Nachzügler auf der Überholspur
So stützen deutschen Firmen die Autoindustrie in Bulgarien
Bulgarien beheimatet einige deutsche Zulieferer und ein paar Hypercar-Schmieden.
(Bild: Sin Cars / Collage)
Bulgarien ist zwar kein klassischer Standort für die Automobilproduktion, doch in den vergangenen Jahren hat sich die Zulieferindustrie dort sehr dynamisch entwickelt. Dabei spielen deutsche Unternehmen eine wichtige Rolle.
Knapp daneben ist auch vorbei. Der erste Spatenstich zum Aufbau eines Werks zur Produktion elektrischer Automobile war für März 2022 terminiert. Sogar Staatspräsident Rumen Radev hatte sich angesagt. „Doch zwei, drei Wochen davor informierte uns der Aachener Investor Next.e.GO Mobile SE, dass er das Projekt wegen Geldproblemen verschieben müsse“, erzählt Ljubomir Stanislavov, Geschäftsführer des Automotive Cluster Bulgaria (ACB). Wieder einmal war Bulgariens Traum einer eigenen Automobilproduktion, der in den zurückliegenden Jahrzehnten immer mal wieder aufkeimte, geplatzt. In den 1960er Jahren liefen kurzzeitig der Bulgarrenault und der Pirin-Fiat vom Band, Mitte der 1990er Jahre produzierte die bulgarische Dari Grup den Rover Maestro in Varna. Und von 2012 bis 2015 montierte Litex Motors in Lowetsch aus China gelieferte Komponenten zu Great Wall E-Autos zusammen. Eine nachhaltig erfolgreiche Fertigung stellte sich indes nie ein.
Darin sieht ACB-Chef Stanislavov die Ursache dafür, dass sich sein Land beträchtlich später als andere osteuropäische Länder von Ungarn bis Rumänien als Produktionsstandort für die globale Automobilzulieferindustrie etabliert hat. „Die Automotive-Branche ist eine konservative“, erklärt er, „Autobauer wie Zulieferer gehen zunächst dorthin, wo es gewachsene Traditionen gibt und sie die für ihre Personalrekrutierung einschlägige Expertise erhoffen.“
Bulgariens holpriger Automotive-Aufschwung
Im Jahr 2012 gründete der Stuttgarter Manager Till W. Truckenmüller das ACB. Der Aufschwung des bulgarischen Automotive-Sektors zeichnete sich bereits ab. „In den vergangenen zwölf Jahren war die Automobilzulieferindustrie die am schnellsten wachsende Branche in Bulgarien“, sagt ACB-Chef Stanislavov und nennt Zahlen. „85.000 Menschen in 380 zertifizierten Unternehmen erwirtschaften einen Jahresumsatz von 10 Milliarden Euro und tragen rund 11 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei.“
Das Who-is-who internationaler Größen wie Yazaki, Sensata, Melexis und Magna fertigen in Bulgarien, auch zahlreiche deutsche Firmen wie Bosch, Festo, Witte, Eberspächer, Voss, Behr-Hella und Kostal. Manche von ihnen entwickeln ihre Produkte auch vor Ort.
Werksstillegungen trübten zuletzt das Bild. Die bulgarische Tochter der krisengeschüttelten Nürnberger Leoni AG stoppte ihre Produktion von Kabelbäumen in Pleven, entließ 1.300 Menschen auf den Arbeitsmarkt. Und SE Bordnetze schloss sein Werk in Mesdra, fertigt in vermindertem Umfang weiter in Karnobat. Betriebsschließungen seien unvermeidbare Folgen natürlicher Prozesse, so Stanislavov. „Manche Unternehmen organisieren ihre Produktion auf eine Weise, die ihnen ermöglicht, die Vorteile des Produktionsstandorts Bulgarien zu nutzen, anderen gelingt dies nicht.“
„Automobilzulieferer stellen einen guten Teil der rund 600 Mitgliedsfirmen der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer (DBIHK)“, informiert Sonja Miekley, Geschäftsführerin der Kammer. „Sie profitieren von Bulgariens moderater Steuerlast mit einer Unternehmensteuer von zehn Prozent, schätzen das gut ausgebaute Kommunikationsnetz und die Verfügbarkeit und Qualität lokaler Zulieferer.“
Die jährliche Mitgliederumfrage der Kammer zeige, „dass die in Bulgarien tätigen Unternehmen den Standort insgesamt positiv sehen“, so die DBIHK-Chefin. Aktuell bewerteten sie den zum Jahresanfang erfolgten Schengen-Beitritt des Balkanlandes als förderlich. „Und von Bulgariens für den Beginn des kommenden Jahres avisierten Beitritt zur Eurozone erhoffen sie sich zusätzliche Impulse.“
Bulgarien bietet viele IT-Fachkräfte
Den Wettbewerb um die Rekrutierung gut qualifizierter Arbeitskräfte empfinden sie Miekley zufolge „zunehmend als Herausforderung“. Auch würden sich die Firmen „eine effizientere Staatsverwaltung und entschlossenere Bekämpfung von Korruption und Kriminalität wünschen“.
Qualifizierte Leute gibt es in Bulgarien vor allem auch im IT-Sektor, in dem das Balkanland über eine Tradition verfügt. Die sozialistische Volksrepublik Bulgarien war im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) auf die Fertigung von Computern und Software-Entwicklung spezialisiert. Firmen wie Melexis, Sensata und Integrated Micro-Electronics (IMI) nutzen heute Werksgelände, auf den einst staatliche Kombinate Microchips, Halbleiter und sonstige elektronische Komponenten herstellten. „Aufgrund unserer IT-Tradition verfügen wir im immer wichtiger werdenden Bereich der Automobilelektronik über eine große Wettbewerbsfähigkeit gegenüber europäischen Ländern und den Chinesen“, ist Stanislavov überzeugt.
Ein paar Hypercar-Schmieden gibt es
Ist Bulgarien aber tatsächlich ein Land ganz ohne Autobau? Nein, in dem kleinen Dorf Tuhovishta im Mittelgebirge der Rhodopen tüftelt Ahmed Merchev an seinem elektrischen Hypercar Alieno. Er will ihn mit der unfassbaren Kraft von 5.221 Pferdestärken ausstatten. Sie sollen eine Spitzengeschwindigkeit von 568 km/h ermöglichen. Wann das Fahrzeug Marktreife erlangt, diese Anfrage ließ Merchev unbeantwortet.
Ein ausgewiesener bulgarischer Supersportwagen-Hersteller sitzt aber in Russe an der Donau. Der Rennfahrer Rosen Daskalov war vor einigen Jahren mit seinem selbstgebauten Sin R1 in GT4-Serien erfolgreich. „Die Sin Car-Produktion stellen wir momentan zurück und fokussieren uns ganz auf die Fertigung unserer elektrischen L-City-Transporter“, erzählt er am Telefon. Einige der gebauten Fahrzeuge seien bereits für die Kurierfirma Hermes in Berlin im Einsatz. „Um unsere E-Transporter aber in großer Serie produzieren können, suchen wir einen Investor, der sich beteiligt.“
Witte Automotive erweitert Werk in Russe
Komponenten für Automobile fertigen in der Donaustadt Russe auch das Esslinger Unternehmen Eberspächer und Witte Automotive aus Velbert. Anfang Juli 2025 eröffnete Witte Automotive feierlich ihr neues Werk zur Produktion vor allem von Schließanlagen für Automobile. Zu den gut 1.200 Mitarbeitern sollen 300 weitere Beschäftigte hinzukommen und der Jahresumsatz bis 2027 auf 250 Millionen Euro gesteigert werden.
„Für Witte ist die bulgarische Niederlassung effektiver und profitabler als die chinesischen Tochterunternehmen“, meint Ljubomir Stanislavov. In Russe betreibe die deutsche Firma „ihr Geschäft in der EU und sehr bald in der Eurozone zu vergleichbaren Kosten wie in China.“
Kostal auf Wachstumskurs
In der Kleinstadt Pasardschik in der thrakischen Tiefebene hat Kostal Automotive Bulgaria ebenfalls bereits mehrfach erweitert. Ihre rund 2.000 Beschäftigen fertigen zehn Millionen Lenksäulenmodule im Jahr, in geringeren Mengen auch andere Bedienelemente wie Gangwahlschalter. „Unsere Produkte liefern wir an fast alle Automobilmarken, außer die japanischen, die traditionell ihre eigenen Zulieferer haben“, erklärt Geschäftsführer Guido Herr beim Gespräch im Besprechungsraum seines Werks.
Kostal Automotive Bulgaria wachse nicht allein durch die Steigerung der Stückzahlen, sondern auch durch die zunehmende Komplexität der Lenksäulenmodule. „Es geht nicht mehr nur um klassische Bedienelemente wie Blinker und Wischer, ständig kommen neue Funktionen hinzu“, sagt er.
Infrastruktur für Zulieferindustrie vorhanden
Dass Bulgarien keinen großen Autobauer habe, unterscheide das Land signifikant von anderen mittel- und osteuropäischen Ländern wie Ungarn, die Slowakei und Tschechien. „Der wesentliche Faktor ist aber, ob ich hier die notwendige Infrastruktur vorfinde und das Personal zu entsprechenden Konditionen, damit ich erfolgreich produzieren kann, und das ist in Bulgarien der Fall.“ Das bulgarische Gehaltsniveau entspricht etwa einem Viertel des deutschen.
Die Automobilzulieferfirmen konzentrieren sich in der Hauptstadt Sofia und größeren Städten wie Plovdiv, Russe und Stara Zagora. Für das Industriegebiet Pasardschick ist Kostal eine Art Leuchtturm. „Dies erleichtert uns den Kontakt zum Bürgermeister, aber auch die Personalrekrutierung. Mit unserer gesunden Distanz von vierzig Kilometern zu Plovdiv befinden wir uns nicht in direkter Konkurrenz zu den dortigen Unternehmen, die teilweise höhere Löhne bezahlen. Für die Ausbildung geeigneter Arbeitskräfte kooperieren wir mit der Technischen Universität Gabrovo.“
Der Chef von Kostal Automotive Bulgaria hätte gerne mehr Lieferanten in Bulgarien. „Wir sind bestrebt, Zulieferer in die Nähe zu holen, auch um unsere Logistik zu verschlanken“, sagt er. Der Schengen-Beitritt habe die Anlieferung von Teilen und den Abtransport der Produkte bereits vereinfacht, doch Vieles komme noch aus Nicht-EU-Ländern wie China und der Türkei, „so dass wir nach wie vor Zollthemen haben“.
Kommt ein internationaler OEM nach Bulgarien?
Dem bevorstehenden Euro misst Guido Herr keine so große Bedeutung bei. „Da der Lew seit langem an den Euro gekoppelt ist, fakturieren wir schon immer in Euro“, erklärt er. Korruption sei in Bulgarien zwar „ein offenes Geheimnis“, aber die gebe es ja überall. „Wir achten stark auf Compliance und können hier so sauber arbeiten wie in Deutschland“.
Der Geschäftsführer des Ford-Importeurs Moto-Pfohe in Sofia, Aleksandar Kostadinov, organisiert als Vorsitzender der Assoziation der Automobil-Produzenten (AAP), alle zwei Jahre die Automobilmesse Sofia Motor Show. Die Ansiedlung eines Autobauers brächte seiner Ansicht nach „der bulgarischen Volkswirtschaft großen Mehrwert“. Seines Wissens erwägen momentan zwei bis drei chinesische Autobauer eine Produktion in Europa. Als EU-Mitglied sei Bulgarien „einer der besten Standorte für solch eine Produktion, könnte die Ausfuhr doch über das Wasser erfolgen, über die Donau oder das Schwarze Meer“.