AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Dr. Mertens, als Audi-Entwicklungsvorstand müssten Sie mit Blick auf Elektromobilität und autonomes Fahren ja eigentlich ein gemütliches Leben haben. Sie haben einen mächtigen Konzern mit den entsprechenden Baukästen im Rücken, können sich das Beste für Audi rausziehen und für Ihre Marke veredeln…
(lacht schallend) So einfach ist es nicht. Erstens entwickeln wir Elektromobilität auch ohne die neuen Baukästen, die ja noch in der Entwicklung sind. Der e-tron ist ja das erste Beispiel dafür. Zweitens haben wir in Zukunft zwei Baukästen im Konzern. Einmal den MEB für die kleineren Fahrzeuge im Volumensegment. Und für die größeren Fahrzeuge die Premium Platform Electric (PPE). Die Verantwortung für den MEB liegt bei der Marke Volkswagen; die für den PPE bei Audi und Porsche. Wir entwickeln gemeinsam die Plattform für die Zukunft der elektrischen Fahrzeuge ab A4 aufwärts. Das ist so ziemlich das Gegenteil von langweilig: spannend und super herausfordernd.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Auch weil der Konzern mit Porsche und Audi zwei Marken zusammengespannt hat, die früher ein intensives Konkurrenzverhältnis gepflegt haben?
Wir haben auch jetzt noch einen gesunden Wettbewerb um die besten Ideen und die besten Lösungen untereinander, aber das in einem sehr kooperativen Umfeld. Und wir nutzen die Synergien, die im Konzern vorhanden sind, auch wirklich da, wo wir sie brauchen. Unterstützt wird das durch eine klare Rollenverteilung. Zwei der drei geplanten Modellfamilien der PPE machen wir, eine Porsche.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Bereits in diesem Jahr kommt der e-tron. Die PPE-Autos kommen erst 2021. Das macht den e-tron zum teuren Solitär. Ist der Wagen mehr als ein Marketing-Gag im Rennen darum, wer von den deutschen Premiumherstellern als erster ein rein elektrisches Auto bringt?
Absolut. Wir lernen sehr viel durch das Fahrzeug und der e-tron ist auch kein Solitär, denn es ist ja ein Schwestermodell bereits in Planung. Und es ist ja auch nicht so, dass wir nur mit homöopathischen Stückzahlen im Verkauf rechnen. Mit dem e-tron wollen wir ernsthaft unterwegs sein, weil wir der Meinung sind, dass der Kunde in dem Segment nach Elektromobilität fragt und darauf wartet, dass das Angebot kommt. Was auch klar ist: Wir brauchen Elektromobilität für die Erreichung unserer CO2-Ziele.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Was werden Sie denn von der e-tron-Plattform jetzt in die erste Generation PPE übernehmen. Was ist technisch anders, besser, effizienter?
Bei der PPE geht alles in die nächste Entwicklungsstufe und umfasst im Prinzip jedes Bauteil. Sie müssen ja bedenken, dass die Plattform, die jetzt den e-tron beherbergt, teils aus der Verbrennerwelt heraus entstanden ist und man hier noch einige Kompromisse machen musste. PPE wird ganz konsequent als Plattform für Elektroautos entwickelt und dadurch deutlich optimiert.
Dr. Peter Mertens: Elektromann
Als Chef von Forschung und Entwicklung während der großen Restrukturierung bei Volvo hat der gelernte Werkzeugmacher und promovierte Produktionstechniker gelernt, knappe Ressourcen höchst effzient einzusetzen. In Mertens' Fall war das eine frühzeitige Fokussierung auf Elektrifizierung. Ein wohl entscheidender Faktor, dass Audi dem 57-Jährigen im September 2016 das Entwicklungsressort übertrug. Ein anderer, nicht minder wichtiger Faktor: Der für seine unaufgeregt-verbindliche Art bekannte Manager sollte nach unruhigen Jahren wieder Kontinuität in die Entwicklung bringen. Das Ziel gilt bereits als erreicht.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Inwiefern Kompromisse?
Nun ja, der e-tron wird auf dem für Elektro adaptierten MLB gefertigt, also einer Multitraktionsplattform auf der man Verbrenner und Elektroautos bauen kann. Mit PPE gehen wir weg von der Multitraktion hin zu dezidierten Plattformen, die entweder mit Verbrenner unterwegs sind inklusive Plug-in oder rein elektrisch. Keine Vermischung.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Nehmen Sie sich damit nicht ein Stück Flexibilität, auf die Marktentwicklung reagieren zu können. Noch weiß ja niemand, wie schnell der Durchbruch für die rein elektrische Mobilität kommen wird.
Wir machen da einen immens mutigen und progressiven Schritt – weil wir voll an die Elektromobilität glauben. Letztlich bekommt man nur so einen deutlichen Fortschritt hin. Mit der reinen Elektroarchitektur schaffen wir ganz neue Möglichkeiten.