Philipp Seidel, Principal bei der Strategieberatung Arthur D. Little

Der Marktexperte Philipp Seidel beschäftigt sich unter anderem mit den Herausforderungen im Bereich der Rohstoffsicherheit sowie des Recyclings von Batterien. (Bild: A. D. Little)

Herr Seidel, wie lassen sich jenseits der Corona-bedingten Engpässe und hohen Preise die derzeitigen Entwicklungen in der Autobranche beim Blick auf Rohstoffe beschreiben?  

Erstmals rückt jetzt die gesamte Wertschöpfungskette der Industrie in den Blick – also auch die Rohstoffbeschaffung. Waren in der klassischen Verbrenner-Welt noch das Endprodukt und dessen Emissionen im Betrieb relevant, erfährt mit der Elektromobilität und der Diskussion um den Klimaschutz nun das Gesamtbild bei der Nachhaltigkeit Bedeutung. Mit E-Antrieben und den für sie relevanten Rohstoffen ist heute von Anbeginn die Frage nach deren Umweltverträglichkeit wichtig. Eine begrüßenswerte Entwicklung, da nun ein gesamtheitlicheres Bewusstsein für das Produkt entsteht. In der Folge des öffentlichen Drucks verpflichten sich die Hersteller daher zunehmend, Transparenz über ihre kompletten Lieferketten zu schaffen.

Was folgt aus dieser geänderten Grundstimmung und wie nachhaltig sind die neuen Entwicklungen?

Für die Automobilindustrie bietet sich daraus die Chance, zu einem Vorreiter zu werden. Zu differenzieren ist dabei noch in den CO2- und Energie-Aufwand in der Fertigung sowie in die vor Ort gegebenen Förderbedingungen bei Bergbauprodukten wie Lithium und Kobalt. Die notwendige „Sauberkeit“ der Lieferkette umfasst Umwelt- und soziale Gesichtspunkte gleichermaßen. Die Automobilhersteller erbringen nun den Nachweis, woher sie ihre Rohstoffe beziehen und nehmen die Lieferanten noch kritischer unter die Lupe. Vor allem deutsche Hersteller positionieren sich und treten Partnerschaften wie etwa der Responsible Minerals Initiative oder der IRMA bei und verpflichten sich zu gewissen Standards über die gesamte Wertkette hinweg. Eine Objektivierung erfährt dies, wenn in den genannten Allianzen neutrale Mitstreiter teilnehmen, wie etwa die GIZ, oder NGOs.

Dies ist die eine Strategie. Eine andere ist es, gerade mit Blick auf die E-Mobilität, die eigenen Zell-Lieferanten zu verpflichten und sich auch nur ganz bestimmte Lieferanten auszusuchen. Die OEMs gehen hier teilweise so weit, dass sie selber Verträge über Batterie-Rohstoffe abschließen, wie etwa BMW oder Tesla - ein Schritt mit großer Transparenz, aber auch hohem Aufwand. Zusammengefasst sind also zwei Strategien wahrnehmbar: das klassische Auditieren von Lieferanten, um sie zur Transparenz zu verpflichten und zum anderen das selber Eingreifen.

Welche Rohstoffe sind derzeit schwer zu beschaffen?

Eine Dimension in der aktuellen Situation ist die Knappheit und der entsprechende Preisanstieg, was wir seit dem Preis-Tief im März 2020 durch den Corona-Schock bei nahezu allen Rohstoffen wahrnehmen. Je nach Material führt dies bis hin zur Verdoppelung des Preises und noch darüber hinaus. Dies gilt etwa für Aluminium, Lithium, Nickel, Kupfer und Kobalt. Eine weitere kritische Dimension ist die Wertketten-Transparenz mit den erwähnten Förderbedingungen. Davon sind alle Bergbauprodukte betroffen wie Lithium und Kobalt, aber auch Wolfram, Tantal und Gold. Diese Rohstoffe gelten aufgrund der besonderen Anforderungen beim Abbau als kritisch.

Wie werden sich die Preise entwickeln?

Mit Blick auf die Preise muss man wissen, dass wir gerade bei den Bergbaurohstoffen über langfristige Lieferverträge mit Planungshorizonten von fünf Jahren und mehr sprechen. Diese Zeitspannen sind nicht ungewöhnlich, da es hier um Sicherheiten geht, kapitalintensive Investitionen anschieben und neue Vorkommen erschließen zu können. Lithium etwa stammt aus klassischen Hardrock-Vorkommen in Australien oder der Sole in Lateinamerika. Mittlerweile beginnt man aber auch in Europa Vorkommen zu erschließen, wie derzeit etwa im Oberrheingraben. Für solche Rohstoffe ist die Automobilindustrie jedoch nicht der alleinige Abnehmer und steht im Wettbewerb mit anderen, etwa der Consumer Electronic. Da der Aufschwung schneller erfolgt als erwartet, gibt es nun eine Konkurrenzsituation.

Welche Lehren sollte der Automotive-Einkauf daraus ziehen?

Die Autobranche muss mit Blick auf solche Rohstoffe und Vorprodukte und die Versorgungssicherheit umdenken. In der Vergangenheit ist sie mit ihren Zulieferern bislang aus einer Position der Stärke recht rau umgegangen: Sie hat gekauft, wenn der Bedarf bestand und in der Krise auch Verträge gestoppt. Die Folgen spürt man jetzt zum Beispiel bei Halbleitern. Lieferanten, bei denen die Autoindustrie nicht der traditionelle Hauptabnehmer ist, haben sich in der Corona-Krise neue boomende Absatzmärkte erschlossen. Wenn die Autoindustrie nun wieder anklopft, muss sie sich häufig in die Warteschlange einreihen. Es gilt: Halbleiter und auch Batterie-Zellen sind keine Commodities, die man heute hier und morgen wo anders kaufen kann. Vielmehr sind sie automobile Kernkomponenten, die langfristiger Entwicklungs-Partnerschaften, eines fairen Umgangs sowie eines strategisch darauf eingerichteten Einkaufs bedürfen.

Für die Beschaffung ist es daher wichtig, nicht mehr nur kurzfristig zu planen und zu sehr auf den Preis fokussiert zu sein. Dies fällt freilich schwer, denn die Autobranche ist im Korsett des quartalsweisen Denkens und der Finanzkennzahlen verhaftet. Aber der billigste Einkauf kann am Ende ein sehr teurer werden. Langfristigkeit, Versorgungssicherheit sowie Transparenz sind daher die Kriterien, die in Zukunft eine stärkere Gewichtung erfahren.

Kann man von einem Wertewandel in den Beschaffungseinheiten der OEMs und Zulieferer sprechen?

Ja, dieser ist notwendig und ich denke, dass diese Veränderungen ganz oben im Management verankert und dann in die jeweiligen Bereiche heruntergebrochen werden müssen. Und hier tut sich ja gerade auch was: Vorstände nutzen jede Gelegenheit und sprechen über Nachhaltigkeit und die Einhaltung von Menschenrechten. Ganz neu ist dies freilich nicht, aber die Anforderungen gehen immer weiter, was man sehr schön am Beispiel Kobalt sehen kann. Ein wichtiger und interessanter Aspekt dabei ist: Autohersteller engagieren sich nun lieber selber, etwa im Kongo, und verändern in Partnerschaften und Initiativen die Abbaubedingungen vor Ort, als sich dort zurückzuziehen. Hier entsteht also etwas Positives mit einer langfristigen Denke. Dies kostet ganz klar Geld, aber viele andere Wege gibt es auch nicht, solange man auf Kobalt angewiesen ist.

Der entstandene Druck aus der Öffentlichkeit hat also einen positiven Effekt. Denn die OEMs schauen jetzt so gründlich wie kaum eine andere Branche auf die gesamte Wertschöpfungskette. Wenn dieses Momentum genutzt wird, bekommt das Automobil die Chance, als Produkt sauberer dazustehen als sehr viele andere. Insbesondere für die Elektromobilität verbessert das weiter die öffentliche Wahrnehmung als umweltfreundliche Alternative zur alten Technologie.

Bei welchen Rohstoffen besteht das größte Risiko, dass höhere Kosten bis zum Endkunden weitergereicht werden?

Bei den allgemeinen Rohstoffen im Fahrzeugbau wie Stahl und Aluminium wird dies – wie traditionell zu beobachten – eher nicht der Fall sein. Bei Batterien sieht dies anders aus. Denn der Wertanteil dieser neuen Komponente pro Fahrzeug ist immens. Und bei Zellen entfallen aktuell 70 bis 80 Prozent der Kosten aufs Rohmaterial. Dass die Preise für Batterien zunächst gesunken sind, ist auf verbesserte Fertigungsprozesse und Economies of Scale zurückzuführen. In all den Grafiken und Kurven, die zeigen, wann Elektrofahrzeuge einen Break Even zu Verbrennern erreichen, ging man zunächst davon aus, dass sich an den Rohstoffpreisen nicht viel ändern wird. Nun sehen wir einen doppelten Effekt: Die Rohstoffe haben einen größeren Wertanteil und ihre Preise haben sich in den letzten Monaten verdoppelt.

Es gibt Untersuchungen, die prophezeien, dass die Zellkosten in den nächsten Jahren wieder steigen werden. Bei Lithiumkarbonat reichen die Prognosen bis zu über 30.000 USD pro Tonne im Jahr 2030. Viele OEMs reagieren darauf und arbeiten daran, gewisse Materialien ganz zu ersetzen, wie etwa Kobalt, oder den Bedarf zu reduzieren. Zum anderen optimieren sie weiter ihre Fertigungsprozesse. Ein großes Thema ist dabei die Reduktion von Ausschuss. In der Batteriezellfertigung liegt die Quote heute immer noch bei fünf bis zehn Prozent. Dies hat freilich auch Implikationen auf den Rohstoffbedarf, und Ausschuss muss kostenintensiv recycelt werden.

Preisschwankungen werden also weiter zum Tagesgeschäft in der Autobranche gehören?

Preisschwankungen bei Rohstoffen gab es auch schon vor der Corona-Pandemie. Bereits 2018 wurde ein Hoch erreicht, dann folgte der Corona-Dip und nun sind wir in der beschriebenen Ausnahmesituation. Es bleibt zu hoffen, dass sich starke Schocks wie 2020 nicht schnell wiederholen. Anzunehmen ist, dass sich die Preise mit zunehmender Nachfrage in einem steigenden Korridor weiterbewegen werden, nur die Volatilität wird wohl nicht mehr so stark ausfallen wie in den vergangenen 18 Monaten.

Welche Perspektiven sehen Sie speziell für die Rohstoffe der E-Mobilität?

Beim Blick auf die E-Mobilität kann man konstatieren: Sie ist bei den Herstellern angekommen und akzeptiert. Die Wertschöpfungsketten und Lieferantennetzwerke werden entsprechend umgebaut. Man sollte im Kopf behalten, dass die dafür erforderlichen Rohstoffe nicht wirklich selten sind. Lithium beispielsweise kommt häufiger vor als Blei. Und es gibt neue Initiativen, diesen Rohstoff auf neue Art zu erschließen, wie die Projekte im Oberrheingraben zeigen. Daher sehe ich, gerade mit Blick auf Lithium und Co., keine fundamentale Knappheit kommen. Die heutige Fördermenge reicht für ein Vielfaches an jährlicher Elektrofahrzeugproduktion.

Wichtig aber ist: Die Investitionen in die Erschließung und Aufbereitung viel größerer Mengen müssen jetzt getätigt werden, da sie eine lange Vorlaufzeit haben. Die Branche baut ja bereits eifrig Batteriezellfabriken. Wenn alle für die kommenden fünf Jahre angekündigten Zellfabriken in Europa mit ihren Kapazitäten auch tatsächlich gebaut würden, wären die heutigen Fördermengen nicht mehr ausreichend: Wir hätten aber auch eine deutliche Überproduktion an Batteriezellen.

Zur Person

Philipp Seidel ist Principal im Münchner Büro der Strategieberatung Arthur D. Little.

Philipp Seidel ist Principal im Münchner Büro der Strategieberatung Arthur D. Little. Der Arbeitsschwerpunkt und die Expertise des promovierten Betriebswirts liegen in den Bereichen Produkt-, Technologie- und Supply-Chain-Strategien für Unternehmen aus der Automobilindustrie. Im Zuge der Elektrifizierung des Antriebs beschäftigt sich Seidel verstärkt mit den Herausforderungen im Bereich der Rohstoffsicherheit sowie des Recyclings von Batterien.

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