Dass in der Elektromobilität neben Risiken auch sehr viele Chancen liegen, betont der niedersächsische Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Bernd Althusmann (CDU) zum Auftakt des Automobil Produktion Kongress 2022. Die Herstellung von Batteriezellen sei in hohem Maße von Ressourcen anderer Länder abhängig, daher gelte es dem Kreislauf in der Produktion große Beachtung zu schenken, so der Minister. Volkswagen liege mit dem Standort Salzgitter und dessen Batteriefertigung daher völlig richtig.
Der zweitgrößte Autohersteller der Welt mit seinen zahlreichen Marken tritt aktuell auf das Gaspedal in Sachen E-Mobilität: Allein in Europa plant Volkswagen den Bau von sechs Gigafabriken bis 2030. Gemeinsam mit Bosch streben die Niedersachsen die Gründung eines europäischen Anbieters zur Ausrüstung von Batteriezellfabriken an. Erst zu Beginn des Jahres meldete der Konzern die Unterzeichnung einer entsprechenden Absichtserklärung, mit der man Industrialisierungslösungen in einem Projekthaus ausloten will.
McKinsey prognostiziert immensen Markt für Batterien
Kaum ein anderes Thema beschäftige die Branche so wie die Elektromobilität, betont auch Martin Linder, Senior Partner bei McKinsey & Company auf dem Branchentreff während der Hannover Messe. Der Marktexperte sieht derzeit ein veritables Ökosystem rund um das Thema Batterie in der Entstehung. 2030 gehe man global von einem Verkaufsanteil von 60 Prozent E-Autos aus, was zirka 700 Modelleinführungen und damit ein massives Wachstum bedeute. Vom Rohmaterial, dem Refining, über das Packaging, bis hin zum Recycling sieht man bei McKinsey einen Markt mit einem Volumen in Höhe von etwa 450 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030. Das größte Segment ordnet der Berater der Zellproduktion zu. Die benötigten Kapazitäten in der Batteriefertigung werden den Marktbeobachtern zufolge allein in Europa von 49 GWh in 2020 auf etwa 970 GWh in 2030 steigen.
Die Kapazität werde jedoch nicht allein von etablierten Playern kommen. Etwa ein Drittel werden Startups beitragen, die keinerlei Batterie-Expertise haben, sagt Linder. Für den Marktkenner ist daher der Aufbau lokaler Lieferketten ein Muss. Ein großes Thema sind ihm zufolge die teilweise knappen und sehr teuren Rohmaterialien. Alleine bei Lithium habe man eine Preissteigerung um das fünffache erlebt. Zudem gelte es Unsicherheit in der Planung durch neue Batterietechnologien zu berücksichtigen. Zu den Erfolgsfaktoren zählen den Marktexperten zufolge ein modularer Aufbau von Produktionsstandorten, die smarte Nutzung von Daten im Rahmen von PLM, eine clevere Sensorik in der Produktion, digitale Zwillinge und Prozessdatenanalysen, wie auch strategische Partnerschaften zu einem frühen Zeitpunkt und der Aufbau von Inhouse-Kompetenzen.
Große OEMs bauen auf eigenes Knowhow
Eigene E-Mobilitätswerke schließt Jörg Burzer, Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz Group, Produktion und Supply Chain Management, aus. Vielmehr transformiere man bestehende Standorte in Richtung der E-Mobilität. Dass man in den nächsten drei Jahren Montagehallen sehen werde, die komplett auf E-Mobilität umgestellt sind, sei freilich möglich, sagt der Vorstand. Dies unter der Voraussetzung einer entsprechenden Marktlage vor Ort. Für die zunehmende Nachfrage nach E-Antrieben setzt Mercedes auf flexible Linien. Im Zuge seiner Elektro-Offensive hat der Hersteller seine weltweiten Kapazitäten bei der Batterieproduktion erhöht und etwa die Fertigung von Akkus für Modelle wie den EQS auf die Bedarfe abgestimmt.
Eine entsprechende Philosophie setzt man in puncto Elektromobilität auch beim Wettbewerber BMW um: Alle Antriebsvarianten werden beim bayerischen OEM auf einer Linie gefertigt - egal, ob es sich dabei um das just während der Hannover Messe eröffnete Werk Debrecen oder um das mittlerweile 100 Jahre alte Stammwerk München handelt. Der OEM erarbeite sich im eigenen Haus ein tiefes Verständnis um das Gesamtsystem Batterie, schildert Armin Ebner, Leiter Produktionssystem, Digitalisierung, Operative Exzellenz. Erst 2019 eröffnete BMW das Kompetenzzentrum Batterie, dieser Tage nun das Zentrum für Batteriezellfertigung in Parsdorf bei München. In die eigentliche Zellfertigung will der OEM eigenem Bekunden nach zwar nicht eintreten, Hochvoltbatterien, Batteriemodule und -komponenten stellt er allerdings bereits in den deutschen Werken Dingolfing, Regensburg und Leipzig her. Weitere E-Antriebsumfänge sind im Werk Spartanburg in den USA und im Joint Venture BMW Brilliance Automotive in China angesiedelt.
Anlagenlieferanten und neue Mitarbeiter gesucht
Für den Aufbau eigener Batterieexpertise bedarf es indes großer Kompetenzen im Anlagenbau, konstatiert McKinsey-Experte Linder. Noch gebe es eine Übermacht im Raum Asien-Pazifik. Für USA und Europa liege hier eine Chance. Einen weiteren Unsicherheitsfaktor sehen die Marktexperten in der eigentlichen Zelltechnologie: Denn neue Batterietechnologien bringen Unsicherheit in die Planung, die es zu berücksichtigen gilt. Darüber hinaus ändern sich mit den neuen Antriebssystemen bei reinen Stromern mit ihren großen Batteriepakten an Bord auch die an sich als gesetzt geltenden Herstellungsprozesse, beispielsweise in der Lackierung.
Elektrofahrzeuge verfügen über eine geänderte Schwellerstruktur, die einen klassischen Farbauftrag in Längsfahrt erschwert, schildert Jochen Weyrauch, Vorstandsvorsitzender und CEO des Anlagenherstellers und Lackierexperten Dürr anlässlich des Automobil Produktion Kongress. Mit einer neuen Technologie werden die zu lackierenden Karosserien quer durch die Anlage gefahren und von innen geheizt. Der CEO kann mit Blick auf die Batteriefertigung zudem auf eine besondere Expertise des Hauses Dürr bei der Elektrodenbearbeitung verweisen. So beherrscht Dürr einen Prozess zur doppelten Beschichtung der Elektroden in einem Prozessgang - ein, wie Weyrauch betont, nicht trivialer Prozess, bei dem man zudem die Elektroden schwebend trocken muss.
Ein Unternehmen des Anlagenbaus, das sich in den vergangenen Jahren strategisch so aufgestellt hat, dass es künftig Technologien für den kompletten Antriebsstrang eines Elektrofahrzeugs anbieten kann, sind die in Mindelheim ansässigen Grob-Werke. Angefangen von E-Motoren über Batteriemodule bis hin zu Batteriezellen, decken die Bayern, die ihre Ursprünge in der Zerspanung haben, auch die neuen Prozesse für Elektromobilität ab.
Dies dürfte dem Unternehmen einen sicheren Weg in die Zukunft ebnen. Laut McKinsey-Experte Linder sind manche Zulieferer von Anlagen und Maschinen nämlich bis zu anderthalb Jahre ausgebucht. Linder weist neben den zur Bewältigung des Themas E-Mobilität erforderlichen Maschinen auch auf die Menschen hin, denn jene mit entsprechender Elektroexpertise seien gefragter denn je. Dem Berater zufolge benötige man alleine in Europa etwa 100.000 Mitarbeiter, um den Bedarf bis 2030 zu decken.