Wo die Belegschaft bislang für den Verbrennungsmotor brannte, wird sie nun auf das Thema Elektromobilität eingeschworen. Nicht nur auf den Verbau von Batteriesystemen, sondern von Anfang bis Ende: Von der Zellchemie bis hinein in die Serienfertigung siedelt der älteste Automobilhersteller der Welt allumfassende Kompetenzen in seinem Werk im Neckartal an und schafft auf mehr als 30.000 Quadratmetern Raum für „geballtes Know-How“, wie es im Rahmen der feierlichen Eröffnung hieß.
Der Ort hat eine große Historie, denn auf der Fläche der ehemaligen Gebäude 132/1 und 132/2 im Zentrum des Werks Stuttgart-Untertürkheim wurden bereits vom Start weg Nocken- und Kurbelwellen hergestellt. Mercedes-Boss Ola Källenius lässt beim Eröffnungsakt, zu dem neben Entwicklungschef Markus Schäfer, Personal & Arbeitsdirektorin Sabine Kohleisen und Betriebsratschef Michael Häberle auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, sowie Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper angereist waren, keinen Zweifel an der Elektromobilität aufkommen: Auch wenn die Elektromobilität derzeit eine Delle erlebe, könne es an der Zielrichtung „Null Emissionen“ keinen Zweifel geben, sagt Källenius und ergänzt: „Die Ansiedlung des eCampus im Herzen unserer Forschung und Entwicklung von Antriebssystemen ist ein klares Bekenntnis zu einer nachhaltigeren Zukunft und zu unserem traditionsreichen Standort Stuttgart-Untertürkheim.“
Der CEO sieht im E-Antrieb die Zukunft. An diesem Fortschritt gebe es auch nichts zu rütteln, zeigt sich der Mercedes-Boss anlässlich der Eröffnung des eCampus entschieden. Nun gelte es Chancen zu nutzen und auf Sieg zu spielen. Dafür bemüht Källenius eine Parallele aus dem Motorsport: Auch Rennfahrer Hamilton habe zweieinhalb Jahre kein Rennen gewonnen, habe aber nie den Glauben an die eigenen Stärken verloren. Dies habe sich letztlich ausgezahlt.
Mercedes will Batteriekosten um 30 Prozent senken
Mit Blick auf den eCampus, den man als eine Art Ballungszentrum für Produkt- und Prozesswissen rund um die Kernkomponente Batterie bezeichnen kann, spricht man beim OEM von „Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe.“ Um alle Prozesse und alle Kombinationsmöglichkeiten in der Technik inklusive der Zellchemie zu verstehen und auch in die Großserie überführen zu können, sei das Wissen im Haus das Pfund, mit dem man bei Mercedes künftig wuchern möchte. Dazu muss man wissen: Bereits 2030 sollen die Mercedes-Kunden in allen Klassen zwischen den Antriebsvarianten wählen können. Wo es die Märkte erlauben, setze man auf E-Mobilität, sagt der CEO. Bis 2039 strebt das Unternehmen dann überdies eine bilanziell CO2-neutrale Flotte von Neufahrzeugen über ihren gesamten Lebenszyklus an. Einen der wichtigsten Hebel dafür sieht man beim Stuttgarter Autohersteller neben der Dekarbonisierung in der Etablierung einer echten Kreislaufwirtschaft, um die Primärressourcen zu schonen. Mercedes-Benz verfolgt mit Blick auf die Batterien einen ganzheitlichen Ansatz und betrachtet dabei drei Kernthemen: zirkuläres Design, Werterhaltung und das Schließen des Kreislaufs.
Der Mercedes-Benz eCampus deckt für diese Ansprüche das gesamte Feld der Batterie- und Zelltechnologie ab, das von der Entwicklung und Evaluierung neuer Zellchemien, über die Zellfertigung im industriellen Maßstab, bis hin zur Erprobung und Zertifizierung von kompletten Batterieeinheiten reicht. Wie vom Vorstand zu hören ist, will man neuartige Chemiekombinationen und optimierte Fertigungsprozesse für Hochleistungszellen mit einer Mercedes‑Benz-DNA entwickeln. Dies soll dann auch dazu führen, die Batteriekosten in den nächsten Jahren um mehr als 30 Prozent zu senken.
eCampus fokussiert Chemie und Herstellung
Am neuen Batteriekompetenzzentrum wird der Betrieb in zwei Stufen gezündet. Die rund 10.000 Quadratmeter große Fabrik für die industrielle Fertigung von Batteriezellen hat nach etwa zweijähriger Bauphase ihren Betrieb aufgenommen. Modernste Produktionsanlagen im sogenannten Industrial Cell Lab ermöglichen es, Batteriezellen mit unterschiedlicher Chemie im industriellen Maßstab zu fertigen und zu testen. Das quantitative Potenzial liegt Mercedes zufolge bei mehreren 10.000 Zellen pro Jahr. Das Industrial Cell Lab ergänzt dabei die beiden bereits bestehenden Zelllabore Chemistry Lab und Flexible Cell Lab, wo neben neuartigen Zellchemien auch Neuentwicklungen im Pouchzellen-Format produziert und getestet werden. Weitere 20.000 Quadratmeter sind einem hochmodernen Test- und Erprobungszentrum gewidmet, unter anderem für eine Batterieanlauffabrik zur Produkt- und Prozessentwicklung.
Bei einem Rundgang durch den eCampus mit seinen hochautomatisierten Abläufen - weitgehend in Reinraumumgebung -, wird klar, wie wichtig das Knowhow, das man sich rund um Batterien aneignet, künftig sein wird. Denn wie beim klassischen Verbrennungsmotor werden auch bei der Batterie die Möglichkeit zur Differenzierung gefragt sein, sagen die Experten. Hier entwickle man quasi wettbewerbsentscheidende Unterschiede, heißt es. Bei Mercedes-Benz erwartet man, dass sich die Energiedichte durch den Einsatz neuer Technologien, wie etwa Hochsiliziumanoden oder Feststoffelektrolyten, auf bis zu 900 Wh/l wird steigern lassen. Nur mit einer umfassenden Kenntnis der Zellchemie und deren Design sei eine Skalierung der Produktion sichergestellt. Die Besonderheit eines (Fertigungs-)Details verrät man beim OEM bereits jetzt: Dank der Simultanbeschichtung der bei Batterien unentbehrlichen Folien wird das Wenden überflüssig und der Herstellungsprozess effizienter und flotter.
In Untertürkheim, wo auch die Zentrale des schwäbischen Autoherstellers sitzt, wird noch in diesem Jahr der Hochlauf für die Produktion von elektrischen Antriebseinheiten für vollelektrische Mercedes-Benz-Fahrzeuge beginnen. Beim OEM ist man indes auch sehr zufrieden über die Attraktivität des mit dem eCampus geschaffenen neuen Angebots. So seien die erste Stellen für den eCampus ausgeschrieben und bereits 500 Bewerbungen eingegangen, freut sich Personal-Vorständin Sabine Kohleisen.