Digitale Präzision und Disziplin
Lean trifft Innovation bei VW Poznań
Technologie trifft Eigeninitiative: Im Volkswagen-Werk Poznań treiben Digitalisierung, Automatisierung und eine starke Werkskultur die industrielle Transformation voran.
(Bild: Krzysztof Kubiak)
Volkswagen Poznań entwickelt sich vom Montagewerk zum digitalen Kompetenzzentrum. Der Standort steht für vernetzte Produktion, eigene Technologieansätze, flexible Fertigung und eine Unternehmenskultur, die Wandel aktiv mitgestaltet.
Automotive Lean Production Award
Volkswagen Poznań Antoninek wurde 2024 mit dem renommierten Automotive Lean Production Award, den Agamus Consult jährlich in Zusammenarbeit mit der Automobil Produktion vergibt, in der Kategorie „OEM“ ausgezeichnet. Die Jury lobte insbesondere die stabile Prozessführung trotz herausfordernder Rahmenbedingungen, die konsequente Nutzung digitaler Werkzeuge zur Störungsanalyse sowie den vorbildlichen Umgang mit Qualität und kontinuierlicher Verbesserung. Mit Eigenentwicklungen wie KI-gestützter Lackinspektion oder Smartwatch-basierter Instandhaltung zeigt das Werk, wie sich Lean und Innovation wirkungsvoll vereinen lassen. Der 19. Automotive Lean Production Kongress findet daher vom 25. bis 26. November 2025 bei Volkswagen Poznań in Polen statt. 🎫 Jetzt Ticket sichern!
Die Stadt Poznań (deutsch: Posen) liegt in der Woiwodschaft Wielkopolska, einer der traditionsreichsten Regionen Polens. Sie gilt als historisches Zentrum der polnischen Nation und ist bis heute ein bedeutender Industriestandort. Inmitten dieser starken Wirtschaftsregion hat sich das Volkswagen Werk Poznań zu einem der wichtigsten Nutzfahrzeugstandorte im Konzern entwickelt. Die industrielle Tradition des Standorts reicht sogar noch vor die Volkswagen-Ära zurück: Auf dem Gelände wurde einst der polnische Tarpan gefertigt. Volkswagen begann 1993 hier mit der einfachen Montage. Drei Jahre später folgte der Startschuss für die eigene Komponentenfertigung mit dem Bau einer Gießerei. 2003 wurde dann der Übergang zur Serienfertigung samt Lackiererei anhand der ersten Caddy-Einheiten vollzogen. Auf diesen SOP hatte man sich umfassend vorbereitet und dementsprechend große Teile des Werks modernisiert. Einige Fertigungshallen und damit Elemente aus der Geschichte des Tarpans sind jedoch bis heute erhalten geblieben.
Heute präsentiert sich das Werk als modernes Industrieensemble, das in ein regionales Produktionsnetzwerk mit insgesamt vier Standorten eingebettet ist: das Hauptwerk in Poznań, eine Gießerei im Stadtteil Wilda, das Unterstützungswerk im benachbarten Swarzędz und das neueste Werk im etwa 40 km entfernten Września. Gemeinsam beschäftigen die Standorte rund 9.000 Menschen. Das Werk in Poznań bildet mit über 5.000 Mitarbeitenden, die überwiegend den Caddy in all seinen Varianten produzieren, davon seit Kurzem auch als Hybrid, das Herzstück. Im Jahr 2024 erzielte das Unternehmen mit rund 274.000 produzierten Fahrzeugen einen neuen Allzeitrekord – trotz globaler Herausforderungen.
Strategische Förderung weiblicher Talente
Die strukturelle Modernisierung des Standorts zeigt sich nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Zusammensetzung der Führungsetagen. Der Vorstand des Unternehmens besteht vollständig aus Frauen, darunter Stefanie Hegels als Vorsitzende und Werkleiterin in Poznań. Auch im Management liegt der Frauenanteil bei rund 30 Prozent. Dieser hohe Frauenanteil ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis einer langfristigen Entwicklung, die auf mehreren Ebenen ansetzt. Einerseits spielt die polnische Geschichte eine Rolle: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Frauen aus ökonomischen Gründen fast immer beruflich aktiv – eine Tradition, die in vielen Familien bis heute fortlebt und die berufliche Teilhabe von Frauen als selbstverständlich erscheinen lässt.
Aufbauend darauf hat das Werk eine gezielte Personalstrategie entwickelt. In Zusammenarbeit mit Hochschulen, insbesondere der Technischen Universität Poznań, werden junge Frauen frühzeitig für technische Berufe begeistert. Auch für Produktionsbereiche, in denen Frauen seltener vertreten sind, wurde gezielt geworben, beispielsweise durch Werksführungen. Die ersten Beschäftigten wurden zu glaubwürdigen Botschafterinnen, weitere folgten. Heute liegt der Fokus auf der Entwicklung weiblicher Fachkräfte zu Führungspersönlichkeiten.
Von der Datensammlung zur intelligenten Analyse
Der Karosseriebau von Volkswagen Poznań ist auf das Hauptwerk im Poznańer Stadtteil Antoninek und den Standort im benachbarten, rund acht Kilometer entfernten Swarzędz verteilt. Beide Werke übernehmen zentrale Aufgaben bei der Schweißbearbeitung der Caddy-Karosserien. Der Automatisierungsgrad liegt derzeit bei über 88 Prozent. Lediglich an wenigen Stationen, etwa beim manuellen Klebstoffauftrag oder dem Einlegen einzelner Bauteile, sind noch Mitarbeitende eingebunden. Auch hier wird bereits an Teilautomatisierungen gearbeitet, um den Automatisierungsgrad weiter zu erhöhen. So kommen taktunabhängige Einlegesysteme zum Einsatz, die die vorbereiteten Bauteile im Voraus an die Stationen bringen – effizient, flexibel und unabhängig vom Bandtakt.
Was den Karosseriebau in Poznań besonders kennzeichnet, ist die konsequente Nutzung der großen Datenmengen, die durch die durchgängige Vernetzung aller Maschinen und Anlagen entstehen. „Wir gehen nun über das Sammeln von Daten hinaus und fokussieren uns auf die Analyse und Prognose, denn das Nutzen der Daten ist die eigentliche Kunst“, kommentiert Adrian Miczyński, Robotik-Experte bei VWN in Polen. Ein von Miczyński vorgestelltes Beispiel ist das selbst entwickelte Kappenmesssystem, das den Verschleiß von Elektrodenkappen überwacht und so unnötige Materialverbräuche verhindert. Rund 40.000 Euro spare man durch diese Optimierung jährlich – ein Erfolg, der in weiteren Werken des Konzerns auf großes Interesse gestoßen ist. Unter anderem wird das System derzeit im VWN-Werk in Hannover getestet. Auch das System „Flexivision“ zur Greiferüberwachung setzt auf clevere Ressourcennutzung: Bestehende CCTV-Kameras wurden softwareseitig neu erschlossen, um Position und Geometrie von Greifern präzise zu überwachen. Miczyński betont, wie viel Eigenentwicklung in diesen Systemen steckt. Dies sei dem Team in Poznan besonders wichtig, da man selbst am besten wisse, was aktuell wirklich gebraucht werde.
Smartwatches als Schlüssel zum digitalen Shopfloor Management
Ein weiteres gutes Beispiel für die enge Verzahnung von Digitalisierung, Eigeninitiative und interdisziplinärer Entwicklung ist die Smartwatch-Lösung im Karosseriebau. Ursprünglich entstand die Idee aus einem ganz praktischen Problem: In den weitläufigen Hallen des Werks war es für Mitarbeitende der Instandhaltung kaum möglich, auf Störungen schnell und gezielt zu reagieren. Erste Versuche mit großflächigen Displays scheiterten daran, dass die Anzeigen zu weit entfernt oder nicht einsehbar waren. So entstand gemeinsam mit Studierenden der Technischen Universität Poznań im Rahmen des „Be the Best“-Programms eine neue, mobile Lösung: die Smartwatch-Kommunikation.
Heute ist daraus ein standardisiertes Element des digitalen Shopfloor Managements geworden – konzernweit ausgerollt und in das MDP-System (Modular Digital Platform) integriert. Die Smartwatches sind dabei mehr als nur ein Ersatz für klassische Pager oder Handys. Sie dienen als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine und sind direkt in die Störungsanalyse eingebunden: Wenn ein Fehler oder Anlagenstillstand auftritt, wird dieser automatisch im System erfasst und in Echtzeit an die zuständige Person weitergeleitet – inklusive Ort, Ursache und Priorität. Die Reaktionszeit wird digital dokumentiert, was wiederum in die kontinuierliche Verbesserung (KVP) und präventive Instandhaltung einfließt. Über interaktive Dashboards lassen sich aus den erfassten Daten Trends, Wiederholungsfehler oder systematische Schwachstellen erkennen. Die Smartwatch wird so zum Datenlieferant für Analysen, zur Kommunikationsschnittstelle für Soforteinsätze und zum Werkzeug für Prozessoptimierung.
Die Beispiele zeigen: In Poznań versteht man Digitalisierung nicht als bloße Einführung externer Systeme, sondern als aktiven Gestaltungsprozess. Neue Lösungen entstehen häufig aus dem Zusammenspiel technischer Intuition, direkter Praxiserfahrung und interdisziplinärer Zusammenarbeit – oft zunächst im Kleinen, dann mit wachsender Wirkung über Standortgrenzen hinaus. Dieses Prinzip wird auch in der Lackiererei deutlich. Dort werden Besucher von einem ausrangierten Lackierroboter namens „R12“ begrüßt, der stolz von seinen 15 Jahren Dienstzeit und über 2,5 Millionen lackierten Karosserien berichtet. Sein moderner Nachlass besteht aus 65 Robotern führender Hersteller wie Dürr, ABB und Fanuc, die mit bis zu 60.000 Umdrehungen pro Minute und Hochspannungsladungen von bis zu 65 kV ganze Fahrzeuge in nur 25 Minuten lackieren.
Impressionen aus dem VWN Werk in Polen:
Standortübergreifender Wettbewerb als Innovationsmotor
Was auf den ersten Blick wie standardisierter Hightech wirkt, basiert auf einem hohen Maß an internem Know-how. „Wir kaufen ganz selten Know-how von außen ein“, betont Lackiererei-Leiter Sebastian Rozenkowski. Viele Lösungen stammen auch hier aus eigener Hand: Die Umstellung des Prozesses – das manuelle Schützen der Löcher durch Schablonen im Bereich des Unterbodenschutzes wurde durch automatisches Abblasen der Löcher ersetzt, was mit einer Investition von ca. 4.000 Euro jährlich über 130.000 Euro Ersparnisse bringt einschließlich der Einsparung von 600.000 Schablonen. Das Projekt hat auch einen positiven Einfluss auf Umweltaspekte.
Unterstützt wird dieser Innovationsgeist durch bis zu 40 KVP-Runden (kontinuierlicher Verbesserungsprozess) pro Jahr – eine Zahl, die zeigt: Die Lackiererei in Poznań ist kein reiner Technologieanwender, sondern ein aktives Kompetenzzentrum für Produktionsentwicklung im Konzern. Besonders deutlich wird hier, wie die Innovationskraft einzelner Standorte den gesamten Konzernverbund voranbringt: Lösungen und Werkzeuge, die hier entstehen, werden innerhalb des Konzerns weitergegeben und ausgerollt. Umgekehrt wirken Erfolge anderer Werke als Impulsgeber – wenn etwa Kolleginnen und Kollegen aus Martorell eine bessere oder günstigere Lösung präsentieren, fühlen sich die Teams in Poznań herausgefordert, diese weiter zu optimieren. Dieser interne, konstruktive Wettbewerb wirkt als treibende Kraft für technologische Verbesserungen.
Plattformtechnik für mehr Ergonomie und Effizienz
Die Haltung, technologische Neuerungen praxisnah zu entwickeln und in bestehende Strukturen zu integrieren, zeigt sich auch in der Fahrzeugmontage. In Halle 1 arbeiten die Teams an fünf parallel geführten, einsträngigen Linien – ausgerichtet auf maximale Flexibilität: Alle Varianten des Caddy, ob kurz oder lang, mit Schiebetüren oder Heckklappe, ebenso wie der Ford Connect, laufen auf denselben Bändern.
Die Plattformtechnik spielt auch ergonomisch eine zentrale Rolle: Mitarbeitende bewegen sich gemeinsam mit dem Fahrzeug – auf Plattformen, die durch ein rein mechanisches Balancer- und Federsystem gleiten. So können alle Arbeitsschritte im Stehen, in stabiler Haltung und ohne große Wege ausgeführt werden. Manipulatoren unterstützen zusätzlich beim Einbau schwerer Komponenten wie Sitzen oder Tanks, etwa im Hybridmodell. Ergänzt wird dies durch ein ausgeklügeltes Regalsystem: Kotflügel etwa werden nach dem FIFO-Prinzip nachgefüllt, Aufkleber passgenau über „Pick-by-Light“-Systeme ausgewählt – bei bis zu 70 Varianten pro Fahrzeug.
Auch hier fließen digitale und teilautomatisierte Lösungen in die Abläufe ein: Die Räder werden robotergestützt angeliefert und mit einem halbautomatischen Fünffach-Akkuschrauber montiert – ein Beispiel für den intelligenten Einsatz von Teilautomatisierung. Die Qualitätssicherung wurde parallel vollständig neu aufgestellt: Der Qualitätsregelkreis ist heute eng mit der Linie verzahnt und arbeitet unabhängig von der Linienverantwortung. Fehler werden digital dokumentiert, mit Fotos versehen und in Echtzeit auf Team-Monitoren ausgespielt. Wöchentliche Auswertungen sorgen für Transparenz – und greifen frühzeitig in die Prozessverbesserung ein. Mithilfe von KI und Kameratechnik wurde die „direkte Leuchtquote“ – also der Anteil fehlerfreier Fahrzeuge – von 47 auf rund 90 Prozent gesteigert. Dieses digital unterstützte Qualitätsdenken spiegelt sich auch im Führungsverständnis: Die Meister sitzen direkt an der Linie – ohne Tür, ohne Schwelle. Informationen fließen über Tablets und Monitore in beide Richtungen.
Und auch mit Blick auf die Zukunft bleibt das Werk agil: Auch wenn aktuell noch kein rein elektrisches Modell in Poznań vom Band läuft, sieht Montageleiter Maciej Habczyk das Werk gut gerüstet für den nächsten Technologiesprung. Mit dem Produktionsstart der zweiten Generation des Plug-in-Hybrids Volkswagen Caddy sei bereits ein wichtiger Schritt gemacht worden: „Vor ein paar Monaten haben wir mit dem neuen Modell begonnen – dem Plug-in-Hybrid der zweiten Generation“, erklärt Habczyk. Für den möglichen Einstieg in die Vollelektromobilität sieht er das Werk sowohl technisch als auch personell gut vorbereitet: „Unsere Mannschaft ist qualifiziert, die notwendigen Schulungen sind abgeschlossen, und auch unser Satellitenkonzept bei der Triebsatzvormontage ist darauf ausgelegt, neue Projekte flexibel integrieren zu können."