
Seit diesem Jahr ist Mathias Miedreich Teil des ZF-Vorstands und verantwortet die Division Elektrifizierte Antriebstechnologien. Auf dem "E-Mobility Tech Day" in Zweibrücken präsentierte er seine Vision für die elektrifizierte Zukunft bei ZF. (Bild: ZF)
Vor dem Hintergrund eines dynamischen, zunehmend fragmentierten Mobilitätsmarkts präsentierte ZF beim diesjährigen E-Mobility Tech Day nicht nur eine Reihe konkreter Technologie-Innovationen – sondern auch ein neues strategisches Prinzip: systemisch denken, technologieoffen agieren, modular skalieren. Gastgeber der Veranstaltung: Mathias Miedreich, der seit Anfang 2025 als neues Vorstandsmitglied für die Division Elektrifizierte Antriebstechnologien beim Automobilzulieferer aus Friedrichshafen verantwortlich ist.
Diese „E-Division“ verfüge über auffällig viele Schnittstellen zu anderen Konzernsparten. „Sie ist Teil eines Ökosystems. Das kommt daher, weil wir fest daran glauben, dass die die Transformation des Antriebsstrangs in Richtung Elektromobilität am besten in solchen Ökosystemen gelingen kann“, so der Elektro-Vorstand. „Ein solches Ökosystem bedeutet, dass man nicht alles selbst machen muss – und auch nicht glauben sollte, alles am besten selbst zu können. Vielmehr geht es darum, in Partnerschaften und Zusammenschlüssen mit anderen gemeinsam zu arbeiten.“ Unverkennbar sei dies beispielsweise im Bereich Nutzfahrzeuge, für den die E-Division als interner Lieferant die E-Antriebe und Komponenten zur Verfügung stellt.
Aber auch weniger offensichtliche Schnittstellen gebe es – etwa zur Fahrwerksdivision. Denn die Grenzen zwischen Antriebs- und Fahrwerkstechnologie würden zunehmend verschwimmen und im Sinne eines ganzheitlichen Fahrzeugverständnisses zusammenwachsen. Statt auf einseitige Technologien oder proprietäre Insellösungen zu setzen, sieht der Antriebsspezialist die Stärke von ZF künftig zudem in seiner Fähigkeit zur umfassenden Integration von mechanischer Expertise über Leistungselektronik bis hin zu Software und Systemarchitektur. Seine These: Elektromobilität ist längst keine Schwarz-Weiß-Entscheidung mehr zwischen Verbrenner und Batterie, sondern ein Spektrum aus zahlreichen „Graustufen“ – je nach Markt, Anwendung und Kundenbedürfnis unterschiedlich ausgeprägt.
Baukasten soll Kosten reduzieren
„Diversifizierung bedeutet in der Regel auch höhere Kosten. Denn wenn man viele verschiedene Lösungen anbieten will oder muss, erreicht jede dieser Lösungen nur ein Teilvolumen – nicht das Gesamtvolumen. Und in der Automobilindustrie gilt die einfache Rechnung: Volumen bedeutet Kostenvorteil“, betont Miedreich die Herausforderung hinter einer stark diversifizierten Antriebsstrategie.
Deshalb setze ZF ab sofort konsequent auf ein neues Baukastensystem: Die Select-Plattform besteht aus einer Vielzahl an Komponenten – vom E-Motor über den Inverter und mechanische Antriebselemente wie den Reducer bis hin zur zugrunde liegenden Softwareplattform – und soll die Verwendung ähnlicher Komponenten für BEVs, Range Extender, Plug-in-Hybride oder klassische Hybride ermöglichen. Der Grad der Elektrifizierung beeinflusse lediglich, wie viele Komponenten zum Einsatz kämen, die technische Basis sei jedoch stets dieselbe. „So gelingt es uns, Skaleneffekte mit einer hohen Variantenvielfalt zu kombinieren – nahezu unabhängig von der konkreten Antriebsart“, erklärt der Elektro-Vorstand.
Die Modulbaukästen der Select-Plattform von ZF:
em:SELECT: Der Baukasten em:SELECT umfasst ein breites Spektrum an E-Maschinen – von permanenterregten Synchronmaschinen (PSM) und Asynchronmaschinen (ASM) bis hin zu fremderregten Synchronmaschinen (SESM). Standardisierte Statoren und variable Rotoren sollen flexible Anpassungen ermöglichen.
in:SELECT: Die von ZF entwickelte Inverterplattform sei für Spannungen von 400 bis 800 Volt und Ströme bis 650 Ampere ausgelegt, künftig auch bis 900 Ampere. Der diskrete Aufbau erlaube flexible Skalierung ohne Softwareanpassung und verringere Abhängigkeiten bei Halbleitern.
co:SELECT: Der Baukasten co:SELECT integriert Funktionen wie bidirektionales Laden, Vehicle-to-Grid und Vehicle-to-Load in einem kompakten Gehäuse mit galvanischer Trennung. Das System soll Fahrzeuge netzdienlich nutzbar machen.
rd:SELECT: umfasst Reduziergetriebe in koaxialer und achsparalleler Bauweise. Die kompaktere koaxiale Variante integriere ein Differenzial und spare bis zu 70 mm Baulänge und über fünf Kilogramm Gewicht.
sw:SELECT: Mit sw:SELECT verfolgt ZF einen modularen Softwareansatz, der an zentrale oder zonale Rechnerarchitekturen angepasst werden könne. Ziel sei es, Funktionalität, Performance und Kompatibilität mit Safety-Standards zu vereinen und gleichzeitig eine Individualisierung des Fahrerlebnisses zu ermöglichen.
ZF setzt auf „China Speed“ durch Vorvalidierung
Wie die einzelnen Bausteine der Select-Plattform in konkrete Produkte münden, zeigt der Zulieferer am Beispiel eines neu entwickelten koaxialen Primärantriebs mit 300 kW Leistung und 5.500 Nm Drehmoment. „Im Benchmark-Vergleich mit einer modernen chinesischen Achse, die Ende letzten Jahres mit 300 kW auf den Markt kam, sind wir mit unserer Lösung zehn Kilogramm leichter, 20 Prozent kompakter im Volumen und rund 15 Prozent günstiger in den Kosten“, berichtet Otmar Scharrer, Entwicklungsleiter für elektrifizierte Antriebstechnologien, stolz. „Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure haben damit gezeigt, dass wir China-Kosten und -Geschwindigkeit erreichen können – durch konsequente Vorvalidierung.“
Gleichzeitig erreiche die Neuentwicklung eine Dauerleistung von bis zu 60 Prozent – ein Wert, der über dem aktuellen Branchendurchschnitt liege. Herzstück des neuen koaxialen Antriebs ist das ebenfalls vorgestellte Reduziergetriebe aus dem Modulbaukasten rd:SELECT. Die Einheit wurde speziell für hochdrehende E-Maschinen konzipiert und soll eine besonders hohe Drehmomentdichte bei gleichzeitig geringem Bauraum ermöglichen. Die koaxiale Bauweise integriert zusätzlich eine Differenzialfunktion – ein Ansatz, der laut Entwicklungschef Scharrer eine Reduktion der Y-Baulänge um bis zu 70 Millimeter und eine Gewichtseinsparung von mehr als fünf Kilogramm gegenüber herkömmlichen, achsparallelen Konstruktionen ermögliche.
Ergänzt wird der neue Antrieb durch eine Bremsfunktion, die sich in das Systemverständnis der Select-Plattform einfügt: ZF ermöglicht erstmals ein rein elektrisches Bremsen bis zum vollständigen Stillstand – ohne vorzeitigen Übergang auf die mechanische Bremse. Realisiert wird dies durch eine fein abgestimmte Interaktion von E-Maschine, Inverter und Software, also den Baukastenelementen em:SELECT, in:SELECT und sw:SELECT. „Das sorgt für ein sanfteres Bremsgefühl und ermöglicht mehr Energierückgewinnung. Möglich wird das durch eine präzise Regelstrategie, die auch bei niedrigen Drehzahlen eine effektive Rekuperation erlaubt“, erläutert Scharrer.
Hybride als fester Bestandteil der Elektrifizierungsstrategie
Zusätzlich zu den vollelektrischen Systemen verfolgt ZF auch bei Hybridlösungen einen klaren Kurs und positioniert diese keineswegs als Übergangstechnologie, sondern als dauerhaft relevanten Bestandteil einer global differenzierten Elektrifizierungsstrategie. Miedreich ordnet die Rolle von Hybridlösungen im heutigen Marktgeschehen deutlich differenzierter ein, als es die Branche noch vor wenigen Jahren getan hätte. Während Hybridantriebe früher oft als kurzlebige Brückentechnologie galten und politisch wenig Rückenwind erfuhren, zeichne sich nun ein klarer Trendwandel ab.
Der E-Vorstand verweist auf aktuelle Marktprognosen, wonach reine Elektrofahrzeuge deutlich hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückbleiben: Wurde 2023 für 2031 noch ein BEV-Anteil von über 50 Prozent prognostiziert, liege dieser heute bei unter 40 Prozent. Gleichzeitig hätten sich die Erwartungen für Hybridfahrzeuge – insbesondere Plug-in-Hybride und Range Extender drastisch erhöht. Miedreich spricht hier vom „großen Gewinner“ der Marktverschiebung und ist überzeugt, dass diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist.
Diese Entwicklung verlaufe regional sehr unterschiedlich. In China etwa gelten Plug-in-Hybride und Range Extender als New Energy Vehicles und profitieren dort von regulatorischen Vorteilen. In den USA wiederum wachse der Bedarf an Range-Extender-Lösungen für große Pick-ups und SUVs – auch, weil das Laden dort unpopulär sei. In Europa hingegen werde der hohe BEV-Anteil vor allem durch Regulierung erzwungen. Miedreich plädiert für mehr Technologieoffenheit: Gerade effizient betriebene Range Extender – eventuell mit E-Fuels – könnten einen wertvollen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten.

Hybridantriebe in 18 Monaten zur Serienreife
Auf dem Tech Day präsentierte ZF das überarbeitete Acht-Gang-Automatgetriebe 8HP evo, das gezielt für den Einsatz in Hybridplattformen optimiert wurde. Die neue Generation biete höhere elektrische Leistung, gesteigerte Effizienz und ein verbessertes Packaging, ohne das bewährte Layout infrage zu stellen. Ein zentrales Merkmal ist die integrierte Leistungselektronik, die in Kombination mit einer optimierten Kühlung die elektrische Reichweite von Plug-in-Hybriden deutlich erhöhen soll.
Ergänzend stellt ZF ein neu entwickeltes Electric-Range-Extender-System vor – eine kompakte Einheit aus kleinem Verbrennungsmotor und Generator, die bei niedrigem Batteriestand elektrische Energie erzeugt. Der Ansatz richtet sich an Fahrzeugsegmente, in denen eine reinelektrische Lösung aufgrund von Infrastruktur oder Reichweitenbedarf derzeit noch nicht wirtschaftlich ist. „Die Entwicklung dieses Systems bis zur Serienreife dauerte weniger als 18 Monate – ein Beleg für die Modularität und Reife des Baukastens", berichtet Scharrer.
Batterie im Wohlfühlbereich halten
Zusätzlich rückte das Unternehmen auch die Frage in den Fokus, wie Reichweite abseits der Batterie optimiert werden kann – etwa durch intelligentes Thermomanagement. Mit TherMaS präsentierte der Zulieferer ein neues System, das Batterie, E-Maschine, Leistungselektronik und Innenraum effizient und kompakt temperieren soll. Die Batterie sei besonders empfindlich gegenüber Abweichungen von ihrer "Wohlfühltemperatur" zwischen 15 und 25 Grad Celsius. Ziel sei es daher, diesen Bereich möglichst konstant zu halten – unabhängig von äußeren Bedingungen.
Tests hätten gezeigt, dass TherMaS im Winterbetrieb bis zu zehn Prozent mehr Reichweite bringe, unter Extrembedingungen sogar bis zu 30 Prozent. Die Lösung setze auf einen propanbasierten Wärmepumpenkreislauf, zwei getrennte Kühlkreise sowie eine kompakte Integration, um Bauraum, Gewicht und Komplexität zu reduzieren. „Wir gehen davon aus, dass dieses System 2027 oder 2028 in Serie gehen wird – und sind überzeugt, dass es einen wesentlichen Beitrag zur Alltagstauglichkeit der Elektromobilität leisten kann", prognostiziert der Entwicklungsleiter.