Wie der Energiehunger im Karosseriebau gestillt werden kann
Von der Mine bis zur Oberfläche – erst nach einer Vielzahl komplexer Produktionsprozesse ist die lackierte Karosserie bereit für die Montage. Der Ressourcen- und insbesondere der nötige Energiebedarf bis zur Erreichung dieses letzten Herstellungsschritts ist dabei beträchtlich.
Hannes Kittel Hannes KittelHannes Kittel Mercedes-Benz aG
9 min
Bei der Integration neuer Modelle in die Produktion müssen Autobauer die Reduzierung des Energieverbrauchs mitdenken. Einen guten Ansatzpunkt bietet vor allem der Karossierebau.Mercedes-Benz AG
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Über diesen Artikel:
Hannes Kittel ist seit 2021 als Doktorand im
Konzeptteam der Karosserie-Vorentwicklung der Mercedes-Benz Group AG tätig. Er
widmet seine wegweisende Dissertation der Entwicklung neuartiger
Karosseriekonzepte. Im Rahmen dieser Arbeit konzipierte er, basierend auf einer
tiefgreifenden Bottom-Up-Analyse der gesamten Karosseriefertigung, ein
innovatives Modell. Dieses ermöglicht bereits in der Frühphase der Entwicklung
eine substanzielle Steigerung der Energieeffizienz in der Produktion
zukünftiger Fahrzeugkarosserien.
Der folgende Gastbeitrag ist ein Exzerpt der Dissertation von Hannes Kittel.
Die deutsche
Automobilindustrie steht angesichts konjunktureller Herausforderungen unter
starkem Druck. Gedämpfte Nachfrage - vor allem in China - sowie Unsicherheiten
zur politischen Ausrichtung der Elektromobilität belasten die Hersteller. Sie
müssen hohe Investitionen in die Transformation stemmen und zugleich Kosten
senken. Bürokratie, neue Regulierungen, hohe Lohn- und Energiekosten sowie geopolitische
Unsicherheiten verschärfen die Lage. Viele Unternehmen erwägen daher
Produktionsverlagerungen ins Ausland.
Ein Ausweg liegt
in der Steigerung der Energieeffizienz: Sie senkt Kosten, reduziert
Abhängigkeiten von Importen und mindert energiebedingte Emissionen. Damit
unterstützt sie Klimaschutz und die Umsetzung der Energiewende, wie in der
nationalen Energieeffizienzstrategie verankert.
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Energieeffizienz
elementar für Produktentwicklung
Insbesondere
Unternehmen mit energieintensiven Produktionsprozessen sind aufgrund des hohen
Energieverbrauchs verstärkt gefordert diesen zu reduzieren. Diese kann durch
die Steigerung der Energieeffizienz innerhalb der Produktion erreicht werden,
wobei technologische Innovationen eine Schlüsselrolle einnehmen. Moderne,
energieeffiziente Anlagen und eine intelligente Steuerung der
Produktionssysteme bieten hier bereits signifikante Möglichkeiten.
Der
Fertigungsprozess ist jedoch stark von den Produkteigenschaften abhängig, die durch
die vorherige Entwicklungsphase vorgegeben werden. Um hier grundlegende
Veränderungen zu bewirken, muss der Energieverbrauch als wichtige zusätzliche Kenngröße
von Beginn an in die Produktentwicklung integriert werden. Die
Produktentwicklung stellt bereits heute einen komplexen Prozess mit hohem
Koordinationsaufwand dar, was sie kostenintensiv und risikobehaftet macht.
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Um jedoch in
Zukunft nachhaltige Verbesserungen zu erzielen, muss an der Wurzel des Problems
angesetzt werden. Die frühzeitige Integration des Energiebedarfs in die
Produktentwicklung ermöglicht die Identifikation substanzieller
Energieeinsparpotenziale. Bereits in dieser initialen Phase werden maßgebliche
Parameter für den späteren Energieverbrauch im Produktionsprozess determiniert.
Folglich stellt die Produktentwicklungsphase einen kritischen Punkt dar, an dem
die Weichen für eine energieeffiziente Produktion gestellt werden können.
Energetischer
Fußabdruck bei E-Autos und Verbrennern
Die
Transformation vom Verbrennungs- zum Elektroantrieb induziert eine signifikante
Verschiebung der energieintensiven Phasen im Lebenszyklus eines Fahrzeugs.
Dieser Kreislauf gliedert sich typischerweise in vier Phasen, beginnend mit der
Pkw-Herstellung, gefolgt von der Energiebereitstellung (zur Herstellung von Kraftstoff
oder elektrischem Strom) über den Fahrbetrieb, bis hin zur Entsorgungsphase (End-of-Life).
Das Recycling spielt dabei tendenziell, mit einem vergleichsweise geringen Anteil
am energetischen Gesamtbedarf, eine untergeordnete Rolle.
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In der
Nutzungsphase impliziert die Elektrifizierung des Antriebsstrangs einen Wechsel
des Energieträgers von Kraftstoff zu elektrischer Energie. Obwohl die
Stromerzeugung im Allgemeinen energieaufwendiger ist als die Kraftstoffgewinnung,
zeichnet sich der Elektroantrieb im Fahrbetrieb durch einen deutlich niedrigeren
Energiebedarf aus. So benötigt beispielsweise der rein elektrisch betriebene
CLA über einer bilanzierten Distanz von 160.000 km im Fahrbetrieb nur etwa ein
Vierteil der Energie, die sein Vorgängermodell mit Verbrennungsmotor
verbraucht.
Allerdings führt unter
anderem die Produktion der Batterie zu einer erheblichen Erhöhung des
Energiebedarfs in der Herstellungsphase. Der Gesamtenergieverbrauch in der
Produktion des elektrischen CLA verdoppelt sich dadurch nahezu im Vergleich zum
Vorgängermodell. Dies resultiert in einer Verlagerung des energieintensivsten
Abschnitts innerhalb des Lebenszyklus: Während beim Verbrennerfahrzeug der
Fahrbetrieb noch für etwa 60 Prozent des
Gesamtenergieverbrauchs verantwortlich ist, entfallen beim rein elektrischen
CLA nun rund 55 Prozent auf die Produktion des Fahrzeugs selbst. Zukünftig wird
es daher von zunehmender Bedeutung sein, die Energieeffizienz in der gesamten
Fahrzeugherstellung kontinuierlich zu steigern, insbesondere im Hinblick auf
die fortschreitende Elektrifizierung und die tendenziell größeren
Batterieeinheiten.
Der Energieverbrauch
in der Karosseriefertigung
Im Kontext der
Automobilindustrie stellt die Karosseriefertigung ein zentrales Element dar.
Angesichts der bisher unzureichenden Datenlage hinsichtlich des Energiebedarfs
in der Karosserieproduktion wurde der gesamte Herstellungsprozess im Rahmen
einer ganzheitlichen Untersuchung energetisch analysiert. Hierbei bieten sich
zwei methodische Vorgehensweisen an: Ein „Top-Down“-Ansatz, der den
Energieverbrauch auf Ebene der Gewerke und Gebäude betrachtet und auf einzelne
Bauteile umlegt. Alternativ kann ein „Bottom-up“-Ansatz verwendet werden, der
zwar mit einem höheren Aufwand verbunden ist, jedoch eine detaillierte
Erfassung und Auswertung der Energieverbräuche jedes einzelnen Prozessschritts
vorsieht. Diese Erkenntnisse können in Zukunft eine entscheidende Rolle in der
frühen Phase der Entscheidungsfindung spielen, um bereits während der Konstruktion
fundierte Entscheidungen im Hinblick auf spätere Energiereduktionsmaßnahmen zu
treffen. Im Kontext der vorliegenden Untersuchung wurde daher der
„Bottom-up“-Ansatz gewählt.
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Die Herstellung
einer Karosserie umfasst eine Vielzahl von sequenziell aufeinander folgenden Prozessschritten.
Zunächst erfolgt die Gewinnung und Aufbereitung der Rohmaterialien, woraufhin
die Fabrikation der entsprechend erforderlichen Halbzeugarten stattfindet. Diese
dienen als Ausgangsmaterial für die Bauteilfertigung, in der die einzelnen
Komponenten der Karosserie ihre spezifische Form erhalten. Im Anschluss werden
diese Einzelteile im Rohbau durch verschiedene Verfahren zu einer vollständigen
Karosserie gefügt. Anschließend wird die Karosserie dem Oberflächenprozess
zugeführt. Im Rahmen der Untersuchung wurden detaillierte
Energieverbrauchswerte für jeden einzelnen Prozessschritt erfasst. Hierbei
wurden sowohl die typischerweise eingesetzten, aber durchaus unterschiedlichen
Fertigungsrouten, sowie auch die verschiedenen im Rohbau verwendeten
Fügeverfahren berücksichtigt.
Im Rahmen der
energetischen Analyse des Rohbaus wurde zunächst eine Voruntersuchung
hinsichtlich der dort eingesetzten Energieträger durchgeführt. Diese Auswertung
ergab, dass der Rohbau, unter anderem aufgrund der dort eingesetzten Anlagen
und Roboter, ein besonders stromintensives Gewerk darstellt. Die vielen
aufeinanderfolgenden Einzelschritte erfordern große beheizte Flächen, auf die
ebenfalls ein erheblicher Anteil von etwa einem Drittel des
Gesamtenergiebedarfs auf Gebäudeebene entfällt.
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In einer
detaillierten Analyse wurden die elektrischen Energiebedarfe, die für die
Durchführung des eigentlichen Rohbauprozesses erforderlich sind, genauer
untersucht. Dabei zeigte sich, dass die Anlagen der verschiedenen Aufbaustufen
die Hauptenergieverbraucher darstellen. Aus diesem Grund wurde eine
detaillierte Untersuchung der Fügeprozesse durchgeführt.
Da es eine hohe
Anzahl unterschiedlicher Verfahren gibt, musste in einem ersten Schritt eine
Auswahl der zu messenden Fügetechnologien getroffen werden. Dazu wurden die
unterschiedlichen Baureihen unter anderem hinsichtlich ihrer meistangewandten
Fügeverfahren analysiert, mit dem Ziel, den Großteil des im Rohbau benötigten
Energiebedarfs zu berücksichtigen. Schließlich wurden vier Fügetechnologien
festgelegt: Hohlstanznieten (HSN), Fließlochschrauben (FLS) und Durchsetzfügen
(DSF) als mechanische Fügeverfahren, sowie das Widerstandspunktschweißen (WPS)
als Vertreter der thermischen Fügeverfahren. Für diese Prozesse wurde
anschließend das Spektrum aller im internen Rohbau gesetzten Fügepunkte
untersucht, wobei der Fokus auf der Identifizierung der genau zu messenden
Fügepunktnummern lag.
Abbildung 1: gemessener Stromverbrauch der FügeverfahrenHannes kittel
Hierbei wurde
berücksichtigt, dass die Fügepunkte innerhalb eines Verfahrens hinsichtlich
unterschiedlicher Parametereinstellungen stark variieren können. Eine
spezifische Einstellung dient dazu, für jeden Fügepunkt den optimalen
Fügeprozess zu ermöglichen, um eine perfekte Verbindung der Fügestellen
gewährleisten zu können. Dazu müssen für eine Fügeaufgabe zahlreiche Faktoren
berücksichtigt werden, wie beispielsweise Gesamtblechdicke,
Materialeigenschaften oder unterschiedlich eingesetzter Größen eines
Hilfsfügeteils. Auf Basis dieser Parameter wurde eine Einteilung der Fügepunkte
vorgenommen, um die Varianzen und damit den Einsatzbereich innerhalb einer
Fügetechnologie zu bestimmen. Das Spektrum dieser Faktoren, bei dem spezifische
Fügeverfahren zum Einsatz kommen, orientiert sich insbesondere an den internen
Richtlinien hinsichtlich der freigegebenen Toleranzen durch den Hersteller.
Daher kann es zwischen verschiedenen Herstellern zu erheblichen Unterschieden
kommen.
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Ziel dieser
vorgelagerten Grundlagenuntersuchung war es, die gesamte erzielbare Spanne des
Energieverbrauchs eines Fügeverfahrens abzudecken und eine Aussage hinsichtlich
der optimalen Bedingungen für eine Technologie treffen zu können. Daher wurde
entschieden, hauptsächlich die Ränder (Minimum und Maximum) der betrachteten
Parameter zu fokussieren, um mögliche Einflüsse identifizieren zu können. Auf
Basis dieser Voruntersuchungen wurden energetische Messungen in der
Serienproduktion durchgeführt. Eine Gegenüberstellung der aufbereiteten
Messergebnisse ist in Abbildung 1 dargestellt. Darin sind die jeweils höchsten
und geringsten gemessenen Werte, die sich aus der gezielten Auswahl ergeben
haben, abgebildet. Zudem sind für die entsprechenden Fügeverfahren die
jeweiligen Mittelwerte der Messungen angegeben.
Mechanische
und thermische Verfahren im Vergleich
Die
Messergebnisse der betrachteten Fügetechnologien zeigen signifikante
Unterschiede im Energiebedarf zwischen mechanischen und thermischen Verfahren.
Im Vergleich zum Widerstandspunktschweißen, weisen mechanische Fügeverfahren
einen deutlich geringeren elektrischen Energiebedarf auf. Im Mittel ist der Stromverbrauch
der mechanischen Fügeverfahren um ein Vielfaches niedriger als der des
Widerstandspunktschweißens.
Ein wesentlicher
Unterschied zwischen dem thermischen Verfahren des Widerstandspunktschweißens
und den mechanischen Verfahren besteht darin, dass WPS in der Regel auf die
Fügung von Werkstoffen gleicher Art beschränkt ist. Beim Vergleich des
Widerstandspunktschweißens unterschiedlicher Werkstoffe fällt auf, dass für das
Schweißen von Stahl im Allgemeinen ein geringerer Energiebedarf notwendig ist
als für das Fügen von Aluminium. Die erhöhte elektrische und thermische
Leitfähigkeit von Aluminiumwerkstoffen, im Vergleich zu Stahl, führt dazu, dass
bei Aluminium eine höhere Stromstärke zum Verschmelzen der Blechpartner
erforderlich ist.
Weiterhin zeigt
sich, dass die Bandbreite zwischen dem geringsten und höchsten gemessenen Wert
bei der thermischen Fügetechnologie deutlich größer ist als bei den
mechanischen Optionen. Der Energiebedarf für das Widerstandspunktschweißen
hängt von zahlreichen Parametern ab. So treten bei Messungen eines spezifischen
Fügepunktes starke Streuungen auf, die auf fertigungstechnische Schwankungen
zurückzuführen sind. Beispielsweise die Einzelblechdicken der Fügepartner oder
das Volumen des Klebeauftrags haben einen Einfluss. Auch unterschiedliche
Orientierungen der Fügepartner zueinander, sowie der Verschleiß der
Elektrodenkappen können eine Rolle spielen. Beim Vergleich der Messungen
mechanischer Fügeverfahren zeigt sich das Durchsetzfügen als energieeffizienteste
Variante.
Wie verändert
sich der Energiebedarf durch Hilfsfügeteile?
Abbildung 2: gesamte Energiebetrachtung der FügetechnologienHannes Kittel
Wird die
Betrachtungsgrenze über den elektrischen Energiebedarf hinaus erweitert, können
neben weiteren Energieträgern wie Druckluft auch die teils notwendigen
Hilfsfügeteile selbst berücksichtigt werden. Im Vergleich zu den anderen
betrachteten Fügeverfahren wird für einen Fügepunkt beim Hohlstanznieten und
Fließlochschrauben jeweils ein Fügeelement eingesetzt. Energetisch gesehen
bringt dies einige Nachteile mit sich. Die Fügeprozesse beider Verfahren benötigen
ein zusätzliches Zuführsystem, das die Hilfsfügeteile vom Schüttgut separiert
und an den jeweiligen Setzkopf befördert. Dieser Prozess erfordert Druckluft,
was den Gesamtenergieverbrauch des Rohbaubetreibers erhöht. Bezieht man in
diese Betrachtung noch den Energieverbrauch ein, der für die Materialerzeugung
und die Herstellung des Hilfsfügeteils aufgewendet werden muss, steigt der
Energieverbrauch bei diesen beiden Technologien erheblich an.
Bei einer Gesamtbetrachtung
des Energieverbrauchs inklusive der Hilfsfügeteile, zeigt sich eine
Verschiebung in der Rangliste der energetischen Verbraucher. Infolge des
zusätzlichen Energiebedarfs durch die Hilfsfügeteile bringen nun FLS und HSN
den höchsten Energieverbrauch mit sich. Im Vergleich zum HSN-Niet nimmt die
FLS-Schraube den höchsten Energiebedarf ein. DSF und WPS bleiben im
Durchschnitt die energieärmeren Verfahren.
Wie lässt sich
im Rohbau Energie sparen?
Aus den
Ergebnissen der Analyse des Rohbaus lassen sich erste konstruktive Ansätze zur
Energieeinsparung ableiten. Ein erster naheliegender Ansatz wäre, die Reduktion
der Anzahl, der benötigten Fügepunkte. Da es jedoch, wie bereits beschrieben,
neben den direkten Fügetechnologien weitere Energieverbraucher gibt, wie
beispielsweise die zur Ausführung der Prozessschritte notwendigen Roboter oder
die Fördertechnik, muss in der Konstruktion großrahmiger gedacht werden.
Eine konstruktive
Gestaltung, die auf eine Verkürzung des Prozesses abzielt, hat demnach eine
entscheidende Auswirkung auf den Energieverbrauch einer Karosserie. Die
Konstruktion sollte eine einfache Zugänglichkeit zu den Fügepunkten ermöglichen
und damit gleichzeitig Taktzeiten verkürzen. Neben dem hohen energetischen
Einfluss der Hilfsfügeteile der entsprechenden Fügetechnologien führt auch die
Zuführung zu einem erhöhten Energieverbrauch und vor allem zu einer Steigerung
der Punkt-zu-Punkt-Zeiten. Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Konstruktion
einen massiven Einfluss auf den Energieverbrauch hat, der später im Rohbau
entsteht.
Das Beispiel eines Längsträgers
Längsträger in einer Mercedes-Benz S-KlasseMercedes-Benz
Neben der hier dargestellten Betrachtung des Rohbaus wurden auch weitere Gewerke untersucht. Die Fertigungsverfahren, die zur Herstellung eines Bauteils notwendig sind, sind dabei nicht zu vernachlässigen. So wurden beispielsweise das Tiefziehen, zur Herstellung von Blechteilen, oder das Gießen, zur Fertigung von Strukturgussbauteilen, untersucht. Auf Basis dieser detaillierten Untersuchung ist es möglich, unterschiedliche Karosseriekonzepte miteinander zu vergleichen und davon zukünftige energiearme Bauweisen abzuleiten.
Ein solcher methodischer Vergleich soll hier am Beispiel eines Längsträgers, der im Heckwagen einer Karosserie verbaut ist, vorgestellt werden. Dieser kann üblicherweise auf Basis unterschiedlicher Fertigungsverfahren hergestellt werden. In dem vorliegenden Beispiel wird ein Längsträger aus Aluminium-Druckguss, wie er oftmals in Premiumfahrzeugen zum Einsatz kommt, einem Längsträger vergleichbarer Dimension aus einer Blechschalenbauweise gegenübergestellt. Längsträger aus Blech weisen ein höheres Gewicht auf und werden aus Kostengründen bevorzugt im niedrigeren Fahrzeugsegment eingesetzt. Auf Basis der grundlegenden Untersuchungen ist es nun möglich, diese beiden Varianten hinsichtlich des Energiebedarfs detailliert zu berechnen.
Beim direkten Vergleich beider Bauweisen zeigt sich, dass die Herstellung eines Gussbauteils einen deutlich höheren Energiebedarf aufweist. Dies ist zum einen auf die längere Prozesskette mit mehr Produktionsschritten bei der Herstellung von Strukturgussbauteilen zurückzuführen. Andererseits bedingt das Gießen ein Vorliegen des Materials in flüssiger Form. Dies erfordert zu Beginn der Herstellung eines Gussbauteils einen energetisch aufwändigen Aufschmelzprozess.
Im Vergleich dazu sind für eine aus Blechschalenbauweise hergestellte Konstruktion mehrere Blechbauteile notwendig, welche einzeln durch Tiefziehen hergestellt werden müssen. Diese Bauweise erfordert anschließend den bereits beschriebenen Rohbauprozess, bei dem die Einzelteile mittels der vorgestellten Fügetechnologien miteinander gefügt werden müssen. Dennoch zeigt sich, aus Sicht des Energieverbrauchs, ein deutlich geringerer Aufwand im Vergleich zum Strukturgussbauteil. Es ist jedoch zu betonen, dass diese Gegenüberstellung von zahlreichen Faktoren abhängt und signifikant von dem vorliegenden Konstruktionskonzept beeinflusst wird.
Bessere
Materialausnutzung sollte Ziel sein
Wie bereits beschrieben,
lässt sich die Herstellung einer lackierten Karosserie grundsätzlich in vier
Hauptphasen gliedern: Materialerzeugung, Fertigung der Einzelbauteile, Rohbau
und Lackiererei. Mithilfe der durchgeführten energetischen Untersuchungen
entlang dieser Produktionskette lässt sich der gesamte Energieverbrauch einer
Karosserie abschätzen.
In Abbildung 3 ist eine beispielhafte Hochrechnung auf Basis der zugrundeliegenden Analysen
für die Karosserieherstellung eines Premiumfahrzeugs dargestellt, wobei hier
die Materialherstellung und alle nachfolgenden Herstellungsprozesse separat
ausgewiesen werden. Insgesamt wurden zwei unterschiedliche Szenarien
kalkuliert: Im ersten Szenario (linke Seite der Abbildung) werden
ausschließlich Primärmaterialien verwendet, während das zweite Szenario (rechte
Seite der Abbildung) einen hundertprozentigen Einsatz von Werkstoffen aus der
Sekundärproduktion annimmt.
Abbildung 3: Vergleich von unterschiedlichen Materialerzeugungsrouten mit der eigentlichen KarosserieherstellungHannes Kittel
Der Energiebedarf
dieser Phasen variiert erheblich. Die Materialerzeugung von Stahl und
Aluminium, insbesondere die Gewinnung von Primärmaterialien
(Rohstoffgewinnung), macht mit etwa 60 Prozent den größten Anteil am
Gesamtenergiebedarf der Karosserieherstellung eines Premiumfahrzeugs aus. Die
nachfolgenden Produktionsschritte tragen mit etwa 40 Prozent einen geringeren
Teil zum Gesamtenergiebedarf bei.
Diese Dominanz
der Materialerzeugung im Energieverbrauch erfordert ein Umdenken in der
Materialausnutzung und eine Optimierung des Werkstoffbedarfs in jedem einzelnen
Bauteil. In diesem Kontext spielt der Leichtbau eine entscheidende Rolle, da
jedes eingesparte Kilogramm eine Reduktion des Produktionsaufwands zur Folge
hat. Allerdings setzt die Herstellbarkeit vieler Bauteile in der aktuellen
Fertigungspraxis einen hohen Materialeinsatz voraus, wobei eine signifikante
Menge des Inputs oftmals als Verschnittmaterial endet. Dieses kann nicht im
Fahrzeug verbaut werden, es ist jedoch unerlässlich, um gewisse
Produktionsschritte überhaupt zu ermöglichen.
Das
Verschnittmaterial hat dennoch bereits energieintensive Prozesse, wie beispielsweise
die Halbzeugherstellung im Walzwerk durchlaufen und damit gegebenenfalls
unnötig Energie beansprucht. Für seinen weiteren Einsatz in der Pkw-Produktion
muss der Schrott erneut grundlegend aufbereitet (d.h. eingeschmolzen und
gewalzt) werden und wird daher auch als Kreislaufmaterial bezeichnet.
Angesichts der angespannten Ressourcenlage ist es unerlässlich zu hinterfragen,
ob diese Ineffizienzen zukunftsfähig sind.
Um in diesem
komplexen Prozess nachhaltige Verbesserungen zu erzielen, ist eine enge
Kooperation aller Beteiligten entscheidend. Vom Design der Fahrzeuggeometrie
über die Konstruktion der Bauteile bis hin zur simulativen Auslegung der
Geometrie der Rohplatine muss eine gemeinsame Optimierung der
Materialausnutzung im Vordergrund stehen. Intelligente Bauweisen und innovative
Fertigungsverfahren werden dabei künftig zunehmend in den Fokus rücken.
Was bietet der
Einsatz von Sekundärmaterialien?
Im Gegensatz zur
Verwendung von Primärmaterialien bietet der Einsatz von Sekundärmaterialien
(optimaler Materialkreislauf) erhebliches Energieeinsparpotenzial. Während die
nachfolgenden Herstellungsschritte den nahezu gleichen Energieverbrauch
aufweisen wie bei Primärmaterialien, kann der Energiebedarf für die
Bereitstellung des Werkstoffs durch den Einsatz von reinen Sekundärmaterialien,
in einer Karosserie eines Premiumfahrzeugs, um etwa 90 Prozent gesenkt werden.
Anstelle aufwändiger Verfahren zur Materialerzeugung muss das Material in Form
von Abfällen und Schrotten eingeschmolzen, die passende Legierung
wiederhergestellt und zum Coil weiterverarbeitet werden.
Automobilhersteller
sind bestrebt, den Anteil an Sekundärwerkstoffen kontinuierlich zu erhöhen. Die
Kreislaufwirtschaft bietet Potenziale, indem sie darauf abzielt, Ressourcen zu
schonen, Abfälle zu vermeiden und Produkte so zu gestalten, dass sie langlebig,
reparaturfähig und recyclebar sind. Durch die Wiederverwendung von Materialien
und die Vermeidung der aufwändigen Rohstofferzeugung können Unternehmen ihren
ökologischen Fußabdruck verringern.
Perfekte
Materialkreisläufe sind derzeit noch selten und müssen daher in Zukunft
verstärkt geschlossen werden, um einen hohen Einspareffekt zu erzielen. Dies
bedeutet, dass Schrotte, die beispielsweise während der Produktion in einem
Presswerk anfallen, oder Materialien, die aus dem Post-Consumer-Bereich
stammen, leicht voneinander getrennt und möglichst sortenrein wieder dem
Materiallieferanten zur Verfügung gestellt werden müssen.
Sollte künftig
eine umfassende Verfügbarkeit von Sekundärmaterialien erreicht werden, die eine
vollständige Deckung der Nachfrage ermöglicht, könnte der Energieeinsatz für
die Karosserieherstellung insgesamt um etwa 60 Prozent gesenkt werden. Diese
signifikante Reduktion des Energiebedarfs in der Materialbereitstellung führt
zu einer Verlagerung des energieintensivsten Produktionsabschnitts: Anstelle
der Materialerzeugung würden die nachfolgenden Produktionsabläufe der Karosserieherstellung
den Hauptteil des Energieverbrauchs verursachen und damit aus
Energieeffizienzsicht in den Fokus rücken. Daher ist es unerlässlich bereits
heute ein Umdenken in den betroffenen Produktionsprozessen zu initiieren, um
auch hier Effizienzsteigerungen zu erzielen und den Gesamtenergieverbrauch der
Karosserieherstellung weiter zu senken.
Energetische
Gesamtbilanz der Karosserieherstellung
Insgesamt zeigt
diese Untersuchung, dass die Karosserieherstellung, von der Rohstoffgewinnung
bis zur finalen Lackierung, etwa ein Drittel der gesamten Energie beansprucht,
die für die Herstellung eines kompletten Premiumfahrzeugs benötigt wird und
somit einen erheblichen Einfluss auf den Gesamtenergieverbrauch hat. Es ist
daher unerlässlich, den gesamten Produktionsprozess – inklusive der Leistungen
externer Lieferanten – zu betrachten und den Fokus nicht ausschließlich auf die
unmittelbare Wertschöpfung des Automobilherstellers am eigenen Standort zu
richten.
Jede Entscheidung
im Rahmen der Karosserieentwicklung – von der spezifischen Bauteilgeometrie
über die Werkstoff- und Halbzeugwahl bis hin zu den Fertigungs- und
Fügeverfahren – determiniert maßgeblich den späteren Energieverbrauch in der
Serienproduktion. Insbesondere der Rohbauprozess eines Premiumfahrzeugs, bei welchem
Einzelteile und Teilzusammenbauten zur fertigen Karosserie gefügt werden, weist
aufgrund des hohen Flächenbedarfs und des damit verbundenen Energieaufwands der
Gebäude einen erheblichen energetischen Einfluss auf.
Der im
Premiumsegment übliche Materialmix erfordert zudem Fügetechniken, die für Verbindungen
unterschiedlicher Werkstoffe ausgelegt sind, was den Flächenbedarf zusätzlich
erhöht. Die Analyse des Energieverbrauchs im Rohbau zeigt, dass etwa die Hälfte
auf den Flächenverbrauch zurückzuführen ist, während die andere Hälfte auf die
Prozessenergie entfällt. Konventionelle Fügeverfahren, wie beispielsweise das
Widerstandspunktschweißen, erweisen sich dabei als vergleichsweise stromintensiv.
Dies zeigt
deutlich, dass die Berücksichtigung des Energieverbrauchs bereits in der frühen
Phase der Karosserieentwicklung einen entscheidenden Einfluss hat. Neben
etablierten Kennzahlen, wie Gewicht, Kosten und Crashperformance, fördert die
gezielte Integration der Energieeffizienz die Entwicklung innovativer Konzepte.
Dadurch kann sich die Automobilindustrie in gewissem Maße von schwankenden
Energiekosten entkoppeln und ihre Wettbewerbsfähigkeit im internationalen
Umfeld stärken, insbesondere gegenüber kostengünstigeren Standorten.
TL;DR – Kernaussagen des Beitrags
Energieeffizienz als Schlüssel: Muss bereits in der Produktentwicklung berücksichtigt werden, um spätere Einsparpotenziale zu nutzen
Lebenszyklus-Verschiebung: Bei E-Autos verlagert sich der Energiebedarf von der Nutzungs- zur Produktionsphase (Batterieherstellung verdoppelt Produktionsenergie)
Karosseriefertigung im Fokus: Rohbau ist besonders stromintensiv; Fügetechnologien unterscheiden sich stark im Energieverbrauch
Mechanisch vs. thermisch: Mechanische Fügeverfahren sind deutlich energieärmer als Widerstandspunktschweißen
Materialerzeugung dominiert: Primärmaterialien verursachen bis zu 60 Prozent des Energiebedarfs der Karosserieherstellung
Sekundärmaterialien bieten Potenzial: Einsatz kann Energiebedarf um bis zu 90 Prozent senken; Kreislaufwirtschaft entscheidend
Konstruktive Ansätze: Weniger Fügepunkte, optimierte Zugänglichkeit und Prozessverkürzung sparen Energie
Gesamtbilanz: Karosserieherstellung beansprucht rund ein Drittel der Energie für ein Premiumfahrzeug – frühzeitige Integration von Energieeffizienz ist essenziell