Trotz positiver Signale aus China
Nexperia-Krise legt Abhängigkeit der Autoindustrie offen
Nexperia liefert Halbleiter-Chips für die deutsche Automobilindustrie
Nexperia
Nach Tagen der Unsicherheit deuten neue Signale aus Peking auf eine mögliche Entspannung im Rahmen der Nexperia-Krise hin. China hat angekündigt, Exporte bestimmter Chips wieder zuzulassen. Dennoch macht die Situation ein grundsätzliches Problem speziell der deutschen Autoindustrie deutlich.
Was bisher geschah: Nexperia-Krise
Seit Mitte Oktober steht die deutsche Automobilindustrie wegen Lieferproblemen beim Chip-Hersteller Nexperia unter Druck. Die niederländische Regierung hatte die Kontrolle über das Unternehmen übernommen, um chinesischen Einfluss zu begrenzen – woraufhin Peking mit einem Exportstopp reagierte. Die Folge: Unsicherheit in den Lieferketten, Warnungen vor möglichen Produktionsstopps und hektische politische Gespräche zwischen Berlin, Den Haag und Peking.
Nexperia zählt zu den weltweit wichtigsten Lieferanten sogenannter diskreter Halbleiter, die in nahezu jedem Steuergerät von Fahrzeugen verbaut sind. Für Volkswagen, Mercedes-Benz und viele Zulieferer stand die Stabilität ihrer Produktion auf dem Spiel.
Nach Tagen der Krisendiplomatie zeichnet sich vorsichtige Bewegung im Streit um die Nexperia-Lieferungen ab. Chinas Handelsministerium kündigte an, betroffene Unternehmen könnten sich mit Exportproblemen direkt an die Behörde wenden. Man werde die Lage prüfen und Ausfuhren genehmigen, sofern die Voraussetzungen erfüllt seien. Das Bundeswirtschaftsministerium sprach daraufhin von „positiven ersten Signalen der Entspannung“, mahnte aber zugleich zur Vorsicht. Eine abschließende Bewertung sei noch nicht möglich. „Wir beobachten die Lage sehr genau und sind im Austausch mit den betroffenen Unternehmen sowie den niederländischen und europäischen Partnern“, hieß es in einer Stellungnahme.
Zugleich wies die chinesische Regierung die Verantwortung für die Krise von sich. Die „unzulässige Intervention der niederländischen Regierung in interne Unternehmensangelegenheiten“ habe zu Chaos in den globalen Lieferketten geführt, betonte das Handelsministerium in Peking. Laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatte Nexperia in den Niederlanden die Lieferung sogenannter Wafer – Vorprodukte für die Chipfertigung – an sein chinesisches Montagewerk ausgesetzt. Nexperia China erklärte, man habe jedoch ausreichend Lagerbestände, um Kundenaufträge bis Jahresende und darüber hinaus zu bedienen, und prüfe neue Lieferanten, um die Versorgung künftig abzusichern.
Auch auf geopolitischer Ebene scheint sich etwas zu bewegen: Mehrere US-Medien berichten, die Regierung in Washington wolle nach Gesprächen zwischen Donald Trump und Xi Jinping ankündigen, dass Nexperias chinesische Werke wieder Chips liefern dürfen. Ob dies auch Europa zugutekommt, ist derzeit unklar.
So reagierten Industrie und Verbände
Noch bevor die chinesische Ankündigung einer möglichen Lockerung bekannt wurde, reagierten Hersteller und Verbände mit deutlicher Sorge auf die drohende Versorgungslücke. Volkswagen schloss wegen der Probleme bei Nexperia kurzfristige Einschränkungen in der Produktion nicht aus. „Derzeit ist die Produktion unbeeinträchtigt. Vor dem Hintergrund der dynamischen Lage können Auswirkungen auf die Produktion kurzfristig jedoch nicht ausgeschlossen werden“, teilte das Unternehmen intern mit, ein Sprecher bestätigte das auf Anfrage. VW stünde nach eigenen Angaben in engem Kontakt mit allen relevanten Beteiligten, um mögliche Risiken frühzeitig zu erkennen und über notwendige Maßnahmen zu entscheiden. Auch bei Mercedes-Benz beobachtete man die Entwicklung genau. Dank der engen Zusammenarbeit mit den Zulieferern und den Lehren aus der Chipkrise sei das Unternehmen im Kurzfristzeitraum abgesichert, hieß es aus Stuttgart. Verlässliche Prognosen seien jedoch schwierig. Der VDA hatte zudem vor möglichen Ausfällen wegen der Probleme bei Nexperia gewarnt – bis hin zu Produktionsstopps. „Die Situation könnte schon in naher Zukunft zu erheblichen Produktionseinschränkungen, gegebenenfalls sogar zu Produktionsstopps führen“, hatte VDA-Präsidentin Hildegard Müller bekräftigt.
Regierungen unter Druck
In den ersten Tagen nach Bekanntwerden der Lieferprobleme zeigte sich die Bundesregierung besorgt. Das Bundeswirtschaftsministerium teilte mit, man stehe sowohl mit den betroffenen Unternehmen als auch mit der chinesischen Regierung im Austausch. Vertreter des Ministeriums, der Industrieverbände und mehrerer Unternehmen aus der Automobil- und Elektronikbranche kamen zu einer Krisenschalte zusammen, um mögliche Gegenmaßnahmen zu beraten. Auch die Niederlande bemühten sich um eine Lösung: Der geschäftsführende niederländische Wirtschaftsminister Vincent Karremans hatte nach eigenen Angaben bereits mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Wentao telefoniert.
Auslöser der Krise war die Entscheidung der niederländischen Regierung, die Kontrolle über den bislang von einer chinesischen Konzernmutter geführten Halbleiterhersteller Nexperia zu übernehmen. Damit wollte Den Haag verhindern, dass technologische Schlüsselkompetenzen und geistiges Eigentum in chinesischen Besitz übergehen. Peking reagierte darauf mit einem Exportstopp für bestimmte Nexperia-Produkte, darunter Chips für die Autoindustrie. Nach Gerichtsunterlagen soll der Schritt der Niederlande auf Druck aus den USA erfolgt sein, obwohl Karremans erklärte, der Handelsstreit zwischen Washington und Peking habe nichts mit dem Fall zu tun.
Inzwischen hat China die Verantwortung für die Störungen in den globalen Lieferketten der niederländischen Regierung zugeschrieben. Das Handelsministerium in Peking sprach von einer „unzulässigen Intervention“ Den Haags und stellte gleichzeitig in Aussicht, Exporte betroffener Nexperia-Chips wieder zu genehmigen. Das Bundeswirtschaftsministerium reagierte darauf verhalten optimistisch: „Die jüngsten Meldungen aus China sind positive erste Signale der Entspannung“, hieß es in Berlin.
Engpass bei zentralen Bauteilen
Nexperia mit Sitz im niederländischen Nijmegen zählt zu den führenden Anbietern sogenannter diskreter Halbleiter – vergleichsweise einfacher, aber unverzichtbarer Bauteile, die in Steuergeräten Signale verarbeiten, Spannungen regeln und Sensoren anbinden. Bei einzelnen Komponenten ist Nexperia nach eigenen Angaben Weltmarktführer. Zu den Kunden gehören neben Tesla auch Bosch und zahlreiche deutsche Zulieferer. Das Unternehmen verfügt über Werke in Hamburg und Manchester sowie Montagezentren in Asien. Der Hamburger Standort ist nach Angaben von Nexperia Deutschland weiterhin voll ausgelastet. „Wir sind zudem im kontinuierlichen Austausch mit unseren Kunden“, teilte das Unternehmen mit.
Auch der Mittelständler Diotec aus Baden-Württemberg, der ebenfalls diskrete Halbleiter produziert, berichtet von einer sprunghaft gestiegenen Nachfrage nach Ersatzprodukten aus dem In- und Ausland. „Alternative Komponenten werden vor allem im Automobilsektor, aber auch im Industrie- und Konsumgüterbereich nachgefragt“, teilte das Unternehmen mit.
„Die Krise ist geopolitisch – nicht industriell verursacht“
Für Klaus Schmitz, Partner bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little, zeigt die Nexperia-Krise exemplarisch, wie eng wirtschaftliche und politische Entwicklungen mittlerweile miteinander verknüpft sind. „Die aktuelle Situation ist ausschließlich durch politisches Handeln mit direkter Wirkung auf Unternehmensebene ausgelöst worden“, sagt Schmitz. Fatal sei, wenn Unternehmen sich in geopolitischen Spannungsfeldern bewegten, während Regierungen gegensätzliche Strategien verfolgten. Die Folge sei eine Unsicherheit, die sich bis tief in die Lieferketten hinein fortsetze. Schmitz betont, dass Substitutionen durch alternative Hersteller nur begrenzt möglich seien. Hauptgrund dafür sei die aufwendige Qualifizierung nach automobilen Normen und internen Standards. Zwar hätten viele Hersteller nach der Chipkrise 2022 und 2023 begonnen, auch einfachere Halbleiter in ihr Risikomanagement einzubeziehen und den Anteil an Dual Sourcing zu erhöhen, doch dies sei noch längst nicht flächendeckend umgesetzt. Selbst wenn alternative Lieferanten zur Verfügung stünden, dauere die Umstellung aufgrund der komplexen Strukturen der Lieferketten eher Monate als wenige Tage.
Nach Einschätzung des Beraters handelt es sich bei der Nexperia-Krise bereits um die dritte Chipkrise innerhalb von anderthalb Jahrzehnten – nach den Engpässen infolge der Fukushima-Katastrophe 2011 und den pandemiebedingten Lieferausfällen 2021 bis 2023. Anders als damals seien die Ursachen heute jedoch nicht natur- oder nachfragebedingt, sondern geopolitischer Natur. „Die Automobilindustrie steht vor einer immensen Anpassungsschwierigkeit“, so Schmitz. Jahrzehntelang hätten offene Märkte, globale Arbeitsteilung und Just-in-Time-Logistik das Grundprinzip der Industrie geprägt. Dieses System sei auf den Konsens großer Wirtschaftsmächte gegründet gewesen. „Das hat sich massiv verändert – vor allem auf Seiten der USA und Chinas, während die Position der EU noch nicht klar erkennbar ist.“
Neutrale Position in der Realität problematisch
Schmitz sieht daher dringenden Handlungsbedarf auf politischer Ebene. Europa brauche eine tragfähige industriepolitische Strategie und müsse diese konsequent umsetzen. Regierungen und Unternehmen müssten enger zusammenarbeiten, Investitionen und Förderungen gezielt steuern und sich auf mögliche Konfliktszenarien vorbereiten. Theoretisch könne sich Europa zwischen den Machtblöcken USA und China neutral positionieren, faktisch sei der Spielraum jedoch begrenzt, weil die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten weiterhin hoch bleibe. China verfolge seine industriepolitischen Programme „Made in China 2025“ und „Semiconductor Self-Reliance 2030“ konsequent weiter. Europa müsse darauf mit einer ebenso langfristigen und kohärenten Strategie reagieren, fordert Schmitz. Die europäische Chipindustrie sei im Automobilbereich stark, vor allem bei Standardbauteilen. In Bereichen wie künstlicher Intelligenz und Hochleistungsrechnen sei die Abhängigkeit von US-Designern und asiatischen Fertigern dagegen groß. Es gelte nun, diese Abhängigkeit zu verringern und die bestehende Stärke im Automobilsektor zu sichern, insbesondere mit Blick auf die wachsende Bedeutung von Software und autonomen Fahrfunktionen. Noch läuft die Produktion bei deutschen Herstellern stabil. Doch die Nexperia-Krise verdeutlicht, wie verletzlich globale Lieferketten bleiben – und dass geopolitische Entscheidungen binnen Tagen ganze Industriezweige unter Druck setzen können.
Dieser Artikel wird fortlaufend aktualisiert. Mit Material der dpa.