Wo der Aufstieg von BYD seinen Anfang nahm
Vor kurzem feierte man in Xi'an den einmillionsten Seagull. In Europa läuft der kleine Stromer unter dem Namen Dolphin Surf.
(Bild: BYD)
BYD macht ein großes Geheimnis um seine Produktion. Doch jetzt hat der chinesische Autobauer die Pforten seiner wichtigsten Fabrik geöffnet. In Xi’an setzt BYD das Konzept der Industrie 4.0 um und treibt die vertikale Integration voran.
Ende Juni sah man im BYD-Werk Xi’an nur fröhliche Gesichter. Der Grund: Der millionste Seagull war vom Band gelaufen. Solche Zahlen sind selbst im boomenden Automarkt des Reichs der Mitte beeindruckend. Umso mehr, wenn es sich um einen elektrischen Kleinwagen handelt, der in Deutschland unter dem Namen Dolphin Surf verkauft wird. Bei der obligatorischen Zeremonie in einer großen Halle der Stadt gaben sich neben einigen Seagull-Besitzern auch die Olympiasiegerinnen im Synchronschwimmen Wang Liuyi und Qianyi Wang die Ehre. Eine Live-Band heizte den Anwesenden mit fetzigen Pop-Rhythmen ein. Alles Seagull-Fahrer, versteht sich.
Xi’an: Wo alles begann
Den Managern des Autobauers platzte der Stolz aus jedem Knopfloch. Baureihenleiter Yang Buyi strahlte: „Der Seagull ist ein Symbol für Chinas Smart Factoring.“ Der Ort der Zeremonie war mit Bedacht gewählt. Denn der Jubilar läuft im BYD-Werk in Xi’an vom Band. Die Fabrik in der chinesischen Provinz Shaanxi ist der Ort, an dem BYDs Automobilgeschichte begann. Nachdem BYD im Januar 2003 den staatlichen Automobilherstellers Xi’an Qinhuan Automobile übernommen hatte, lief vor 20 Jahren die Kompaktlimousine F3 vom Band. Die Batterie- und Elektronikproduktion blieb hingegen in Shenzhen.
Von den bescheidenen Anfängen ist heute nichts mehr zu spüren. Der Komplex in Xi’an erstreckt sich mittlerweile über eine Fläche von 13,3 Quadratkilometern. Neben dem Hauptquartier in Shenzhen ist das Werk eine der wichtigsten Produktionsstätten im BYD-Produktionsverbund. Seit dem Start wurde die Fabrik ständig vergrößert und modernisiert. Mittlerweile sind rund 120.000 Menschen hier beschäftigt. Im vergangenen Jahr liefen hier erstmals mehr als eine Million Autos vom Band. Insgesamt sind sogar 1,5 Millionen Fahrzeuge pro Jahr möglich.
Auch BYD hat Probleme
Allerdings hat der weltgrößte Hersteller von Elektroautos derzeit mit unerwarteten Problemen zu kämpfen. Zwar ist der chinesische Elektroauto-Markt in den ersten drei Monaten des Jahres um mehr als 45 Prozent gewachsen. Der Branchenprimus konnte jedoch lediglich ein Wachstum von 5,5 Prozent verzeichnen. Das ist ein herber Schlag für den erfolgsverwöhnten Autobauer aus Shenzhen. Das Resultat sind massiv gestiegene Lagerbestände.
Im Mai 2025 standen die Autos bei den BYD-Händlern 3,21 Monate in den Schauräumen. Das ist der Negativrekord in China. Durchschnittlich beträgt die Standzeit von Neuwagen 1,38 Monate. Um diesem negativen Trend entgegenzuwirken, strich der Automobilhersteller in den meisten Werken die Nachtschicht und drosselte so die Produktion um ein Drittel. Von dieser Maßnahme ist auch die Fabrik in Xi’an betroffen. Aktuell läuft das Werk mit zwei Acht-Stunden-Schichten an fünf Tagen die Woche.
Hochmodernes Xi’an produziert im Akkord
Die Fabrik ist auf dem neuesten Stand der Technik. In Xi'an betreibt BYD vier Produktionslinien gleichzeitig: Stanzen, Schweißen, Lackieren und die Endmontage. Die Produktion ist flexibel. Neben reinen Elektromobilen können auch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor (DM-I / Plug-in-Hybride) sowie Modelle anderer Hersteller vom Band laufen. Laut BYD sind pro Produktionslinie 23 verschiedene Modelle möglich. Zu den in Xi’an produzierten BYD-Modellen gehören unter anderem der Seagull beziehungsweise Dolphin Surf, die Seal U Serie, der Qin EV, die SeaLion-Serie und das riesige SUV Tang L.
Die Plattformen der Automobile sind entscheidend. Die e-Platform 3.0 und die kürzlich vorgestellte Super-e-Platform, die auch das extrem schnelle Flash-Laden mit maximal 1.000 kW ermöglicht, erlauben eben diese modulare, effiziente und schnelle Produktion verschiedener Modelle. Han L. Yang Buyi verkündet einen Automatisierungsgrad von 92,7 Prozent in der Produktionslinie und verweist darauf, wie schnell man bei BYD reagiert hat. „Wir haben die Fertigung innerhalb von nur drei Monaten die Fertigung ohne Qualitätseinbußen umgestellt und können mittlerweile beim Seagull 250.000 Einheiten pro Jahr herstellen.“
Vertikale Integration und hohe Automatisierung
Das Werk ist Leuchtturm und Rückgrat von BYDs globalem Produktionsverbund. Aufgrund der hohen Produktionskapazitäten sind die Autos sowohl für den Heimatmarkt als auch für den Export bestimmt. In Xi'an treibt BYD die vertikale Integration voran und stellt 80 Prozent der Teile selbst her. Neben den Batterien inklusive der Zellen fertigt der chinesische Autobauer auch Halbleiter, Elektromotoren samt den dazugehörigen Antriebseinheiten, Steuergeräte, Chips und Teile der Fahrzeugelektronik. Tendenz steigend. So macht sich der Autobauer weitgehend unabhängig von zunehmend volatilen Lieferketten, da BYD die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zur Endmontage zentral steuert.
Die Produktionsanlagen, vor allem die Roboter sind mit Sensorik und Echtzeit-Datenerfassung ausgestattet, um Prozesse kontinuierlich zu überwachen und zu optimieren. Die Maschinen stammen von Kuka, Fanuc, ABB und Yaskawa (Lackiererei). Zunehmend kommen auch Produkte lokaler Hersteller zum Einsatz. Ähnlich wie BMW in seinem Werk in Spartanburg nutzt BYD versuchsweise einen humanoiden Roboter in der Produktion. Aktuell belädt der Walker S1 des chinesischen Herstellers Ubtech fahrerlose Transporter, um eine vollständige Automatisierung der Logistik in der Produktion zu erreichen.
Bereits im nächsten Jahr soll das Zusammenspiel serienreif sein. Das ist nur der Anfang: BYD hat bereits vor zwei Jahren rund 1,9 Millionen Yuan in Zhiyuan Robotics investiert und will auch den humanoiden Roboter Yuanzheng A1 in der Montage einsetzen. Wie das aussehen kann, hat BYD bei der hauseigenen Messe demonstriert, als die Mensch-Maschine Karosserieteile verschraubte.
Künstliche und menschliche Intelligenz im Fokus
Bei der Produktion kommen auch KI-gestützte Modelle und Algorithmen zum Einsatz. Durch die digitale Steuerung und Überwachung werden sämtliche Fertigungsschritte optimiert und in Echtzeit angepasst. Die ständige Analyse und Auswertung der Produktionsdaten hilft, Fehler frühzeitig zu erkennen, die Qualitätssicherung zu verbessern und die Wartungsintervalle zu verkürzen. Jede Minute, in der die Bänder ruhen, kostet den Autobauer Geld. Durch die intelligente Vernetzung und den modularen Aufbau der Fertigungslinien kann man zudem schnell auf Nachfrageschwankungen reagieren. Diese Effizienz wirkt sich auch positiv auf die Energiebilanz aus, da der Energieverbrauch und die Emissionen sinken.
BYD versucht nicht nur bei den Lieferketten eine möglichst große Autarkie zu erreichen, sondern auch bei den Mitarbeitern. Der Elektrohersteller betreibt in Xi’an ein integriertes Forschungs- und Ausbildungszentrum auf dem Gelände der Fabrik. Außerdem arbeitet der Autobauer eng mit lokalen Universitäten, wie etwa der Xi’an Jiaotong University zusammen und bietet duale Studiengänge an. Darüber hinaus forciert BYD Forschungskooperationen in den Bereichen autonome Fahrzeugtechnik, KI-gestützte Produktion und neue Materialien.