Soll ich oder soll ich nicht? Draufbleiben oder leicht lupfen? Der Rechtsknick des Hockenheimrings in Richtung Mercedes Tribüne lässt normalerweise eine solche Frage nicht zu. Schnell? Ja! Aber volles Rohr? Lieber nicht, falls man nicht mit der Auslaufzone oder - noch schlimmer - mit der Leitplanke Bekanntschaft machen will. Aber beim Mercedes AMG GT R Pro handelt es sich um kein normales Auto, sondern um eine reinrassige Rennmaschine mit Straßenzulassung, die unglaublich viel Vertrauen einflößt und suggeriert, dass nichts schieflaufen kann. Dennoch beherzigen wir den Rat des Rennprofis Bernd Schneider und heben den rechten Fuß leicht an, ehe es durch den Knick geht.
Das geschieht aber immer noch mit einem Affenzahn. Doch die 4,55 Meter lange Front-Mittelmotor Rakete aus Affalterbach bringt nichts aus der Ruhe. Der AMG GT R Pro macht alles nochmal einen Schuss besser als der ohnehin schon sehr gute Mercedes AMG GT R. Unglaublich, wie leichtfüßig und präzise sich der mächtige, über zwei Meter breite Vorderwagen in die Kurve dirigieren lässt. Das liegt auch an dem neuen Frontsplitter, der für zusätzlichen Anpressdruck sorgt. Bei 250 Km/h sind es 67 Kilogramm vorne (und 33 Kilogramm hinten). Das macht sich natürlich in Grip der vorderen Walzen bemerkbar. Aber eben mit Augenmaß. "Wir wollten nicht zu viel Gewicht auf die Vorderachse bringen", erklärt AMG-Techniker Axel Wollesen. Das Ausbalancieren des Schwaben-Pfeils ist gelungen.
Dazu kommt das Gewindefahrwerk, das eine ideale Spielwiese für Abstimmungstüftler ist. Federn und Dämpfer können mechanisch justiert werden. Bei den Dämpfern (kommen von KW) kann nicht nur die Zug- und Druckstufe dem eigenen Gusto angepasst werden, bei der Druckstufe wird zudem noch zwischen höheren Geschwindigkeiten und niedrigen Geschwindigkeiten unterschieden, also langsamen und schnellen Einfederbewegungen. Das geschieht per Drehrad im Motor- oder im Kofferraum und beeinflusst das Nicken und Wanken der Karosserie sowie die Traktion. Das ist noch nicht alles: Der verstellbare Drehstabilisator an der Vorderachse ist aus Karbon, der hintere besteht aus einem Stahlrohr und ist ebenfalls justierbar. Die Hinterachse hat beim Pro R-Modell auch an den oberen Querlenkern Uniball-Gelenklager. Ein Carbonelement, um genau zu sein, ein Schubfeld, im Unterboden erhöht die Verwindungssteifigkeit der Karosserie. Genauso wie das serienmäßige "Track-Paket", beim dem ein geschraubter Stahlrohrkäfig enthalten ist. Abgerundet wird das Ganze durch noch die feiner eingestellten elektronisch geregelten dynamischen Motor- und Getriebelager.
Leider schon ausverkauft
Dass es die AMG GT R Pro Version trotz dieses Zusatzballasts genauso wie die GT R-Version auf 1.585 Kilogramm Leergewicht bringt, ist den Leichtbaumaßnahmen zu verdanken, die rund 24 Kilogramm weniger bringen. Playstation-Fans kommen beim Interieur auf Ihre Kosten, das zu großen Teilen vom AMG GT 4-Türer Coupé übernommen wurde und mit ihm allerlei Konfigurationsmöglichkeiten. Wie beim Mercedes AMG GT R ist das kleine Drehrad über der Mittelkonsole das Highlight für die versierten Lenkradkünstler. Mit ihm kann man die Traktionskontrolle bei deaktivierten ESP in neun Stufen angepassen. Könner carven so sauschnell durch die Kurven. Aber Vorsicht: Wer den Wert zu weit nach unten dreht, bekommt die gnadenlose Wucht der 430 kW / 585 PS sowie des maximalen Drehmoments von 700 Newtonmetern in Form eines agilen Hecks direkt zu spüren. Kurz: Wer es übertreibt, schaut aus dem Seitenfenster auf den Asphalt. Schließlich trägt das Mercedes AMG GT Pro R Coupé den Spitznamen "Bestie der grünen Hölle" nicht zu Unrecht: Rennfahrer Maro Engel prügelte den Zweisitzer in exakt 7:04,621 Minuten um die Nürburgring-Nordschleife.
Ein guter Kompromiss ist die "Race"-Einstellung, die dem Hinterteil ein gewisses Maß an Freiheit lässt, aber auf Wunsch den Rettungsanker ESP nicht komplett deaktiviert. Mit Vierpunktgurten in Sitzschalten festgezurrt kleben wir behelmt genauso in den Leichtbausitzschalen, wie der AMG GT R Pro auf der Straße. Am Lenkrad finden sich alle nötigen Funktionen. Für manche mag das Volant überfrachtet erscheinen, aber wenn man mit über 250 km/h auf die Haarnadel zurast, lernt man die Erreichbarkeit der Knöpfe zu schätzen. Von diesen Nebensächlichkeiten völlig unbeeindruckt, zeigt der zweifach zwangsbeatmete Vierliter Achtzylinder-Motor mit typischem Affalterbacher bassgewürzten Timbre, wer Herr im Hause AMG GT Pro R ist: Bereits nach 3,6 Sekunden erreicht das Coupé Landstraßentempo und feuert weiter bis 318 km/h. Im Durchschnitt sollen 12,4 Liter Super pro 100 Kilometer durch die acht Brennkammern fließen.
Dabei schnalzt das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe die Gänge in einer Geschwindigkeit hinein, dass es eine wahre Freude ist, beim Herunterschalten wird die Wechselfreude durch scharfe Zwischengassalven garniert. Echte Racer nutzen natürlich die Schaltwippen. Ohnehin fühlt sich das kompromissloseste aller Mercedes AMG GTs auf der Rennstrecke am wohlsten, deswegen kann man dennoch auf dem Weg zur Asphaltspielwiese seinen Spaß haben. Zu dumm nur, dass bereits alle 750 Exemplare zu einem Preis von 211.701 Euro ausverkauft sind. Bleibt immer noch die Roadster-Version, ab Juli. Also beeilen.