
In China möchte Audi mit zwei neuen Gesellschaft und einer zusätzlichen Marke aufholen. (Bild: Audi)
Zahlen lügen nicht. Zugegeben, diese Erkenntnis ist jetzt auch nicht ganz neu. Blickt man auf die Bilanz der Kernmarke VW der letzten fünf Jahre, ist die Tendenz eindeutig: Es geht bergab. Verkauften die Wolfsburger 2023 noch 2.383.703 Millionen Autos in China, waren es im vergangenen Jahr lediglich 2.198.900, was einem Rückgang von 8,3 Prozent entspricht. Auch bei den meistverkauften Autos mussten die Niedersachsen den Platz an der Sonne für BYD räumen. Bei den anderen. Konzernmarken lief es nicht viel besser. Audi lieferte fast 650.000 Fahrzeuge aus, elf Prozent weniger als im Vorjahr und hat mittlerweile den Verkauf des e-tron GT in China eingestellt. Laut der Beratungsfirma JPW Asia wurden seit Ende 2022 nur 188 Einheiten des Stromers in China verkauft. Ein Debakel. Porsche brachte 2024 insgesamt 56.887 Einheiten an den Man, ein Rückgang von satten 28 Prozent. Der Minustrend setzt sich bislang auch in diesem Jahr fort. Das zeigt: Die Zeiten, in denen der Automarkt in China ein Selbstläufer war und für satte Gewinne in der Bilanz sorgte, sind nur noch Erinnerungen, die zunehmend verblassen. „Inzwischen hat der Ruf deutscher Spieler auch einfach bereits deutlich gelitten. Sie gelten als technologisch veraltet und "langweilig". VW ist hiervon noch stärker betroffen als die Premiumhersteller, die vom Design eher noch den chinesischen Geschmack treffen“, weiß Martin Geißler von der Unternehmensberatung bei der Beratung Advyce & Company in München.

China gibt den Ton an
Das liegt auch daran, dass man es in den goldenen Zeiten versäumt hat, wichtige Entwicklungen anzustoßen und so den Anschluss an die chinesische Konkurrenz nach und nach verloren hat. In Wolfsburg agierte man jahrelang nach dem Motto: „Läuft doch!“. Kurzsichtig. Die chinesischen Autobauer lächelten höflich, kopierten, lernten und haben VW inzwischen in vielen Bereichen mittlerweile abgehängt. „Die aufstrebende Autonation China sieht sich inzwischen als Land der Mobilität von morgen“, erklärt Martin Geißler und ergänzt: „Mit dem immer stärkeren Gefühl – „China gibt den Ton an“ – wird es für Europäer zunehmend schwieriger werden, in Fernost relevante Marktanteile zu erringen. Das war aber eigentlich vorherzusehen!“
Doch hinter den emotionalen Gründen gibt es auch einige handfeste Gründe. Viele VW-Probleme sind hausgemacht. In China begreift man das Auto als ein weiteres Wohnzimmer. Viele Angestellte verbringen ihre Mittagspause in den eigenen vier Wänden. Always-On wird vorausgesetzt. Infotainment und Konnektivität, die problemlos funktionieren, sind wichtiger als Kurvendynamik. Wer in Shanghai im Stau steht, will sich mit Freunden digital vernetzen, sich den neuesten Film auf großen Monitoren anschauen und möglichst wenig mit dem Autofahren zu tun haben.
Das Cariad-Dilemma
Als man bei VW den Ernst der Lage erkannt hat, versuchte der damalige Konzernchef Herbert Diess mit aller Gewalt gegenzusteuern. Er wollte eine Start-up-Mentalität in das zunehmend in Schräglage geratene Konzern-Dickschiff installieren und den Dampfer so wieder in ruhigere, weil rentablere Gewässer steuern. Das Resultat ist bekannt. VW investierte immense Summen, um mit Cariad eine eigene Softwareschmiede aus dem Boden zu stampfen, um bei der digitalen Autorevolution aufzuschließen. Das Projekt ging gründlich schief und mutierte zum Milliardengrab, anstelle VW zum digitalen Big-Player zu machen. „Cariads gescheiterter Versuch ein eigenständiges, abgekapseltes Ökosystem zu entwickeln, haben VW zeitlich zurückgeworfen, das Projekt war nie ernsthaft in der Lage, die Chinesen herauszufordern“, bringt es Martin Geißler auf den Punkt.
Chinas Autofahrer sind oft Beta-Tester
Die Konsequenzen sind weitreichend. Die PPE-Plattform, auf der Autos wie der Porsche Macan und der Audi Q6 e-tron basieren, wurde rund zwei Jahre zu spät fertig und ist im Grunde schon veraltet. Auch die mit großem Tamtam angekündigte SSP (Scalable Systems Platform), die VW wieder auf Augenhöhe mit den chinesischen Herstellern bringen sollte, kommt statt wie geplant im nächsten Jahr, erst 2029. Bis dahin muss sich VW mit dem MEB+-Baukasten über die Runden retten, der bereits einige Jahre auf dem Buckel hat. Ob es VW so gelingt, den Vorsprung von BYD, Xiaomi & Co. aufzuholen, darf bezweifelt werden.
Das Cariad-Desaster war nur eines der Probleme, die VW in die Verfolgerrolle drängten. Die grundlegende Idee bei der Elektromobilität, Schlüsselelemente in die eigene Hand zu nehmen zu nehmen, ist richtig. Nur so kann man mit den kurzen Entwicklungszeiten der chinesischen Konkurrenten mithalten, die das Auto wie ein Smartphone begreifen und das vielzitierte Software Defined Vehicle zu realisieren. Während VW noch lange an den traditionellen Prozessen festgehalten hat und fünf Jahre und länger brauchte, ehe ein neues Modell auf den Markt kommt, haben die Chinesen die Zeiträume radikal verkürzt. Die Autofahrer sind nicht selten Beta-Tester. Tritt ein Softwareproblem auf, wird es innerhalb weniger Tage oder gar über Nacht gelöst. Alles andere würden die Kunden auch nicht akzeptieren.
Weniger Bauteile, kürzere Entwicklungszeiten
In Wolfsburg hat man die Zeichen der Zeit erkannt und versucht mit aller Macht gegenzusteuern und sich der neuen Zeit anzupassen. Eine Mammutaufgabe. Die Kosten müssen runter. Damit das gelingt, sind verschiedene Schritte nötig. Vor allem muss das, was die Experten als „vertikale Integration“ bezeichnen, konsequent umgesetzt werden. Also möglichst viel bei der Entwicklung und Produktion in eigener Hand zu behalten. BYD zeigt wie es geht: Der chinesische Autobauer entwickelt seine Batterien, die Computerchips und die Software selbst. Davon ist VW meilenweit entfernt.
Mit der Partnerschaft mit Rivian ist ein erster Schritt getan. Der ID.2 wird das erste Modell sein, dass mit der neuen Software beziehungsweise Elektro-Architektur ausgestattet wird. Andere werden folgen. Die Zyklen werden kürzer und die Ergebnisse besser. Auch die Entwicklung des gesamten Autos wird umgekrempelt und weniger komplex. Das vereinfacht auch die Produktion und macht diese günstiger. Das ist überfällig. „Heute bauen Chinas Spieler Fahrzeuge mit deutlich weniger Bauteilen, das Verhältnis ist im Vergleich zu VW oft bis zu eins zu zehn“, so Martin Geißler.
VW zieht also die Zügel an und will verlorenen Boden wieder gutmachen. „Mit unserer starken 'In China, für China'-Strategie wechseln wir für die Auto Shanghai in den Auslieferungsmodus“, kündigte VW-Chinachef Ralf Brandstätter anlässlich der großen chinesischen Frühjahrsmesse an. Die Frage ist nur, ob die Aufholjagd überhaupt gelingen kann und ob es nicht bereits zu spät ist. Die Chinesen ruhen sich jedenfalls nicht auf ihren Lorbeeren aus. Dafür ist der Verdrängungswettbewerb auf dem heimischen Markt viel zu hart.