Colour and Trim, oder Color und Trim sind die magischen Worte in der Schöpfungsgeschichte eines jeden Automobilmodells. Ohne Farben keine Emotionen. Ohne Materialien überhaupt kein Auto. So einfach es klingt, so richtig und vor allem wichtig sind diese Abteilungen innerhalb eines Automobilherstellers auch. Denn in Zeiten, in denen die Fahrzeuge technisch immer weiter zusammenrücken, sie sich in ihrer Form aufgrund einer spritverbrauchsoptimierten Aerodynamik immer ähnlicher werden und der dichte Verkehr Leistungsunterschiede zur Nebensache degradiert, treten andere Schöpfungsabschnitte in den Vordergrund. Der Drang zur Individualisierung steigt stetig an. Und mit Blick auf eine nahende Autonomie im Straßenverkehr "wird die Wahl der Farben und Materialien im Innenraum eines autonom fahrenden Autos immer wichtiger", weiß nicht nur Serife Celebi, zuständig bei Ford für Farben und Materialdesign. "Das Auto wird zu einem rollenden Wohnzimmer, in dem der Fahrer gern sein Zeit verbringen und seine Oberflächen gern anfassen möchte, da er mehrere Stunden dort verbringen muss", verrät sie weiter.
Und auch an der Marke Volkswagen ist diese Entwicklung nicht spurlos vorübergezogen. "Neben der Wohnung und dem Arbeitsplatz, ist das Auto inzwischen der dritt-wichtigste Ort im Leben vieler Kunden. Sie wollen diesen sogenannten "Third Place", genau wie ihre Wohnung, individuell gestalten", sind sich Astrid Göring und ihre Kollegin Susanne Gerken einig. Die bei Volkswagen für das Farbdesign der Kompaktklasse (Göring) und dem B-Segment (Gerken) zuständigen Damen sind dafür mitverantwortlich, die passenden Materialien für alle Flächen am Fahrzeug, die innen und außen zu sehen sind, zu belegen. Aber das natürlich nicht nur für den deutschen Markt. Gerken und Göring benötigen Erfahrung, Kompetenz und Intuition für alle weltweiten Märkte, in denen Volkswagen verkauft werden: Immerhin mehr als 150 Länder. Jedes Land hat farbspezifische Präferenzen und Einschränkungen. Beispielsweise gab es für nordamerikanische Kunden ein Sondermodell des Beetle in rosa. Auf dem europäischen Markt wäre das Fahrzeug unverkäuflich.
Die Zeiten ändern sich zudem stetig und rasend schnell. Wachsende Mobilität, Digitalisierung oder auch Nachhaltigkeit. Sie beeinflussen neue Farbtrends. Diese werden zunächst in der Mode sichtbar, dann auf Möbeln und später in der Auto-Welt. "Solche Veränderungen werden auch von unseren Kunden wahrgenommen. Ihr Geschmack wandelt sich entsprechend", erläutert Susanne Gerken. So war Grün für Volkswagen nie eine wichtige Farbe. "Das hat sich geändert. Durch Vernetzung und Globalisierung werden Gesellschaften durchlässiger und toleranter. Farben stigmatisieren nicht mehr", prognostiziert Gerken der ehemals als Jägergrün verspotteten Farbe eine rosige Zukunft.
Alles kann inspirieren
Nur woher holen sich Designer und Mitarbeiter der Colour and Trim-Abteilungen ihre Zukunftsprogosen? "Wir holen uns Inspirationen von überall. Ob es nun meine Wasserflaschen oder Möbelstücke auf einer aktuellen Messe sind - wir müssen mit offenen Augen durch die Welt gehen. Alles kann inspirieren", verrät Maria Greger, bei Mazda für Farben und Materialien zuständig. Serife Celebi sieht das sehr ähnlich: "In der Landschaft, am Strand, im Himmel, bei Palmen, das Zusammenspiel der Farben, Gedichte über Farben, Designer- und Möbelmessen, Restaurants... Als Designer ist man immer neugierig. Auch ein herabfallendes Laubblatt könnte mir als Inspiration dienen. Wir sind letzten Endes dafür verantwortlich, das Auto anzuziehen. Und die Kleidung muss zur Figur des Autos passen."
Textildesignerin Gerken sieht das ähnlich: "Wir wollen unsere Autos nicht verkleiden, sondern mit Hilfe von Farben und Materialien perfektionieren. Wir versuchen die Details so zu betonen, dass sie eine stimmige und starke Gesamtwirkung unterstützen." Die große Frage ist aber natürlich: "Spielt der Kunde denn überhaupt noch eine Rolle bei der Entscheidungsfindung?" "Wir hören uns an, wer die antizipierte Zielgruppe sein soll und versetzen uns in ihre Lebenswirklichkeit. Wie sieht dieser Kunde aus, was würde er anziehen, wie lebt er, wie ist er drauf, was macht er in der Freizeit, was hört er für Musik? So kann man sich viel besser mit ihm identifizieren", lässt Opel-Designerin Belinda Günther durchblicken. Und weiter: "Klar, es gibt ein paar Grundregeln. Wenn ich in der Organisation Farben vorstelle, für 2019 oder 2020, dann brauche ich ein paar Fakten, um zu unterstreichen, warum ich diese und nicht andere genommen haben. Aber letztlich läuft es wirklich auf individuellen Geschmack hinaus. Und der ist schwer messbar."
Aktueller Trend: Grau
Ein kleines aber feines Problem stellt sich den von Frauen dominierten Colour and Trim-Abteilungen aber schon noch: "Beim Colour and Trim geht es darum, mit allen Sinnen zu empfinden, um Haptik und Geruch. Diese Welt scheint Frauen zugänglicher zu sein als Männern. Für mich ist das definitiv ein Vorteil. Die Schwierigkeit für mich als Frau besteht darin, diesen emotionalen Aspekt in einer Männerwelt kommunizieren zu können und dem Rest der Organisation, die tatsächlich Männer dominiert ist, nahe zu bringen", verrät Belinda Günther.
Und wie genau schaut aktuell der Trend in der Farbenwelt aus? "Wir haben Grau eindeutig als Trendfarbe identifiziert, die hinsichtlich der Kundennachfrage selbst Kernfarben wie Silber, Schwarz und Weiß überholt hat. Von dieser Popularität sind wir selbst überrascht", sagt Julie Francis, Colour and Material Design Manager, Ford of Europe. "Grau ist eine großartige, weitgehend unverbrauchte Farbe. Grau ist cool und signalisiert eine gewisse Distinktion, das macht diese Farbe spannend und attraktiv". Dass es bei solch einer Nachfrage nicht nur bei einem Grau bleiben kann, ist natürlich klar. Und so bietet Ford je nach gewähltem Modell in Europa insgesamt acht verschiedene Graustufen an, darunter Lackierungen mit klingenden Namen wie Titan-Grau Metallic, Smoke-Grau Metallic, Magnetic-Grau Metallic oder Royal-Grau Metallic. Knallige Trendfarben bleiben aber weiterhin bei den meisten Herstellern im Programm. Allerdings nur in den kleinen und somit günstigen Segmenten. "Die Farben müssen zur Architektur und der Zielgruppe des Autos passen. So bleibt unser Fiesta zum Beispiel auch weiterhin sehr farbenfroh", erklärt Serife Celebi. Na dann ist ja gut.