant ist. Ein Investitionsvolumen von über zwei Milliarden Euro soll dafür sorgen, dass hier auf einer Fläche von mehr als 400 Hektar jährlich rund 150.000 vollelektrische Fahrzeuge entstehen. Zudem sind über 500 neue Arbeitsplätze geplant. „Erste E-Motoren der sechsten Generation lieferte unser Werk in Steyr bereits seit September für intensive Tests an die Zentrale in München. Seit kurzem verschicken wir auch E-Motoren direkt an das BMW Group Werk in Debrecen“, erklärt Klaus von Moltke, Leiter Motorenproduktion und Geschäftsführer des BMW-Werks Steyr.

Kurze Zeit später, im November 2024, begann der Autohersteller mit der Produktion erster Erprobungsfahrzeuge des X-Modells. Diese durchlaufen sämtliche Produktionsschritte. Besonderes Augenmerk liegt dem Autohersteller zufolge auf der Validierung der Fertigungsanlagen und -werkzeuge inklusive derer digitalen Anbindung. „Die Produktion der ersten Erprobungsfahrzeuge in Debrecen ist ein wichtiger Meilenstein für die Inbetriebnahme des neuen Werkes“, sagt BMW-Produktionsvorstand Milan Nedeljković. Mit den nahezu serienreifen Fahrzeugen stehen nun die gesamten Logistik- und Produktionsprozesse unter realen Bedingungen auf dem Prüfstand und werden zum Serienstart laufend optimiert.

Digitale Tools unterstützen Planung in Debrecen

Bereits in der Planungsphase setzte der Automobilhersteller in Debrecen auf digitale Planungstools, um komplette Prozesse in der virtuellen Welt darzustellen und zu simulieren. Eine besondere Rolle kommt dabei der Kooperation mit dem US-Unternehmen Nvidia und der gemeinsam entwickelten Planungssoftware Omniverse zu.

Mit Hilfe des Tools soll die Planung nicht nur präziser und schneller vonstattengehen, sondern auch der kollaborative Austausch mit Mitarbeitern, Partnern und Lieferanten beschleunigt werden. Zudem folgte der Automobilhersteller auch bei der Planung des neuen Produktionsstandorts in Ungarn den Grundsätzen der BMW iFactoryund griff auf bewährte Standards und Hightech-Lösungen aus bestehenden Werken zurück.

So finden sich in Debrecen zum Beispiel in der Montage viele Ideen und erprobte Strukturen etwa aus dem chinesischen Werk Lydia oder dem Werk Leipzig. Dazu gehört die sogenannte Finger- oder Kammstruktur, die BMW eigens für das 2005 eröffnete Werk in Leipzig entwickelt hatte. Diese Struktur ermögliche den Transport von Zulieferteilen und vormontierten Modulen direkt an die Fertigungsbänder: In Debrecen könne dabei ein Rekordanteil von bis zu 80 Prozent Direktanlieferung erreicht werden, weil hier erstmals die Finger von beiden Seiten logistisch beliefert werden. Das ist laut OEM die höchste Quote im gesamten Produktionsnetzwerk. Die Fingerstruktur lasse zudem auch spätere Erweiterungen und die Integration weiterer Montageschritte zu.

Für viele Strukturen und Abläufe in der Montage stand auch das Werk Lydia in China Pate. Das Werk Lydia wurde 2022 eröffnet und als erster BMW-Standort von Anfang an vollständig in der virtuellen Welt geplant und simuliert. Die Halle für die Montagelinie und die komplette Förderanlage in Debrecen sind identisch aufgebaut. Die Technik war somit schnell verfügbar und ist bereits erprobt, was den Anlauf einer komplett neuen Produktion erleichtert, wie der Autobauer berichtet.

„Wir gestalten die Transformation mit unseren Mitarbeitenden"

Das im Oktober 2023 eröffnete Ausbildungszentrum war eines der ersten komplett fertiggestellten Gebäude auf dem neuen Werksgelände, das in Betrieb genommen wurde. Das Trainingscenter mit einer Fläche von knapp 6.500 Quadratmetern und einem Investitionsvolumen von knapp 20 Millionen Euro betone die besondere Bedeutung der Aus- und Weiterbildung von hochqualifizierten Mitarbeitenden, so der OEM. „Die Neue Klasse ist unser Zukunftsversprechen, mit ihr machen wir Mobilität menschlicher, intelligenter und verantwortungsvoller. Die Transformation dorthin gestalten wir mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sie machen bei BMW seit jeher den Unterschied“, verkündete Ilka Horstmeier, Personalvorständin bei BMW, im Rahmen der Eröffnung des Ausbildungszentrums.

Mit einer Kapazität von geplanten 300 Plätzen für Auszubildende im Jahr 2025 ist das Berufsausbildungsprogramm in Debrecen das größte seiner Art in ganz Ungarn. Das in Zusammenarbeit mit dem Trainingscenter angebotene duale Ausbildungsprogramm bietet Studierenden die Möglichkeit, Fähigkeiten zu erwerben, die als Grundlage für eine gesamte Karriere dienen sollen. Es handelt sich dabei um einen dreijährigen Kurs in den Bereichen Mechatronik, Elektronik, Automobilmechatronik sowie IT-Systeme und -Anwendungen.

Lackiererei in Debrecen ist fossilfrei

Als erste Technologie vor Ort wurde bereits im August 2024 die Lackiererei auf einer Grundfläche von 33.000 Quadratmetern und auf drei Stockwerken in Betrieb genommen. Durch den Einsatz verschiedener neuer Verfahren und Systeme ist die Anlage in Debrecen die erste Lackiererei im weltweiten BMW-Produktionsnetzwerk, die komplett ohne den Einsatz von fossilen Energieträgern arbeiten wird. Mit Hilfe des vollautomatisierten Prozesses will der Autobauer 30 Karosserien pro Stunden lackieren und diese Kapazitäten später noch deutlich erweitern. „Trotz aller Technologien, Innovationen und High-Tech – ein Automobilwerk ist nur so gut wie seine Menschen“, betont Nedeljković jedoch.

Wesentliche Voraussetzung für den Betrieb der Lackiererei in Debrecen ohne fossile Energieträger wie Erdgas ist das Power-to-Heat-Prinzip. Dabei werden alle für den Lackiervorgang notwendigen Öfen sowie weitere Prozesse komplett elektrisch betrieben – statt wie bisher üblich mit Erdgas. Der dadurch steigende Stromverbrauch soll wiederum ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden. Das Energieeffizienz-Konzept „Heat Grid“ kombiniert mehrere Maßnahmen zur effizienten Energierückgewinnung und erzielt laut BMW eine zusätzliche Energieeinsparung von bis zu zehn Prozent. Das Herzstück des Projekts ist ein großer Multivalent-Speicherkessel, der die Abwärme aus der Druckluftversorgung, den Trocknungsöfen und den Kälteanlagen bündelt. Diese Abwärme wird dann genutzt, um den Wasserkreislauf vorzuheizen.

Bei der Abluftreinigung kommt in Debrecen das eRTO-Verfahren (elektrisch regenerative thermische Oxidation) zum Einsatz, ein Prozess, der die Abluft aus der Lackiererei bei Temperaturen von 800 bis 1.000 Grad Celsius reinigt und dafür – anders als bisher – ausschließlich Elektrizität benötigt. Neben innovativen Technologien soll auch eine umfassende Digitalisierung zur hohen Effizienz der neuen Lackiererei in Debrecen beitragen. So befördern etwa AGV (Automated Guided Vehicles) die Rohkarosserien fahrerlos und vollautomatisiert zu den verschiedenen Arbeitsschritten. Darüber hinaus kommt eine Automatisierte Oberflächeninspektion (AOI) zum Einsatz, die mithilfe von künstlicher Intelligenz Unregelmäßigkeiten nach dem Lackieren erkennt und die Merkmale erfasst, die eine Nachbearbeitung erfordern.

Debrecen als Nachhaltigkeits-Treiber

Diese neuen, nachhaltigen Verfahren in der Lackiererei unterstreichen, dass Debrecen nicht nur technologisch, sondern auch konzeptionell zum Meilenstein für den OEM werden soll.  „Mit dem Werk Debrecen setzen wir neue Maßstäbe für hochinnovativen Fahrzeugbau“, kündigte Nedeljković bereits im Rahmen der Grundsteinlegung im Juni 2022 an und verweist damit auf den strategischen Ansatz der BMW iFactory . Hinsichtlich der Nachhaltigkeitsziele für die Neue Klasse zeigt sich der Automobilhersteller ebenso ambitioniert: „Die CO2-Emission pro produziertem Fahrzeug liegt bei null. Damit werden wir beweisen, dass mit entsprechendem Willen und Innovationskraft nachhaltige Automobilproduktion möglich ist“, so der Produktionsvorstand weiter.

Debrecen soll durch den Verzicht auf fossile Energieträger einen spürbaren Beitrag zum Ziel beitragen, die CO2-Emissionen in der Produktion bis 2030 um 80 Prozent zu senken. Die genutzte Energie soll primär durch großflächige Photovoltaiksysteme erzeugt werden. Ein weiteres Standbein des grünen Ansatzes ist der Einsatz von Kreislaufsystemen in der Nutzung von Produktionsmaterialien und Ressourcen. Unter anderem werden Metallverschnitt und Späne, die beim Fräsen und Pressen entstehen, wiederverwendet. Die Abwärme von Kühlsystemen fließt zudem in einen Kreislauf und dient anschließend zum Heizen von Wasser und Räumen.

Werk Debrecen wird durch Batterieproduktion komplettiert

Noch lange bevor an Erprobungsfahrzeuge überhaupt zu denken war, startete BMW am Standort in Debrecen mit dem Bau eines ergänzenden Werkes für Hochvoltbatterien auf dem Gelände des ungarischen Fahrzeugwerks. „Die BMW iFactory steht auch für kurze Wege in der Logistik. Die enge Anbindung der Batteriefertigung an die Fahrzeugproduktion ist Teil unserer Strategie“, erklärt Markus Fallböhmer, Leiter Batterieproduktion bei BMW.

In Debrecen werden demnach die runden Batteriezellen der nächsten Generation in das Hochvoltbatteriegehäuse eingebaut – einen Metallrahmen, der in den Unterboden des Fahrzeugs integriert wird. Der Produktionsstart erfolgt parallel zum Beginn der Fahrzeugproduktion. Künftig sollen alle in Debrecen gebauten Fahrzeuge mit vor Ort montierten Hochvoltbatterien versorgt werden.

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