Die Börse ist unerbittlich. Kaum hatte das amerikanische Automobil-Start-up Lucid seine Ergebnisse des dritten Quartals dieses Jahres verkündet, fiel der Aktienkurs um 27 Cent. Grund war, dass die Kalifornier die Produktionsvorhersage für das Jahr 2023 von über 10.000 auf 8.500 nach unten korrigierten. Auf den ersten Blick sind das keine guten Nachrichten. Lucid hat nach wie vor einen schmalen Geldbeutel und wird von der sinkenden Nachfrage nach Elektroautos zusätzlich gebeutelt. Da hilft es wenig, dass die Kritiker den Lucid Air aufgrund der Kombination aus Leistung und Effizienz loben. Trotz der Rückschläge bleibt man im kalifornischen Newark optimistisch.
„Im September haben wir angefangen, den Air Pure mit Heckantrieb zu produzieren, der nur 77.400 US-Dollar kostet“, erklärt Lucid-Chef Peter Rawlinson. Auch bei Lucid hat man erkannt, dass Premium und Luxus zwar schön und gut sind, der Weg zur finanziellen Gesundung aber nur mit einem günstigeren Einstiegsmodell gelingen kann, das eine größere Zahl an Kunden anspricht. Um die Produktionskosten in den Griff zu bekommen, haben die Kalifornier auch die Ausstattungsvielfalt entschlackt. Dazu kommt noch eine Batterie mit einer Kapazität von 88 Kilowattstunden. Also weniger als die stärkeren Modelle, deren Energiespeicher bis zu 118 kWh fassen. Um die von Lucid angegebene Reichweite von 410 Meilen (660 Kilometern) zu erreichen, haben die Techniker auch die Leistung auf 316 kW / 430 PS begrenzt. Immer noch mehr als genug, um flott unterwegs zu sein.
Hoffnungen von Lucid ruhen auf dem Gravity
Ob dieser Air die Verkäufe endlich in dem Maße ankurbeln wird, um das finanziell kränkelnde Automobil-Start-up in die Gewinnzone zu fahren, steht noch in den Sternen. Richten soll es einmal mehr mit dem Lucid Gravity ein vor allem in den USA beliebtes großes siebensitziges SUV, das in der zweiten Jahreshälfte 2024 auf den Markt kommt. „Der Gravity wird zeigen, wie stark die Lucid-Geschäftsidee ist“, erläutert Finanzchefin Sherry House. Lucid legt Wert darauf, dass der Gravity sich zwar mit dem Air mit der Lucid Electric Advanced Platform (LEAP)-Architektur die Technik teilt, aber ein völlig unterschiedliches Auto ist. „Ich weiß, dass wir uns in unsicheren Makro-Umfeld bewegen und dass es Faktoren gibt, die wir nicht beeinflussen können, aber ich bin zuversichtlich. Wir werden im nächsten Jahr erneut wachsen“, strahlt Rawlinson. Damit ist die Produkt-Offensive aber noch nicht vorbei. Danach will Lucid ein kleineres, günstigeres Midsize-Vehikel auf den Markt bringen. Allerdings dürfte das frühestens 2026 der Fall sein.
Bleibt die Frage, woher das Geld dafür kommen soll. Lucid hat nach eigenen Angaben rund 5,45 Milliarden US-Dollar an finanziellen Ressourcen. Damit sei laut Finanzchefin Sherry House die Liquidität bis ins Jahr 2025 und der Produktionsstart des Gravity gesichert. Wenn das SUV wie erhofft einschlägt, wäre das der benötigte Befreiungsschlag. Das Zeug dazu hat der Stelzen-Stromer auf alle Fälle. Aber da bleiben eben die Unwägbarkeiten des Marktes. „Die Umsetzung der globalen Strategie bei den Verkäufen auf internationalen Märkten, der Produktion und der Zulieferkette ist entscheidend für unseren Erfolg“, erklärt Peter Rawlinson, der sich in Zukunft noch mehr um strategische Aspekte kümmern will. Um dem CEO den Rücken freizuhalten, baut Lucid die Unternehmensstruktur aus und installiert mit Marc Winterhoff einen Chief Operating Officer (COO). Peter Rawlinson bezeichnet diese Ernennung als eine „natürliche Evolution des Unternehmens“. Mit dem deutschen Chefingenieur Eric Bach ist ein weiterer Technikexperte an Bord des kalifornischen Schiffes, der den CEO entlastet.
Lucid möchte Technik-Zulieferer werden
Die Expansion geht indes auch auf anderen Gebieten weiter und die Amerikaner machen nicht nur mit Automobilen Geschäfte, sondern auch als Technologie-Lieferant. Lucid steigt bei Aston Martin ein und soll unter anderem Elektromotoren an den britischen Hersteller liefern. Manchen mag da Ferdinand Piëchs Aussage von den zwei Kranken, die auch gemeinsam nicht gehen können, einfallen. Für Lucid könnte sich diese Partnerschaft allerdings positiv auswirken, da solche Synergien dem finanziellen Druck entgegenwirken. Unter dem Strich soll der Deal rund 350 Millionen US-Dollar in die Kassen spülen. Weitere Geschäfte könnten folgen.
Peter Rawlinson berichtet von gesteigertem Interesse anderer Unternehmen an der Lucid Technologie. Umso mehr, da die Amerikaner mit der Midsize-Plattform die Produktpalette und damit die Technologie für Fahrzeugklassen unterhalb der Luxussegments erweitern. Da viele Hersteller nach wie vor mit der Profitabilität kämpfen, um ein Elektroauto auf den Markt zu bringen, dürfte das Know-how der Kalifornier durchaus interessant sein. Zumal der Lucid-Antriebsstrang sehr effizient ist. Das führt zu einem Domino-Effekt: Da die Motoren weniger Energie verbrauchen, können die Akkus mit weniger Kapazität ausgestattet sein. Damit werden die Autos leichter und vor allem günstiger. Eine Rechnung, der viele Hersteller nur zu gerne folgen.
Sparkurs soll die Wirtschaftlichkeit garantieren
Damit ist es nicht getan. Lucid hat sich einen rigorosen Sparkurs auferlegt. Der umfasst die Zuliefererkette, die Kosten für die Teile, Materialien und auch indirekte Ausgaben für Werbung, Verwaltung. In Zukunft soll auch bei der Produktion der Grad der Automation gesteigert werden, um die Arbeitskosten weiter zu senken. „Wir schauen uns alles genau an, um die Ausgaben zu reduzieren“, macht Sherry House klar. Angeblich verbrennt Lucid mit jedem Auto eine Menge Geld. „Da wird viel missverstanden“, stellt House fast schon erzürnt klar: Da bei dieser Summe Kosten wie die Gebäude oder Investitionen in das Unternehmen miteingerechnet sind.
Auch bei der Produktion geht es voran. In Arizona wird eine Produktionslinie für Motoren eingerichtet. Lucid hat in Saudi Arabien eine Fabrik hochgezogen, die zunächst eine Kapazität von 5.000 Einheiten pro Jahr hat. Der Mittlere Osten spielt für Lucid eine zunehmend wichtige Rolle. Zusätzlich zu den 1.550 produzierten Autos im dritten Quartal lieferte der Autobauer mehr als 700 Fahrzeuge nach Saudi-Arabien, die dort als Semi Knocked Down (SKD) montiert werden. Das verwundert wenig, da ein Saudi-Arabischer Staatsfond Lucid mit einer Finanzspritze von drei Milliarden US-Dollar unter die Arme gegriffen hat. Und welche Rolle spielt der Alte Kontinent in den Planungen? „In Europa stehen wir am Anfang unserer Reise“, gibt Rawlinson zu, der aber im nächsten Jahr auch dort ein Wachstum erwartet.