Industrie 4.0

Viele Unternehmen erkennen den Bedarf nach neuen Digital-Lösungen, doch viele Projekte scheitern an fehlenden Ressourcen oder internen Problemen. (Bild: Adobe Stock / Gorodenkoff)

Zu diesem Ergebnis kommt das Industrie 4.0 Barometer 2021 der IT-Beratung MHP in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Gleichzeitig werde das Potenzial der Digitalisierung oftmals nicht hinreichend genutzt, um Produkte und Services schnell an den Markt zu bringen. Digitaltechnologien würden zu fast 60 Prozent zunächst für die Optimierung interner Prozesse genutzt, so die Studienautoren. In zwei Dritteln aller Großunternehmen käme es zudem zu Reibereien und Machtkämpfen. Es habe den Anschein, dass die von Bürokratie gehemmten Großkonzerne die gewagteren Innovationen häufig den Startups überlassen.

Gleichzeitig seien oft kulturelle Unterschiede ausschlaggebend für die Digitalisierung. Die gründliche, aber auch das Risiko scheuende Unternehmenskultur in deutschsprachigen Ländern spiegele sich im schleppenden Digitalisierungsfortschritt wider, so die Experten. Nur etwa eines von drei hiesigen Unternehmen sei beispielsweise in der Lage, Teile in der Lieferkette zu orten und nachzuverfolgen. In chinesischen Unternehmen sei der entsprechende Anteil fast doppelt so hoch. In den USA geben zwei Drittel der Studienteilnehmer an, die Marktorientierung sei das primäre Ziel sowie der Treiber von Aktivitäten rund um Industrie 4.0.

„In Deutschland ist die Bildung immer noch sehr stark, vor allem das Ingenieurwesen ist eine der größten Stärken. Dennoch holen andere Länder wie die USA und China auf. Natürlich haben die Deutschen einige gemeinsame Eigenschaften, für die sie bekannt sind, zum Beispiel Präzision, Perfektion und das Streben nach dem Besten“, erklärt Johann Kranz, Professor für Digital Services und Nachhaltigkeit an der LMU. „Aber es kann gefährlich sein, sich auf Perfektion zu konzentrieren, denn manchmal kann man mit einer 80-prozentigen Lösung schneller auf dem Markt Fuß fassen, als auf eine 100 Prozent Lösung zu warten.“

Corona verändert die Supply-Chain-Strategie

Eine Mehrzahl der Befragten zeigt sich mit dem eigenen Krisenmanagement in der Coronakrise zufrieden. Rund sieben von zehn Befragten sind überzeugt, dass durch ein vorausschauendes und flexibles Krisenmanagement größere Verwerfungen in der Produktion verhindert werden konnten. Gleichzeitig äußern viele Unternehmen die Absicht, mögliche Schwachstellen in den eigenen Lieferketten künftig besser zu identifizieren und zu beheben. Gleichzeitig möchten rund 40 Prozent der befragten Firmen vermehrt auf Insourcing und die Integration bisher ausgelagerter Fertigungsstufen setzen, eine ebenso große Gruppe erkennt keinen Trend in diese Richtung.

Die Pandemie hat zudem Just-in-time-Prozesse vor eine Zerreißprobe gestellt. Rund zwei Drittel der Studienteilnehmer möchten infolgedessen auf höhere Lagerbestände zur Absicherung der eigenen Produktion setzen. Besonders verbreitet sind entsprechende Ansichten in kleineren Unternehmen, da diese in der Regel weniger in vorausschauendes Risikomanagement der eigenen Lieferketten investieren können. Nur 40 Prozent der kleineren Unternehmen haben eine Stelle geschaffen, die sich systematisch mit möglichen Beeinträchtigungen von Lieferketten beschäftigt und frühzeitig entsprechende Maßnahmen einleitet.

Verantwortung sollte beim CIO liegen

Eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung nehmen der Studie zufolge Unternehmen ein, die den Posten des CIO (Chief Information Officer) oder IT-Chefs in der Geschäftsführung verankert haben. Besonders herausragend sei der Vorsprung entsprechender Firmen vor allem bei der Datenanalyse entlang der Wertschöpfungskette und der Bereitstellung der dafür erforderlichen modularen und serviceorientierten IT-Infrastruktur. Auch weisen Unternehmen mit CIO der IT-Sicherheit und dem IT-Sicherheitsverantwortlichen einen deutlich höheren Stellenwert zu und haben weniger Probleme beim Abbau von Legacy-Systemen. Zwei von drei Unternehmen mit CIO auf Vorstandsebene erkennen außerdem eine verbesserte abteilungsübergreifende Kommunikation und einen erhöhten Wissensaustausch zwischen den Abteilungen. Auch in der Antwort auf die Coronapandemie zeige sich der Vorteil eines CIO auf höchster Unternehmensebene: Im Vergleich zu Mitbewerbern sei es entsprechenden Firmen knapp 60 Prozent häufiger gelungen, ein vorausschauendes und flexibles Corona-Management zu etablieren.

Deutschland muss aufholen

Unternehmen aus der Bundesrepublik werden den Studienautoren zufolge in puncto Digitalisierung zunehmend abgehängt, so die Studie. In nahezu allen abgefragten Technologiekategorien, wie Automatisierung, digitale Produktionstechnologien, Digital Twin und Supply-Chain-Transparenz, lägen die Umfragewerte auf gleichem oder sogar unter dem Niveau der Vorjahre. Wichtige Zukunftsthemen wie KI oder Big Data würden „reihenweise verschlafen“. Ein zentrales Hindernis bilden dabei fehlende Fachkräfte und die nicht ausreichende Qualität von Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich Industrie 4.0.

Eine Ausnahme des allgemeinen Industrietrends stellt jedoch die deutsche Autobranche dar: Insbesondere das Krisenmanagement zeige sich bei den Autoherstellern und ihren Zulieferern besonders gut verankert. Mit jeweils 13 Prozent Vorsprung im Vergleich zum Rest der Industrie gaben Befragte aus der Autobranche an, leistungsfähige Kommunikationsarchitekturen wie 5G implementiert zu haben als auch genügend Ressourcen für die Abwehr von Cyberangriffen zu haben.

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